Anspruch auf Entschädigung bei diskriminierender Stellenanzeige
Dies hat das LAG Schleswig-Holstein im Falle einer speziell auf weibliche Bewerber zugeschnittene Stellenanzeige im Internetportal „Ebay Kleinanzeigen“ entschieden.
Männlicher Bewerber für Sekretärinnenstelle
Die Stellenanzeige lautete: „Sekretärin gesucht! Beschreibung: Wir suchen eine Sekretärin ab sofort. Vollzeit/Teilzeit Es wäre super, wenn Sie Erfahrung mitbringen…“ Der aus Nordrhein-Westfalen stammende User antwortete über die Ebay-Chat-Funktion und schrieb u.a.: „Hallo,… Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst übliche Arbeiten einer Sekretärin… Ich bewerbe mich hiermit auf ihre Stelle“.
Bewerbung wegen männlichen Geschlechts abgelehnt
Das Unternehmen bedankte sich in seiner Antwort für das Interesse des Bewerbers an der Stelle. Man suche allerdings eine „Dame als Sekretärin“. Man wünsche dem Bewerber für seine Zukunft und alles Gute.
Entschädigung von 3 Monatsgehältern gefordert
Der Bewerber empfand die Antwort als Diskriminierung aufgrund seines Geschlechts und forderte von dem Unternehmen eine Entschädigung in Höhe von 3 Bruttomonatsgehältern. Das angerufene ArbG lehnte eine Entschädigung ab. Nach Ansicht des ArbG waren die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeitnehmer oder ein Bewerber für eine angebotene Stelle u.a. dann eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen, wenn der Arbeitgeber ihn wegen seines Geschlechts diskriminiert. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 ist die Höhe der Entschädigung bei einer Nichteinstellung auf 3 Monatsgehälter limitiert, wenn der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
ArbG verneint Bewerbereigenschaft des Klägers
Nach Auffassung des ArbG scheitert der geltend gemachte Entschädigungsanspruch des Klägers an der fehlenden Bewerbereigenschaft. Der Kläger habe für die Bekundung seines Interesses an der angebotenen Arbeitsstelle lediglich die Chat-Funktion auf der Ebay-Plattform genutzt. Er habe weder eine ausführliche schriftliche Bewerbung noch die üblichen Bewerbungsunterlagen wie Lebenslauf und Zeugnisse eingereicht. Mit der bloßen Interessenbekundung über die Chat-Funktion entstehe noch nicht der für einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG erforderliche Bewerberstatus.
LAG: Das AGG stellt keine hohen Anforderungen an Bewerberstatus
Dies sah das LAG in Berufungsinstanz völlig anders. Wer eine Stellenanzeige über Ebay- Kleinanzeigen veröffentliche, müsse damit rechnen, dass sich Bewerber über die dort angebotene Ebay-Kleinanzeigen-Chat-Funktion und nicht auf klassische Weise schriftlich unter Beifügung von Bewerbungsunterlagen um die angebotene Stelle bewerben. Eine solche Bewerbung erfordere auch kein inhaltliches Mindestmaß an Angaben zur Person und zum beruflichen Werdegang des Bewerbers. Entscheidend sei, dass die Person des Bewerbers als solche klar identifizierbar ist und sein Interesse an der angebotenen Stelle eindeutig hervortritt. Darüber hinausgehende Anforderungen an den Status eines Bewerbers seien dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Bewerbung über Chat-Funktion ist nicht rechtsmissbräuchlich
Die Form der Bewerbung war nach Auffassung des LAG auch nicht rechtsmissbräuchlich. Ein solcher Rechtsmissbrauch können nur angenommen werden, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte darauf hinwiesen, dass der Betroffene beispielsweise die Absicht hatte, mithilfe einer Scheinbewerbung eine Diskriminierung zu provozieren, um sich in den Genuss einer Entschädigungsleistung nach dem AGG zu bringen. Solche Anhaltspunkte seien im konkreten Fall aber nicht ersichtlich. Die Nutzung der Chat-Funktion für die Bewerbung stelle für sich genommen jedenfalls noch keinen Rechtsmissbrauch dar.
3 Bruttomonatsgehälter als Entschädigungssumme angemessen
Die vom Kläger geltend gemachte Entschädigung in Höhe von 3 Monatsgehältern a 2.600 Euro, mithin insgesamt 7.800 Euro bewertete das LAG als angemessen. Der Durchschnittslohn bei Stellenangeboten für Sekretärinnen in Vollzeit liege im Hamburger Umland zur Zeit bei ca. 2.700 Euro brutto, so dass die Entschädigungsforderung des Klägers insgesamt nicht überhöht sei.
Kläger erhält 7.800 Euro als Entschädigung
Im Ergebnis muss das Unternehmen die geforderte Entschädigung in Höhe von 7.800 Euro wegen Diskriminierung an den Kläger zahlen. Die Revision hat das LAG nicht zugelassen.
(LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 21.7.2022, 2 Sa 21/22)
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