Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmereigenschaft
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1
Beteiligte
Dyrektor Krajowej informacji Skarbowej |
Verfahrensgang
Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Beschluss vom 16.04.2021; ABl. EU 2022, Nr. C 95/6) |
Tenor
Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
sind dahin auszulegen, dass
es keine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung von Gegenständen und Dienstleistung darstellt, wenn eine Gemeinde über ein Unternehmen zugunsten derjenigen ihrer Einwohner, die Eigentümer sind und den Wunsch geäußert haben, damit ausgestattet zu werden, Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien liefert und installiert, sofern eine solche Tätigkeit nicht auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen gerichtet ist und seitens der Einwohner nur zu einer Zahlung führt, die höchstens ein Viertel der entstandenen Kosten deckt, wobei der Restbetrag aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 16. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 30. September 2021, in dem Verfahren
Gmina O.
gegen
Dyrektor Krajowej informacji Skarbowej
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter N. Wahl (Berichterstatter) und J. Passer,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Gmina O., vertreten durch J. Wyrzykowski, Doradca podatkowy,
- des Dyrektor Krajowej Informacji Skarbowej, vertreten durch B. Kolodziej, D. Pach und T. Wojciechowski,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und U. Malecka als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. November 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 und Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gmina O. (Gemeinde O.) in Polen und dem Dyrektor Krajowej Informacji Skarbowej (Direktor der nationalen Steuerinformationsbehörde, Polen) wegen eines an diese Gemeinde gerichteten Steuervorbescheids über die Mehrwertsteuerpflichtigkeit der Gemeinde in Bezug auf Umsätze, die darin bestehen, dass die Gemeinde mit einigen ihrer Einwohner einen Vertrag über die Installation von Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien (im Folgenden: EE-Anlagen) auf deren Liegenschaften gegen eine finanzielle Gegenleistung dieser Einwohner schließt.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;
…
c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;
…”
Rz. 4
Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.”
Rz. 5
In Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 heißt es:
„Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Umsätzen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.
Falls sie solche Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Umsätze jedoch als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
Die Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten in Bezug auf die in Anhang I genannten Tätigkeiten in jedem Fall als Steuerpflichtige, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.”
Rz. 6
Art. 73 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die ...