Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderzuwendung. Erziehungsurlaub
Leitsatz (amtlich)
Läßt ein Tarifvertrag die Anrechnung von betrieblichen Sonderleistungen wie Jahresabschlußvergütung, Weihnachtsgeld, Gratifikationen, Jahresprämien und ähnliche Leistungen auf eine tarifliche Sonderleistung zu, so kann ein anläßlich der Vollendung einer Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren einmalig gezahltes betriebliches Treuegeld nicht angerechnet werden.
Normenkette
BGB § 611; Tarifvertrag über Urlaubsgeld und Sonderzuwendung für die Arbeitnehmer im Hessischen Einzelhandel vom 10./11. Juli 1989 § 4
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 13.11.1990; Aktenzeichen 7 Sa 671/90) |
ArbG Kassel (Urteil vom 05.04.1990; Aktenzeichen 4 Ca 117/90) |
Tenor
- Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. November 1990 – 7 Sa 671/90 – in der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als es die Klage hinsichtlich der tariflichen Sonderzuwendung in Höhe von 755,-- DM brutto nebst Zinsen abgewiesen hat.
- Insoweit wird die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 5. April 1990 – 4 Ca 117/90 – zurückgewiesen.
- Die Kosten der Berufung nach einem Streitwert von 954,-- DM und die Kosten der Revision nach einem Streitwert von 755,-- DM trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Parteien streiten über ein tarifliches Urlaubsgeld und eine tarifliche Sonderzahlung für das Jahr 1989.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. April 1979 als Verkäuferin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit die Tarifverträge für den Hessischen Einzelhandel Anwendung.
Nachdem die Klägerin am 17. Januar 1989 entbunden hatte, nahm sie nach Ablauf der Mutterschutzfrist bis zum Ende des Jahres 1989 Erziehungsurlaub. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung seitens der Klägerin zum 31. Dezember 1989.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin für das Jahr 1989 ein tarifliches Urlaubsgeld in Höhe von 1.148,-- DM brutto, eine tarifliche Sonderzuwendung in Höhe von 954,-- DM brutto und ein betriebliches Treuegeld für zehnjährige Betriebszugehörigkeit in Höhe von 500,-- DM netto geltend gemacht. Im Teilvergleich vom 13. November 1990 hat sich die Beklagte verpflichtet, das Treuegeld ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zu zahlen.
Die maßgebenden tariflichen Bestimmungen des Tarifvertrages über Urlaubsgeld und Sonderzuwendung vom 10./11. Juli 1989 (TV) haben, soweit sie die Sonderzahlung betreffen, folgenden Wortlaut:
§ 4 Sonderzuwendungen
Höhe
- Die jährliche Sonderzuwendung beträgt ab 1.1.1989 40 %, ab 1.1.1991 50 % des dem Arbeitnehmer … individuell zustehenden monatlichen tariflichen Entgeltes.
- Maßgebend für die Berechnung der Sonderzuwendung ist der 30.11. des jeweiligen Kalenderjahres bzw. der Monat des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis.
Anspruchsberechtigung
- Anspruchsberechtigt auf die tarifliche Sonderzuwendung sind Arbeitnehmer …, die am 1.12. des Kalenderjahres dem Betrieb/Unternehmen mindestens 12 Monate ununterbrochen angehört haben.
- In dem Kalenderjahr, in dem das Arbeitsverhältnis endet, steht dem Anspruchsberechtigten, sofern er die Voraussetzungen gem. Ziff. 2a) erfüllt, für jeden vollen Monat 1/12 der Sonderzuwendung zu.
Verfall des Anspruchs
Wird das Arbeitsverhältnis aufgrund grob treuwidrigen Verhaltens (Diebstahl, Unterschlagung, Untreue) beendet, so entfällt der Anspruch auf Zahlung der tariflichen Sonderzuwendung. Gegebenenfalls für das laufende Kalenderjahr bereits erhaltene Beträge sind als Vorschuß zurückzuzahlen.
