Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Klageverfahrens bei Vorläufigkeitsvermerk. mündliche Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheides in der mündlichen Verhandlung. Nichtrückkehrtage bei Grenzgängern und Arbeitgeberwechsel. Nichtrückkehrtag bei Geschäftsreisen. Besteuerung der Geschäftsreise in die USA. steuerliche Berücksichtigung der Schweizer Quellensteuer. Besteuerung nach DBA-Schweiz bei Mitgliedschaft in Geschäftsleitung.
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 FGO ist nicht erforderlich, wenn die beim BFH in einem Musterverfahren anhängigen Rechtsfragen vom FA gem. § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 FGO für vorläufig erklärt werden.
2. Die für eine Vorläufigerklärung erforderliche Ungewissheit endet erst, wenn feststeht, dass die Grundsätze der Entscheidung des BFH über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden sind.
3. Der in der mündlichen Verhandlung vom Vertreter des FA zu Protokoll des FG erklärte Einkommensteueränderungsbescheid ist wirksam bekannt gegeben worden. Dem steht die mangelnde Schriftform aufgrund der gerichtlichen Protokollierung nicht entgegen.
4. Die Grenzgängereigenschaft entfällt auch dann nach Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz, wenn der Arbeitnehmer während des Kalenderjahres bei zwei verschiedenen Arbeitgebern tätig war und insgesamt mehr als 60 Arbeitstage auf Grund der Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt.
5. Ein Nichtrückkehrtag liegt auch dann vor, wenn eine Geschäftsreise überwiegend im Interesse des in der Schweiz ansässigen Arbeitgebers erfolgt.
6. Unter den Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 DBA-USA ist ein im Inland ansässiger Steuerpflichtiger, der bei einem Schweizer Arbeitgeber angestellt ist und sich nicht mehr als 183 Tage in den USA aufgehalten hat, hinsichtlich des auf den Aufenthalt in den USA entfallenden Arbeitslohns im Inland steuerpflichtig.
7. Die in der Schweiz erhobene Quellensteuer auf Einkünfte des Steuerpflichtigen für Geschäftsreisen in die USA ist nach § 34c Abs. 3 EStG bei der Ermittlung der Einkünfte abzuziehen.
8. Ein Besteuerungsrecht der Schweiz besteht auch dann, wenn der im Inland ansässige Steuerpflichtige Mitglied der Geschäftsleitung einer Schweizer AG und nicht nur Handlungsbevollmächtigter ist.
Normenkette
AO § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 4; EStG § 3 Nr. 62, § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a, S. 2, Abs. 1 Nr. 3a Hs. 3, Abs. 1 Nr. 3a Hs. 4; FGO § 74; AO § 124 Abs. 1, § 157 Abs. 1 S. 1; DBA CHE Art. 15a Abs. 1, 4, Art. 15 Abs. 4 S. 1; DBA USA Art. 15 Abs. 2; EStG § 34c Abs. 3, § 1 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1
Tenor
1. Unter Änderung des Einkommensteueränderungsbescheids vom 15. Oktober 2015 wird die Einkommensteuer auf xx.xxx EUR festgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung von mehr als 1.500 EUR, darf die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des darin festgesetzten Erstattungsbetrages erfolgen. In anderen Fällen kann der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder durch Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leisten.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I. Der erkennende Senat hat mit Beweisbeschluss vom 2xx.xx. 2014 3 K 2913/13 Prof. Dr. A (Ordinarius für Privatrecht an der juristischen Fakultät der Universität X/Schweiz) zum Gutachter bestellt, und zwar zu den Schweizer Rechtsfragen, ob der Kläger während seiner Tätigkeit für die in der Schweiz ansässige B-AG (Schweiz) AG (im Folgenden: B-AG) die Leitungs- und Vertretungsmacht eines Direktors, Vizedirektors oder Geschäftsführers inne hatte. Der Gutachter hat hierzu in den Gutachten vom 12. November 2014 (Gutachten I) und vom 30. April 2015 (Gutachten II) Stellung genommen.
II. Die Kläger sind Eheleute, die für den Veranlagungszeitraum 2011 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Die Klägerin erzielte im Streitjahr keine steuerpflichtigen Einkünfte.
Der Kläger hat an der Universität Y ein Studium der Molekularbiologie und an der University of Z eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung (Master of Business Administration) abgeschlossen.
Der Kläger arbeitete seit dem xx.xx. 2005 bis zum xx.xx. des Streitjahres bei der D AG (im Folgenden D-AG) in X/Schweiz (Confoederatio Helvetica [CH] –Schweizerische Eidgenossenschaft [Schweiz]– Kanton X/Schweiz [Hinweis auf den Lohnausweis vom 25. Januar 2012, Bl. 12 und 13/2011 der ESt-Akten Band 3]). Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhte auf der Kündigung des Klägers mit Schreiben vom xx.xx. des Streitjahres (Bl. 155 der FG-Akten) und der Einverständniserklärung der D-AG vom xx.xx. des Streitjahres (Bl. 156, 157 der FG-Akten).
Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der Arbeitsvertrag (Grundlagen + Zusatzbedingungen + Ergänzung zum Arbeitsvertrag) vom xx.xx.2005 (Bl. 77 ff. der FG-Akten). Lt. der Zusatzv...