Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorübergehende Übertragung höherwertiger Tätigkeit. Eingruppierung öffentlicher Dienst. Tarifrecht öffentlicher Dienst
Orientierungssatz
- Es kann billigem Ermessen iSv. § 315 BGB entsprechen, einem Angestellten eine höherwertige Tätigkeit nur vorübergehend zu übertragen (§ 24 BAT), weil diese auf Dauer einem noch nicht zur Verfügung stehenden Beamten übertragen werden soll.
- Im Wiederholungsfall steigen die Anforderungen an die Gründe für eine solche Anordnung. Diese bedarf dann insoweit einer näheren Begründung des Arbeitgebers.
Normenkette
BAT §§ 24, 23, 22; Anlage 1a zum BAT VergGr. VII und VergGr. Vb; BGB § 315
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin ab dem 1. August 2000 Anspruch auf Vergütung nach VergGr. Vb BAT hat. Dabei geht es darum, ob das beklagte Land der Klägerin eine höherwertige Tätigkeit nur vorübergehend zuweisen durfte oder ob sie der Klägerin auf Dauer zusteht.
Die am 24. Februar 1963 geborene Klägerin ist seit dem 17. August 1981 beim beklagten Land als Angestellte in dessen Versorgungsverwaltung (Versorgungsamt S.) beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis gilt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Bundes-Angestelltentarifvertrag in der für die Bereiche des Bundes und der Länder geltenden Fassung (BAT).
Die Klägerin war zunächst als Verwaltungsangestellte im Schreibdienst und als Simultandolmetscherin eingesetzt und wurde nach VergGr. VIII BAT vergütet. Seit dem 1. Februar 1983 erhält sie die Vergütung nach VergGr. VII BAT. Von Oktober 1992 bis Oktober 1994 nahm die Klägerin mit gutem Erfolg an einer Fortbildungsmaßnahme für Angestellte mit der inhaltlichen Ausrichtung auf einen künftigen Einsatz in Tätigkeiten des mittleren Dienstes teil. Vom 23. Januar 1995 bis 24. Juli 1995 wurde die Klägerin, deren Nachname seinerzeit N. lautete, mit Erfolg in die Aufgaben einer Bearbeiterin beim Versorgungsamt S. eingearbeitet. Hiermit hatte das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen mit Schreiben vom 4. Januar 1995 an das Versorgungsamt S. sein Einverständnis erklärt. In dem Schreiben heißt es ua.:
“Ich bin damit einverstanden, daß Sie den Angestellten N. und … nach entsprechender Einarbeitung die Tätigkeit einer Bearbeiterin unter gleichzeitiger Gewährung einer persönlichen Zulage gemäß § 24 Abs. 1 BAT zunächst zum Zwecke der Erprobung und anschließend im Hinblick auf die Neuorganisation der Versorgungsämter weiterhin vorübergehend, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 1995, übertragen.
Ich bitte, die Angestellten darüber zu unterrichten, daß die Übertragung der Tätigkeit für die Dauer nur nach Maßgabe freier und besetzbarer Stellen und – im Hinblick auf die Neuorganisation der Versorgungsverwaltung – auf Dauer besetzbarer Dienstposten erfolgen kann …”
Seit dem 25. Juli 1995 wird die Klägerin zunächst als Rentenbearbeiterin und – nach einer im wesentlichen im Februar 1996 abgeschlossenen Neuorganisation der Rentenabteilung des Versorgungsamtes – als Sachbearbeiterin in der Abteilung 3 (Schwerbehindertengesetz) eingesetzt. Die Abteilung 3 – eine von fünf Abteilungen des Versorgungsamts S. – besteht (Stand: 3/2001) aus sechs sogenannten Schwerbehindertengesetz-Gruppen (SchwbG-Gruppen). Der Abteilung steht ein Abteilungsleiter vor. Die SchwbG-Gruppen setzen sich aus je einem Gruppenleiter, zwei bis drei Sachbearbeitern gehobener Dienst, fünf Sachbearbeitern mittlerer Dienst sowie drei bis sechs Assistenzkräften zusammen. Daneben sind in der Abteilung noch zwei Schreibkräfte tätig. Die Stellen sind zum Teil mit Angestellten, zum Teil mit Beamten besetzt.
