vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Formwahrende und fristwahrende Einreichung der Klage; Elektronische Einreichungspflicht. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: X R 12/24)
Leitsatz (redaktionell)
- § 47 Abs. 2 FGO dispensiert nicht von der Einhaltung der Formvorschriften aus §§ 52a, 52d FGO, so dass ein zur elektronischen Einreichung verpflichteter Steuerberater die Klage nicht fristwahrend in Schriftform gemäß § 64 Abs. 1 FGO beim Finanzamt anbringen kann.
- § 47 Abs. 2 FGO dispensiert nicht von der Einhaltung der Formvorschriften der §§ 52a, 52d FGO (Fortsetzung von FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 22. Januar 2019 2 K 212/18 , juris; Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 2. Mai 2019 7 K 7019/19 , juris; FG Münster, Urteil vom 26. April 2017 7 K 2792/14 E , juris). Dies gilt nicht nur für in elektronischer Form angebrachte Klageschriften, sondern schließt für den zur elektronischen Einreichung verpflichteten Steuerberater auch die Anbringung in Schriftform gemäß § 64 Abs. 1 FGO aus. Der Regelungsgehalt des § 47 Abs. 2 FGO beschränkt sich für Steuerberater damit auf die Einreichung über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) an das für diese Zwecke jedenfalls konkludent eröffnete besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) des Finanzamtes. Eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist wegen eines Irrtums über die Möglichkeit der schriftlichen Einreichung beim beklagten Finanzamt kommt nicht in Betracht. Es handelt sich nicht um eine nicht vorhersehbare Vorschärfung der Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften.
Normenkette
FGO §§ 52a, 52d
Streitjahr(e)
2015, 2016, 2017, 2018, 2019
Tatbestand
Die Kläger begehren die Nichtigkeitsfeststellung, hilfsweise die Aufhebung von Änderungsbescheiden. Hinsichtlich der (Hilfs-)Anfechtungsklage ist zwischen den Beteiligten streitig, ob die Klage durch Einlegen in den Briefkasten des Beklagten form- und fristgerecht erhoben worden ist.
Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger zu 1. betreibt eine Pizzeria. Im Jahr 2022 führte der Beklagte beim Kläger zu 1. eine Außenprüfung durch, an deren Ende entsprechend dem Prüfungsbericht vom 12. Dezember 2022 unter dem 12. Januar 2023 geänderte Bescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Zinsen für 2015 bis 2019 ergingen. Ferner ergingen unter dem 30. Januar 2023 geänderte Bescheide über Zinsen zur Einkommensteuer.
Gegen die geänderten Bescheide vom 12. Januar 2023 legten die Kläger durch ihren seinerzeit bevollmächtigten Steuerberater X (im Folgenden: Steuerberater) mit Schreiben vom 16. Februar 2023 Einsprüche ein, ohne diese zu begründen.
Der Beklagte wies die Einsprüche mit einheitlicher Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2023 mangels Begründung und unter Verweis auf den Prüfungsbericht zurück.
Am 20. Juni 2023 erhob der Steuerberater daraufhin in Papierform Klage – gegen die oben genannten Änderungsbescheide vom 12. Januar 2023 „sowie gegen die Einspruchsentscheidung vom 17.05.2023“ –, indem er diese in den Briefkasten des Beklagten einlegte. Der Beklagte übermittelte die Klage sodann gemäß § 47 Abs. 2 S. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) an das Finanzgericht, wo sie am 4. August 2023 einging.
Das Gericht hat sogleich mit seiner Eingangsverfügung vom 14. August 2024 in Frage gestellt, ob die Klage zulässig ist, als sie nicht über das besondere elektronische Steuerberatungspostfach (beSt) erhoben worden ist. Jene Verfügung stellte es dem Beklagten auf sein besonderes elektronisches Behördenpostfach (beBPo) mit der Adresse „ELSTER_FA_XXX“ (Safe-ID: DE.Justiz.XXX) zu.
Dem traten die Kläger mit Schriftsatz ihres nunmehr beauftragten Prozessbevollmächtigten vom 30. August 2023 entgegen und vertraten die Auffassung, der Steuerberater habe die Klagefrist nach § 47 Abs. 2 FGO gewahrt, indem er sie am letzten Tag der Frist in den Briefkasten des Beklagten eingelegt habe. Die Vorschrift des § 52a FGO finde im hiesigen Fall keine Anwendung.
Hilfsweise – für den Fall der Fristversäumnis – beantragten sie Wiedereinsetzung in die Klagefrist und holten die Klageerhebung im vorgenannten und über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) übermittelten Schriftsatz vorsorglich nach. Ferner erklärten sie, sich auch gegen die Bescheide über Zinsen zur Einkommensteuer 2015 bis 2019 vom 30. Januar 2023 zu wenden.
Über die Frage der fristgerechten Erhebung der Klage, ggfs. verbunden mit einer Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, beantragten sie ferner den Erlass eines Zwischenurteils nach § 97 FGO.
Unter dem 6. Februar 2024 - den Klägern zugestellt am 8. Februar 2024 - erging ein klagabweisender Gerichtsbescheid, mit der Senat die Klage als verfristet und damit unzulässig abwies.
Mit Schriftsatz vom 8. März 2024 beantragten die Kläger mündliche Verhandlung und begehrten in der Sache nunmehr die Feststellung der Nichtigkeit der angefochtenen Bescheide, hilfsweise deren A...