Fälligkeit
Die Sonderzuwendung ist nach erfüllter Wartezeit spätestens am 30.11. eines jeden Kalenderjahres oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu zahlen.
Anrechnung
Die im laufenden Kalenderjahr erbrachten Sonderleistungen des Arbeitgebers, wie Jahresabschlußvergütungen, Weihnachtsgeld, Gratifikationen, Jahresergebnisbeteiligungen, Jahresprämien und ähnliche, gelten als Sonderzuwendungen im Sinne dieses Tarifvertrages und erfüllen den tariflichen Anspruch, soweit sie die Höhe der tariflich zu erbringenden Leistung erreichen.
Dies gilt auch, wenn die betrieblichen Sonderzuwendungen aufgrund von Betriebsvereinbarungen, betrieblicher Übung oder Einzelarbeitsvertrag für einen vor Inkrafttreten dieser Vereinbarung liegenden Zeitraum entstanden sind, aber erst nach Inkrafttreten dieses Tarifvertrages zur Auszahlung gelangen.
Als Sonderzuwendungen im Sinne dieser Vereinbarung gelten nicht solche Leistungen, deren Höhe durch die individuelle Leistung bestimmt ist sowie das tarifliche Urlaubsgeld.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, ihr stehe die tarifliche Sonderzuwendung für das Jahr 1989 in voller Höhe zu. Sie erfülle die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen, da sie am 1. Dezember 1989 dem Betrieb länger als zwölf Monate angehört habe. Eine tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum werde in den tariflichen Bestimmungen nicht gefordert. Gleiches gelte hinsichtlich des Anspruchs auf das Urlaubsgeld. Dieses dürfe auch nicht entsprechend der Zeit des Erziehungsurlaubs gekürzt werden.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.102,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Januar 1990 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Klägerin stehe ein Anspruch auf die tarifliche Sonderzuwendung nicht zu, da sie im Jahre 1989 nicht gearbeitet habe. Auf jeden Fall sei aber das betriebliche Treuegeld auf die Sonderzahlung anzurechnen.
Urlaubsgeld könne die Klägerin allenfalls im Umfang ihres Urlaubsanspruchs für das Jahr 1989 verlangen. Die Zeit des Erziehungsurlaubs mindere auch den Anspruch auf das Urlaubsgeld.
Das Arbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich der Sonderzahlung in voller Höhe und hinsichtlich des Urlaubsgelds in Höhe von 287,-- DM brutto stattgegeben. Hinsichtlich der Sonderzahlung hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die Klägerin hat ihren Anspruch auf weiteres Urlaubsgeld mit ihrer Anschlußberufung verfolgt. Das Landesarbeitsgericht hat die Anschlußberufung der Klägerin zurückgewiesen und die Beklagte zur Zahlung einer Sonderzuwendung in Höhe von 199,-- DM brutto entsprechend der Zeit der Mutterschutzfrist im Jahre 1989 verurteilt.
Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf eine weitere Sonderzahlung in Höhe von 755,-- DM brutto sowie auf ein weiteres Urlaubsgeld in Höhe von 861,-- DM brutto weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Der Senat hat den Rechtsstreit hinsichtlich des Urlaubsgeldes abgetrennt und insoweit an den für Urlaubsfragen zuständigen Neunten Senat abgegeben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet, soweit sie den Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer weiteren tariflichen Sonderzuwendung in Höhe von 755,-- DM brutto betrifft. Der Klägerin steht für das Jahr 1989 ein Anspruch auf Sonderzuwendung auch unter Berücksichtigung der Zeit des Erziehungsurlaubs zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe nur einen Anspruch auf anteilige Sonderzuwendung für die Zeit der Mutterschutzfrist bis zum 14. März 1989 in Höhe von 199,-- DM brutto. Zwar erfülle sie die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen für die volle Sonderzahlung, jedoch habe ihr Arbeitsverhältnis während der Zeit des Erziehungsurlaubs bis zum 31. Dezember 1989 geruht. Da mit der tariflichen Sonderzahlung zumindest auch im Bezugszeitraum geleistete Arbeit vergütet werden solle, müsse die Zeit des Erziehungsurlaubs vom 15. März 1989 bis zum 31. Dezember 1989 bei der Bemessung der Sonderzahlung außer Betracht bleiben.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Der Klägerin steht für das Jahr 1989 ein Anspruch auf die volle tarifliche Sonderzahlung zu.