Die Tätigkeiten der Rentenbearbeiterin und diejenige der Sachbearbeiterin in der Abt. 3 entsprechen nach der übereinstimmenden Auffassung der Parteien den Anforderungen der Fallgr. 1a der VergGr. Vc des Allgemeinen Teils (Teil I) der Anlage 1a zum BAT. Ab dem 1. Juli 1995 erhält die Klägerin eine persönliche Zulage nach § 24 Abs. 3 BAT in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den VergGr. Vc und VII BAT.
Dem Einsatz der Klägerin seit Ende Juli 1995 liegen vier Übertragungsverfügungen des Versorgungsamtes S. zugrunde. Zunächst wurde ihr mit Schreiben vom 25. Juli 1995 ua. mitgeteilt:
“… mit sofortiger Wirkung übertrage ich Ihnen vorübergehend und jederzeit widerruflich zum Zwecke der Erprobung die den Merkmalen der Vergütungsgruppe Vc – Fallgruppe 1a – BAT des Teils I der Anlage 1a zum BAT entsprechende Tätigkeit einer Rentenbearbeiterin.
Gleichzeitig gewähre ich Ihnen ab 1.7.1995 eine persönliche und jederzeit widerrufliche Zulage unter den Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 BAT …”
Unter dem 21. Dezember 1995 schrieb das beklagte Land an die Klägerin:
“… Seit dem 25.7.1995 sind Sie zum Zwecke der Erprobung als Rentenbearbeiterin eingesetzt.
Nach dem Ergebnis meiner jetzt durchgeführten Überprüfung haben Sie sich in der höherwertigen Tätigkeit bewährt.
Ich erkläre Ihre Erprobung daher als für beendet und übertrage Ihnen mit sofortiger Wirkung vorübergehend unter Gewährung einer persönlichen und jederzeit widerruflichen Zulage nach § 24 Abs. 1 BAT die den Merkmalen der Vergütungsgruppe Vc – Fallgruppe 1a – BAT entsprechende Tätigkeit einer Sachbearbeiterin des mittleren Dienstes in einer Rentengruppe – zukünftig SchwbG-Gruppe. Der vertretungsweise Einsatz dauert längstens bis zum 31.7.1997, dem Ende der Ausbildung des Reg.-Assistentenanwärters M. S.”
Herr S. ist inzwischen als Beamter im mittleren Dienst beim beklagten Land tätig.
Mit Schreiben vom 23. Juli 1997 wurde der Klägerin mitgeteilt:
“… Ihren vorübergehenden Einsatz nach § 24 Abs. 1 BAT auf einem Sachbearbeiter-Dienstposten des mittleren Dienstes in einer SchwbG-Gruppe verlängere ich über den 31.07.1997 hinaus.
Der vorübergehende Einsatz erfolgt längstens bis 31.07.1999, dem Ende der Ausbildung des ab dem 01.08.1997 zugehenden Regierungsassistentenanwärters S. T. …”
Herr T. ist nach Beendigung seiner Ausbildung als Sachbearbeiter im mittleren Dienst beim Versorgungsamt S. eingesetzt.
Schließlich ordnete das beklagte Land mit Schreiben vom 20. April 1999 an:
“… Ihren höherwertigen Einsatz nach § 24 BAT auf einem Sachbearbeiter-Dienstposten des mittleren Dienstes in einer SchwbG-Gruppe verlängere ich über den 31.07.1999 hinaus.
