Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung eines Betriebsratsmitglieds
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist eine Abmahnung jedenfalls dann entbehrlich, wenn es um schwere Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei denen eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (st. Rspr. z. B. Senatsurteile vom 31. März 1993 – 2 AZR 492/92 – BAGE 73, 42 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlußfrist und vom 26. August 1993 – 2 AZR 154/93 – BAGE 74, 127 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB).
Dies gilt auch bei Störungen im sog. Vertrauensbereich.
Zur Berücksichtigung der „fiktiven” Kündigungsfrist bei der außerordentlichen Kündigung gegenüber einem Betriebsratsmitglied.
Normenkette
BetrVG § 78 S. 2, § 103; BGB § 626; KSchG § 15
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11. Februar 1998 – 3 TaBV 91/97 – aufgehoben.
2. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Dortmund vom 23. Mai 1997 – 1 BV 12/97 – wird zurückgewiesen.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über einen Antrag der Arbeitgeberin auf gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrats zur fristlosen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden, hilfsweise dessen Ausschluß aus dem Betriebsrat.
Die Arbeitgeberin betreibt eine Maschinenfabrik mit knapp 40 Mitarbeitern. Der Arbeitnehmer Z (1946 geboren, verheiratet und vier Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet) ist seit 18. Januar 1988 bei der Arbeitgeberin als Schlosser gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt ca. 3.950,00 DM tätig. Er ist Vorsitzender des im Betrieb gebildeten Betriebsrats.
Am 29. Januar 1997 verkaufte der Betriebsratsvorsitzende gegen Zahlung von 200,00 DM während der Schichtzeit Schrott, der der Arbeitgeberin gehörte, an einen Schrotthändler, der zu dessen Ankauf mit seinem Fahrzeug auf das Betriebsgelände gefahren war. Dem Betriebsratsvorsitzenden war seitens der Arbeitgeberin keinerlei Befugnis zu einem solchen Verkauf eingeräumt worden. Der Vorgang wurde von dem Verkaufsleiter O., der neben dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin noch einem weiteren Angestellten untergeordnet ist, bemerkt. Zur Rede gestellt erklärte der Kläger, die 200,00 DM, die er von dem Schrotthändler erhalten habe, wolle er der Sozialkasse zuführen. Bei dieser Sozialkasse handelt es sich um ein auf die Namen des Betriebsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters ausgestelltes Sparbuch, auf das ausweislich der Eintragung der kontoführenden Sparkasse am 29. Januar 1997 190,00 DM in bar eingezahlt worden sind. Weitere 10,00 DM sind nach Darstellung des Betriebsratsvorsitzenden von ihm für Betriebsratszwecke verauslagt worden. Aus der Sozialkasse bestreitet der Betriebsrat Ausgaben für Geschenke an die Mitarbeiter bei Jubiläen, Hochzeiten etc. Die Sozialkasse wird durch Provisionen finanziert, die ein Automatenaufsteller für im Betrieb aufgestellte Zigaretten- und Getränkeautomaten zahlt. Mit Schreiben vom 10. Februar 1997 beantragte die Arbeitgeberin wegen des Vorfalls vom 29. Januar 1997 beim Betriebsrat die Erteilung der Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden im wesentlichen mit der Begründung, sie sei nicht gewillt, einen Mitarbeiter weiterzubeschäftigen, der ihr Eigentum widerrechtlich an Dritte veräußere und hierdurch das in ihn gesetzte Vertrauen nachhaltig verletze. Der Betriebsrat widersprach der Kündigungsabsicht und machte geltend, aus seiner Sicht hätte eine Abmahnung des Betriebsratsvorsitzenden eine ausreichende Reaktion auf dessen Verhalten dargestellt.
