Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsstillegung, Restmandat des Betriebsrats
Leitsatz (redaktionell)
1. Macht der Arbeitgeber nach einem Brand im Betrieb von der durch den Tarifvertrag (hier: Manteltarifvertrag für die Holz und Kunststoff verarbeitende Industrie im Nordwestdeutschen Raum (MTN) Nr 52) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, allen Arbeitnehmern unter Einräumung eines Anspruches auf Wiedereinstellung für die Zeit nach Beseitigung der Brandschäden fristlos zu kündigen, so liegt darin keine Betriebsstillegung im Sinne von § 111 Satz 2 Nr 1 BetrVG.
2. Entschließt sich der Arbeitgeber später, den Betrieb nicht wieder aufzubauen und die Arbeitnehmer nicht wieder einzustellen, so liegt darin die Stillegung des Betriebes.
3. Zur Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte anläßlich dieser Betriebsstillegung behält der Betriebsrat ein Restmandat, auch wenn die Arbeitsverhältnisse seiner Mitglieder im Anschluß an den Brand ebenfalls fristlos gekündigt wurden.
Normenkette
TVG § 1; BetrVG § 113 Abs. 3, § 111 S. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 06.06.1985; Aktenzeichen 5 Sa 112/85) |
ArbG Kiel (Entscheidung vom 09.01.1985; Aktenzeichen 4c Ca 1635/84) |
Tatbestand
Die Beklagte betrieb eine Polstermöbelfabrik und beschäftigte etwa 70 Arbeitnehmer. Auf die Arbeitsverhältnisse fand der Manteltarifvertrag für die Holz und Kunststoff verarbeitende Industrie im nordwestdeutschen Raum (MTN) Anwendung. Im Betrieb war ein fünfköpfiger Betriebsrat gewählt worden.
In der Nacht vom 2. zum 3. Januar 1984 brannte das Betriebsgebäude der Beklagten ab. Die Beklagte unterrichtete den Betriebsrat mit einem Schreiben vom 6. Januar 1984 über die daraus sich ergebende Lage. Der Betriebsrat schrieb nach Besichtigung der Brandstätte und einem Gespräch mit der Beklagten am 9. Januar 1984 an diese wie folgt:
"Der BR der Firma O u. Co. nimmt hiermit
Stellung zu Ihrem Schreiben vom 6.1.1984 an den
BR. Nach der Besichtigung der Brandstätte durch
die Vertreter der GHK (Z , T ) und
den BR der Firma (P , S , D ,
Pa und W ) haben wir den Brandschaden gesehen,
und vertreten ebenfalls die Meinung, daß
hier zur Zeit an eine Produktion nicht zu denken
ist, denn der Schaden ist einfach zu groß. Bei
der Besprechung, die anschließend um 18.45 Uhr im
Büro der Firmenleitung mit dem Verbandsvorsteher
de V sowie einem weiteren Vertreter der Arbeitgeberseite,
Frau und Herrn O sowie die oben
genannten Damen und Herren des BR und der GHK stattgefunden
hat, wurden alle offen stehenden Fragen
geklärt u.a. VL-Leistung, Resturlaub, Krankenscheine,
BR bleibt weiter bestehen. Diese Besprechung
wurde von beiden Seiten sachlich und recht harmonisch
durchgeführt. Von Seiten des BR bestehen
deshalb keine Bedenken gegen die ausgesprochenen
Kündigungen aller Arbeitnehmer. Ferner wurde ebenfalls
beschlossen, daß für anfallende Arbeiten
(Büro, Heizung, Aufräumarbeiten) Arbeitnehmer weiter
beschäftigt werden dürfen oder dazu aufgefordert
werden. Unter der Berücksichtigung des § 52 aus dem
MTN ist der BR mit den Kündigungen einverstanden, und
hat auch keine Bedenken, daß die abgesprochenen Vereinbarungen
eingehalten, und alle Arbeitnehmer wieder
eingestellt werden sobald die Produktion wieder anläuft."