Ihr weiterer Einsatz erfolgt ab sofort vertretungsweise im Sinne des § 24 Abs. 2 BAT für die Zeit bis voraussichtlich 30.09.2001 zur Vertretung der Angestellten S. S., SchwbG-Sachbearbeiterin, für die Dauer des Erziehungsurlaubs …”
Mit ihrer Klage erstrebt die Klägerin die Feststellung eines Anspruchs auf Vergütung nach VergGr. Vb BAT seit dem 1. August 2000. Sie hat die Auffassung vertreten, das beklagte Land habe ihr die Sachbearbeitertätigkeit rechtsmißbräuchlich nur vorübergehend bzw. zuletzt vertretungsweise übertragen. Sie nehme keine Vertretungstätigkeit, sondern eine Daueraufgabe wahr. Dies ergebe sich ua. daraus, daß das beklagte Land nunmehr – wie eine Verfügung des Landesversorgungsamtes vom 9. März 2000 zeige – ein rollierendes System der Vertretung favorisiere. Da sie zumindest seit dem 1. August 1997 auf Dauer und ununterbrochen eine der VergGr. Vc (Fallgr. 1a) BAT entsprechende Tätigkeit ausübe und sich in dieser Tätigkeit bewährt habe, sei sie ab dem 1. August 2000 in der VergGr. Vb eingruppiert.
Die Klägerin hat – zuletzt – beantragt
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin seit dem 1. August 2000 aus der VergGr. Vb BAT des Teils I der Anlage 1a zum BAT zu vergüten.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, die vorübergehende Tätigkeitsübertragung sei wirksam. Die Erprobung eines Angestellten, das Freihalten einer Stelle während der Ausbildung eines für die Stelle vorgesehenen Beamten und die Vertretung einer Angestellten im Erziehungsurlaub seien als Gründe für die vorübergehende bzw. vertretungsweise Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit iSd. § 24 Abs. 1 und 2 BAT anerkannt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes unter Neufassung des Tenors entsprechend dem zuletzt gestellten Klageantrag zurückgewiesen und die Revision für das beklagte Land zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist begründet.
Der als Eingruppierungsfeststellungsklage zulässigen Klage kann mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung nicht stattgegeben werden. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
- Für das Arbeitsverhältnis gelten auf Grund beiderseitiger Tarifgebundenheit gem. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend die Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT).
Danach setzt die von der Klägerin erstrebte Eingruppierung voraus, daß bei ihr zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die jeweils für sich genommen die Anforderungen mindestens eines Tätigkeitsmerkmals der von ihr für sich in Anspruch genommenen VergGr. Vb BAT erfüllen (§ 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 BAT). Dabei kommt es auf die von der Klägerin nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit an (§ 22 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT).
Die der Klägerin übertragene Sachbearbeitertätigkeit entspricht den Anforderungen der VergGr. Vc Fallgr. 1a des Allgemeinen Teils der Anlage 1a zum BAT. Diese Bewertung ist zwischen den Parteien ebensowenig umstritten wie die Bewährung der Klägerin in dieser Tätigkeit, die nach dreijähriger Dauer zur Vergütung nach VergGr. Vb BAT (Fallgr. 1c) führt. Dies war entsprechend den Grundsätzen zur Überprüfung einer Eingruppierung bei korrigierender Rückgruppierung (vgl. BAG 16. Februar 2000 – 4 AZR 62/99 – BAGE 93, 340 ff., 357) zugrunde zu legen.
Das Landesarbeitsgericht hat – zusammengefaßt – angenommen, die Tätigkeit als Rentenbearbeiterin bzw. als Sachbearbeiterin sei von der Klägerin nicht nur vorübergehend auszuüben gewesen, sondern auf Dauer (vgl. § 22 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT), weil für die Zeit ab dem 21. Dezember 1995 (bis zum 20. April 1999) kein sachlicher Grund dafür vorgelegen habe, der Klägerin diese Tätigkeit, in der sie sich seit dem vorgenannten Zeitpunkt bewährt habe, nur vorübergehend zu übertragen. Dies hält der Revision nicht stand.
- Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, das beklagte Land habe der Klägerin die Tätigkeit als Rentenbearbeiterin bzw. als Sachbearbeiterin ausdrücklich nicht auf Dauer, sondern jeweils nur vorübergehend bzw. zur Vertretung übertragen. Etwas anderes behauptet auch die Klägerin nicht, die die Übertragungen selbst nicht beanstandet.