Die Arbeitgeberin meint, der dem Betriebsrat mitgeteilte Kündigungssachverhalt rechtfertige die fristlose Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden, jedenfalls liege ein ausreichender Grund für dessen Ausschluß aus dem Betriebsrat vor. Es stelle eine reine Schutzbehauptung dar, wenn der Betriebsratsvorsitzende geltend mache, er habe von vornherein vorgehabt, die 200,00 DM für die Sozialkasse zu erwerben. Die Arbeitgeberin hat behauptet, der Wert des verkauften Schrotts habe ca. 1.000,00 DM betragen. Zwei Drahtwickelständer, die der Betriebsratsvorsitzende nach seiner eigenen Einlassung dem Schrotthändler für 50,00 DM verkauft habe, hätten außerdem im Betrieb wiederverwendet werden sollen. Zu rechtsgeschäftlichen Erklärungen für den Betrieb sei der Betriebsratsvorsitzende überhaupt nicht befugt gewesen, er habe sich vielmehr die Abwesenheit des für die üblichen Schrottverkäufe an einen bestimmten Schrotthändler zuständigen Meisters zunutze gemacht. Der Verkaufsleiter O. habe weder den Verkauf genehmigt, noch sei er kündigungsbefugt gewesen. Er habe den am 29. Januar 1997 urlaubsabwesenden Geschäftsführer sofort nach dessen Rückkehr am 1. Februar 1997 von dem Vorfall unterrichtet.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsratsvorsitzenden zu ersetzen, hilfsweise den Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat auszuschließen.
Der Betriebsrat und der Betriebsratsvorsitzende haben Abweisung des Antrags beantragt und behauptet, Herr O. sei in Abwesenheit des Geschäftsführers für die kaufmännischen und personellen Angelegenheiten des Betriebes zuständig. Der Schrott sei keinesfalls 1.000,00 DM wert gewesen. Herr O. habe, als der Betriebsratsvorsitzende am 29. Januar 1997 ihm den genauen Hergang des Schrottverkaufs geschildert habe, nicht etwa auf der Rückgängigmachung des Verkaufs bestanden, obwohl der Schrott noch nicht vollständig aufgeladen gewesen sei, sondern nur erklärt, der Betriebsratsvorsitzende solle aufpassen, daß nicht noch mehr Schrott aufgeladen werde.
Das Arbeitsgericht hat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsratsvorsitzenden ersetzt. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht den Antrag auf Zustimmungsersetzung und den Hilfsantrag auf Ausschluß des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin.
B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Betriebsratsvorsitzende habe zwar einen Diebstahl zu Lasten der Arbeitgeberin begangen, der an sich geeignet sei, einen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben. Die vorzunehmende Interessenabwägung ergebe jedoch, daß der Arbeitgeberin seine Weiterbeschäftigung wenigstens für den Zeitraum der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar sei. Dem Betriebsratsvorsitzenden könne nicht widerlegt werden, daß er die 200,00 DM nicht für sich selbst, sondern für die vom Betriebsrat bei besonderen Anlässen mit Gaben bedachten Beschäftigten erstrebt habe. Der Betriebsratsvorsitzende habe damit aus altruistischen Motiven gehandelt und es sei ihm auch bewußt geworden, daß er durch seine Handlungsweise leichtsinnig das Arbeitsverhältnis und damit die Ernährungsgrundlage für seine große Familie aufs Spiel gesetzt habe. Angesichts dieser Umstände sei vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich.
II. Dem folgt der Senat nicht. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG und § 626 Abs. 1 BGB falsch angewendet, indem es die beabsichtigte außerordentliche Kündigung mangels vorheriger Abmahnung nicht für gerechtfertigt angesehen habe.
1. Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG i.V.m. § 15 Abs. 1 KSchG hat die Arbeitgeberin dann einen Anspruch auf Ersetzung der Zustimmung, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB voraus, es müssen also Tatsachen vorliegen, aufgrund derer der Arbeitgeberin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (BAG Beschluß vom 22. August 1974 – 2 ABR 17/74 – BAGE 26, 219 = AP Nr. 1 zu § 103 BetrVG 1972).
