Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang des Schadensersatzes merkantiler Minderwert
Leitsatz (redaktionell)
Die Haftung des Arbeitgebers für Beschädigungen der zu dienstlichen Zwecken im Betrieb befindlichen Instrumente der Musiker nach § 12 Abs 3 Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern vom 1. Juli 1971 (TVK) umfaßt auch den Ersatz für merkantilen Minderwert.
Normenkette
TVG § 1; BGB § 249
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 22.02.1984; Aktenzeichen 5 Sa 1404/83) |
ArbG Bonn (Entscheidung vom 24.10.1983; Aktenzeichen 2 (3) Ca 1336/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ersatz des merkantilen Minderwerts für eine im Dienst beschädigte Viola.
Die Beklagte unterhält in ihrer B Halle ein Orchester, in dem die Klägerin seit dem 1. September 1978 beschäftigt wird. Sie spielt dort die zweite Solo-Bratsche. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Tarifbindung der Parteien der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern vom 1. Juli 1971 (TVK) in der jeweiligen Fassung Anwendung. Darin ist u.a. folgendes bestimmt:
"§ 3
Begründung des Arbeitsverhältnisses
(1) Mit dem Musiker ist ein Arbeitsvertrag nach
Muster der Anlage 1 abzuschließen. Der Arbeitsvertrag
bedarf zu seiner Wirksamkeit der
Schriftform. Das gleiche gilt für Änderungen
und Ergänzungen. .....
§ 11
Haftung
Der Musiker haftet dem Arbeitgeber aus vorsätzlichem
oder fahrlässigem Verhalten auf Schadenersatz.
§ 12 Abs. 1 bleibt unberührt.
§ 12
Instrumente
(1) .....
Der Musiker haftet für die Beschädigungen
und den Verlust bei einem Gebrauch des Instruments
außerhalb des dienstlichen Interesses
auch ohne Verschulden, im übrigen
nur bei eigenem Verschulden.
.....
(3) Der Arbeitgeber haftet in den Fällen, in denen
er dem Musiker ein Instrument nicht zur Verfügung
gestellt oder die Benutzung eines
eigenen Instruments gestattet hat, für die Beschädigungen
und den Verlust der zu dienstlichen
Zwecken im Betrieb befindlichen Instrumente
(einschließlich der Behälter) des Musikers,
es sei denn, daß der Musiker die Beschädigungen
oder den Verlust verschuldet hat.
......
Der Arbeitgeber haftet nur, wenn der Musiker
den ihm wegen der Beschädigung oder des Verlusts
des Instrumentes gegen einen Dritten zustehenden
Schadensersatzanspruch an den Arbeitgeber
abgetreten hat und soweit der Schaden
nicht durch eine Versicherung gedeckt ist.
(4) Werden durch eine von dem Arbeitgeber abgeschlossene
Instrumentenversicherung andere oder
weitere als die in den Absätzen 1 und 3 genannten
Risiken versichert, kann im Arbeitsvertrag
eine Beteiligung des Musikers an den
Kosten der Versicherung vereinbart werden.
......"
Die Beklagte versichert Musikinstrumente in einer Instrumentenversicherung, darunter Geigen, Bratschen und Celli im Wert von über 20.000 DM in einer Sondervereinbarung auch wegen Ersatz der Wertminderung. Nach einem Gespräch zwischen dem Orchestervorstand und dem Rechtsdirektor der Beklagten vom 21. April 1980 erklärte letzterer in einem an den Orchestervorstand gerichteten Schreiben vom gleichen Tag, die Stadt B werde auch Ersatz wegen Wertminderung bei Streichinstrumenten mit einem Wert von unter 20.000 DM und bei anderen Instrumenten leisten, sofern hierzu durch den Tarifvertrag eine Verpflichtung bestehe.