- Bei seiner rechtlichen Prüfung, ob es rechtens war, diese höherwertige Tätigkeit nur vorübergehend zu übertragen, ist das Landesarbeitsgericht – auch – von der bisherigen Rechtsprechung des Senats ausgegangen. Danach galt eine vorübergehend übertragene Tätigkeit als auf Dauer übertragen, wenn die Gestaltungsmöglichkeit des § 24 BAT rechtsmißbräuchlich verwendet worden sei. Rechtsmißbrauch lag nach dieser Rechtsprechung vor, wenn die vorübergehende Übertragung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sei (5. Juli 1967 – 4 AZR 162/66 – und 11. Oktober 1967 – 4 AZR 448/66 – AP TVG § 1 Tarifverträge: BAVAV Nrn. 10, 11; 25. Oktober 1967 – 4 AZR 12/67 – AP BAT § 24 Nr. 1; 5. September 1973 – 4 AZR 549/72 – AP BAT § 24 Nr. 2). Fehle es an einer sachlichen Rechtfertigung, sei der Angestellte vom Beginn der Übertragung der höherwertigen Tätigkeit an so zu behandeln, als sei ihm diese auf Dauer zugewiesen (10. Februar 1988 – 4 AZR 585/87 – AP BAT § 24 Nr. 15 mwN; 16. Januar 1991 – 4 AZR 301/90 – BAGE 67, 59; 26. März 1997 – 4 AZR 604/95 – ZTR 1997, 413). Es bestehe aber hinsichtlich der tatsächlichen Rechtfertigung ein verhältnismäßig großer Beurteilungsspielraum sowohl des Arbeitgebers als auch der Tatsacheninstanz (15. Februar 1984 – 4 AZR 595/82 – AP BAT § 24 Nr. 8).
Diese Rechtsprechung zur Rechtsmißbrauchskontrolle bei der Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit für einen vorübergehenden Zeitraum hat der Senat nach nochmaliger Prüfung in mehreren Entscheidungen vom 17. April 2002 aufgegeben. Vielmehr muß der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung, ob er kraft seines Direktionsrechts die Übertragung der höherwertigen Tätigkeit nur vorübergehend vornimmt, entsprechend § 315 BGB billiges Ermessen walten lassen. Der Senat hat diese Rechtsprechungsänderung und die Grundsätze für die Ermessensprüfung bei der Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit nach § 24 BAT in der Entscheidung in der Sache – 4 AZR 174/01 – (zur Veröffentlichung vorgesehen ≪zVv.≫) im wesentlichen wie folgt begründet:
- Die zur Befristung von Arbeitsverträgen zunächst von der Rechtsprechung aufgestellten (grundlegend: BAG 12. Oktober 1960 – GS 1/59 – BAGE 10, 65) und – mit Modifikationen – in das Gesetz übernommenen Grundsätze (vgl. zur Entwicklung: Dörner in ArbR BGB 2. Aufl. § 620 Rn. 9 bis 27 mwN) können aus rechtlichen Erwägungen nicht zur Kontrolle der rechtlichen Zulässigkeit der vorübergehenden oder vertretungsweisen (zusammenfassend: interimistischen) Übertragung einer (tariflich) höherwertigen Tätigkeit herangezogen werden. Bei der Befristung eines Arbeitsvertrages geht es stets darum, daß gesetzlicher Kündigungsschutz umgangen werden kann. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedarf in Folge seiner Befristung keiner Kündigung; dieser Umstand hindert das Eingreifen jeglichen gesetzlichen Kündigungsschutzes. Der gesetzliche Kündigungsschutz wächst dem Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis auf (unbestimmte) Dauer ohne weiteres zu. Der Bestand des Arbeitsvertrages selbst wird hierdurch gestützt. Ähnlich verhält es sich bei der Befristung einzelner Arbeitsvertragsbedingungen; auch insoweit kann der gesetzliche Schutz gegen Änderungskündigungen umgangen werden (vgl. Dörner in ArbR BGB 2. Aufl. § 620 Rn. 45 f.).
