Entscheidungsstichwort (Thema)
Diskriminierung. Behinderung. Einstellung. Entschädigungsanspruch Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG. unmittelbare Anwendung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Bewerberin, die bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes wegen einer Behinderung benachteiligt worden ist, kann sich gegenüber diesem unmittelbar auf die Bestimmungen der Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27.11.2000 berufen.
2. Eine Behinderung mit einem Grad von 40 fällt unter den Anwendungsbereich der Richtlinie.
3. Ein mit einer Behinderung verbundenes erhöhtes Krankheitsrisiko kann eine Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses allenfalls dann i.S.d Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie sachlich rechtfertigen, wenn zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung aufgrund konkreter Tatsachen mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass die krankheitsbedingten Ausfallzeiten auf Grund ihrer Dauer und Häufigkeit zu unzumutbaren bzw. unverhältnismäßigen Belastungen des Arbeitgebers führen werden.
4. Die Rechtsfolgen einer Diskriminierung wegen einer Behinderung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses richten sich nach den vom deutschen Gesetzgeber in den §§ 611 a BGB, 81 Abs. 2 SGB IX aufgestellten allgemeinen Rechtsgrundsätzen.
5. Wäre die Bewerberin – wie vorliegend die Klägerin – bei einer benachteiligungsfreien Auswahl eingestellt worden, sind bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung zum einen die materiellen Nachteile, die der Berwerberin infolge der Nichteinstellung entstanden sind, und zum anderen die durch die Persönlichkeitsrechtsverletzung entstandenen immateriellen Nachteile angemessen zu berücksichtigen.
Normenkette
SGB IX § 81 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
I.
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 12.000,00 EUR (zwölftausend) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.10.2004 zu zahlen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem beklagten Land auferlegt.
III.
Der Streitwert wird auf 10.336,86 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Entschädigung wegen Benachteiligung als behinderter Mensch bei der Entscheidung über die Begründung eines Arbeitsverhältnisses.
Die Klägerin ist 1962 in Berlin geboren und Mutter zweier Kinder im Alter von 15 und 17 Jahren. Sie leidet an Neurodermitis sowie einer allergischen Rhinitis, und wird ständig mit Antihistaminika und gelegentlich mit cortionshaltigen Externa behandelt. Sie ist gelernte Köchin und absolvierte eine Umschulung zur Industriekauffrau. Nach Abschluss der Umschulung war sie arbeitslos. 1993/1994 traten während der Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit der Neurodermitis erhebliche gesundheitliche Probleme auf, die – wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 08. Juni 2005 vorgetragen hat – zu offenen nässenden Wunden an den Beinen führten, jedoch seit langem abgeklungen sind. Mit Bescheid vom 31. Januar 1994 erkannte das Versorgungsamt der Klägerin einen Grad der Behinderung von 40 wegen einer äußerlich erkennbaren dauernden Einbuße der körperlichen Bewegungsfreiheit zu. Von 1995 bis zum 31. Dezember 2003 war die Klägerin bei der Firma A im Zwei-Schicht-System zunächst in Vollzeit beschäftigt und ab 1998 sechs Stunden arbeitstäglich, um mehr für die Zeit der Betreuung ihrer Kinder zu haben. Zu ihren Arbeitsaufgaben gehörte insbesondere das Kopieren, Plotten und Erstellen von Lichtpausen. Sie führte die Tätigkeit stehend an einer Maschine aus. Während des Beschäftigungsverhältnisses war sie zu keinem Zeitpunkt wegen ihrer Neurodermitis arbeitsunfähig krank.
Mit Schreiben vom 10. Oktober 2003 bewarb sich die Klägerin bei der B des beklagten Landes als Angestellte für den Bereich Parkraumbewirtschaftung. Als solche hätte sie eine monatliche Bruttovergütung zwischen 1.821,00 EUR bis 1.915,00 EUR erhalten. Am 24. Februar 2004 nahm sie an einem schriftlichen Auswahlverfahren und am 11. März 2004 an einer mündlichen Prüfung mit Erfolg teil. Daraufhin wurde sie für den 16. März 2004 zu einer personalärztlichen Untersuchung beim ärztlichen Dienst der B geladen. Im Rahmen der Untersuchung legte sie dem untersuchenden Arzt Dr. C u.a. den Bescheid des Versorgungsamtes vom 31. Januar 1994 vor. Im Ergebnis der Untersuchung erklärte Dr. C die Klägerin für den Dienst in der Parkraumbewirtschaftung für nicht verwendungsfähig (Bl. 32 d.A.). Mit Schreiben vom 01. April 2004 (Bl. 10 d.A.) teilte er der Klägerin mit, dass sie wegen ihrer Neurodermitis für eine Tätigkeit in der Parkraumbewirtschaftung gesundheitlich nicht geeignet sei. Mit Schreiben vom 06. April 2004 (Bl. 11 d.A.) lehnte die B die Bewerbung der Klägerin ab und sandte die eingereichten Bewerbungsunterlagen zurück.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 22. April 2004...