Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung bei unvollständiger Anschrift
Leitsatz (redaktionell)
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu versagen, wenn die Fristversäumung allein darauf beruht, daß der fristgebundene Schriftsatz erst am vorletzten Tag der Frist zur Post gegeben wurde und unvollständig adressiert war (fehlende Angabe der Straßenbezeichnung).
Normenkette
ZPO §§ 85, 233-234; ArbGG §§ 66, 9 Abs. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger war bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Er verdiente monatlich 2.300,-- DM. Er hat behauptet, ihm stehe aus den Umsätzen der von ihm geleiteten Akkordkolonne eine Umsatzvergütung zu. Insoweit könne er für die Baustellen S 6.750,-- DM, P 1.500,-- DM, H 3.750,-- DM, H 4.250,-- DM und S 4.500,-- DM verlangen. Ferner habe ihm die Beklagte 1.000,-- DM Urlaubsentgelt nicht ausgezahlt. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, 1.000,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18. Oktober 1984 zu zahlen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 22. April 1985 Berufung und die Beklagte unselbständige Anschlußberufung eingelegt. Die Berufungsbegründung des Klägers vom 20. Mai 1985 ist ohne Straßenangabe an das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 7000 Stuttgart 1, adressiert. Sie ist am 21. Mai 1985 in W abgestempelt und erst am 23. Mai 1985 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Auf dem Umschlag ist von einer Dienststelle der Deutschen Bundespost "Weimarstraße 20" ergänzt worden.
Der Kläger hat vorgetragen, sein Prozeßbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung am 20. Mai 1985 diktiert. Diese sei noch am gleichen Tage geschrieben, unterschrieben und in ein Fach für Stuttgarter Post gelegt worden. Vorsichtshalber habe die Schreibkraft seines Prozeßbevollmächtigten sie am 21. Mai 1985 diesem Fach wieder entnommen und um 17.00 Uhr zur Post gegeben. Postsendungen, die abends in W aufgegeben würden, seien regelmäßig am nächsten Tag beim Empfänger in Stuttgart. Die dennoch eingetretene Verzögerung beruhe nicht auf ihrem Verschulden.
Der Kläger hat sein Klageziel weiterverfolgt und beantragt,
ihm wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist
die Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückzuweisen und die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
Das Landesarbeitsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger zu Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert.
I. Der Kläger hat die Berufungsbegründungsfrist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) versäumt. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist ihm am 22. März 1985 zugestellt worden. Hiergegen hat er am 22. April 1985 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist lief am 22. Mai 1985 ab (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Die Berufungsbegründung ist erst am 23. Mai 1985 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen.
Wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat der Kläger form- und fristgemäß die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Landesarbeitsgericht hat den Kläger am 28. Mai 1985 über die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist belehrt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist am 7. Juni 1985 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen, also innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 und 2 ZP0.
II. Der Kläger hat schuldhaft die Berufungsbegründungsfrist versäumt, so daß ihm keine Wiedereinsetzung gewährt werden kann.
Nach § 233 ZP0 ist einer Partei nur dann die Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Der Kläger muß sich das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten anrechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZP0).
1. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf der unzureichenden Adressierung des Begründungsschriftsatzes beruhte. Es hat zutreffend herausgestellt, daß nach § 3 der Postordnung der Zustellungsadressat nach Name, Straße und Ort bezeichnet werden muß. Das ist auf der Berufungsbegründungsschrift nicht geschehen. Dieses Versehen muß sich der Prozeßbevollmächtigte zurechnen lassen, da er für die Überwachung der Berufungsbegründung und die vollständige Anschrift verantwortlich ist (BAG Beschluß vom 8. Juni 1982 - 7 AZB 3/82 - AP Nr. 6 zu § 233 ZP0 1977, zu 3 der Gründe).
