Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch eines Arbeitnehmers gegen Vorgesetzten. Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld einer Kassiererin gegen ihren Vorgesetzten wegen Anweisung zur Durchführung von Aufräumarbeiten. Verantwortlichkeit einer Verkäuferin durch Vorlage von ärztlichen Attesten nachzuweisen, daß sie aus gesundheitlichen Gründen keine oder nur begrenzt Aufräumarbeiten leisten darf
Orientierungssatz
In der Regel ist ein Arbeitgeber oder ein Vorgesetzter nicht verpflichtet, ärztliche Untersuchungen zu veranlassen, wenn ein Arbeitnehmer in seiner Person liegende gesundheitliche Bedenken gegen die ihm abverlangten, arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeiten erhebt. In solchen Fällen ist es grundsätzlich Sache des Arbeitnehmers, einen Arzt aufzusuchen und den Arbeitgeber über arbeitsplatzbezogene ärztliche Bewertungen zu informieren und ggf. entsprechende ärztliche Atteste vorzulegen.
Normenkette
BGB §§ 611, 276, 823, 847; SGB VII § 105 Abs. 1, §§ 8-9
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mainz vom 28. September 2000 – 6 Sa 421/00 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftig eintretender materieller und immaterieller Schäden.
Die Klägerin war seit 1985 bei der R. OHG (Arbeitgeberin) als Verkäuferin und Kassiererin beschäftigt. Der Beklagte war seit 1994 als Filialleiter des Minimalmarktes K. Vorgesetzter der Klägerin. Im Juli 1995 wies er die Klägerin an, täglich etwa eine halbe Stunde in der Obst- und Gemüseabteilung verderbliche Ware in einem Rollcontainer zu stapeln und diesen in den Kühlraum zu verbringen. In der Regel führen alle Kassiererinnen diese Tätigkeit im täglichen Wechsel aus, im Juli 1995 war das aber für ca. zwei Wochen aus betrieblichen Gründen nicht möglich. Nach wenigen Tagen klagte die Klägerin über erstmals auftretende Schmerzen im linken Oberarm. Anläßlich einer Arbeitsunfähigkeit wegen einer Gelenkkapselentzündung vom 8. August bis zum 19. September 1995 wurde eine ärztliche Bescheinigung erstellt, wonach bei der Klägerin eine „Schleimbeutelentzündung … besteht” und dieser Befund auf eine übermäßige Belastung des Armes zurückzuführen sein kann. Nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit am 20. September 1995 legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung vom 15. September 1995 vor, dergemäß sie keine mehr als 10 kg schweren Gegenstände heben solle. In der Folgezeit verweigerte sie andere Arbeiten als Kassentätigkeit, sie wurde deswegen mehrfach abgemahnt. Ein ärztliches Attest vom 25. Oktober 1995 stellte fest, daß die Klägerin keine Tätigkeiten außerhalb ihres Arbeitsbereichs ausführen könne. Infolge eines Suizidversuchs war sie vom 15. Januar bis zum 24. Februar 1996, ferner vom 21. bis 27. März 1996 arbeitsunfähig krank. Seit 14. Mai 1996 ist die Klägerin wegen einer neurotischen Depression und wegen einer Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenks dauerhaft arbeitsunfähig. Das Arbeitsverhältnis endete nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung durch gerichtlichen Vergleich am 31. Dezember 1998.
Mit ihrer – ursprünglich auch gegen die Arbeitgeberin gerichteten – Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens wegen körperlicher und psychischer Erkrankungen in Anspruch, die sie auf das Verhalten des Beklagten zurückführt.