Mit Schreiben vom 12. Januar 1984 kündigte die Beklagte nahezu allen Arbeitnehmern fristlos. Ungekündigt blieben lediglich die Verträge der Auszubildenden, des Meisters, der Büroangestellten sowie einer Arbeitnehmerin in einem auswärtigen Betriebsteil. In dem Kündigungsschreiben hieß es:
"Nachdem in der Nacht vom 02. zum 03. Januar 84 unser
Betrieb durch einen Brand soweit zerstört wurde,
daß auf absehbare Zeit die Wiederaufnahme der
Produktion nicht möglich ist, sind wir gezwungen,
die Arbeitsverhältnisse fristlos aufzukündigen.
Wir verweisen auf die für uns maßgebende Ziffer 52
des Manteltarifvertrages, (MTN) in dem es heißt:
"Ist die Nachholung der Arbeitszeit durch die
Art und Schwere der Störung des Betriebes unmöglich
geworden, so entfällt jeglicher Anspruch
auf Vergütung der ausgefallenen Arbeitszeit.
In diesem Fall ist der Arbeitgeber berechtigt,
die Arbeitsverhältnisse der von der
Betriebsstörung betroffenen Arbeitnehmer fristlos
zu lösen. Er ist verpflichtet, die Arbeitnehmer
mit den alten Rechten wieder einzustellen,
sobald die Betriebsstörung mit ihren technischen
Folgen beseitigt ist. Ein Anspruch auf
Wiedereinstellung entfällt für die Arbeitnehmer,
die nach Beseitigung der Störung auf Aufforderung
des Arbeitgebers nicht unverzüglich
erklären, daß sie - gegebenenfalls nach ordnungsgemäßer
Lösung eines bestehenden Arbeitsvertrages
- zur Wiederaufnahme der Arbeit im
alten Betrieb bereit sind. Der Arbeitgeber hat
seine Verpflichtung zur Aufforderung erfüllt,
wenn er diese durch eingeschriebenen Brief an
die letzte ihm bekannte Adresse des Arbeitnehmers
gerichtet hat.
Nur auf diese Weise ist es uns überhaupt möglich,
den Betrieb wieder aufzubauen, sobald wir von der
Versicherung die entsprechende Entschädigung für
den Wiederaufbau erhalten haben. Würde der Betrieb
weiter mit den laufenden Lohnkosten belastet werden,
ohne zu produzieren, so wäre der Weg in den Konkurs
vorgezeichnet. Es gäbe keine Möglichkeit, den
Betrieb neu zu errichten und somit die zerstörten
Arbeitsplätze wieder zu schaffen.
Wir bedauern diese Entwicklung. Wir glauben jedoch,
daß im Endeffekt auch in Ihrem Interesse nur die
sofortige Lösung des Arbeitsverhältnisses zur Erhaltung
der Möglichkeit des Wiederaufbaues liegt.
Der Betriebsrat hat nach eingehender Beratung der
Kündigung zugestimmt."
In der Zeit von März bis 15. Juni 1984 beschäftigte die Beklagte von den gekündigten Arbeitnehmern etwa 30 mit jeweils auf etwa einen Monat befristeten "zweckbestimmten Arbeitsverträgen" in unterschiedlichem Umfang für Aufräumarbeiten und für die Aufrechterhaltung einer Notproduktion.
Am 15. August 1984 schrieb die Beklagte allen gekündigten Mitarbeitern unter Hinweis auf die seit März 1984 entstandene äußerst schwierige Geschäftslage in der Möbelindustrie und auf Auflagen der Feuerversicherung für den Wiederaufbau:
"...
Bei der jetzigen Sachlage steht für mich fest,
daß bei einer Fortsetzung des Betriebes in
nächster Zukunft mit einem finanziellen Zusammenbruch
zu rechnen ist. Ich kann und werde das
Risiko nicht eingehen, morgen Lieferanten und
Löhne nicht mehr bezahlen zu können. Für die
Fa. O & Co. GmbH ergibt sich daraus die
zwingende Notwendigkeit, den vorgesehenen Wiederaufbau
sowie die Beseitigung der Brandschäden
nicht durchzuführen. So sehr ich diese Entwicklung
bedaure, kann ich jedoch keine andere
Entscheidung treffen. Dies bedeutet, daß die Fa.