Der in § 626 Abs. 1 BGB verwandte Begriff des wichtigen Grundes ist ein unbestimmter Rechtsbegriff; seine Anwendung durch die Tatsachengerichte kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob das Beschwerdegericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter diese Rechtsnorm Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei beachtet hat (st. Rechtspr., vgl. u.a. Senatsbeschluß vom 21. Juni 1995 – 2 ABR 28/94 – BAGE 80, 185 = AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969; Senatsurteil vom 14. Februar 1996 – 2 AZR 274/95 – AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält der angefochtene Beschluß den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
2. Zutreffend geht das Beschwerdegericht zunächst davon aus, daß das Verhalten des Betriebsratsvorsitzenden geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.
a) Vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Vermögensdelikte wie etwa der Diebstahl oder die Unterschlagung von Firmeneigentum rechtfertigen in der Regel eine außerordentliche Kündigung (Senatsurteile vom 17. Mai 1984 – 2 AZR 3/83 – AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; vom 20. September 1984 – 2 AZR 633/82 – AP Nr. 80 zu § 626 BGB; vom 13. Dezember 1984 – 2 AZR 454/83 – AP Nr. 81, aaO; vom 16. Oktober 1986 – 2 AZR 695/85 – RzK I 6 d Nr. 5 und vom 2. April 1987 – 2 AZR 204/86 – RzK, aaO, Nr. 7; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rz 563; KR-Fischermeier, 5. Aufl., § 626 BGB Rz 445). Ein Arbeitnehmer, der während seiner Arbeitszeit im Eigentum des Arbeitgebers stehende Sachen an einen Dritten verkauft, begeht eine schwerwiegende Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten und mißbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen in gravierender Weise.
b) Genau dies hat der Betriebsratsvorsitzende nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts am 29. Januar 1997 getan. Ohne als Schlosser irgendwelche rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht für die Arbeitgeberin zu besitzen, hat er Schrott, der erkennbar im Eigentum der Arbeitgeberin stand, während seiner Schichtzeit ohne Einschaltung eines zu derartigen Schrottverkäufen befugten Mitarbeiters an einen Schrotthändler verkauft; er hat sogar noch gegen entsprechende Erhöhung des Kaufpreises dem Schrotthändler zwei Wickelständer mitgegeben, die die Arbeitgeberin nach einer im Prozeß vorgelegten Rechnung vor nicht allzu langer Zeit gekauft hatte und von denen für den mit Schrottverkäufen nie befaßten Betriebsratsvorsitzenden nach den Gesamtumständen eher zweifelhaft sein mußte, ob sie wirklich nur noch Schrottwert hatten oder ob ihr Wert den erzielten Erlös nicht doch erheblich überschritt.
c) Wenn der Betriebsrat in der Rechtsbeschwerdeinstanz geltend macht, der Arbeitgeberin sei kein Schaden entstanden, weil der auf das Sonderkonto des Betriebsrats eingezahlte Kaufpreis letztlich der Arbeitgeberin zugestanden habe, so trifft dies nicht zu. Die schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung des Betriebsratsvorsitzenden bleibt bestehen, selbst wenn man die „Sozialkasse” des Betriebsrats steuerlich dem Arbeitgeber zurechnet. Verletzt hat der Betriebsratsvorsitzende hier das Eigentum der Arbeitgeberin an den verkauften Sachen. Es ist nur Sache der Arbeitgeberin als Eigentümerin zu entscheiden, ob, an wen und zu welchem Preis Metallschrott verkauft wird. Abgesehen davon war selbst der Kaufpreis, wenn die Tat nicht zufällig entdeckt wurde, der Arbeitgeberin auch dann endgültig entzogen, wenn das Geld auf ein formell der Arbeitgeberin zustehendes, allein vom Betriebsrat verwaltetes Sparkonto eingezahlt wurde. Da die Arbeitgeberin von dem Geld dann nichts wußte, konnte sie über den von dem Schrotthändler gezahlten Betrag nicht wie eine Eigentümerin verfügen. Nach dem Akteninhalt steht nicht einmal fest, daß die Arbeitgeberin durch die Einzahlung der 190,00 DM auf das Sparbuch eigene Aufwendungen erspart hätte, denn eine Pflicht zur Auffüllung der „Sozialkasse” durch die Arbeitgeberin wird selbst vom Betriebsrat und dessen Vorsitzenden nicht behauptet, außerdem war nach dem in den Tatsacheninstanzen vorgelegten Beleg der Sparkasse auf dem Sparkonto noch einiges Geld vorhanden.