Dazu hat die Klägerin vorgetragen, sie habe vor 1995 zu keinem Zeitpunkt unter körperlichen oder psychischen Beschwerden gelitten. Die Schmerzen in ihrem linken Armgelenk seien erstmals im Zusammenhang mit den nach der Beendigung der Kassierertätigkeit täglich durchgeführten Aufräumarbeiten in der Obst- und Gemüseabteilung im Juli 1995 aufgetreten. Nach etwa zwei bis drei Tagen habe sie dem Beklagten ihre Schmerzen im Arm mitgeteilt und um Entbindung von der Tätigkeit gebeten. Dieser habe sie dennoch angewiesen, die aufgetragenen Tätigkeiten weiter zu verrichten. Der Beklagte habe jedenfalls vor dem 4. August 1999 Kenntnis von ihren Schmerzen gehabt. Aus Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes habe sie den Anordnungen des Beklagten zunächst auch Folge geleistet. Der Beklagte habe vorsätzlich gehandelt, jedenfalls habe er zumindest eine erhebliche Gesundheitsgefährdung billigend in Kauf genommen. Trotz Vorlage der ärztlichen Atteste vom 15. September 1995 sowie vom 25. Oktober 1995 und in Kenntnis des Attests vom 15. August 1995 habe er der Klägerin Arbeiten außerhalb ihrer Kassierertätigkeit aufgetragen. Hierbei habe es sich um Arbeiten gehandelt, die ihr auf Grund ärztlicher Empfehlung untersagt gewesen seien. Durch das Verhalten des Beklagten sowie das der Arbeitgeberin habe sie sich zunehmend genötigt und einer psychischen Belastungssituation ausgesetzt gefühlt. Ihre Situation am Arbeitsplatz habe sich kontinuierlich verschlechtert. In Folge der eingetretenen Belastungssituation habe sich bei ihr eine depressive Stimmung aufgebaut, die sich zu einer nachhaltigen Depression ausgebildet und im Dezember 1996 zu einem Suizidversuch geführt habe. Dem Beklagten sei ihre psychische Überlastung mit Krankheitswert in der Zeit zwischen August und Dezember 1995 bekannt gewesen.
Die Klägerin hat, soweit in der Revision noch von Bedeutung, beantragt,
- den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.306,70 DM zuzüglich 4 % Zinsen aus dieser Summe seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, jedoch mindestens 22.000,00 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen nach dem 1. Juli 1998 eintretenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der durch Weisungen des Beklagten entstanden ist, in der Zeit vom 1. Juli 1995 bis 15. Januar 1996 Tätigkeiten einer Verkäuferin zu verrichten,
- den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 13.391,16 DM zuzüglich 4 % Zinsen aus dieser Summe seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 5.365,00 DM zuzüglich 4 % Zinsen aus dieser Summe seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, die Beschwerden der Klägerin seien durch bestehende Veranlagungen und Einwirkungen außerhalb des Arbeitsverhältnisses entstanden. Die Gelenkkapselentzündung sei insbesondere nicht auf die ausgeführten Aufräumarbeiten zurückzuführen. Allenfalls handele es sich um eine Erkrankung, die durch die langjährige Kassierertätigkeit der Klägerin ausgelöst worden sei. Die Klägerin habe sich zunächst gegen das Aufräumen der Obst- und Gemüseabteilung auch nur mit der Begründung gewehrt, daß sich diese Tätigkeiten über den Feierabend hinauszögen und sie nicht rechtzeitig aus dem Betrieb komme. Daß sie an fortdauernden Schmerzen im Arm leide, habe sie erst im Anschluß an ihre Krankschreibung im September 1995 geäußert. Selbst wenn die Klägerin ihm die Mitteilung gemacht hätte, daß sie Schmerzen im Arm habe, so wäre es für ihn nicht erkennbar gewesen, auf welche Ursachen diese Beeinträchtigung zurückzuführen sei. Unstreitig sei auf seine Nachfrage in der Personalabteilung der R. OHG mitgeteilt worden, die Klägerin könne alle üblichen Kassierer- und Verkäuferinnentätigkeiten ausführen. Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, seine Weisungen hätten sich nach dem 20. September 1995 innerhalb der Grenzen bewegt, die die Atteste gezogen hätten. Demgemäß seien auch die Abmahnungen berechtigt gewesen. Ferner seien die Klageforderungen durch den zwischen der Klägerin und der Arbeitgeberin vor dem Landesarbeitsgericht geschlossenen Vergleich mit erledigt worden. Schließlich stehe seiner Inanspruchnahme der Haftungsausschluß nach den §§ 104, 105 SGB VII entgegen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen den Beklagten. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend entschieden.
