Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinsamer Betrieb
Orientierungssatz
- Der Gesamtbetriebsrat ist im Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG antragsbefugt, wenn seine Zuständigkeit bestritten wird.
- Ein Gemeinschaftsbetrieb setzt den Einsatz der Arbeitnehmer und Betriebsmittel mehrerer Unternehmen durch eine einheitliche Leitung auf der Grundlage einer wenigstens stillschweigend getroffenen Vereinbarung voraus. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn die Steuerung des Personaleinsatzes und die Nutzung der Betriebsmittel nur durch ein Unternehmen erfolgt.
- Durch die Vermutungstatbestände des § 1 Abs. 2 BetrVG wird nicht das Bestehen eines Gmeinschaftsbetriebs, sondern nur die Existenz eines einheitlichen Leitungsapparats vermutet.
Normenkette
BetrVG § 1 Abs. 2, § 18 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Gesamtbetriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 10. September 2004 – 13 TaBV 57/04 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin mit den zu 4) und 6) beteiligten Unternehmen jeweils einen gemeinsamen Betrieb führt.
Die Beteiligte zu 2) betreibt in Deutschland mehrere Multiplex-Kinos, in denen zum großen Teil Betriebsräte gewählt sind. Diese haben einen Gesamtbetriebsrat gebildet, den Antragsteller im vorliegenden Verfahren. Die zu 4) und 6) beteiligten Arbeitgeberinnen betreiben Kinos in G… bzw. Gr…. Diese waren ursprünglich eigenständige Betriebe der Beteiligten zu 2) und wurden in den Jahren 2000 (G) bzw. 2003 (Gr) gesellschaftsrechtlich verselbstständigt. Die Betriebsmittel wurden auf die Beteiligte zu 4) bzw. die Beteiligte zu 6) übertragen. Zwischen den Geschäftsführern der Beteiligten zu 2) einerseits und den Geschäftsführern der anderen Arbeitgeberinnen besteht keine Personenidentität.
Die gesellschaftsrechtliche Verselbstständigung der Spielstätten führte zu keiner Änderung der betrieblichen Organisation und der Arbeitsabläufe in beiden Häusern. Arbeitnehmer der Beteiligten zu 2) werden in den Kinos in G… bzw. Gr… nicht eingesetzt. Für die personellen und sozialen Angelegenheiten der dort beschäftigten Arbeitnehmer sowie die damit verbundene Beteiligung der Einzelbetriebsräte sind jeweils leitende Angestellte der Beteiligten zu 4) bzw. 6) zuständig. Die Lohnabrechnung für die Arbeitnehmer der Beteiligten zu 4) und der Beteiligten zu 6) in G… und Gr… wird von der zentralen Lohnbuchhaltung der Beteiligten zu 2) in B… wahrgenommen. Die Dienstkleidung der Arbeitnehmer der beteiligten Arbeitgeberinnen ist in allen Kinos einheitlich. Zwischen den Arbeitgeberinnen werden regelmäßig Absprachen über die Programmgestaltung in den Kinos, die Durchführung von Sonderaktionen, die Werbung und den Wareneinkauf getroffen.
Der im Unternehmen der zu 2) beteiligten Arbeitgeberin gebildete Gesamtbetriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass die Beteiligte zu 2) jeweils mit den Beteiligten zu 4) bzw. 6) nach der Verselbstständigung der Spielstätten in G… und Gr… einen gemeinsamen Betrieb führe. Dieser Auffassung haben sich die zu 3) und 5) beteiligten Betriebsräte aus G… und Gr… angeschlossen. Hierzu haben sich die Betriebsräte zunächst auf die Vermutungstatbestände des § 1 Abs. 2 BetrVG berufen und ergänzend auf die Absprachen beim Filmangebot, der Durchführung von Sonderaktionen, der Werbung sowie beim Einkauf hingewiesen. Die dort getroffenen Entscheidungen seien mitbestimmungsrechtlich relevant. Schließlich haben die Betriebsräte behauptet, dass die Dienstpläne für die Arbeitnehmer in G… bzw. Gr… an die Beteiligte zu 2) zur Genehmigung gefaxt würden.
Der Gesamtbetriebsrat hat beantragt festzustellen,
1. dass die Beschäftigten der Beteiligten zu 4) in einem von dieser und der Beteiligten zu 2) geführten Gemeinschaftsbetrieb eingesetzt werden,
2. dass der Beteiligte zu 3) Mitglieder in den bei der Beteiligten zu 2) gebildeten Gesamtbetriebsrat entsenden kann,
3. dass die Beschäftigten der Beteiligten zu 6) in einem von dieser und der Beteiligten zu 2) gebildeten Gemeinschaftsbetrieb eingesetzt werden,
4. dass der Beteiligte zu 5) Mitglieder in den bei der Beteiligten zu 2) gebildeten Gesamtbetriebsrat entsenden kann.
