Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Übergangsgeld auf Karenzentschädigung
Leitsatz (redaktionell)
Ein Arbeitgeber ist nicht berechtigt, einem in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Arbeitnehmer das nach dem AVG gezahlte Übergangsgeld auf die von ihm geschuldete Karenzentschädigung anzurechnen. Das Übergangsgeld steht Arbeitseinkommen nicht gleich.
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 22.10.1987; Aktenzeichen 4a Sa 41/87) |
ArbG Heilbronn (Entscheidung vom 10.06.1987; Aktenzeichen 3 Ca 225/87) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Anrechnung eines Übergangsgeldes auf die Karenzentschädigung aus einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot.
Der im Jahre 1940 geborene Kläger war bei der Beklagten vom 1. November 1978 bis zum 30. Juni 1986 als kaufmännischer Angestellter im Außendienst beschäftigt. In seinem Arbeitsvertrag war ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart. Die letzten vertragsmäßigen Leistungen des Klägers betrugen 3.048,97 DM, so daß die Karenzentschädigung 1.524,48 DM ausmachte.
Vom 1. Juli 1986 bis zum 6. Dezember 1986 war der Kläger arbeitslos. Seit dem 1. Januar 1987 bis zum 30. Juni 1987 bezog er Übergangsgeld von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nach § 17 AVG. In dieser Zeit wurde er zum Industriekaufmann umgeschult. Das Übergangsgeld betrug kalendertäglich 59,70 DM.
Die Beklagte errechnete die zu zahlende Karenzentschädigung aus einem Betrag von 3.052,-- DM zuzüglich 1.524,48 DM Brutto- Karenzentschädigung. Der Betrag von 3.052,-- DM ist der Betrag, aus dem die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte das Übergangsgeld berechnete. Von dem fiktiven Gesamteinkommen von 4.576,48 DM setzte die Beklagte das um 10 % erhöhte frühere Gehalt von 3.353,87 DM ab. Um den sich ergebenden Betrag von 1.222,61 DM kürzte sie die Karenzentschädigung von 1.524,48 DM auf 301,87 DM. Diesen Betrag zahlte sie. Mit der Klage verlangt der Kläger den für die Zeit vom 1. Januar 1987 bis zum 30. April 1987 gekürzten Betrag von 4 x 1.222,61 DM.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, Übergangsgeld sei auf die Karenzentschädigung nicht anzurechnen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 4.890,44 DM
brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag
seit dem 5. Mai 1987 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat darauf hingewiesen, daß der Senat die Anrechnung des Arbeitslosengeldes auf die Karenzentschädigung zugelassen habe. Dann müsse dasselbe aber auch beim Übergangsgeld gelten. Überdies würden Arbeitslosengeld und Übergangsgeld netto ausgezahlt. Anderweitiges Einkommen werde mit dem Bruttobetrag angerechnet. Um die Empfänger von Sozialversicherungsleistungen nicht zu begünstigen, müßten diese auf einen fiktiven Bruttobetrag hochgerechnet und alsdann angerechnet werden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich deren Revision, mit der sie die Karenzentschädigung neu berechnet und die Abweisung der Klage anstrebt, soweit der Kläger mehr als 2782,68 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag fordert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger kann von der Beklagten Karenzentschädigung verlangen. Auf diese darf das Übergangsgeld nicht angerechnet werden.
1. Nach § 74 Abs. 2 HGB beträgt die Karenzentschädigung mindestens die Hälfte der von dem Handlungsgehilfen zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß dies einen Betrag von 1524,48 DM monatlich ausmacht.
2. Nach § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB muß sich der Handlungsgehilfe auf die fällige Karenzentschädigung anrechnen lassen, was er während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt, soweit die Entschädigung unter Hinzurechnung dieses Betrages den Betrag der zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als 1/10 übersteigen würde. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß das Übergangsgeld kalendertäglich 59,70 DM beträgt. Der Kläger bezog mithin ein Übergangsgeld von monatlich 1791,-- DM (30 x 59,70 DM). Das Übergangsgeld zuzüglich der Karenzentschädigung von 1524,48 DM ergeben einen Betrag von 3.315,48 DM, der nicht zur Anrechnung auf die Karenzentschädigung führt.