Die Klägerin benutzt mit Zustimmung der Beklagten bei der Arbeit ihr eigenes Streichinstrument, eine 1972 gebaute Viola Carboni. Sie geriet am 29. Oktober 1982 mit ihrer Bratsche beim Einstimmen zu Beginn einer Probe im Studio der B Halle an das Notenpult. Dabei rutschte ihr das Instrument aus der Hand und fiel auf den Boden. Es entstanden mehrere Deckenrisse mit Baßbalkenriß sowie Lackschäden. Außerdem zerbrach der Steg. Zu dieser Zeit hatte die Bratsche einen Wert von 15.000 DM. Die Instrumentenversicherung der Beklagten ersetzte der Klägerin den Reparaturkostenschaden in Höhe von 1.300 DM, nicht aber den merkantilen Minderwert des von der Klägerin nach der Reparatur weiterbenutzten Instruments in Höhe von 3.000 DM. Diesen verlangte die Klägerin mit Schreiben vom 14. April 1983 erfolglos von der Beklagten.
Die Klägerin hat vorgetragen, die Haftung für Beschädigungen des Instruments nach § 12 Abs. 3 TVK umfasse auch die Wertminderung. In einem Gespräch zwischen Orchestervorstand und dem Rechtsdirektor am 21. April 1980 sei von der Beklagten auch bei Instrumenten mit einem Wert unter 20.000 DM der Ersatz des Wertminderungsschadens zugesagt worden. Mit der Einschränkung im nachfolgenden Schreiben vom gleichen Tage habe nur Fremdverschulden berücksichtigt werden sollen. Das Rechtsamt der Beklagten habe verbindlich erklärt, die Beklagte trage bei allen Musikern des Orchesters den Wertminderungsschaden, sofern die Verpflichtung hierzu nicht durch Fremdverschulden aufgehoben sei. Es erscheine willkürlich, ihr den Wertminderungsschaden nicht zu ersetzen, obwohl die Beklagte bei einem Wert des Streichinstruments von über 20.000 DM den Schaden versichert hätte. Die vorgenommene Abgrenzung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein Verschuldensvorwurf könne ihr nicht gemacht werden. Für den Unfall seien die Platzverhältnisse ursächlich. Bei einer Streicherbesetzung von 12 Violinen I, 10 Violinen II, 8 Bratschen, 6 Violon-Celli und 4 Kontrabässen seien die Platzverhältnisse im Studio der B Halle sehr eng und nicht mehr tragbar.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie
3.000 DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung
zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, sie sei nicht zur Erstattung des Minderwerts verpflichtet. Die Begriffe des BGB über den Schadenersatz seien im Tarifvertrag nicht verwendet. Selbst wenn eine grundsätzliche Verpflichtung bestehe, den Minderwert zu erstatten, sei sie durch den Abschluß des Versicherungsvertrages hiervon befreit. Damit habe sie ihre Verpflichtung bezüglich der Haftung für Beschädigungen erfüllt. Instrumente mit einem Wert unter 20.000 DM seien nicht gegen Minderwert versicherbar. Die Klägerin treffe ein Verschulden an der Beschädigung. Aus ihrer Darstellung, daß ihr die Bratsche aus der Hand gerutscht und auf den Boden gefallen sei, ergebe sich, daß sie die erforderliche Sorgfalt nicht beachtet habe. Im Studio der B Halle sei ausreichend Platz gewesen. Jedenfalls kehre sich im Streitfall die Beweislast nach den Regeln des Anscheinsbeweises um, so daß die Klägerin unter den gegebenen Umständen ihr Nichtverschulden beweisen müsse. Bei der Erörterung der Frage der Versicherung von Instrumenten mit einem Wert unter 20.000 DM zwischen dem Orchestervorstand und dem Rechtsdirektor seien Äußerungen in dem Sinne gefallen, wie sie im Schreiben vom 21. April 1980 dargelegt seien. Damit habe nur ausgedrückt werden sollen, daß die Beklagte nicht beabsichtige, sich ihren tarifvertraglichen Verpflichtungen zu entziehen. Eine weitergehende Zusage sei nicht gemacht worden. Die Klägerin könne ihren Anspruch nicht auf Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes stützen. Bei den wertvolleren Instrumenten entstände bei Beschädigungen ein höherer Wertverlust, den zu tragen dem Versicherten von einer bestimmten