I. Das Landesarbeitsgericht hat Ansprüche der Klägerin wegen einer Gesundheitsverletzung abgelehnt, da der Beklagte im Zeitraum Juli 1995 bis 19. September 1995 weder vorsätzlich noch fahrlässig bezüglich einer körperlichen Erkrankung der Klägerin gehandelt habe. Ein Vorsatz scheide auch bei Zugrundelegung des Sachvortrages der Klägerin aus. Die Schmerzen im linken Arm könnten von mannigfachen Ursachen herrühren und seien nicht zwingend auf die vom Beklagten zugewiesenen Tätigkeiten zurückzuführen. Der Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin nach Kenntnisnahme der Schmerzen zu einem Arzt zu schicken. Es sei originäre Sache des Arbeitnehmers, der sich in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt fühle, einen Arzt aufzusuchen. Solange der Arbeitnehmer keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorlege, könne dem Arbeitgeber kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er mangels äußerlich erkennbarer Beeinträchtigungen der Bekundung von Schmerzen keine weitere Bedeutung beimesse. Es sei in diesem Falle Sache des Arbeitnehmers, sich um seine Gesundheit zu kümmern. Dem Attest vom 15. August 1995 sei keine Bedeutung beizumessen, weil es nicht an den Beklagten gerichtet gewesen und während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit erstellt worden sei. Ferner sei dem Attest vom 15. September 1995 Rechnung getragen worden. Die Klägerin habe nach ihrer Arbeitsaufnahme am 20. September 1995 unstreitig nicht mehr die von ihr als schwer bezeichneten Arbeiten ausgeführt. Der Klägerin stünden auch keine Schmerzensgeldansprüche gegen den Beklagten zu. Die nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit vom Beklagten zugewiesenen Arbeiten seien vertragsgemäß und in Anbetracht des Inhalts der vorgelegten Atteste vom Direktionsrecht grundsätzlich gedeckt gewesen. Auch wenn man eine Kenntnis der Atteste unterstelle, habe der Beklagte nicht davon ausgehen müssen, die Klägerin sei objektiv nicht in der Lage, die aufgetragenen Arbeiten auszuführen. Auch habe er nicht erkennen müssen, daß sich die Klägerin einem psychischen Druck ausgesetzt fühlte. Der Beklagte habe Rücksprache bei der Personalabteilung gehalten und sich nach den von der Klägerin auszuführenden Arbeiten erkundigt. Seine Weisungen hätten sich im Rahmen der erteilten Auskunft gehalten, wie sich aus den Abmahnungstexten ergebe. Es werde nämlich nicht gerügt, daß die Klägerin eine Tätigkeit verweigert habe, die das Heben von Gegenständen über 10 kg oder das Rangieren schwerer Gegenstände beträfe. Ein Schmerzensgeldanspruch der Klägerin scheide auch deshalb aus, weil es an einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung fehle. Zudem sei der Anspruch gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen, da der Beklagte den Versicherungsfall zumindest nicht vorsätzlich herbeigeführt habe.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB iVm. §§ 223, 230 StGB, § 847 BGB) sowie auf Feststellung weiterer Schadensersatzverpflichtungen sind nicht begründet, weil dem Beklagten keine schuldhafte Pflichtverletzung nachzuweisen ist, die eine gesundheitliche Schädigung der Klägerin verursacht haben könnte.
1. Den Ansprüchen der Klägerin steht nicht bereits die Haftungsbeschränkung nach § 105 Abs. 1 SGB VII entgegen. Nach dieser Vorschrift sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebes verursachen, diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle im Sinne des Gesetzes Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Im Streitfall liegt weder ein Arbeitsunfall noch eine Berufskrankheit vor.
a) Ein Arbeitsunfall ist nicht anzunehmen, weil kein Unfall iSd. § 8 Abs. 1 SGB VII vorliegt; nämlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod geführt hat. Es fehlt hier bereits an einem zeitlich begrenzten Ereignis. Dabei muß es sich um ein Ereignis handeln, welches in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum, längstens in einer Arbeitsschicht eingetreten ist (vgl. BSG 30. Mai 1985 – 2 RU 17/84 – SozR 2200 § 548 Nr. 71 mwN). Im Streitfall ist eine zeitliche Festlegung für den Eintritt der Schulterverletzung oder der sonstigen Beschwerden der Klägerin nicht feststellbar. Nach dem Sachvortrag der Klägerin ist davon auszugehen, daß es sich um einen fortlaufenden Prozeß schädigender Ereignisse gehandelt hat, der über eine Arbeitsschicht hinausgegangen ist.