O & Co. GmbH Sie nicht wieder einstellen
kann."
Die Arbeitsverhältnisse der im Januar nicht gekündigten Arbeitnehmer und Auszubildenden wurden am 31. August 1984 im gegenseitigen Einvernehmen gelöst. Diese Arbeitnehmer wurden von der bestehenden Einzelhandelsfirma des Geschäftsführers der Beklagten weiterbeschäftigt.
In der Folgezeit bemühte sich der Betriebsrat erfolglos um Gespräche mit der Beklagten zur Verhandlung über einen Sozialplan. Am 24. Januar 1985 beschloß er die Anrufung einer Einigungsstelle und machte ein Verfahren auf Bestellung des Vorsitzenden und die Bestimmung der Zahl der Beisitzer anhängig. Über den Ausgang des Verfahrens ist nichts bekannt.
Bei der Beklagten war auch die im damaligen Zeitpunkt 43-jährige Klägerin seit zwölf Jahren als Polstereihelferin halbtags mit einem Monatsverdienst von rd. 1.500,-- DM beschäftigt. Sie wurde ebenfalls am 12. Januar 1984 fristlos gekündigt, dann aber vom 1. März bis 15. Juni 1984 aufgrund mehrerer der genannten zweckbestimmten Arbeitsverträge von der Beklagten beschäftigt.
Die Klägerin, die zunächst im Schreiben der Beklagten vom 15. August 1984 eine Kündigung gesehen und Kündigungsschutzklage erhoben, hilfsweise Wiedereinstellung beantragt hat, verlangt nunmehr von der Beklagten einen Nachteilsausgleich in Form einer Abfindung in Höhe von zehn Monatsverdiensten. Sie ist der Ansicht, die Beklagte habe im August 1984 den Betrieb stillgelegt, ohne darüber mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich versucht zu haben. Bis dahin habe sie wie alle Arbeitnehmer darauf vertraut, daß der Betrieb wieder aufgebaut und sie wieder eingestellt werde. In einer Versammlung aller gekündigten Arbeitnehmer vom 16. Januar 1984, zu der der Betriebsrat und die Beklagte eingeladen hätten, sei erklärt worden, daß der Wiederaufbau acht bis neun Monate dauern werde und daß der Betriebsrat im Amt bleibe. Auch in der Folgezeit und noch Anfang August habe die Beklagte erklärt, daß die Produktion wieder aufgenommen werde und im August oder September 1984 wieder endgültige Arbeitsverträge geschlossen würden.
Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis
durch die Kündigung vom 15. August
1984 nicht aufgelöst worden ist,
hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen,
sie wieder einzustellen,
hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen,
an sie eine Abfindung von 15.000,-- DM
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Arbeitsverhältnisse seien am 12. Januar 1984 mit Zustimmung des Betriebsrats nach Nr. 52 MTN fristlos gekündigt worden. Einen Sozialplan habe der Betriebsrat nicht verlangt. Durch den Brand sei der Betrieb soweit zerstört worden, daß auf absehbare Zeit eine Wiederaufnahme der Produktion nicht möglich gewesen sei. Sie sei bei Ausspruch der Kündigung davon ausgegangen, daß der Betrieb wieder aufgebaut werden könne und daß sie dann nach Nr. 52 MTN die Arbeitnehmer wieder einstellen müsse. Eine Zusage, den Betrieb wieder aufzubauen oder die Arbeitnehmer wieder einzustellen, habe sie zu keiner Zeit abgegeben. Aus den im Schreiben vom 15. August 1984 angegebenen Gründen sei ein Wiederaufbau nicht vertretbar gewesen. Zu dieser Zeit sei der Betriebsrat nicht mehr im Amt gewesen, da seine Amtszeit spätestens am 31. Mai 1984 abgelaufen sei. Eine Vereinbarung dahin, daß der Betriebsrat bis zur Wiederaufnahme der Produktion im Amt bleibe, sei nicht getroffen worden. Sie habe daher auch im August 1984 mit einem Betriebsrat keinen Interessenausgleich mehr versuchen können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin lediglich ihren Abfindungsanspruch weiterverfolgt. Die Berufung hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Abfindungsanspruch weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten die Zahlung einer Abfindung verlangen. Zur Höhe der Abfindung bedarf es noch weiterer Feststellungen durch das Landesarbeitsgericht, so daß die Sache zurückverwiesen werden muß.