Um Fragen des Schutzes des Bestandes oder des Inhalts des Arbeitsvertrages oder des Arbeitsverhältnisses durch den gesetzlichen Schutz gegenüber Beendigungskündigungen oder auch nur gegenüber Änderungskündigungen geht es indessen nicht, wenn dem Arbeitnehmer im Rahmen des Direktionsrechts interimistisch eine höherwertige Tätigkeit übertragen wird. Denn der Inhalt und der Bestand des Arbeitsvertrages werden durch Maßnahmen, die sich im Rahmen des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts halten, gerade nicht berührt. Vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der vorübergehenden oder vertretungsweisen Übertragung einer anders bewerteten Tätigkeit an den Regeln zu messen, die der Arbeitgeber bei der Ausübung seines arbeitsvertraglichen Leistungsbestimmungsrechts (Direktionsrechts) entsprechend § 315 Abs. 1 BGB grundsätzlich einzuhalten hat. Die Ausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber hat billigem Ermessen zu entsprechen (BAG 17. Dezember 1997 – 5 AZR 332/96 – BAGE 87, 311).
- Im Fall der interimistischen Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit kommt es im ersten Schritt darauf an, ob es billigem Ermessen entspricht, dem Arbeitnehmer die anders bewertete Tätigkeit überhaupt, wenn auch nur vorübergehend zu übertragen. In einem zweiten Schritt ist, wenn die Übertragung von Anfang an oder auch erst nach einer bestimmten Zeit mit einer höheren Vergütung oder einer interimistischen Zulage verbunden ist, zu prüfen, ob es billigem Ermessen entspricht, diese Tätigkeit nur vorübergehend zu übertragen. Dabei ist unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls abzuwägen, ob das Interesse des Arbeitgebers daran, die Tätigkeit nur vorübergehend zu übertragen, oder das Interesse des Arbeitnehmers an der Beibehaltung der höherwertigen Tätigkeit und – falls damit verbunden – auch der besseren Bezahlung überwiegt. Insgesamt ist damit eine “doppelte” Billigkeitsprüfung geboten. Die Billigkeitskontrolle bezieht sich bei vorübergehenden Übertragungen höherwertiger Tätigkeit auf zahlreiche Angestellte in einer Verwaltung sowohl auf das Gesamtkonzept als auch auf die einzelnen personenbezogenen Übertragungsverfügungen. Die Umstände für die einzelnen vorübergehenden Übertragungen höherwertiger Tätigkeit vor dem Hintergrund des Gesamtkonzepts müssen deutlich werden. Handelt es sich um eine Übertragung höherwertiger Tätigkeit außerhalb eines bestehenden zu vollziehenden und ausgeführten Gesamtkonzepts, so muß das deutlich werden.
- Entspricht die vorübergehende Übertragung der Tätigkeit nicht billigem Ermessen, so erfolgt die Bestimmung der “Leistung” entsprechend § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch eine richterliche Entscheidung. Sie kann bei der interimistischen Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit – je nachdem, worin die Unbilligkeit liegt – darin bestehen, daß die Übertragung der Tätigkeit nicht als nur vorübergehend, sondern als auf Dauer vorgenommen erklärt wird oder die zeitliche Dauer anders bestimmt wird. Eine solche Bestimmung kann im Eingruppierungsrechtsstreit inzident vorgenommen werden. Die Beweislast dafür, daß die Ausübung des Direktionsrechts billigem Ermessen entspricht, trägt derjenige, der das Leistungsbestimmungsrecht ausübt (BAG 16. September 1998 – 5 AZR 183/97 – AP BAT-O § 24 Nr. 2 = EzA BGB § 315 Nr. 49; 17. Dezember 1997 – 5 AZR 332/96 – BAGE 87, 311).
Diese Grundsätze gelten insbesondere im Rahmen der vorübergehenden (§ 24 Abs. 1 BAT/BAT-O) oder vertretungsweisen (§ 24 Abs. 2 BAT/BAT-O) Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit. Die §§ 22, 23 und 24 BAT regeln nach ihren Wortlauten die Vergütungsfolgen für auszuübende Tätigkeiten. § 22 BAT regelt die Eingruppierung/Vergütung bei dauerhaft auszuübender Tätigkeit; § 23 BAT regelt die Eingruppierung/Vergütung bei dauerhafter Änderung der Tätigkeit ohne tätigkeitszuweisende Maßnahme des Arbeitgebers; § 24 BAT regelt die Vergütung bei vorübergehend übertragener – höherwertiger – Tätigkeit. § 22 BAT ist die Regel. §§ 23, 24 BAT sind Vorschriften für von der Regel abweichende Fälle.