1. Die Klägerin erfüllt die tariflichen Voraussetzungen für den Anspruch auf die Sonderzahlung für das Jahr 1989 nach § 4 Ziff. 2 Buchst. a TV, da sie am 1. Dezember 1989 dem Betrieb länger als 12 Monate angehört hat.
2. Weder dem Wortlaut noch dem tariflichen Gesamtzusammenhang, die bei der Tarifauslegung maßgebend zu berücksichtigen sind (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), läßt sich entnehmen, daß die Sonderzuwendung nur anteilig zu gewähren ist, wenn das Arbeitsverhältnis im Bezugszeitraum ganz oder teilweise geruht hat oder der Anspruch auf die Sonderzuwendung davon abhängig ist, in welchem Umfang im Bezugszeitraum eine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht wurde.
a) Die tariflichen Bestimmungen des Tarifvertrages über Urlaubsgeld und Sonderzuwendung vom 10./11. Juli 1989 enthalten, anders als zahlreiche andere Tarifwerke, keine Regelung darüber, daß der Anspruch auf die Sonderzahlung nur teilweise besteht, wenn das Arbeitsverhältnis im Bezugszeitraum teilweise ruht. Sie knüpfen auch nicht an den Umfang einer tatsächlichen Arbeitsleistung im Kalenderjahr an. Anspruchsvoraussetzung ist vielmehr allein der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses am 1. Dezember nach mindestens 12monatiger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit.
b) In den tariflichen Bestimmungen kommt auch nicht zum Ausdruck, daß über die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen hinaus ein Mindestmaß an tatsächlicher Arbeitsleistung im Bezugszeitraum gefordert wird.
Zwar hat die tarifliche Sonderzuwendung sog. Mischcharakter, da einerseits mit dem Erfordernis des Bestehens des Arbeitsverhältnisses am 1. Dezember eines Jahres eine Betriebstreue im Bezugszeitraum bis zu diesem Zeitpunkt gefordert wird und andererseits mit dem Erfordernis einer mindestens 12monatigen ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit die während dieses Zeitraums im Regelfall erbrachte Arbeitsleistung honoriert werden soll. Jedoch haben die Tarifvertragsparteien nicht bestimmt, daß ein Mindestmaß an tatsächlicher Arbeitsleistung in jedem Falle Voraussetzung für den Anspruch auf die Sonderzahlung ist.