Berücksichtigt der Senat, daß der Kläger während des Bezuges von Übergangsgeld zumindest in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig war (vgl. § 165 Abs. 1 Nr. 4 RVO; jetzt § 5 Abs. 1 Nr. 6, § 192 Abs. 1 Nr. 3 SGB V) und ihm insoweit Beitragsleistungen zugutegekommen sind (vgl. § 180 Abs. 3 a, § 381 Abs. 3 a RVO; jetzt §§ 235, 251 SGB V), so wird die Anrechnungsfreigrenze überschritten. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt mithin davon ab, ob das Übergangsgeld anrechnungsfrei ist oder dieses sogar noch durch weitere Sozialversicherungsleistungen aufgestockt werden muß.
3. Das Übergangsgeld ist nicht auf die Karenzentschädigung anzurechnen.
a) Das Übergangsgeld wird nicht durch anderweitige Verwertung der Arbeitskraft erworben. Durch anderweitige Verwertung der Arbeitskraft werden alle geldwerten Leistungen zur Abgeltung der Arbeitsleistung erdient. Hierzu gehört das Übergangsgeld nicht. Das Übergangsgeld ist eine Leistung der Rehabilitation des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers, das während einer medizinischen oder berufsfördernden Maßnahme einem Versicherten gewährt wird, wenn er arbeitsunfähig ist oder wegen Teilnahme an der Rehabilitationsmaßnahme keine ganztägige Erwerbstätigkeit ausüben kann (§ 17 Satz 1 AVG).
b) Der Senat hat aufgrund richterlicher Rechtsfortbildung dem Arbeitseinkommen das Arbeitslosengeld gleichgestellt (BAGE 49, 109 = AP Nr. 11 zu § 74 c HGB, mit im Ergebnis zustimmender Anmerkung von Beitzke = SAE 1987, 147 mit im Ergebnis zustimmender Anmerkung von Hadding/Hammen = AR-Blattei, Wettbewerbsverbot, Entscheidung 145 mit im Ergebnis zustimmender Anmerkung von Buchner). Arbeitslosengeld wird Arbeitslosen gewährt, wenn sie der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen, die Anwartschaftszeit erfüllen, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt haben (§ 100 AFG). Der Senat hat in § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB eine Regelungslücke angenommen, weil bei der Regelung der nachvertraglichen Wettbewerbsverbote die Gewährung von Arbeitslosengeld noch unbekannt war. Das Arbeitslosengeld hat aber Lohnersatzfunktion und wird einem Arbeitswilligen und Arbeitsfähigen gezahlt. Schließlich hätte es zu Wertungswidersprüchen geführt, wenn anderweitiges Einkommen angerechnet wird, nicht dagegen das es ersetzende Arbeitslosengeld. Dies hätte dazu führen können, daß ein Arbeitnehmer sich arbeitslos meldete, um neben dem Arbeitslosengeld Karenzentschädigung zu beziehen und damit seine Einnahmen gegenüber denen aus dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis zu erhöhen. Das Übergangsgeld kann aber nicht wie das Arbeitslosengeld dem anderweitigen Arbeitseinkommen gleichgestellt werden. Insoweit besteht keine Regelungslücke, die im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte.
