Entscheidungsstichwort (Thema)
Ungünstige Bodenverhältnisse eines Grundstücks als Sachmangel
Leitsatz (amtlich)
Verkauft eine Gemeinde ein Grundstück, das mit einem Fehler behaftet ist, so ist ihr für die Frage des arglistigen Verschweigens das Wissen eines Sachbearbeiters des mit dem Verkauf nicht befassten Bauaufsichtsamtes nicht zuzurechnen (Abgrenzung zu BGHZ 109, 327).
Normenkette
BGB §§ 166, 31, 89
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 14. November 1990 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Tatbestand
Mit notariellem Vertrag vom 10. Februar 1989 kauften die Kläger von der Beklagten einen am Hang gelegenen Bauplatz. Die Beklagte ließ sich bei der Beurkundung durch einen Stadtamtsrat beim Liegenschaftsamt auf Grund einer ihm von dem Oberbürgermeister am 18. Oktober 1984 erteilten Vollmacht vertreten. Die Gewährleistung insbesondere für die Beschaffenheit des Baugrundes wurde ausgeschlossen. In dem Vertrag heißt es weiterhin, die Stadt versichere, dass ihr von verborgenen Sachmängeln nichts bekannt sei.
Der Baugrund besteht teilweise aus Knollenmergel. Dies machte zusätzliche Baumaßnahmen erforderlich.
Die Kläger verlangen von der Beklagten die Erstattung von Mehrkosten in Höhe von 74.125,06 DM nebst Zinsen sowie die Feststellung der Pflicht zum Ersatz aller weiteren Schäden. Sie haben behauptet, die nachteilige Bodenbeschaffenheit sei sowohl dem Leiter des Liegenschaftsamtes als auch einem im Baurechtsamt als Sachbearbeiter tätigen Bauingenieur bekannt gewesen.
Das Landgericht hat das Zahlungsbegehren dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Revision erstreben die Kläger
die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Die Beklagte beantragt,
das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht geht davon aus, dass der Leiter des Liegenschaftsamtes das Vorhandensein von Knollenmergel in dem Baugebiet nicht gekannt, wohl aber ein Sachbearbeiter im Baurechtsamt mit dem Vorhandensein von Knollenmergel auf dem von den Klägern gekauften Grundstück gerechnet habe. Dieses Wissen müsse sich die Beklagte jedoch nicht zurechnen lassen, weil es sich bei diesem Bediensteten nicht um ein vertretungsberechtigtes Organmitglied der Beklagten handele.
Dies hält der Revision stand.
II.
1.
Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die ungünstigen Bodenverhältnisse des verkauften Grundstücks einen Sachmangel darstellen und das bestehende Baugrundrisiko zu den Tatsachen gehört, die beim Verkauf hätten offenbart werden müssen.
2.
Zu Recht verneint das Berufungsgericht jedoch eine unter dem vereinbarten Gewährleistungsausschluss allein in Betracht kommende (vgl. Senatsurt. v. 18. September 1987,V ZR 219/85, WM 1988, 200, 202; BGHZ 109, 327, 330) Haftung der Beklagten wegen arglistigen Verschweigens dieses Mangels.
Unangefochten stellt das Berufungsgericht fest, dass weder bei einem vertretungsberechtigten Organ oder Organmitglied der Beklagten, noch bei dem für sie aufgetretenen, infolge der ihm allgemein erteilten Abschlussvollmacht als verfassungsmäßig berufener Vertreter anzusehenden (vgl. BGH, Urt. v. 30. Oktober 1967, VII ZR 82/65, NJW 1968, 391; Urt. v. 21. September 1971, VI ZR 122/70, NJW 1972, 334) Beamten des Liegenschaftsamtes die Kenntnis von Umständen erwiesen ist, auf Grund deren konkret mit dem Vorhandensein von Knollenmergel gerechnet werden konnte. Folglich kommt - anders als in der Senatsentscheidung BGHZ 109, 327 f -eine Haftung der Beklagten für das Wissen eines Organvertreters nicht in Betracht. Dafür, dass der von dem Baugrundrisiko unterrichtete Sachbearbeiter des Baurechtsamtes ein "anderer" verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten im Sinne der §§ 31, 89 BGB sein könnte, liegen keine Anhaltspunkte vor.
3.