b) Auch für die Annahme einer Berufskrankheit iSd. § 9 SGB VII bietet der Sachvortrag der Parteien keine hinreichenden Anhaltspunkte. Es liegt weder eine in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommene Krankheit (§ 9 Abs. 1 SGB VII) noch eine vom Unfallversicherungsträger wie eine Berufskrankheit anerkannte Krankheit vor (§ 9 Abs. 2 SGB VII).
2. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht Ansprüche der Klägerin aus dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung mangels schuldhafter Pflichtverletzung des Beklagten verneint.
a) Der Beklagte hat die gesundheitlichen Schäden der Klägerin nicht schuldhaft verursacht, als er im Juli 1995 die Klägerin anwies, täglich etwa eine halbe Stunde Aufräumarbeiten in der Obst- und Gemüseabteilung durchzuführen. Diese Arbeiten gehören zu den vertragsgemäßen Aufgaben einer Verkäuferin. Der Beklagte war als Filialleiter verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Verkäuferinnen gemäß den betrieblichen Möglichkeiten gleichmäßig zu den Aufräumarbeiten eingesetzt wurden. Für den Beklagten bestanden zunächst keine Anhaltspunkte dafür, daß diese Arbeiten die Klägerin gesundheitlich schädigen könnten.
b) Auch als nach zwei bis drei Tagen die Klägerin dem Beklagten ihre Schmerzen im Arm mitteilte und um Entbindung von der Aufräumtätigkeit bat, war der Beklagte nicht verpflichtet, die Klägerin sofort von der Aufräumpflicht zu befreien.
Eine sofortige Freistellung von den Aufräumarbeiten wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Eintritt einer Gesundheitsverletzung gesprochen hätte. Für den Beklagten gab es indessen in der konkreten Situation keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Bestehen einer akuten Gesundheitsgefahr. Ein aufmerksamer und besonnener Marktleiter mußte in der konkreten Situation nicht von einer großen Gesundheitsgefahr ausgehen. Die Klägerin hat erst, nachdem sie die Arbeiten bereits dreimal erledigt hatte, beim Beklagten vorgesprochen und seiner Anweisung, die Arbeiten fortzuführen, widerspruchslos Folge geleistet. Selbst die Klägerin hält eine sofortige Freistellung von den Aufräumarbeiten nicht für die damals gebotene Verfahrensweise.
c) Zu Unrecht meint die Klägerin, die Arbeitgeberin und der Beklagte als deren Erfüllungsgehilfe hätten sofort ärztliche Untersuchungen veranlassen müssen, als sie sich beschwerte, daß die Aufräumarbeiten bei ihr Schmerzen und gesundheitliche Schädigungen zur Folge hätten. Es bestand nicht einmal ansatzweise der Verdacht, betrieblich veranlaßte Tätigkeiten hätten gesundheitliche Schädigungen bei der Klägerin hervorgerufen. Ein schuldhaftes Herbeiführen solcher Gesundheitsschäden durch den Beklagten kann daher nicht angenommen werden.
Die damit angesprochene Frage einer Informations- und Prüfungspflicht, ob die Klägerin in der Folgezeit von den Aufräumarbeiten hätte freigestellt werden müssen, scheitert entgegen der Auffassung des Beklagten aber nicht schon daran, daß nicht er, sondern allenfalls die Arbeitgeberin befugt gewesen wäre, einen Arzt, insbesondere den Betriebsarzt einzuschalten. Dieser Umstand hätte lediglich zur Folge, daß sich für den Beklagten der Inhalt einer etwaigen Informations- und Prüfungspflicht auf eine entsprechende Anregung und gegebenenfalls Nachfrage gegenüber der Arbeitgeberin beschränkt hätte.