I. Das Landesarbeitsgericht hat in der endgültigen Einstellung des Betriebs durch die Beklagte im August 1984 eine Betriebsänderung gesehen. Zu dieser Zeit sei jedoch der Betriebsrat nicht mehr im Amt gewesen. Seine Amtszeit habe im Mai 1984 geendet. Ein Restmandat für den Betriebsrat komme nur dann in Betracht, wenn die Betriebsänderung während der Amtszeit des Betriebsrats beschlossen werde, über diese hinaus aber noch unter Beteiligung des Betriebsrats abgewickelt werden müsse. Eine Vereinbarung der Betriebspartner, daß der Betriebsrat über das Ende der Amtszeit hinaus im Amt bleibe, sei rechtlich nicht möglich. Die Beklagte habe daher im August 1984 keinen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versuchen müssen, so daß die Klägerin keine Abfindung verlangen könne.
Dieser Begründung des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen.
II. Nach § 113 Abs. 3 in Verb. mit Abs. 1 BetrVG kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber eine Abfindung verlangen, wenn er infolge einer Betriebsänderung entlassen worden ist, die der Arbeitgeber durchgeführt hat, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben.
1. Die Beklagte hat am 15. August 1984 ihren Betrieb stillgelegt.
a) Eine Betriebsstillegung setzt den ernstlichen und endgültigen Entschluß des Unternehmers voraus, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer für einen seiner Dauer nach unbestimmten, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum aufzugeben (BAG Urteil vom 27. September 1984, BAGE 47, 13 = AP Nr. 39 zu § 613 a BGB). Diesen Entschluß hat die Beklagte gefaßt. Ausweislich ihres Schreibens vom 15. August 1984 hat sie sich aus den in diesem Schreiben angegebenen Gründen entschlossen, den zunächst vorgesehenen Wiederaufbau des Betriebs und die Beseitigung der Brandschäden nicht durchzuführen. Ohne einen Wiederaufbau war aber auch die Fortsetzung der Betriebstätigkeit, die Herstellung von Polstermöbeln, nicht möglich. Die Beklagte hat diesen Entschluß auch in die Tat umgesetzt. Sie hat die Arbeitsverhältnisse der letzten bei ihr noch beschäftigten Arbeitnehmer zum 31. August 1984 gelöst. Sie hat den im Januar 1984 gekündigten Arbeitnehmern mitgeteilt, daß sie nicht wieder eingestellt werden können. Sie hat den Betrieb nicht wieder aufgebaut. Damit war der frühere Betrieb, die Polstermöbelfabrik, stillgelegt.
b) Der Annahme einer Betriebsstillegung im August 1984 steht nicht entgegen, daß die Beklagte schon im Januar 1984 nahezu alle Arbeitnehmer des Betriebs entlassen hatte und seitdem im Betrieb nicht mehr, jedenfalls nicht mehr in Fortsetzung des ursprünglichen Betriebszwecks der Produktion von Polstermöbeln, gearbeitet wurde. Diese Maßnahmen stellten noch keine Betriebsstillegung dar mit der Folge, daß der bereits stillgelegte Betrieb im August 1984 nicht noch einmal stillgelegt werden konnte (vgl. dazu Entscheidung des Senats vom 17. März 1987 - 1 ABR 47/85 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Die Stillegung der Produktion schon im Januar 1984 beruhte nicht auf einer unternehmerischen Entscheidung der Beklagten, sondern war die unmittelbare Folge des Brandes und der dadurch bewirkten Zerstörung des Betriebs. Erst aufgrund dieser Situation hat sich die Beklagte entschlossen, den Arbeitnehmern dieses Betriebs zu kündigen. In der Regel ist allerdings die Kündigung aller Arbeitnehmer ein sicheres Anzeichen dafür, daß ein Betrieb stillgelegt wird. Mit der Lösung der Arbeitsverhältnisse soll die Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern auf Dauer aufgelöst werden. Im vorliegenden Falle ist jedoch eine andere Betrachtung geboten.