Die Arbeitgeberinnen haben beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Gesamtbetriebsrats zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss haben der Gesamtbetriebsrat und die Einzelbetriebsräte die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt. Im Rechtsbeschwerdeverfahren verfolgt der Gesamtbetriebsrat seine ursprünglichen Anträge weiter, während die Arbeitgeberinnen beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des Gesamtbetriebsrats hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Anträge zu 1. und 3. durch das Arbeitsgericht zu Recht zurückgewiesen, da die Beteiligte zu 2) mit den Beteiligten zu 4) bzw. 6) keinen gemeinschaftlichen Betrieb führt. Die Anträge zu 2. und 4. sind hingegen unzulässig.
I. Die Anträge des Gesamtbetriebsrats sind nur teilweise zulässig.
1. Die Antragsbefugnis des Gesamtbetriebsrats für die Anträge zu 1. und 3. folgt aus § 18 Abs. 2 BetrVG. Durch das betriebsverfassungsrechtliche Zuordnungsverfahren soll es den Antragsberechtigten ermöglicht werden, unabhängig von einer Betriebsratswahl die Zuständigkeit der betriebsverfassungsrechtlichen Gremien für betriebsratsfähige Einheiten zu klären oder Meinungsverschiedenheiten über den Umfang von Beteiligungsrechten des Betriebsrats beizulegen. Dies ist vorliegend der Fall. Mit den Anträgen zu 1. und 3. will der Gesamtbetriebsrat die Feststellung erreichen, dass die Kinos in G… bzw. Gr… als Gemeinschaftsbetriebe der Beteiligten zu 2) und der Beteiligten zu 4) bzw. 6) anzusehen sind und damit seiner Zuständigkeit unterliegen.
2. Hingegen fehlt dem Gesamtbetriebsrat für die zu 2. und 4. gestellten Anträge ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung (§ 256 Abs. 1 ZPO) des Entsenderechts. Wird im Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG festgestellt, dass ein Gemeinschaftsbetrieb besteht, führt dies unter den Voraussetzungen des § 47 Abs. 2, Abs. 9 BetrVG zu einem Entsendungsrecht der Einzelbetriebsräte. Einer hierauf gerichteten gerichtlichen Feststellung bedarf es regelmäßig nur, wenn das Entsenderecht bestritten wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall, wie die beteiligten Arbeitgeberinnen in der Anhörung vor dem Senat klargestellt haben.
3. Die Einzelbetriebsräte haben in der Anhörung vor dem Senat erklärt, dass sie auf eine eigene Antragstellung verzichten. Der Senat hat diese Erklärung als Rücknahme ihrer Rechtsbeschwerden gewertet, wobei die nach § 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO gebotene Protokollierung versehentlich unterblieben ist. Die Einzelbetriebsräte bleiben aber auch nach der Rücknahme am Verfahren beteiligt (§ 83 Abs. 3 ArbGG), da sie durch eine Entscheidung über den Antrag nach § 18 Abs. 2 BetrVG in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen sind.
II. Die Anträge zu 1. und 3. sind nicht begründet. Die Beteiligte zu 2) führt mit den Beteiligten zu 4) bzw. 6) keinen gemeinschaftlichen Betrieb. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
1. Ein Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ist die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt (st. Rspr., vgl. etwa BAG 14. Dezember 1994 – 7 ABR 26/94 – BAGE 79, 47 = AP BetrVG 1972 § 5 Rotes Kreuz Nr. 3 = EzA BetrVG 1972 § 1 Nr. 9, zu B I 1a der Gründe mwN; 31. Mai 2000 – 7 ABR 78/98 – BAGE 95, 15 = AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 12 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 39, zu B III 1 der Gründe). Ein Betrieb kann auch von mehreren Arbeitgebern als gemeinsamer Betrieb geführt werden. Von einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen ist nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Die einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten erstrecken. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht. Vielmehr müssen die Funktionen des Arbeitgebers institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden (BAG 31. Mai 2000 – 7 ABR 78/98 – aaO, zu B III 1 der Gründe; 21. Februar 2001 – 7 ABR 9/00 – EzA BetrVG 1972 § 1 Nr. 11; 11. Februar 2004 – 7 ABR 27/03 – AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 1 Nr. 2, zu B I 1 der Gründe mwN). Für die Frage, ob der Kern der Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung ausgeübt wird, ist vor allem entscheidend, ob ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert wird, der charakteristisch für den normalen Betriebsablauf ist (BAG 24. Januar 1996 – 7 ABR 10/95 – BAGE 82, 112 = AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 8 = EzA BetrVG 1972 § 1 Nr. 19, zu B 3b bb der Gründe mwN).
2. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass diese von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für einen Gemeinschaftsbetrieb in G… bzw. Gr… nicht vorliegen.
a) Der Einsatz der Arbeitnehmer und die Nutzung der Betriebsmittel wird in den Betriebsstätten in G… und Gr… nur durch die Beteiligten zu 4) bzw. 6) und ohne Mitwirkung der Beteiligten zu 2) gesteuert.