3. Es ist auch im Ergebnis nicht zu beanstanden, daß das Beschwerdegericht bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Betriebsratsvorsitzenden nicht – wie an sich geboten – auf die weitere absehbare Vertragsdauer (also z.B. auf den frühestmöglichen Kündigungszeitpunkt nach Ablauf der Amtszeit des Betriebsratsvorsitzenden, § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG), sondern mit der bisherigen Senatsrechtsprechung (Urteil vom 8. August 1968 – 2 AZR 348/67 – AP Nr. 57 zu § 626 BGB; Beschluß vom 6. März 1986 – 2 ABR 15/85 – BAGE 51, 200 = AP Nr. 19 zu § 15 KSchG 1969; Urteil vom 18. Februar 1993 – 2 AZR 526/92 – AP Nr. 35, aaO; für die betriebsbedingte Änderungskündigung einschränkend Beschluß vom 21. Juni 1995 – 2 ABR 28/94 – BAGE 80, 185 = AP Nr. 36, aaO) auf die mangels ordentlicher Kündbarkeit des Betriebsratsvorsitzenden konkret nicht einschlägige und daher „fiktive” Kündigungsfrist (hier Regelfrist: drei Monate zum Monatsende) abgestellt hat.
a) Fristlos kann einem Betriebsratsmitglied nach §§ 15 KSchG, 626 BGB nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren Nichtbetriebsratsmitglied dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Nur so kann der Schutzbestimmung des § 78 Satz 2 BetrVG angemessen Rechnung getragen werden, wonach Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Betriebsratstätigkeit nicht benachteiligt werden dürfen (vgl. Preis, Anm. zu AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969; KR-Etzel, 5. Aufl., § 15 KSchG Rz 22; KR-Fischermeier, aaO, § 626 BGB Rz 133). Das macht folgendes Beispiel deutlich: Würde etwa bei einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung wegen einer gemeinschaftlich begangenen Pflichtverletzung eines Betriebsratsmitglieds und eines sonstigen Arbeitnehmers bei im übrigen vergleichbaren Tatumständen und gleich gelagerten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen die fristlose Kündigung gegenüber dem Betriebsratsmitglied allein wegen der absehbar langen Bindungsdauer (zumindest ein Jahr nach Ende des Betriebsratsamts) für wirksam, die fristlose Kündigung gegenüber dem anderen Arbeitnehmer jedoch mit der Begründung für unwirksam erachtet, dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber zumutbar, so würde das Betriebsratsmitglied offensichtlich allein wegen seines Betriebsratsamtes einen gravierenden Rechtsnachteil erleiden.
b) Ob in den Fällen, in denen danach eine verhaltensbedingte fristlose Kündigung gegenüber dem Betriebsratsmitglied ausgeschlossen ist, mit Rücksicht auf die lange Bindungsdauer – etwa in Anlehnung an die Senatsrechtsprechung zu tariflich unkündbaren Arbeitnehmern – eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung unter Gewährung einer Auslauffrist in Betracht zu ziehen ist (vgl. dazu KR-Etzel, 5. Aufl., § 15 KSchG Rz 22), um das Betriebsratsmitglied gegenüber einem vergleichbaren tariflich unkündbaren Arbeitnehmer auch nicht zu bevorzugen (§ 78 Satz 2 BetrVG), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Nach der zutreffenden Interessenabwägung des Arbeitsgerichts, die sich der Senat zu eigen macht (s.u. B II 7), war das Fehlverhalten des Betriebsratsvorsitzenden so gravierend, daß der Arbeitgeberin seine Weiterbeschäftigung auch nur bis zum Ablauf einer „fiktiven” ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar war.