Damit könnte die Klage nur dann Erfolg haben, wenn sich die Beklagte das unterhalb der Organwalter- oder Vertreterebene vorhandene Wissen eines Sachbearbeiters in den mit dem Verkauf des Grundstücks nicht befassten Baurechtsamt zurechnen lassen müsste. Dies ist aber nicht der Fall.
a)
Die Zurechnung von Wissen bei dem Abschluss von Verträgen ist nach § 166 BGB zu beurteilen. Die Anwendung der Vorschrift ist nach herrschender Ansicht (BGHZ 83, 293, 296; BGH, Urt. v. 19. März 1985, VI ZR 190/83, NJW 1985, 2583; Senatsurt. v. 8. November 1991, V ZR 260/90; Richardi, AcP 169 (1969) 385, 387; MünchKomm/Thiele, BGB, 2. Aufl., § 166 Rdn. 23; Soergel/Leptien, BGB, 12.Aufl., § 164 Rdn. 11; Erman/Brox, BGB, 8. Aufl., § 166 Rdn. 5; BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 166 Rdn. 19; Schultz, NJW 1990, 477 ff) nicht auf die rechtsgeschäftliche Vertretung beschränkt, sondern erstreckt sich analog auch auf den vergleichbaren Tatbestand der Wissensvertretung. "Wissensvertreter" ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten. Er braucht weder zum rechtsgeschäftlichen Vertreter noch zum "Wissensvertreter" ausdrücklich bestellt zu sein (Richardi aaO S. 398; Schultz aaO S. 479, 480). Der Geschäftsherr muss sich seiner aber im rechtsgeschäftlichen Verkehr wie eines Vertreters bedienen (BGHZ 55, 307, 311; BGH, Urt. v. 22. Juni 1987, III ZR 263/85, BGHR BGB § 166 Abs. l - Treuhande1). Hat der Wissensträger den Geschäftsherrn nur intern beraten, scheidet eine sinngemäße Anwendung von § 166 Abs. l BGB aus (Senatsurt. v. 23. Oktober 1963, V ZR 256/62, WM 1964, 94, 97; BGH, Urt. v. 18. Januar 1974, I ZR 17/73, WM 1974, 312, 313).
Nach diesen Grundsätzen muss sich die Beklagte das Wissen ihres Sachbearbeiters im Baurechtsamt nicht zurechnen lassen. Denn es ist weder festgestellt noch behauptet worden, dass sie ihn mit der eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Aufgaben im privatrechtlichen Geschäftsverkehr betraut hätte. Darin unterscheidet sich der Fall von den Sachverhalten, welche den von der Revision in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes (Urt. v. 1. März 1984, IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953; Urt. v. 1. Juni 1989, III ZR 261/67, NJW 1989, 2879; Urt. v. 1. Juni 1989, III ZR 277/87, NJW 1989, 2881) zu Grunde liegen. Dort hatten die Personen (Kassierer und Leiter einer Bankfiliale) ihr Wissen, das der Bank zugerechnet wurde, in Wahrnehmung ih-rer Aufgaben im Geschäftsverkehr erlangt.
b)
In der Literatur wird allerdings auch die Auffassung vertreten, dass sich die Zurechnung von Wissen bei juristischen Personen nicht an der Stellung oder Vertretungsmacht des Wissensträgers, sondern an der Verfügbarkeit derjenigen Informationen zu orientieren habe, die "typischerweise aktenmäßig fest gehalten" werden (Bohrer, DNotZ 1991, 124, 129/130). Nach dieser Ansicht soll sich die Kenntnis der juristischen Person daraus ergeben, dass sie das Aktenwissen besitze und seine Nutzung nicht in ihrem Belieben stehe, sondern normativen Verkehrsschutz-Anforderungen unterliege. Die Verantwortung für das einmal erlangte Wissen schließe ein, seine Verfügbarkeit zu organisieren. Komme die juristische Person dieser Rechtspflicht nicht, nach, müsse sie sich materiell-rechtlich so behandeln lassen, als habe sie von der Information Kenntnis (Bohrer aaO S. 130).
