Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß gegen geschlechtsneutrale Stellenausschreibung als Diskriminierung wegen des Geschlechts. Rechtsmissbrauch durch unredliches Verhalten. Rechtsmissbrauch bei Stellenbewerbungen. Darlegungs- und Beweislast für den rechtshindernden Einwand des Rechtsmissbrauchs
Leitsatz (amtlich)
Bewirbt sich ein Mann auf eine bei eBay-Kleinanzeigen lediglich für Frauen ausgeschriebene Stelle unter besonderer Hervorhebung, dass es sich bei dem Bewerber um einen Mann handelt, sowie dergestalt, dass eine Absage provoziert wird, kann es sich im konkreten Einzelfall um rechtsmissbräuchliches Vorgehen handeln.
Leitsatz (redaktionell)
1. Sucht der Arbeitgeber eine "Büromanagerin/Sekretärin", ist diese Stellenausschreibung nicht geschlechtsneutral. Lehnt er die Bewerbung eines männlichen Bewerbers ab, verstößt er gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG.
2. Gemäß § 242 BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Der Ausnutzung einer rechtsmissbräuchlich erworbenen Rechtsposition kann demnach der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB vor.
3. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern eine Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen.
4. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den - rechtshindernden - Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht. Allerdings lässt das Bundesarbeitsgericht bereits Indizien genügen, die sich aus dem Klagevorbringen selbst ergeben.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 2 S. 1; BGB § 242; AGG §§ 1, 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 29.11.2021) |
ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 06.04.2022; Aktenzeichen 2 Ca 1421/21) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 6. April 2022 - 2 Ca 1421/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch des Klägers nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.
Der Kläger ist am 15. März 1994 geboren, ledig und keiner Person zum Unterhalt verpflichtet.
Der Beklagte entwickelt und vertreibt Wärmekonzepte für Endverbraucher (AG Hagen HRA XXXX).
Der Beklagte veröffentlichte am 27. Juli 2021 über das Portal eBay-Kleinanzeigen eine Stellenausschreibung. Die Stellenausschreibung lautete auszugsweise:
"Suche pfiffige Büromanagerin/Sekretärin
[...]
Wir sind ein Heizungsunternehmen aus [...] und suchen Unterstützung im Büro und den kaufmännischen Tätigkeiten der Geschäftsführung.
Ein faires Gehalt sowie ein nettes Team sind selbstverständlich.
Wir suchen eine Teilzeitmitarbeiterin für 25 - 30 Stunden in der Woche mit späterer möglichen Beschäftigung in Vollzeit.
Ich freue mich über Ihre Bewerbung per Mail."
Der Stellenausschreibung waren die Kontaktdaten des Beklagten einschließlich eines Links zu dessen Homepage zu entnehmen.
Der Kläger sandte am 3. August 2021 über die Chat-Funktionalitäten von eBay-Kleinanzeigen eine Nachricht an den Beklagten. Diese lautete:
"Hallo, ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen. Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die Sie fordern.
Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle.
Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? In Ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben.
Ich habe eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann und suche derzeit eine neue Herausforderung.
Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.
Ich wäre absofort verfügbar.
Mit freundlichen Grüßen Herr A"
Weitere Unterlagen übersandte der Kläger an den Beklagten nicht, auch nicht außerhalb der Chat-Funktionalitäten von eBay-Kleinanzeigen.
Am gleichen Tag lehnte der Beklagte die Bewerbung ab und schrieb hierzu auszugsweise Folgendes:
"Guten Tag Herr A,
vielen Dank für Ihr Interesse an der ausgeschriebenen Stelle.
Wie von Ihnen bereits angesprochen, möchten wir die Stelle ausschließlich mit einer Frau besetzen.
[...]"
Mit Schreiben vom 7. September 2021 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten die Zahlung einer Entschädigung geltend und unterbreitete dem Beklagten zur gütlichen Beilegung einen ausformulierten Vergleichsvorsc...