4. Die Rechtsbeschwerde rügt zutreffend als rechtsfehlerhaft, daß das Landesarbeitsgericht bei der Interessenabwägung nicht entscheidend zugunsten des Betriebsratsvorsitzenden berücksichtigen durfte, dieser habe aus „altruistischen Motiven” heraus gehandelt.
Begeht ein Arbeitnehmer während seiner Arbeitszeit zu Lasten des Arbeitgebers Vermögensdelikte, so macht es aus der Sicht des Arbeitgebers keinen wesentlichen Unterschied, ob der unrechtmäßig erworbene Geldbetrag dem Arbeitnehmer selbst oder einem Dritten zufließt, dem etwas zu spenden der Arbeitgeber keinen Anlaß sieht. Entwendet etwa ein Bankkassierer aus der Kasse 200,00 DM, so sind die Interessen des Arbeitgebers in gleicher Weise beeinträchtigt, gleichgültig ob der Kassierer das Geld für sich verwendet oder es zu mildtätigen Zwecken spendet.
Dies gilt erst recht im vorliegenden Fall, in dem das Fehlverhalten des Betriebsratsvorsitzenden in erster Linie in einer Eigentumsverletzung an den Metallteilen besteht. Nur die Arbeitgeberin als Eigentümerin hatte zu entscheiden, was mit den in ihrem Eigentum stehenden Metallteilen zu geschehen hatte. Daß der – nach Ansicht der Arbeitgeberin zu geringe – Erlös von Anfang an einer „Kaffeekasse” oder „Sozialkasse” zufließen sollte, wie der Betriebsratsvorsitzende im vorliegenden Verfahren behauptet hat, war als Umstand nicht geeignet, die Eigentumsverletzung in einem erheblich günstigeren Licht erscheinen zu lassen. Dies muß um so mehr deshalb gelten, weil nach den in der Tatsacheninstanz vorgelegten Bankbelegen für den Betriebsratsvorsitzenden kein hinreichender Anlaß bestand, die „Sozialkasse”, noch dazu ohne Wissen der Arbeitgeberin und unter Verletzung von deren Eigentum, wieder aufzufüllen. Das Vertrauen der Arbeitgeberin in die Redlichkeit des Betriebsratsvorsitzenden muß durch ein derartiges Fehlverhalten als nachhaltig gestört oder gar zerstört angesehen werden, auch wenn man zugunsten des Betriebsratsvorsitzenden von dessen „altruistischen” Motiven ausgeht.
5. Ebenfalls zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde als rechtsfehlerhaft die Annahme des Berufungsgerichts, die Arbeitgeberin müsse auf das Fehlverhalten des Betriebsratsvorsitzenden statt durch eine Kündigung durch eine Abmahnung reagieren. Nach der neueren Senatsrechtsprechung, von der auch das Landesarbeitsgericht ausgeht (Senatsurteil vom 4. Juni 1997 – 2 AZR 526/96 – BAGE 86, 95 = AP Nr. 137 zu § 626 BGB), ist zwar auch bei Störungen im Vertrauensbereich das Abmahnungserfordernis stets zu prüfen, und eine Abmahnung ist jedenfalls dann vor Ausspruch der Kündigung erforderlich, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann. Der Senat hat damit jedoch nur klargestellt, daß die von der früheren Rechtsprechung vorgenommene Differenzierung nach verschiedenen Störbereichen nur von eingeschränktem Wert war und hat damit die Prüfung des Abmahnungserfordernisses bei Störungen im Vertrauensbereich den Grundsätzen unterworfen, die in ständiger Rechtsprechung zur Kündigung wegen Störungen im Leistungsbereich aufgestellt worden sind. Dies bedeutet, daß bei einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen eine Abmahnung jedenfalls dann entbehrlich ist, wenn es um schwere Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei denen eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (Senatsurteile vom 30. November 1978 – 2 AZR 145/77 – BAGE 31, 153 = AP Nr. 1 zu § 64 SeemG; 31. März 1993 – 2 AZR 492/92 – BAGE 73, 42 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlußfrist; 26. August 1993 – 2 AZR 154/93 – BAGE 74, 127 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB; vom 12. Juli 1984 – 2 AZR 320/83 – AP Nr. 32 zu § 102 BetrVG 1972). Der Senat hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf abgestellt, in derartigen Fällen müsse es dem Arbeitnehmer bewußt sein, daß er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setze (Senatsurteil vom 26. August 1993, aaO, zu B I 3 a der Gründe).