In § 24 Abs. 1 BAT haben die Tarifvertragsparteien geregelt, in welchen Fällen und in welchem Umfang Ansprüche auf Seiten des Angestellten entstehen, wenn ihm der Arbeitgeber vorübergehend eine andere Tätigkeit überträgt, die einem oder mehreren Tätigkeitsmerkmalen einer höheren als seiner Vergütungsgruppe entspricht. § 24 Abs. 2 bestimmt entsprechendes für den Fall der vertretungsweisen Übertragung.
§ 24 BAT setzt für die vorübergehende und vertretungsweise Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit die Möglichkeit einer solchen Maßnahme in Ausübung des Direktionsrechts voraus und gestaltet diese Maßnahme insoweit, als er für die Merkmale “vorübergehend” (Abs. 1) bzw. “vertretungsweise” (Abs. 2) einerseits so gut wie keine Zeitgrenzen errichtet, andererseits jedoch die Zahlung von Zulagen (in Höhe des Unterschiedsbetrages der Vergütungsgruppen – vgl. § 24 Abs. 3 BAT) anordnet.
- Wird demselben Angestellten dieselbe oder eine gleichermaßen höherwertige Tätigkeit mehrmals nacheinander vorübergehend oder vertretungsweise übertragen, so unterliegt jeder dieser Übertragungsakte der gerichtlichen Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 BGB. Der Angestellte ist nicht gehalten, einen Vorbehalt hinsichtlich jeder einzelnen vorübergehenden Übertragung höherwertiger Tätigkeit zu erklären. Das folgt schon daraus, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, an der er festhält, bei der Anwendung des § 24 BAT eine zeitliche Grenze für die vorübergehende Übertragung der höherwertigen Tätigkeit nicht besteht (zB 25. Oktober 1967 – 4 AZR 12/67 – AP BAT § 24 Nr. 1; 8. Juni 1983 – 4 AZR 608/80 – BAGE 43, 65; 15. Februar 1984 – 4 AZR 595/82 – AP BAT § 24 Nr. 8 mwN). Ist bei auch nur einer dieser mehreren interimistischen Übertragungen billiges Ermessen hinsichtlich dessen, daß die Übertragung nicht auf Dauer erfolgte, nicht gewahrt, so kann dies zur Folge haben, daß diese Übertragung kraft richterlicher Entscheidung entsprechend § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB als auf Dauer erfolgt anzusehen ist. Ob die zeitlich nachfolgenden interimistischen Übertragungen derselben oder einer gleichermaßen höherwertigen Tätigkeit ihrerseits billigem Ermessen genügen, ist rechtlich unerheblich, wenn die vorherige Übertragung als auf Dauer erfolgt anzusehen ist. Dieser Rechtsauffassung hat sich das beklagte Land mittlerweile angeschlossen.
Nach diesen Grundsätzen entsprechen die Übertragungsanordnungen des beklagten Landes vom 25. Juli 1995, vom 21. Dezember 1995 und vom 20. April 1999 billigem Ermessen iSv. § 315 BGB, während dies für die Übertragungsanordnung vom 23. Juli 1997 auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht beurteilt werden kann.
- Die Übertragung der höherwertigen Tätigkeit auf die Klägerin für die Zeit vom 25. Juli 1995 bis 20. Dezember 1995 erfolgte zur Erprobung der Klägerin in einem neuen Aufgabengebiet. Die Prüfung der Eignung eines Angestellten ist ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, die höherwertige Tätigkeit nur für einen begrenzten Zeitraum zu übertragen, welches das Interesse des Arbeitnehmers, diese auf Dauer zu behalten, überwiegt. Die knapp fünfmonatige Erprobungzeit ist angemessen (Senat 18. Juni 1997 – 4 AZR 728/95 – AP BAT-O § 24 Nr. 1 mwN). Die Tatsache, daß die Klägerin bereits vor der Übertragung zu Erprobungszwecken in der Zeit vom 23. Januar 1995 bis 24. Juli 1995 in die Tätigkeit eingearbeitet worden ist, läßt das Interesse des beklagten Landes an ihrer Erprobung nicht unbillig erscheinen. Denn eine Einarbeitungszeit ist in aller Regel durch eine Tätigkeit unter Anleitung und Aufsicht geprägt, während eine sich daran anschließende Erprobungsphase Aufschluß darüber gibt, ob der Arbeitnehmer befähigt ist, die übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich zu bewältigen.
