Entscheidungsstichwort (Thema)
Einwand des Rechtsmissbrauchs bei einem Entschädigungsverlangen nach dem AGG. Systematische Bewerbung auf eine Vielzahl von AGG-widrig ausgeschriebene Stellen als "Sekretärin" im Sinne eines durch ihn weiterentwickelten Geschäftsmodells "2.0". Alleiniges Ziel der Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen nach dem AGG zur Bestreitung des Lebensunterhalts
Leitsatz (amtlich)
Einem Entschädigungsverlangen nach dem AGG kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs u.a. auch dann entgegenstehen, wenn ein Kläger sich systematisch auf eine Vielzahl von AGG-widrig ausgeschriebene Stellen als "Sekretärin" im Sinne eines durch ihn weiterentwickelten Geschäftsmodells "2.0" bewirbt, mit dem alleinigen Ziel, Entschädigungsansprüche nach dem AGG durchzusetzen und hierdurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ein solches fortentwickeltes Geschäftsmodell kann sich daraus ergeben, dass ein Kläger - aufgrund von verlorenen Entschädigungsprozessen in der Vergangenheit - gezielt ihm darin durch Gerichte vorgehaltene Rechtsmissbrauchsmerkmale bei zukünftigen Bewerbungen minimiert und die Bewerbungen entsprechend anpasst, die ebenfalls seitens der Gerichte konkret monierten, untauglichen Bewerbungsunterlagen aber bewusst und konstant auf niedrigem Niveau belässt, um bei der Stellenbesetzung selbst nicht berücksichtigt zu werden.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 2, 1; BGB § 242
Verfahrensgang
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 07.07.2023; Aktenzeichen 10 Ca 640-23) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 07.07.2023 - 10 Ca 640/23 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aufgrund einer Benachteiligung wegen des Geschlechts.
Der im Jahr 1994 geborene, ledige und keiner Person zum Unterhalt verpflichtete Kläger hat Abitur und ist ausgebildeter Industriekaufmann. Er ist wohnhaft in A bei B und bezieht aufgrund seiner Arbeitslosigkeit aktuell Bürgergeld.
Der Kläger bewarb sich in der Vergangenheit mehrfach auf Stellenausschreibungen für eine "Sekretärin" bei diversen Unternehmen und führte im Nachgang Entschädigungsprozesse aufgrund einer etwaigen Benachteiligung wegen des Geschlechts:
Anfang des Jahres 2021 schrieb ein Unternehmen in Schleswig-Holstein, welches eine Kfz-Werkstatt unterhält sowie gebrauchte Kfz veräußert, eine Stelle für eine "Sekretärin" auf der Internet-Plattform eBay Kleinanzeigen aus. Der Kläger meldete sich über die Chat-Funktion von eBay Kleinanzeigen bei diesem Unternehmen wie folgt:
"Hallo,
ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen.
Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die sie fordern.
Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle.
Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau?
In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben. Ich habe eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann.
Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.
Ich wäre ab sofort verfügbar.
Mit freundlichen Grüßen
Herr ..."
Das Unternehmen sagte daraufhin dem Kläger ab, unter Hinweis darauf, dass ausschließlich eine Dame gesucht werde. Mit Schreiben vom 27.05.2021 wandte sich der Kläger an das Unternehmen und machte einen Entschädigungsanspruch aufgrund einer Benachteiligung wegen seines Geschlechts geltend. Der Kläger verfolgte sodann seinen Entschädigungsanspruch in Höhe von 7.800,00 EUR vor dem Arbeitsgericht Elmshorn weiter (ArbG Elmshorn,16.12.2021 - 4 Ca 592 a/21). Das Unternehmen machte im Prozess geltend, der Kläger habe sich einzig und allein auf die Stelle beworben, um Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Das Arbeitsgericht Elmshorn wies die Klage mit der Begründung ab, dass der Kläger kein Bewerber sei. Dies setze nach Auffassung der dort zur Entscheidung berufenen Kammer zumindest voraus, dass sich der Stellensuchende als Person konkretisiere/vorstelle, also hinsichtlich seiner Person und Qualifikation in Bezug auf die Stelle ein Mindestmaß an Informationen übermittele, die zumindest ein Bewerbungsverfahren ermöglichten. Dieses Mindestmaß sei im Falle des Klägers nicht erreicht. Es handele sich letztlich "nur" um eine Kontaktaufnahme, im Ergebnis aber nicht um eine Bewerbung im Sinne des AGG. Dem Unternehmen hätten lediglich Informationen aus der Chat-Funktion der Internetseite, d.h. der mitgeteilte Nachname, aber keine Wohnanschrift, E-Mailadresse und weitere regelmäßige Informationen wie Alter, Familienstand, berufliche Erfahrungen, etc. vorgelegen. Unterlagen, Nachweise und eine konkrete Bewerbung seien nicht übermittelt worden. Auf die Berufung des Klägers änderte das LAG Schleswig-Holstein (21.06.2...