Die Prüfung, ob nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung erforderlich ist, ist zwar weitgehend Aufgabe der Tatsacheninstanzen und unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung (vgl. oben B II 1). Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält der angefochtene Beschluß jedoch nicht stand. Die Argumentation des Landesarbeitsgerichts ist widersprüchlich. Wenn in den Gründen das Fehlverhalten des Betriebsratsvorsitzenden zusammenfassend dahingehend bewertet wird, der Betriebsratsvorsitzende habe durch seine Handlungsweise leichtsinnig sein Arbeitsverhältnis und damit die Ernährungsgrundlage für seine große Familie aufs Spiel gesetzt (und habe dies später auch eingesehen), so geht das Landesarbeitsgericht damit genau von dem Sachverhalt aus, bei dem nach der Senatsrechtsprechung eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung nicht erforderlich ist.
Diese Annahme des Landesarbeitsgerichts trifft auch zu: Einem Arbeitnehmer, der sich verhält wie der Betriebsratsvorsitzende bei den Schrottverkäufen, muß die Rechtswidrigkeit seines Tuns und die Schwere seiner Pflichtverletzung klar sein und es muß ihm ohne weiteres erkennbar sein, daß eine Hinnahme seines Fehlverhaltens durch die Arbeitgeberin ausgeschlossen ist. Auch wenn man berücksichtigt, daß die Kündigung zukunftsbezogen ist, kann ein solcher Arbeitnehmer ersichtlich nicht davon ausgehen, daß sein Fehlverhalten sich nicht auch in Zukunft auf das Arbeitsverhältnis erheblich belastend auswirken muß. Es ist deshalb rechtsfehlerhaft, wenn das Landesarbeitsgericht trotz seiner Annahme, der Betriebsratsvorsitzende habe durch seine Handlungsweise leichtsinnig sein Arbeitsverhältnis aufs Spiel gesetzt, von der Erforderlichkeit einer Abmahnung ausgegangen ist.
6. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde schließlich, das Landesarbeitsgericht habe nicht seine Prognose, eine Wiederherstellung des Vertrauens in den Betriebsratsvorsitzenden sei zu erwarten gewesen, entscheidungserheblich vor allem an dessen Erklärungen im Anhörungstermin vor dem Beschwerdegericht anknüpfen dürfen.
Zwar ist in einem Zustimmungsersetzungsverfahren maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Wirksamkeit der auszusprechenden Kündigung die letzte mündliche Tatsachenverhandlung (Fischermeier, ZTR 1998, 433, 436; vgl. zum Nachschieben nachträglich bekannt gewordener Kündigungsgründe BAG Beschluß vom 27. Januar 1977 – 2 ABR 77/76 – AP Nr. 7 zu § 103 BetrVG 1972). Da die Kündigung noch nicht ausgesprochen ist, durfte grundsätzlich auch ein späterer Sinneswandel des Betriebsratsvorsitzenden, der die Rechtswidrigkeit und Leichtsinnigkeit seines Fehlverhaltens nunmehr einsah, berücksichtigt werden.