2. Allerdings ist in der Rechtsprechung umstritten, inwieweit Postverzögerungen einem Absender zuzurechnen sind, der bei der Adressierung eines Schriftsatzes die Straßenangabe versäumt hat.
a) Der Bundesgerichtshof hat die Auffassung vertreten, daß ein prozeßbevollmächtigter Rechtsanwalt die ihm zumutbare größte Sorgfaltspflicht nicht verletze, wenn er einen Brief an ein Gericht, so wie es nach dem Gesetz zu bezeichnen ist, unter Angabe des Gerichtsortes ohne Angabe von Straße und Hausnummer adressiere (BGH Beschluß vom 30. September 1968 - II ZB 1/86 - BGHZ 51, 1; Urteil vom 3. Juli 1984 - IV ZB 7 und 8/84 - VersR 1984, 871). Wegen der Bedeutung der Gerichte für das soziale Leben sei davon auszugehen, daß auch unvollständig an sie adressierte Sendungen innerhalb der normalen Postlaufzeit zugehen.
Demgegenüber hat das Bundesarbeitsgericht die Ansicht vertreten, daß auf unzureichender Adressierung beruhende Postverzögerungen nur dann die Wiedereinsetzung rechtfertigen, wenn diese unverhältnismäßig lang sind oder auch auf dem Mitverschulden Dritter beruhen, z. B. dem Postbereich zuzurechnen sind (BAG Urteil vom 24. November 1970 - 1 AZR 271/70 - AP Nr. 54 zu § 233 ZP0; BAGE 24, 81 = AP Nr. 59, aa0; Beschluß vom 21. August 1975 - 5 AZB 15/85 - AP Nr. 72, aa0).
Dieser Rechtsprechung hat sich der Bundesfinanzhof angeschlossen. In vier Entscheidungen heißt es, daß die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dann nicht in Betracht komme, wenn die Revisionsschrift am vorletzten Tag der Rechtsmittelfrist mit unzureichender Adressierung zur Post gegeben werde. Der Prozeßbevollmächtigte könne dann mit einem fristgerechten Eingang nur rechnen, wenn die Revisionsschrift mit der vollständigen und richtigen Anschrift versehen sei (Urteil vom 21. Dezember 1983 - VIII R 111/83 - Juris). Wenn die Postlaufzeit allerdings unverhältnismäßig verzögert wurde und damit zu rechnen gewesen sei, daß trotz fehlerhafter Adressierung, wie z. B. der fehlenden Angabe der Nummer des Zustellungspostamtes des Bundesfinanzhofs, das Fehlverhalten bei der Adressierung der Postsendung durch die mit der Beförderung betrauten Postdienststellen rechtzeitig ausgeglichen werde, sei Wiedereinsetzung zu gewähren (Urteil vom 10. Februar 1983 - VI R 156/82 - Juris).
b) Es kann unentschieden bleiben, ob der Meinungsstreit für alle Gerichtszweige und Gerichte einheitlich entschieden werden muß. Jedenfalls für das Berufungs- und Revisionsverfahren der Gerichte für Arbeitssachen gilt der Grundsatz, daß eine Partei das Risiko der Verlängerung von Postlaufzeiten zu tragen hat, wenn diese auf unzureichender Adressierung beruht. Sämtliche rechtsmittelfähigen Entscheidungen der Gerichte für Arbeitssachen sind mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen (§ 9 Abs. 5 ArbGG), aus der sich Name und vollständige Anschrift des Gerichts ergeben. Für den Rechtsanwalt und sein Hilfspersonal kann es daher nicht zweifelhaft sein, wie eine Rechtsmittelschrift und deren Begründung zu adressieren sind, um den postalischen Bedürfnissen gerecht zu werden, die für eine zeitgerechte Beförderung einer Vielzahl von Postsendungen unter Einsatz technologischer Hilfsmittel gelten. Selbst wenn der Prozeßbevollmächtigte des Klägers ursprünglich beabsichtigt haben mag, die Post zur zentralen Einlaufstelle der Gerichte mitzunehmen, mußte er sicherstellen, daß die Anschrift vervollständigt wurde, als der Plan geändert und statt dessen am vorletzten Tag der Frist die Revisionsbegründungsschrift zur Post gegeben wurde.
Dr. Dieterich Schaub Griebeling
Dr. Schwarze Grimm
Fundstellen
Haufe-Index 438743 |
NJW 1987, 3278 |
NJW 1987, 3278-3279 (LT) |
RdA 1987, 319 |
AP § 233 ZPO 1977 (LT1), Nr 13 |
AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XI Entsch 105 (LT1) |
AR-Blattei, ES 160.11 Nr 105 (LT1) |
EzA § 233 ZPO, Nr 9 (LT1) |