Entscheidungsstichwort (Thema)
Grenzgängerstatus im Sinne des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010 bei einer großen Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsort. Nichtrückkehrtage im Sinne des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 bei einer Rufbereitschaft, die keine Anwesenheit im Krankenhaus erfordert
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Grenzgängereigenschaft gemäß Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA Schweiz entfällt, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Unter Arbeitstagen sind die vereinbarten Arbeitstage zu verstehen. Bei einer befristeten Beschäftigung ist die 60-Tage-Grenze zu kürzen.
2. Die Zumutbarkeit der Rückreise ist zu verneinen, wenn die Straßenentfernung mehr als 110 km beträgt oder wenn die für die Wegstrecke von der Arbeitsstätte zum Wohnort benötigte Zeit (hin und zurück) mit dem in der Regel benutzten Transportmittel 3 Stunden (also 1 1/2 Stunden für einen Weg) übersteigt.
3. Nur wenn die Voraussetzungen eines Grenzgängers (regelmäßige Rückkehr vom Arbeitsort zum Wohnort) erfüllt sind, ist nach Art. 15 Abs. 2 Satz 2 DBA Schweiz zu prüfen, ob die Nichtrückkehr „zum Wegfall der Grenzgängereigenschaft führt”.
Normenkette
DBA CHE 1971/2010 Art. 15 Abs. 1; DBA CHE 1971/2010 Art. 15a Abs. 1; DBA CHE 1971/2010 Art. 15a Abs. 2
Nachgehend
Tenor
1. Dem Beklagten wird aufgegeben, den Einkommensteuerbescheid sowie die Einspruchsentscheidung dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus der Schweiz nur dem Progressionsvorbehalt unterliegen. Das Ergebnis der Neuberechnung ist den Klägern formlos mitzuteilen. Nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Bescheid mit geändertem Inhalt neu bekannt zu geben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz war.
Die Kläger wohnten im Streitjahr 2014 im Inland. Er hat nach Aufgabe seiner eigenen Arztpraxis im Streitjahr in der Schweiz als Honorararzt gearbeitet. In seiner Gewinnermittlung für seine Tätigkeit als Praxisvertreter an Sonn- und Feiertagen erklärte er einen Gewinn. Zudem gab der Kläger Einkünfte aus einer Vertretungstätigkeit im Jahr 2014 im Spital in der Schweiz in der Zeit vom 24. August bis 14. September, vom 28. September bis 5. Oktober und vom 2. November bis 5. November an. Der Kläger wies in der Erklärung darauf hin, dass die Versteuerung in der Schweiz erfolgt sei und reichte eine Bestätigung des Spitals beim FA ein.
Mit Bescheid vom … setzte das FA Einkommensteuer 2014 fest. Die Einkünfte aus seiner Vertretungstätigkeit in Samedan erfasste das FA als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Die Kläger legten dagegen Einspruch ein und erklärten, dass der Kläger kein Grenzgänger sei. Eine tägliche Heimfahrt sei aufgrund der Entfernung von mehr als 200 km vom Tätigkeitsort zum Wohnort und der 24-Stunden-Diensten während der befristeten Arbeitseinsätze nicht möglich gewesen. Aus diesem Grund habe der Arbeitgeber in Samedan auch die ordentliche Quellensteuer zum Abzug gebracht. Das Besteuerungsrecht verbleibe deshalb in der Schweiz.
Mit Einspruchsentscheidung wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung erklärte das FA, dass bei einem mehrtägigen Arbeitseinsatz die „regelmäßige Rückkehr nach Arbeitsende” i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz nicht ausgeschlossen sei, wenn sich die Arbeitsausübung aus betrieblichen Gründen über mehrere Tage erstreckt. In den Fällen seien als Nichtrückkehrtage nur diejenigen Tage zu zählen, an denen der Arbeitnehmer im Anschluss an die mehrtägige Tätigkeit nicht an seinen Wohnort zurückkehrt.
Mit der vorliegenden Klage wenden sich die Kläger gegen die Anwendung des § 15a DBA-Schweiz. Zur Begründung tragen sie vor, dass es sich bei der Tätigkeit in der Schweiz um eine einmalige Aushilfstätigkeit wegen der Kündigung eines leitenden Facharztes gehandelt habe. Das Arbeitsentgelt habe aus einem Grundlohn und einem Honorar bestanden. Der Kläger sei zu Beginn seiner jeweiligen Arbeitseinsätze mit seinem privaten Fahrzeug in die Schweiz und nach Beendigung der Tätigkeit wieder nach Deutschlanad zurückgefahren. Die arbeitstägliche Rückkehr sei wegen der großen Entfernung (Einzelstrecke 207 km) zwischen dem Arbeitsort und dem Wohnort des Klägers und der Dauer der einfachen Fahrt (ca. 3 – 4 Stunden) auch wegen der Überquerung des Passes nicht möglich gewesen. Der Kläger sei zudem aufgrund der Rufbereitschaft verpflichtet gewesen, dem Spital innerhalb von 30 – 45 Minuten zur Verfügung zu stehen. Der Vorgänger des Klägers habe beispielsweise seine Wochenenden mit Rufbereitschaft im ca. 56 km entfernten Ort verbracht.
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