In der Regel ist allerdings ein Arbeitgeber bzw. ein Vorgesetzter nicht verpflichtet, ärztliche Untersuchungen zu veranlassen, wenn ein Arbeitnehmer in seiner Person liegende gesundheitliche Bedenken gegen die ihm abverlangten arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeiten erhebt. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend annimmt, ist es grundsätzlich Sache des Arbeitnehmers, einen Arzt aufzusuchen und den Arbeitgeber über arbeitsplatzbezogene ärztliche Bewertungen zu informieren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber bzw. ein Vorgesetzter keine Veranlassung hat, eine gesundheitsbeeinträchtigende Wirkung der angewiesenen Arbeit anzunehmen, wie hier. Das folgt aus der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Interessen. Für eine Informations- und Prüfungspflicht spricht zwar, daß es um den Schutz eines gewichtigen Rechtsguts – die Gesundheit der Klägerin – geht und die vom Beklagten geforderte Handlung nicht als eine erhebliche Beschränkung seiner Handlungsfreiheit bewertet werden kann. Andererseits würde aber die Anerkennung einer Informations- und Prüfungspflicht des Beklagten für die Klägerin zwangsläufig eine Mitwirkungsobliegenheit begründen, die ebenfalls bedeutende Persönlichkeitsrechte ihrerseits, nämlich das Recht auf freie Arztwahl und des Schutzes der Intimsphäre nicht nur gefährdet, sondern konkret beeinträchtigt. Ferner kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Klägerin ihr gesundheitliches Befinden und damit die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts jedenfalls besser als der Beklagte beurteilen kann und außerdem persönliche Eigenheiten auf Seiten der Klägerin für eine Gesundheitsschädigung ursächlich sein können. Dieser Gesichtspunkt verbunden mit dem Umstand, daß die Klägerin Trägerin der angesprochenen Rechtsgüter ist, spricht entscheidend gegen eine solche generelle Informations- und Prüfungspflicht des Beklagten. Es gehört zum Verantwortungsbereich der Klägerin, die Gefahrensituation einzuschätzen und zu beurteilen, welches Gewicht sie den zu ihrer Disposition stehenden Rechtsgütern beimißt. Demgemäß mußte sie in der damaligen Situation selbst eine Entscheidung über die Notwendigkeit eines Arztbesuches und die Mitteilung arbeitsplatzbezogener ärztlicher Verhaltensmaßregeln treffen. Ob deren Berücksichtigung nur bei Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung – so das Landesarbeitsgericht – zu erfolgen hätte oder die bloße Berufung des Arbeitnehmers auf ärztliche Feststellungen sowie arbeitsplatzbezogener ärztlicher Verhaltensanordnungen genügt, bedarf keiner Entscheidung. Die Klägerin hat sich zum damaligen Zeitpunkt nicht auf ärztliche Erklärungen berufen.
d) Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß der Beklagte mit seinen Weisungen an die Klägerin ab deren Wiederaufnahme der Arbeit am 20. September 1995 nicht gegen die Atteste vom 15. September 1995 und 25. Oktober 1995 verstieß. Eine schuldhafte Herbeiführung eines Gesundheitsschadens liegt also auch insofern nicht vor.
Es gehörte zu den Pflichten des Beklagten als Marktleiter, der Klägerin keine Arbeiten zuzuweisen, die sie nach den vorgelegten ärztlichen Attesten nicht ausführen durfte. Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte weder gegen die Empfehlung des Attests vom 15. September 1995, die Klägerin solle keine Gegenstände mit einem Gewicht über 10 kg heben, noch gegen das Verbot des Attests vom 25. Oktober 1995 verstoßen, die Klägerin dürfe keine schweren Obst- und Gemüsekisten rangieren. Eine ärztlich gebotene Beschränkung der Arbeiten der Klägerin auf bloße Kassiertätigkeiten ist den Attesten nicht zu entnehmen und wäre für den Fall leichter Aufräumtätigkeiten auch nicht verständlich. Es entspricht dem Tätigkeitsbild einer Verkäuferin/Kassiererin, die entsprechenden Aufräumarbeiten auszuführen. Die Grenzen des Direktionsrechts sind nicht überschritten. Zu berücksichtigen ist dabei, daß dem Beklagten auf seine Nachfrage in der Personalabteilung der Arbeitgeberin mitgeteilt worden ist, die Klägerin könne die üblichen Kassierer- und Verkäuferinnentätigkeiten ausführen.