Grundlegende Voraussetzung für das Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebs ist der Einsatz von Arbeitnehmern und der Betriebsmittel mehrerer Unternehmen durch eine einheitliche Leitung auf der Grundlage einer wenigstens stillschweigend getroffenen Vereinbarung (BAG 24. Januar 1996 – 7 ABR 10/95 – BAGE 82, 112 = AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 8 = EzA BetrVG 1972 § 1 Nr. 19, zu B 3b bb der Gründe mwN). Bei ihrer alleinigen Nutzung (diesen Ausdruck verwendet zB Fitting BetrVG 22. Aufl. § 1 Rn. 85) durch das jeweilige Eigentümerunternehmen handelt es sich bei der Organisationseinheit um einen Betrieb iSd. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. So verhält es sich im Streitfall. Der Senat hat davon auszugehen, dass die Beteiligte zu 2) in personellen und sozialen Angelegenheiten der bei den Beteiligten zu 4) und 6) beschäftigten Arbeitnehmer keine Entscheidungen trifft. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat nach § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen der Vorinstanz werden die Arbeitnehmer in den Betriebsstätten in G… bzw. Gr… nur von den Beteiligten zu 4) bzw. 6) eingesetzt. Ebenso wenig werden Arbeitnehmer aus G… und Gr… in Betrieben der Beteiligten zu 2) beschäftigt. Auch die materiellen und immateriellen Betriebsmittel in den verselbstständigten Betriebsstätten werden nicht von der Beteiligten zu 2) genutzt.
b) Ob die Vermutungstatbestände des § 1 Abs. 2 BetrVG im Streitfall erfüllt sind, ist ohne Bedeutung. Ihre Prüfung ist entbehrlich, da feststeht, dass die organisatorischen Voraussetzungen für einen Gemeinschaftsbetrieb nicht vorliegen.
Durch § 1 Abs. 2 BetrVG in der seit dem 28. Juli 2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Betriebsverfassung vom 23. Juli 2001 hat der Gesetzgeber den Begriff des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen nicht eigenständig definiert, sondern unter Zugrundelegung des von der Rechtsprechung entwickelten Begriffs geregelt, dass unter den genannten Voraussetzungen ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen – widerlegbar – vermutet wird. Die von der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsbetrieb entwickelten Anforderungen gelten daher auch nach dem In-Kraft-Treten des Betriebsverfassungsreformgesetzes weiter, wobei unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 BetrVG nicht das Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebs, sondern nur die Existenz eines einheitlichen Leitungsapparats vermutet wird (BAG 11. Februar 2004 – 7 ABR 27/03 – AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 1 Nr. 2, zu B I 2 der Gründe mwN). Die Leitungsstruktur der Organisationseinheit ist aber ohne Bedeutung, wenn es – wie vorliegend – bereits an einer Zusammenfassung der Arbeitnehmer sowie der materiellen und immateriellen Betriebsmittel fehlt.
c) Die vom Antragsteller unter Berufung auf die Absprachen zwischen den beteiligten Arbeitgeberinnen behauptete Einflussnahme der Beteiligten zu 2) auf die verselbstständigten Gesellschaften ist für die begehrte Feststellung eines Gemeinschaftsbetriebs ohne Bedeutung. Bei den Absprachen über das Filmangebot, die Durchführung von Sonderaktionen, die Werbung und den Einkauf handelt es sich ausschließlich um eine unternehmerische Zusammenarbeit. Dies gilt gleichermaßen für die Abreden, das äußere Erscheinungsbild der Arbeitnehmer und die gemeinsame Lohnbuchhaltung (dazu bereits BAG 9. Februar 2000 – 7 ABR 21/98 –, zu B III 2 der Gründe) betreffend.
Die sich aus einer unternehmerischen Zusammenarbeit möglicherweise ergebende Abhängigkeit der Beteiligten zu 4) bzw. 6) von der Beteiligten zu 2) kann allenfalls auf Konzernebene betriebsverfassungsrechtliche Auswirkungen haben. Für die Bildung und Zuständigkeiten der Betriebsverfassungsorgane auf Betriebs- oder Unternehmensebene ist sie ohne Bedeutung. Ob und ggf. in welchem Umfang die vom Antragsteller behauptete Einflussnahme der Beteiligten zu 2) tatsächlich zu einer betriebsverfassungsrechtlich relevanten Abhängigkeit führt, war nicht zu entscheiden. Die Bildung eines Konzernbetriebsrats ist weder Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, noch sind die diesbezüglichen Voraussetzungen vom Antragsteller auch nur ansatzweise schlüssig vorgetragen worden.
Unterschriften
Dörner, Gräfl, Koch, Günther Metzinger, Hoffmann
Fundstellen
Haufe-Index 1438175 |
DB 2005, 2643 |
NZA 2005, 1248 |
AP, 0 |
EzA-SD 2005, 11 |
EzA |