Die Kündigung der Arbeitsverhältnisse erfolgte nicht in Ausführung einer Entscheidung der Beklagten, die Produktionsgemeinschaft auf unabsehbare Zeit aufzulösen und den Betrieb stillzulegen. Die Beklagte beabsichtigte zum damaligen Zeitpunkt vielmehr, den Betrieb wieder aufzubauen und mit den Arbeitnehmern die Produktion von Polstermöbeln anschließend fortzusetzen. Das ergibt sich eindeutig aus den Kündigungsschreiben und dem eigenen Vorbringen der Beklagten, wonach sie im Zeitpunkt der Kündigungen davon ausging, daß der Betrieb wieder aufgebaut werde. Nur unter dieser Voraussetzung konnte die Beklagte auch die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer nach Nr. 52 MTN fristlos kündigen.
Daraus, daß die Beklagte sich der Möglichkeit der Nr. 52 MTN bediente, ergibt sich gleichzeitig, daß die Beklagte den Betrieb nach dem Wiederaufbau auch mit den bisherigen Arbeitnehmern fortführen wollte. Die gekündigten Arbeitnehmer erwarben nach Nr. 52 MTN einen Anspruch auf Wiedereinstellung für die Zeit nach Beseitigung der Brandschäden. Das war der Beklagten bekannt, auf diesen Anspruch hat sie die gekündigten Arbeitnehmer ausdrücklich hingewiesen. Selbst wenn sich daher die Beklagte weder den Arbeitnehmern noch dem Betriebsrat gegenüber verpflichten wollte, den Betrieb wieder aufzubauen, hat sie mit ihrem Vorgehen doch die Entscheidung dokumentiert, daß die Produktionsgemeinschaft zwischen ihr und den Arbeitnehmern jedenfalls solange nicht aufgelöst werden sollte, als sie noch gewillt war, den Betrieb wieder aufzubauen und die Produktion von Polstermöbeln anschließend mit den bisherigen Arbeitnehmern fortzusetzen.
Die Beklagte hat daher im Januar 1984 den Betrieb nicht "stillgelegt", vielmehr auf eine unabhängig von ihrer Entscheidung eingetretene Unterbrechung der Betriebstätigkeit mit den für diesen Fall durch Nr. 52 MTN gegebenen rechtlichen Möglichkeiten reagiert. Das ist auch von den Arbeitnehmern und vom Betriebsrat so gesehen worden, der in seinem Schreiben vom 9. Januar 1984 zum Ausdruck gebracht hat, daß er keine Bedenken habe, daß die abgesprochenen Vereinbarungen eingehalten und alle Arbeitnehmer wieder eingestellt werden, sobald die Produktion wieder anläuft, zumal schon früher bei Bränden im Betrieb in gleicher Weise verfahren wurde.
Durch den Brand im Januar 1984 ist daher lediglich eine Betriebsunterbrechung eingetreten. Mit der dadurch veranlaßten Lösung der Arbeitsverhältnisse nahezu aller Arbeitnehmer für die Dauer der Unterbrechung ist der Betrieb noch nicht stillgelegt worden.
2. Hat daher die Beklagte den Betrieb erst im August 1984 stillgelegt, so war sie nach den §§ 111, 112 BetrVG verpflichtet, über diese Stillegung den Betriebsrat zu unterrichten, die Stillegung mit ihm zu beraten und einen Interessenausgleich über die Betriebsstillegung mit dem Betriebsrat zu versuchen.
a) Diese Verpflichtung entfiel zunächst nicht deshalb, weil die Beklagte im August 1984, als sie den Entschluß faßte, den Betrieb nicht wieder aufzubauen sondern stillzulegen, nur noch weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigte.