Das Beschwerdegericht läßt jedoch rechtsfehlerhaft unberücksichtigt, daß durch ein derart schwerwiegendes Vermögensdelikt, wie es der Betriebsratsvorsitzende zu Lasten der Arbeitgeberin begangen hat, das Vertrauen in dessen Redlichkeit so nachhaltig gestört ist, daß – wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt – der Vertrauensverlust nicht allein dadurch beseitigt werden kann, daß der Betriebsratsvorsitzende im Anhörungstermin erklärt hat, solche Pflichtverstöße würden in Zukunft bei ihm nicht mehr vorkommen. Kein Arbeitnehmer wird nach der Lebenserfahrung, wenn es eine ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung wegen Diebstahls etc. geht, vor Gericht erklären, eine Wiederholungsgefahr sei bei ihm durchaus gegeben. Eine solche Wohlverhaltenserklärung hat deshalb nur einen verhältnismäßig eingeschränkten Erkenntniswert. Zu berücksichtigen ist das Interesse des Arbeitgebers, der aus der Schwere der Pflichtverletzung vernünftigerweise die Schlußfolgerung ziehen muß, ein Arbeitnehmer, der sich einmal vorsätzlich in einer derartigen Weise am Betriebseigentum vergriffen und seinen Arbeitsplatz leichtfertig aufs Spiel gesetzt habe, biete vernünftigerweise Anlaß zu der Befürchtung, daß ähnliche Pflichtverletzungen auch in Zukunft vorkämen.
7. Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler unterliegt der angefochtene Beschluß der Aufhebung (§ 565 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der der auszusprechenden Kündigung zugrunde liegende Sachverhalt ist durch das Landesarbeitsgericht festgestellt, im wesentlichen darüber hinaus unstreitig und eine weitere Sachaufklärung nach einer Zurückverweisung ist nicht mehr zu erwarten. Was die abschließende Interessenabwägung anbelangt, die grundsätzlich der Tatsacheninstanz vorbehalten bleiben muß, so schließt sich der Senat der durch das Arbeitsgericht vorgenommenen Interessenabwägung an. Dieses hat in seinem Beschluß u.a. ausgeführt, der dem Betriebsratsvorsitzenden gegenüber erhobene Vorwurf einer strafbaren Handlung sei so schwerwiegend, das Vertrauensverhältnis so nachhaltig gestört, daß auch die Dauer der Beschäftigung von neun Jahren, das Alter des Betriebsratsvorsitzenden sowie seine Unterhaltspflichten das Interesse der Arbeitgeberin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht überwiegen könnten, denn die Antragstellerin müsse befürchten, daß ihre Vermögensinteressen durch den Betriebsratsvorsitzenden auch in Zukunft nicht gewahrt würden. Da, wie bereits dargelegt, für die Interessenabwägung die Behauptung des Betriebsratsvorsitzenden nicht erheblich ist, der Erlös des Schrottverkaufs sei von Anfang an für die Sozialkasse bestimmt gewesen, kommt es nicht darauf an, daß das Arbeitsgericht bei der Interessenabwägung im Gegensatz zu dem Landesarbeitsgericht dem Betriebsratsvorsitzenden seine entsprechende Behauptung nicht geglaubt, sondern sie als Schutzbehauptung gewertet hat.
Auch die Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gewahrt, da der Zustimmungsersetzungsantrag innerhalb der Zwei-Wochen-Frist seit dem 29. Januar 1997 beim Arbeitsgericht eingegangen ist.
II. Auf den von der Arbeitgeberin hilfsweise gestellten Antrag, den Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat auszuschließen, kommt es danach nicht mehr an.
Unterschriften
Etzel, Bröhl, Fischermeier, Piper, Bartz
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 10.02.1999 durch Anderl, Amtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436279 |
BAGE, 30 |
DB 1999, 1121 |
NWB 1999, 2165 |
FA 1999, 226 |
SAE 2000, 135 |
ZTR 1999, 276 |
AP, 0 |
AuA 1999, 478 |
MDR 1999, 874 |