Auch die Tätigkeitsübertragung ab dem 21. Dezember 1995 bis zum 31. Juli 1997 ist wirksam nicht dauerhaft erfolgt.
- Als Grund für die “vorübergehende” Übertragung der höherwertigen Tätigkeit ist in der Übertragungsanordnung “der vertretungsweise Einsatz” bis zum Ende der Ausbildung des Regierungsassistentenanwärters S. genannt. Die Anordnung hat jedoch nicht die Übertragung einer Vertretung im eigentlichen Sinne zum Inhalt. Um eine solche handelt es sich nur dann, wenn der eigentliche Arbeitsplatzinhaber vorübergehend die ihm dauernd übertragene Tätigkeit nicht wahrnimmt (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Stand März 2002 § 24 Rn. 53). Ist die Stelle, auf der der Angestellte beschäftigt wird, noch nicht besetzt, liegt kein Vertretungsfall vor. Daher ist vom Arbeitgeber kein Kausalzusammenhang zwischen der Tätigkeit des Angestellten, der vorübergehend eingesetzt worden ist, und der nach dem Zugang vom Beamtenanwärter zu erbringenden Tätigkeit darzulegen. Zu prüfen ist die Zuordnung des vorübergehenden Einsatzes des Angestellten zu der freizuhaltenden Stelle im Zeitpunkt der Übertragung. Hierzu hat der Arbeitgeber vorzutragen. An der Zuordnung des vorübergehenden Einsatzes des Angestellten zu der freizuhaltenden Stelle zum Zeitpunkt der Übertragungsverfügung bestehen zB Zweifel, wenn der Arbeitgeber die vorübergehenden Übertragungen an mehrere vollbeschäftigte Angestellte für dieselbe Zeit mit dem Freihalten der Stelle für denselben zugehenden Beamtenanwärter begründet.
- Die generelle Entscheidung des beklagten Landes, bestimmte Stellen nur mit Beamten zu besetzen und sie daher bis zum Zugang von Beamtenanwärtern freizuhalten, ist grundsätzlich hinzunehmen. Für eine solche Organisationsentscheidung kann es plausible Gründe geben wie zB die leichtere Versetzbarkeit von Beamten im Vergleich zu Angestellten, die häufig gegebene vielseitigere Einsetzbarkeit von Beamten, zB auf Grund einer breiteren Ausbildung, oder auch die Verfügbarkeit von Beamten im Falle eines Streiks. Diese Entscheidung schränkt letztlich die Ermessensentscheidung der einzelnen Versorgungsämter bei der Disposition über die Stellen ein. Es muß aber nachvollziehbar dargelegt sein, daß eine solche Entscheidung getroffen worden ist. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß im Einzelfall die Organisationsentscheidung rechtsmißbräuchlich ist. Dafür muß der Angestellte Gründe vortragen. Wird der vorübergehende Einsatz des Angestellten auf einer für einen zugehenden Beamtenanwärter freizuhaltenden Stelle nicht mit einer generellen Organisationsentscheidung begründet, ist zu prüfen, ob die Einzelentscheidung, die Stelle nur mit einem Beamten dauerhaft zu besetzen, billigem Ermessen iSv. § 315 BGB entspricht. Der Arbeitgeber muß also seine Interessen offenlegen, die Stelle für einen Beamten freihalten zu wollen. Diese sind mit dem Interesse des Angestellten, die ihm nur vorübergehend übertragene Tätigkeit dauerhaft auszuüben, abzuwägen.