Ob der Betriebsrat bei Betriebsänderungen zu beteiligen ist, hängt nach § 111 Satz 1 BetrVG davon ab, ob im Betrieb "in der Regel" mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Maßgebend für die Bestimmung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl ist nicht die Zahl der zufällig im Zeitpunkt der Betriebsstillegung beschäftigten Arbeitnehmer, sondern die normale Zahl der Beschäftigten des Betriebs, d.h. diejenige Personalstärke, die für den Betrieb im allgemeinen kennzeichnend ist (BAG Urteil vom 22. Februar 1983, BAGE 42, 1 = AP Nr. 7 zu § 113 BetrVG 1972). Damit kommt es nicht auf die Zahl der Arbeitnehmer an, die die Beklagte während der Zeit der durch den Brand bewirkten Unterbrechung der Betriebstätigkeit oder unmittelbar vor der Entscheidung, den Betrieb nicht wieder aufzubauen, für Aufräumungsarbeiten, für eine Notproduktion oder sonstige Tätigkeiten beschäftigte, sondern auf die regelmäßige Beschäftigtenzahl im Betrieb vor dem Brand, mit der auch der Betrieb nach dem Wiederaufbau wieder fortgesetzt werden sollte. Das aber waren rd. 70 Arbeitnehmer.
b) Die Verpflichtung der Beklagten, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich über die Betriebsstillegung zu versuchen, war nicht dadurch weggefallen, daß die Amtszeit des Betriebsrats schon durch die Kündigung aller Betriebsratsmitglieder im Januar 1984, spätestens aber am 31. Mai 1984 beendet worden war. Der bis zum Brand im Betrieb bestehende Betriebsrat behielt vielmehr ein Restmandat zur Wahrnehmung der Beteiligungsrechte an der von der Beklagten im August 1984 beschlossenen Betriebsstillegung. Das Bundesarbeitsgericht hat wiederholt entschieden, daß im Falle einer Betriebsstillegung, bei der auch die Arbeitsverhältnisse der Betriebsratsmitglieder gekündigt werden können (§ 15 Abs. 4 KSchG), und bei der daher mit der Kündigung der Arbeitsverhältnisse aller Betriebsratsmitglieder auch ein Betriebsrat nicht mehr besteht (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG), der Betriebsrat doch ein Restmandat behält zur Wahrnehmung seiner mit der Betriebsstillegung zusammenhängenden gesetzlichen Aufgaben (Beschluß vom 30. Oktober 1979 - 1 ABR 112/77 - AP Nr. 9 zu § 112 BetrVG 1972).
c) Dem Landesarbeitsgericht ist zuzugeben, daß ein solches Restmandat des Betriebsrats bislang nur für Fälle bejaht worden ist, in denen eine Betriebsstillegung zu einer Zeit beschlossen worden ist, in der im Betrieb ein Betriebsrat (noch) bestand, die Beteiligung des Betriebsrats also noch während seiner Amtszeit jedenfalls beginnen konnte. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte sich jedoch zur Betriebsänderung erst entschlossen, als die Amtszeit des Betriebsrats bereits ihr Ende gefunden hatte. Das rechtfertigt für Fälle der vorliegenden Art jedoch keine andere Beurteilung.
Die Anerkennung eines Restmandats für den Betriebsrat über das Ende seiner Amtszeit hinaus beruht auf der Erwägung, daß gerade im Falle einer Betriebsstillegung die Beteiligungsrechte des Betriebsrats leerlaufen müßten, wenn der Betriebsrat nach der Beendigung der Arbeitsverhältnisse aller seiner Mitglieder nicht mehr tätig werden könnte. Verhandlungen über einen Sozialplan nehmen vielfach eine längere Zeit in Anspruch, so daß die Zeit bis zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse der Betriebsratsmitglieder bis zu einer Einigung der Betriebspartner nicht ausreicht. Das gilt erst recht, wenn eine Einigungsstelle angerufen und deren Bildung im Verfahren nach § 98 ArbGG betrieben werden muß, oder wenn über die Wirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle unter den Betriebspartnern Streit entsteht, der zu einem gerichtlichen Verfahren führt. Würde der Betriebsrat in diesen Fällen nach Beendigung der Arbeitsverhältnisse seiner sämtlichen Mitglieder nicht mehr tätig werden können, könnte es zur Vereinbarung eines Sozialplans nur dann kommen, wenn darüber eine Einigung bis zum Ausscheiden der Betriebsratsmitglieder aus dem Betrieb gelingt. Streitigkeiten über die Wirksamkeit eines zustande gekommenen Sozialplans könnten nach diesem Zeitpunkt nicht zu Ende geführt werden. Von daher besteht ein unabweisbares Bedürfnis, die Beteiligungsrechte des Betriebsrats anläßlich einer Betriebsstillegung auch für den Fall fortbestehen zu lassen, daß die Arbeitsverhältnisse der Betriebsratsmitglieder mit der Stillegung des Betriebs enden und daher der Betriebsrat an sich aufhört zu bestehen.