c) Durch Art. 1 § 1 Nr. 49 Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl I, 1497) ist § 128 a AFG mit Wirkung vom 1. Januar 1982 eingeführt worden. Hiernach hat der Arbeitgeber der Bundesanstalt für Arbeit das Arbeitslosengeld zu erstatten, wenn der Arbeitslose durch eine Vereinbarung mit dem bisherigen Arbeitgeber in seiner beruflichen Tätigkeit als Arbeitnehmer beschränkt ist. Im Anschluß an die Entscheidung des Senats über die Anrechnung von Arbeitslosengeld auf die Karenzentschädigung vom 25. Juni 1985 ist durch das 7. Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1985 (BGBl I, 2484) § 128 a Satz 3 AFG eingeführt worden. Hier ist bestimmt, daß sich der Arbeitnehmer das Arbeitslosengeld, das der Arbeitgeber der Bundesanstalt für Arbeit erstattet, auf die Karenzentschädigung anrechnen lassen muß. Eine entsprechende Regelung hat der Gesetzgeber aber für die übrigen Sozialversicherungsleistungen nicht getroffen, obwohl er durch das 7. Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes auch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen der Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I, 1881) geändert hat, in dessen § 18 die Einkommensanrechnung auf das Übergangsgeld geregelt ist. Es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber die Anrechnung anderweitiger Sozialleistungen auf die Karenzentschädigung übersehen hat. In der Rechtsprechung der Instanzgerichte war seit langem umstritten, ob und in welchem Umfange die Sozialversicherungsleistungen auf die Karenzentschädigung anzurechnen waren (vgl. ArbG Mannheim Urteil vom 24. März 1975 - 4 Ca 80/75 -, DB 1976, 107; ArbG Ludwigshafen Urteil vom 29. März 1976 - 7 Ca 1990/75 -, DB 1976, 1162) und im Schrifttum wurde seit langem auf diese Streitfragen hingewiesen (vgl. Schaub, ArbR-Handbuch, 4. Aufl. 1980, § 58 V 4). Wenn der Gesetzgeber gleichwohl nur für das Arbeitslosengeld eine Anrechnung verlangt, muß davon ausgegangen werden, daß er in einem weiteren Umfang keine Anrechnung will.
d) Es bestehen auch erhebliche Unterschiede zwischen dem Übergangsgeld und dem Arbeitslosengeld, die eine Gleichstellung mit dem Arbeitseinkommen verbieten. Der Übergangsgeldbezieher steht dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Das Übergangsgeld wird Versicherten gewährt, die arbeitsunfähig sind oder infolge Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme keiner ganztägigen Erwerbstätigkeit nachgehen können (§ 17 Satz 1 AVG). Seine Zahlung kann vom Versicherten nicht durch Aufgabe der bisherigen Tätigkeit herbeigeführt werden, vielmehr ist es von einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des Versicherten abhängig. Ein Anspruch auf Karenzentschädigung erwächst aber auch während der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit. Auch während dieser Zeit erbringt der Arbeitnehmer die von ihm geschuldete Wettbewerbsunterlassung. Es besteht kein Grund, den Arbeitgeber wegen der Rehabilitationsleistungen von seiner Gegenleistungspflicht teilweise zu befreien; allenfalls kann bei dem Sozialversicherungsträger eine Anrechnung der Karenzentschädigung in Betracht kommen, sowie in deren Höhe ein Unterhaltsbedarf nicht besteht.
Schaub Griebeling Schliemann
Kunze Dr. Jesse
Fundstellen
Haufe-Index 438769 |
BAGE 63, 206-211 (LT1) |
BAGE, 206 |
BB 1990, 854 |
BB 1990, 854-855 (LT1) |
DB 1990, 889 (LT1) |
SteuerBriefe 1990, 240-241 (KT) |
SteuerBriefe 1990, 91-91 (T) |
EBE/BAG 1990, 50-51 (LT1) |
ARST 1990, 114-115 (LT1) |
EWiR 1990, 485 (L1) |
JR 1991, 352 |
JR 1991, 352 (S) |
NZA 1990, 397-398 (LT1) |
RdA 1990, 188 |
ZAP, EN-Nr 346/90 (S) |
ZIP 1990, 666 |
ZIP 1990, 666-667 (LT1) |
AP § 74c HGB (LT1), Nr 15 |
AR-Blattei, ES 1830 Nr 159 (LT1) |
AR-Blattei, Wettbewerbsverbot Entsch 159 (LT1) |
EzA § 74c HGB, Nr 27 (LT1) |