Ob und gegebenenfalls inwieweit diese Auffassung im Hinblick auf die erweiterten Informationsmöglichkeiten mittels elektronischer Datenverarbeitung Zustimmung verdient, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Beklagte war jedenfalls nicht verpflichtet, zwischen dem Liegenschafts- und dem Baurechtsamt allgemein einen Informationsaustausch zu organisieren. Abgesehen davon, dass es schon Schwierigkeiten gäbe, objektive Abgrenzungskriterien dafür zu finden, welche Ämter unter Wahrung etwaiger Dienstgeheimnisse und bestehender Belange des Datenschutzes welche Informationen auszutauschen haben, ist ein solcher ämterübergreifender Informationsaustausch auch nicht zum Schutz des privaten Rechtsverkehrs erforderlich. Zwar hat der Senat für die Zurechnung von Wissen vertretungsberechtigter Organmitglieder betont (BGHZ 109, 327, 332), dass der Bürger, der mit der Gemeinde einen wirtschaftlich bedeutsamen Vertrag schließe und ihr dabei im Zweifel erhöhtes Vertrauen entgegenbringe, im Prinzip nicht schlechter gestellt werden dürfe, als wenn er es nur mit einer einzigen natürlichen Person zu tun hätte. Will man diesen Gesichtspunkt auch unterhalb der organschaftlichen Ebene zur Geltung bringen, weil sich eine organisationsbedingte "Wissensaufspaltung" (Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. Rdn. 106) nicht zu Lasten des Geschäftspartners auswirken dürfe, so greift er nur für die im privaten Rechtsverkehr nach außen in Erscheinung tretende Funktionseinheit (Amt, Behörde). Nur sie tritt dem Verhandlungspartner als Einheit gegenüber. Sähe man es anders, stünde der Vertragspartner einer kommunalen Körperschaft sogar besser als der einer natürlichen Person. Denn eine als Grundstücksverkäuferin auftretende Privatperson besäße auch nicht die Informationen, welche die Gemeinde auf Grund ihrer öffentlichen Aufgaben z.B. als Bauaufsichtsbehörde, als Bauplanungs- oder Tiefbauamt erlangt.
c)
Dass eine Gemeinde nicht verpflichtet ist, für ihre fiskalischen Grundstücksgeschäfte einen ämterübergreifenden Informationsaustausch allgemein zu organisieren, schließt allerdings nicht aus, dass das Liegenschaftsamt im Einzelfall aus besonderen Gründen gehalten sein kann, bei einem anderen Amt Erkundigungen einzuholen. In entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Wissenszusammenrechnung im Verhältnis verschiedener Bankfilialen (BGH, Urt. v. 1. Juni 1989, III ZR 261/87 und III ZR 277/87 aaO) kann es unter Umständen geboten sein, das Aktenwissen eines an dem konkreten Rechtsgeschäft nicht beteiligten Amtes der Gemeinde dann zuzurechnen, wenn der sachliche Zusammenhang der in verschiedenen Ämtern angefallenen Vorgänge bekannt, ein Informationsaustausch daher möglich und nahe liegend war.
Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht festgestellt. Weder bestand zwischen dem fiskalischen Grundstücksgeschäft der Beklagten und den Verwaltungsvorgängen in dem Baurechtsamt ein sachlicher Zusammenhang, noch lagen dem Liegenschaftsamt irgendwelche Hinweise darauf vor, dass in dem Baurechtsamt vertragserhebliche Kenntnisse über die Baugrundbeschaffenheit des Kaufobjekts vorhanden waren.
4.
Ohne Erfolg rügt die Revision schließlich die von dem Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der in den Vertragstext aufgenommenen - richtigen - Wissenserklärung, dass der Stadt verborgene Sachmängel nicht bekannt seien. Die Würdigung dieser Erklärung, dass mit dem Wissen der Stadt allenfalls das ihrer vertretungsberechtigten Organe gemeint sei, ist möglich und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie verletzt insbesondere nicht dadurch materielles Recht, dass das Berufungsgericht davon ausgeht, eine Pflicht zu Nachforschungen bei dem Baurechtsamt habe nicht bestanden. Denn diese Ansicht trifft - wie ausgeführt - zu. Damit entfällt zugleich die Grundlage für einen die Arglist begründenden Vorwurf (Senatsurt. v. 19. Dezember 1980, V ZR 185/79, NJW 1981, 864), der Vertreter der Beklagten habe die Erklärung "ins Blaue hinein" abgegeben.
Die Kosten des nach alledem erfolglosen Rechtsmittels fallen gemäß § 97 Abs. l BGB den Klägern zur Last.
Unterschriften
Hagen
Vogt
Räfle
Wenzel
Tropf
Fundstellen
Haufe-Index 1456472 |
BGHZ, 104 |
BB 1992, 456 |
NJW 1992, 1099 |
DNotZ 1993, 166 |