Die gleichen Erwägungen gelten auch in Fällen der vorliegenden Art.
Die Beklagte hat - wie dargelegt - nach dem Brand im Januar 1984 den Betrieb nicht stillgelegt. Sie hat sich vielmehr entschlossen, den Betrieb wieder aufzubauen und anschließend die Produktion mit den Arbeitnehmern fortzusetzen. Ohne Kündigung der Arbeitsverhältnisse wäre sie bis zu diesem Zeitpunkt zur Fortzahlung des Lohnes verpflichtet gewesen (§ 615 BGB). Um diese Lohnzahlungspflicht zu vermeiden, hätte die Beklagte aus betriebsbedingten Gründen - allerdings nur unter Einhaltung der Kündigungsfristen - kündigen können. Ohne eine Verpflichtung, die Arbeitnehmer nach dem Wiederaufbau wieder einzustellen, hätte darin eine Betriebsstillegung, zumindest aber eine Betriebseinschränkung gelegen, die die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach den §§ 111, 112 BetrVG ausgelöst hätte, unabhängig davon, ob auch die Arbeitsverhältnisse der Betriebsratsmitglieder gekündigt worden wären. Die Beklagte wäre dann frei gewesen in ihrer Entscheidung, den Betrieb wieder aufzubauen oder nicht und im Falle eines Wiederaufbaus den Betrieb auch mit anderen Arbeitnehmern fortzusetzen.
Die Beklagte hat die ihr durch Nr. 52 MTN eingeräumte Möglichkeit genutzt, sich durch fristlose Kündigungen sofort von der Lohnzahlungspflicht zu befreien, allerdings mit der Folge, daß die Arbeitnehmer einen Anspruch auf Wiedereinstellung nach dem Wiederaufbau erwarben. Diese Möglichkeit entsprach auch ihrer damaligen Entscheidung, den Betrieb wieder aufzubauen und die Produktion anschließend fortzusetzen, den Betrieb also gerade nicht stillzulegen mit der Folge, daß die Beteiligungsrechte des Betriebsrats, die für eine Betriebsänderung gegeben sind, nicht zu beachten waren.
Erst später hat sich die Beklagte anders entschlossen. Sie mag dafür sachliche Gründe gehabt haben. Erst aufgrund dieser späteren Entscheidung wurde die durch den Brand bewirkte Betriebsunterbrechung zur Betriebsstillegung. Die für eine Betriebsstillegung begründeten Beteiligungsrechte des Betriebsrats können nicht deswegen in Wegfall kommen, weil die durch den Brand bewirkte Betriebsstörung die Beklagte berechtigte, die Arbeitsverhältnisse ihrer Arbeitnehmer - auch der Betriebsratsmitglieder -, wenn auch verbunden mit einem Wiedereinstellungsanspruch, zu lösen. Die Regelung der Nr. 52 MTN dient der Verteilung des Lohnrisikos im Falle länger dauernder unverschuldeter Betriebsstörungen nur für den Fall, daß die Betriebsstörung beseitigt und anschließend der Betrieb mit den wieder eingestellten Arbeitnehmern fortgeführt wird. Geht man mit der Beklagten davon aus, daß Nr. 52 MTN für den Arbeitgeber nicht die Verpflichtung begründet, die Betriebsstörung auch tatsächlich zu beseitigen und damit den Wiedereinstellungsanspruch zum Tragen kommen zu lassen, so beinhaltet diese Regelung für den Arbeitgeber jedoch das Recht, die Entscheidung darüber, ob er die Betriebsstörung - hier den Brand - zum Anlaß nehmen will, den Betrieb stillzulegen oder nicht, hinauszuschieben. Entscheidet er sich später für die Stillegung des Betriebs, so kann diese Entscheidung nur unter den gleichen rechtlichen Bedingungen erfolgen, unter denen sie unmittelbar nach dem Brand hätte getroffen werden können. Zu jenem Zeitpunkt wäre der Betriebsrat zu beteiligen gewesen. Die Beklagte muß daher den Betriebsrat auch jetzt beteiligen. Schon das erfordert die Aufrechterhaltung des Mandats des Betriebsrats zur Wahrnehmung dieser Beteiligungsrechte.