Die Rechtsprechung des Fünften und Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteile vom 29. August 1979 – 5 AZR 763/78 – AP Nr. 102 zu § 611 BGB Gratifikation und – 5 AZR 511/79 – AP Nr. 104 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 7. September 1989 – 6 AZR 637/88 – AP Nr. 129 zu § 611 BGB Gratifikation) – von der auch das Landesarbeitsgericht ausgeht –, wonach im Zweifel bei einer Sonderzahlung mit Mischcharakter im Bezugszeitraum eine nicht unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung als ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung zu fordern sei, hat der Senat mit Urteil vom 5. August 1992 (– 10 AZR 88/90 – DB 1992, 2348 = BB 1992, 2218, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) aufgegeben. Dies beruht darauf, daß zwar mit einer Sonderzahlung mit Mischcharakter die für den Betrieb erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich vergütet werden soll, diese Arbeitsleistung aber in der Regel nur abstrakt nach der Dauer des Bestandes des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum bestimmt wird. Die Dauer des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum entspricht aber regelmäßig nicht dem Umfang der während dieser Zeit für den Betrieb tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung. Diese kann wegen einer Vielzahl von Umständen, wie z.B. in Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, des Urlaubs, der persönlichen Arbeitsverhinderung aus sonstigen Gründen, einer vereinbarten Freistellung von der Arbeit, während der Mutterschutzfristen, während des Erziehungsurlaubs, während der Einberufung zum Wehrdienst, ehrenamtlicher Tätigkeiten o.ä. erheblich gemindert sein. Dies ist den Tarifvertragsparteien bekannt. Es bleibt ihnen deshalb überlassen, welche dieser Zeiten sie anspruchsausschließend oder anspruchsmindernd berücksichtigen wollen. Fehlt es an einer solchen Regelung, so kann eine tatsächliche Arbeitsleistung von nicht unerheblichem Umfang bei einer Sonderzahlung mit Mischcharakter als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung über die ausdrücklich normierten Anspruchsvoraussetzungen hinaus nicht gefordert werden. Auch ist die Annahme eines allgemeinen Rechtsprinzips, wonach eine Sonderzahlung stets nach dem Maß der jährlichen Arbeitsleistung zu quoteln sei, nicht gerechtfertigt (vgl. BAG Urteil vom 5. August 1992 – 10 AZR 88/90 – aaO).
3. Der tarifliche Anspruch der Klägerin auf die Sonderzahlung gilt auch nicht nach § 4 Ziff. 5 Abs. 1 TV durch Zahlung des betrieblichen Treuegeldes in Höhe von 500,-- DM netto als erfüllt.
Es kann dahinstehen, ob die Parteien nicht mit Abschluß des Teilvergleiches vom 13. November 1990, in dem sich die Beklagte verpflichtete, zur Abgeltung des Anspruchs auf das 10jährige Treuegeld ohne Anerkennung einer Rechtspflicht 500,-- DM netto zu zahlen, den Streit über das Treuegeld auch hinsichtlich der Möglichkeit einer Anrechnung auf die tarifliche Sonderzahlung beilegen wollten. Der Zahlung des Treuegeldes kommt ohnehin nicht die in § 4 Ziff. 5 Abs. 1 TV vorgesehene Erfüllungswirkung gegenüber dem tariflichen Anspruch auf die Sonderzahlung zu.
Nach § 4 Ziff. 5 Abs. 1 TV erfüllen die im laufenden Kalenderjahr erbrachten Sonderleistungen des Arbeitgebers, wie Jahresabschlußvergütungen, Weihnachtsgeld, Gratifikationen, Jahresergebnisbeteiligungen, Jahresprämien u.ä. den tariflichen Anspruch. Das tarifliche Treuegeld stellt keine den im einzelnen aufgezählten Sonderleistungen “ähnliche” Sonderleistung dar. Die ausdrücklich genannten Sonderleistungen beziehen sich alle auf den Bezugszeitraum des laufenden Kalenderjahres. Sie sind daher von ihrem Zweck her vergleichbar mit der tariflichen Sonderzahlung, mit der ebenfalls die im Regelfall im Bezugszeitraum erbrachte Arbeitsleistung honoriert werden soll. Davon unterscheidet sich das betriebliche Treuegeld wegen 10jähriger Betriebszugehörigkeit grundlegend. Insoweit handelt es sich um eine einmalige Leistung des Arbeitgebers im Hinblick auf die erbrachte 10jährige Betriebstreue des Arbeitnehmers. Diese bezieht sich somit gerade nicht auf den Bezugszeitraum des laufenden Kalenderjahres. Dies schließt ihre Anrechnung gegenüber der jährlich zu gewährenden tariflichen Sonderzahlung aus.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Seyd, Grimm
Fundstellen
Haufe-Index 846715 |
BB 1993, 1147 |
NZA 1993, 803 |