Im übrigen hat die Klägerin selbst vorgetragen, sie habe die den ärztlichen Attesten widersprechenden Weisungen des Beklagten gar nicht befolgt und andere Arbeiten als Kassentätigkeiten verweigert. Hierfür sprechen auch die vorgelegten Abmahnungen, in denen kein Fall aufgeführt ist, wonach die Klägerin eine den Attesten widersprechende schwere Aufräumarbeit verweigert hätte. Damit fehlt es nach Vorlage der ärztlichen Atteste jedenfalls an einem Kauselzusammenhang zwischen den Weisungen des Beklagten und den Gesundheitsschäden der Klägerin. Aus diesen Gründen kommt es auch nicht auf die Beweisanträge der Klägerin an, wonach Zeugen bekunden würden, der Beklagte habe die Klägerin in Kenntnis der vorgelegten Atteste zu Aufräumarbeiten angewiesen, die diesen Attesten widersprächen. Denn auch in diesem Falle bliebe es dabei, daß die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag diese Weisungen nicht befolgte und deshalb keinen Gesundheitsschaden durch das Verhalten des Beklagten erleiden konnte.
e) Soweit die Klägerin geltend macht, die Weisungen des Beklagten hätten sie, auch wenn sie diese nicht befolgt habe, nervlich geschädigt und schließlich zu ihrer psychischen Erkrankung geführt, hat die Klage auch insoweit keinen Erfolg. Ein Verschulden des Beklagten ist insoweit bereits mangels Voraussehbarkeit der psychischen Gesundheitsverletzung der Klägerin zu verneinen.
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der Beklagte habe sie bewußt schikaniert. Für ein solches „Mobbing” bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Der Beklagte hat die Klägerin zu ihren arbeitsvertraglichen Pflichten angehalten, wie es seiner Aufgabe als Filialleiter entsprach. Er hatte sich in der Personalabteilung erkundigt, ob die Klägerin die üblichen Kassierer- und Verkäuferinnentätigkeiten erledigen könne. Diese Anfrage wurde von der Personalabteilung bejaht. Später wurden die Weisungen für die Aufräumarbeiten entsprechend den vorgelegten Attesten reduziert. Für den Beklagten gab es keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß eine psychische Erkrankung der Klägerin drohte. Auch die vorgelegten ärztlichen Atteste enthielten keine Hinweise, die auf eine mangelnde nervliche Belastbarkeit und besondere psychische Labilität der Klägerin aufmerksam machten. Auch insoweit war es grundsätzlich Sache der Klägerin, durch Vorlage entsprechender ärztlicher Atteste auf eine drohende Erkrankung bei Ausführung von Aufräumarbeiten hinzuweisen.
3. Besteht nach diesen Ausführungen kein Anspruch der Klägerin, kommt es auf die Wirkungen des gerichtlichen Vergleichs, insbesondere auf dessen Ausgleichsklausel, in dem Rechtsstreit der Klägerin mit der Arbeitgeberin, der R. OHG nicht an. Es kann daher dahinstehen, ob dieser Vergleich wegen des Freistellungsanspruchs im Verhältnis des Beklagten zur R. OHG als seiner Arbeitgeberin zu beachten wäre.
III. Die Klägerin hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Hauck, Dr. Wittek, Breinlinger, Mache, Scholz
Fundstellen
Haufe-Index 744933 |
DB 2002, 1508 |
NWB 2002, 2344 |
ARST 2002, 250 |
FA 2002, 251 |
FA 2002, 273 |
NZA 2002, 871 |
ZAP 2002, 978 |
ZTR 2002, 442 |
AuA 2002, 478 |
EzA-SD 2002, 9 |
EzA |
PERSONAL 2002, 46 |
ZfPR 2003, 82 |
NJOZ 2002, 1929 |