Die Beklagte hätte daher im August 1984 den Betriebsrat von ihrer Absicht, den Betrieb nicht wieder aufzubauen, unterrichten und über die Betriebsstillegung einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versuchen müssen.
d) Gegen diese Verpflichtung spricht auch nicht, daß für einen Interessenausgleich, d.h. für die Frage, ob und wie die Betriebsstillegung durchgeführt werden soll, im August 1984 praktisch kein Regelungsspielraum mehr bestand, nachdem die Arbeitsverhältnisse bereits gekündigt waren. Die Rechtsbeziehungen zwischen der Beklagten und ihren Arbeitnehmern waren noch nicht vollständig erloschen. Die Arbeitnehmer hatten ein Anspruch auf Wiedereinstellung für den Fall, daß der Betrieb wieder aufgebaut wird. Erst der Entschluß der Beklagten, den Betrieb stillzulegen, führte zum endgültigen Verlust dieser Wiedereinstellungsansprüche. Gegenstand eines Interessenausgleichs hätte daher beispielsweise sein können, wann und unter welchen Voraussetzungen dieser Verlust eintreten sollte.
3. Die Klägerin ist auch infolge der Betriebsstillegung "entlassen" worden. Zwar war ihr Arbeitsverhältnis bereits im Januar gekündigt worden, diese Kündigung hat jedoch - wie dargelegt - nicht zur Auflösung der Produktionsgemeinschaft zwischen der Beklagten und ihren Arbeitnehmern geführt, diese vielmehr nur suspendiert. Erst die Stillegung des Betriebs führte dazu, daß die Klägerin aus den bis dahin fortbestehenden Beziehungen zum Betrieb ausschied und ihren Arbeitsplatz im Betrieb endgültig verlor. Sinn und Zweck der Regelung in § 113 Abs. 3 in Verb. mit Abs. 1 BetrVG rechtfertigen es, in diesem Vorgang eine "Entlassung" im Sinne dieser Vorschrift zu sehen, so daß die Klägerin von der Beklagten die Zahlung einer Abfindung verlangen kann.
III. Das Landesarbeitsgericht hat von seinem Standpunkt aus zu Recht keine Feststellungen darüber getroffen, welche Abfindung angemessen wäre oder welcher wirtschaftliche Nachteil der Klägerin tatsächlich dadurch entstanden ist, daß die Beklagte den Betrieb nicht wieder aufgebaut und die Klägerin nicht wieder eingestellt hat. Der Senat kann daher über den Antrag der Klägerin, an sie eine Abfindung von 15.000,-- DM zu zahlen, nicht abschließend entscheiden, so daß die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden muß.
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Janzen Rösch
Fundstellen
Haufe-Index 437347 |
BAGE 55, 344-356 (LT1-3) |
BAGE, 344 |
BB 1987, 2231 |
BB 1987, 2231-2233 (LT1-3) |
DB 1987, 2365-2366 (LT1-3) |
JR 1988, 132 |
NZA 1987, 858-861 (LT1-3) |
RdA 1987, 320 |
RzK, I 5f Nr 9 (LT1-3) |
SAE 1988, 138-141 (LT1-3) |
ZIP 1987, 1200 |
ZIP 1987, 1200-1204 (LT1-3) |
AP § 111 BetrVG 1972 (LT1-3), Nr 20 |
AR-Blattei, Betrieb Entsch 15 (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 450 Nr 15 (LT1-3) |
EzA § 111 BetrVG 1972, Nr 21 (LT1-3) |