- Die vorübergehende Übertragung der höherwertigen Tätigkeit für die Zeit vom 21. Dezember 1995 bis zum 31. Juli 1997 ist nach diesen Grundsätzen wirksam erfolgt. Wenn ein anderer namentlich bekannter Beschäftigter – hier der Regierungsassistentenanwärter S. – für die Stellenbesetzung erst später zur Verfügung steht, zB weil er sich, wie hier, noch in der Ausbildung befindet, so ist der zeitlich begrenzte Einsatz eines anderen Beschäftigten auf dieser Stelle plausibel. Er entspricht den Grundsätzen der Billigkeit.
Anders kann es sich hingegen bei der Tätigkeitsübertragung vom 23. Juli 1997 verhalten, die wiederum mit der Freihaltung der Stelle für einen Beamten begründet worden ist. Ob dies billigem Ermessen entspricht, kann vom Senat nicht abschließend beurteilt werden.
- Wird – wie hier – dieselbe höherwertige Tätigkeit nochmals nur vorübergehend auf denselben Angestellten wegen Freihaltung der Stelle für einen anderen Beamten übertragen, so steigen die Anforderungen an die Gründe dafür, daß auch diese Übertragung vorübergehend vorgenommen wurde. Denn die tatsächliche Beschäftigung des Angestellten mit der höherwertigen Tätigkeit auf der freigehaltenen Beamtenstelle kann erweisen, daß die Interessen des Arbeitgebers auch bei der Ausübung der Tätigkeit durch den Angestellten gewahrt sind, insbesondere wenn dieser die Tätigkeit über einen langen Zeitraum, also über die gesamte oder nahezu die gesamte Dauer der Ausbildung des zugehenden Beamten, ausgeübt hat. Bei dieser Sachlage bedarf die erneute vorübergehende Übertragung derselben höherwertigen Tätigkeit zwecks Freihaltung der Stelle für einen später zugehenden anderen Beamten der näheren Begründung durch den Arbeitgeber.
- Dem entsprechend obliegt es dem beklagten Land, näher zu begründen, weshalb die Tätigkeitsübertragung vom 23. Juli 1997 billigem Ermessen iSv. § 315 BGB entspricht. An die vorübergehende Übertragung der höherwertigen Tätigkeit für die gesamte Dauer der Ausbildung des Regierungsassistentenanwärters S. schloß sich eine weitere nach dem Willen des beklagten Landes nur vorübergehende Ausübung derselben Tätigkeit, wiederum für die gesamte zweijährige Dauer der Ausbildung eines anderen Beamtenanwärters, nämlich des Regierungsassistentenanwärters T. an, der seine Ausbildung noch nicht einmal begonnen hatte.
- Die letzte Übertragung vom 20. April 1999 erfolgte zu Recht nur vorübergehend. Dieser Einsatz der Klägerin als Sachbearbeiterin diente der Vertretung der Angestellten S. für die Dauer ihres Erziehungsurlaubs. Die Billigkeit der vertretungsweisen Übertragung der höherwertigen Tätigkeit nach § 24 Abs. 2 BAT folgt schon aus dem Übertragungsgrund: Denn nach Rückkehr des vertretenen Arbeitnehmers auf seinen Arbeitsplatz besteht kein Bedürfnis für die Beschäftigung des Vertreters auf diesem Arbeitsplatz. Die vertretungsweise Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit für die Zeit der Verhinderung des Vertreters entspricht daher regelmäßig billigem Ermessen (Senat 17. April 2002 – 4 AZR 174/01 – zVv.).
- Das Landesarbeitsgericht hat daher zu prüfen, ob die Übertragungsanordnung des beklagten Landes vom 23. Juli 1997 hinsichtlich ihrer zeitlichen Begrenzung billigem Ermessen iSv. § 315 BGB entspricht. Dazu fehlen ausreichende Tatsachenfeststellungen.
Unterschriften
Schliemann, Bott, Friedrich, Scherweit-Müller
Der ehrenamtliche Richter Dr. Dräger ist inzwischen ausgeschieden und deshalb an der Unterschrift verhindert.
Schliemann
Fundstellen
Haufe-Index 853401 |
NZA 2003, 288 |
ZTR 2003, 80 |
ZfPR 2003, 50 |
NJOZ 2003, 2020 |
Tarif aktuell 2003, 12 |