Wertgrenze an nicht mehr zugemutet werden könne. Demgegenüber erscheine es bei Streichinstrumenten mit einem Wert unter 20.000 DM vertretbar, den Musiker den Wertminderungsschaden selbst tragen zu lassen. Die Wertgrenze sei unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse der Orchestermusiker sachgerecht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der durch Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Juli 1984 - 3 AZN 251/84 - zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter, während die Klägerin um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Arbeitgeber habe nach § 12 Abs. 3 TVK die Pflicht, neben den für die Wiederherstellung eines beschädigten Instruments aufgewendeten Kosten auch den merkantilen Minderwert zu ersetzen. Der Wortlaut des § 12 Abs. 3 Satz 1 TVK sei zwar nicht eindeutig. Aus den unmittelbar folgenden Sätzen werde aber die Regelungsabsicht der Tarifvertragsparteien deutlich. Wenn in § 12 Abs. 3 Satz 3 TVK von Schaden und Schadenersatz die Rede sei, und diese Worte eindeutig auf das Wort Beschädigung im selben Satz bezogen seien, ergebe sich daraus, daß die Tarifvertragsparteien den Ausdruck Haftung für Beschädigungen in § 12 Abs. 3 Satz 3 TVK synonym mit Schadenersatzpflicht verstanden wissen wollten. § 12 Abs. 3 Satz 1 TVK sei ebenso zu verstehen. Die Tarifvertragsparteien hätten demnach einen im allgemeinen Schadenersatzrecht des BGB gebräuchlichen Ausdruck verwandt, der durch Rechtsprechung und Lehre einen bestimmten Inhalt und feste Konturen erhalten habe. Gebräuchliche Gesetzesbegriffe im normativen Teil eines Tarifvertrages seien regelmäßig genauso wie die des Gesetzes auszulegen. Der merkantile Minderwert einer beschädigten und danach reparierten Sache sei nach bürgerlichem Recht heute anerkanntermaßen eine Schadensposition. Sinn und Zweck der tariflichen Regelung bestätigten das am Wortlaut gefundene Ergebnis. Die Bestimmungen des § 12 TVK wollten den Musikern einen Anreiz bieten, eigene Instrumente für die Arbeit zu stellen, weil das letztlich der Qualität der Darbietungen zugute komme. Der mit § 12 TVK gleichzeitig beabsichtigte Schutz des Arbeitnehmervermögens wäre aber unvollständig, wenn der Arbeitnehmer die Wertminderung bei einer Beschädigung selber tragen müßte. Die Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses seien nicht erfüllt. Den Arbeitgeber treffe bei Ansprüchen aus § 12 Abs. 3 Satz 1 TVK die Darlegungs- und ggfls. Beweislast dafür, daß der Arbeitnehmer den Schaden schuldhaft herbeigeführt habe. Dieser Darlegungslast habe die Beklagte nicht genügt. In Anbetracht der detaillierten Darlegungen der Klägerin sei ihr Vortrag unsubstantiiert.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz des der Höhe nach unstreitigen Wertminderungsschadens von 3.000 DM aus § 12 Abs. 3 Satz 1 TVK. Der Wortlaut der Tarifnorm ordnet die Rechtsfolge zwar nicht ausdrücklich an. Sie ergibt sich jedoch im Wege der Auslegung dieser Bestimmung.
1. Für die Auslegung einer Tarifnorm ist wie bei der Gesetzesauslegung zunächst vom Wortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch über den reinen Wortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in der tariflichen Norm ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mit berücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus den einzelnen Tarifnormen auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (ständige Rechtsprechung des BAG, zuletzt Senatsurteile vom 14. Mai 1987 - 6 AZR 555/85 - und vom 2. April 1987 - 6 AZR 585/82 -, beide zur Veröffentlichung bestimmt; BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Wenn nach der Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs Zweifel verbleiben, kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf die Tarifgeschichte und die praktische Tarifübung zurückgegriffen werden (BAG, aaO).
2. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, die Tarifvertragsparteien hätten mit der Formulierung, "der Arbeitgeber hafte ... für die Beschädigungen ... der Instrumente", eine Schadenersatzpflicht im Sinne des bürgerlichen Rechts gemeint. Das folgt bereits aus dem Wortlaut der Norm, jedenfalls aber aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang.
a) Haftung und Schadenersatz werden im juristischen Sprachgebrauch weithin gleichbedeutend gebraucht, obwohl die Haftung zunächst einmal nur die Verantwortlichkeit, d. h. das Einstehen für einen bestimmten Sachverhalt bedeutet (MünchKomm-Kramer, BGB, 2. Aufl., Einleitung vor § 241 Rz 41; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. 1, 14. Aufl., § 2 IV). In aller Regel wird die Folge der Haftung Schadenersatz sein (Deutsch, Haftungsrecht, S. 420). Andere Rechtsfolgen der Haftung können jedoch Wandlung und Minderung (vgl. §§ 459, 462 BGB) oder sogar Erfüllung (vgl. § 179 Abs. 1 BGB) sein. Derartige Haftungsfolgen scheiden im Streitfall aber aus, weil mit der Wortwahl Haftung für Beschädigungen der Hinweise auf die regelmäßige Rechtsfolge der Haftung, nämlich den Schadenersatz hinreichend deutlich formuliert ist.
b) Die Rechtsfolge "Schadenersatz" wird in § 11 Satz 1 TVK, der die Haftung des Musikers beschreibt, ausdrücklich erwähnt. Da § 11 Satz 2 TVK auf § 12 Abs. 1 TVK verweist, in dem ebenfalls nur die Haftung für Beschädigung formuliert ist, wird aus dieser Gesamtbetrachtung deutlich, daß die Tarifvertragsparteien in beiden Haftungsnormen an die Rechtsfolge des Schadenersatzes gedacht haben.
3. Der Schadenersatzanspruch nach bürgerlichem Recht umfaßt nach den §§ 249 ff. BGB nicht nur die Wiederherstellungskosten, sondern auch den merkantilen Minderwert, wenn eine beschädigte Sache trotz technisch einwandfreier Reparatur wegen des Schadensfalls geringer bewertet wird. Das gilt auch dann, wenn der Geschädigte die Sache behält und weiter benutzt (BGHZ 35, 396; BGHZ 55, 198; BGH NJW 1981, 1663; MünchKomm-Grunsky, aaO, vor § 249 Rz 14; Palandt/Heinrichs, BGB, 46. Aufl., § 251 Anm. 5 B b aa; Deutsch, aaO, S. 440). Die am beschädigten Kraftfahrzeug entwickelten Grundsätze gelten auch bei der Beschädigung anderer Sachen (BGHZ 55, 198; KG NJW 1979, 1167; MünchKomm-Grunsky, aaO). Sie gelten ebenso bei der Haftung für Beschädigungen nach § 12 Abs. 3 TVK, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat. Die Tarifvertragsparteien haben den Umfang der Schadenersatzpflicht nicht bestimmt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, daß Tarifvertragsparteien einen von ihnen benutzten Rechtsbegriff in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung angewendet wissen wollen, sofern sich aus dem Tarifvertrag nicht etwas anderes ergibt (BAG Urteil vom 18. März 1987 - 4 AZR 274/86 - zur Veröffentlichung bestimmt; BAGE 42, 272, 277 = AP Nr. 61 zu § 616 BGB; BAG Urteil vom 5. Februar 1971 - 4 AZR 66/70 - AP Nr. 120 zu § 1 TVG Auslegung). Davon kann auch bei der Auslegung des § 12 Abs. 3 Satz 1 TVK ausgegangen werden. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision überzeugen nicht. Bereits bei Abschluß des TVK, jedenfalls aber zur Zeit des vierten und fünften Änderungstarifvertrages zum TVK am 15. Mai 1979 und 11. Juni 1981 entsprach es allgemeiner Rechtsauffassung, den merkantilen Minderwert beschädigter reparierter Sachen in den Schadenersatz einzubeziehen. Deshalb ist beim Schaffen der Haftungsnorm und bei ihrer unveränderten Beibehaltung von einem entsprechenden Willen der Tarifvertragsparteien auszugehen, dem Musiker nicht nur die Reparaturkosten, sondern auch den durch die Beschädigung herbeigeführten merkantilen Minderwert zu ersetzen, sofern er an der Beschädigung schuldlos war. Anderenfalls hätten die Tarifvertragsparteien bei den Änderungstarifverträgen Gelegenheit gehabt, die Rechtsfolgen des § 12 TVK durch klarstellende Umformulierung zu begrenzen. Der weiter von der Revision vorgebrachte Einwand, das könne allenfalls für Blechinstrumente, nicht aber für teure Streichinstrumente gelten, läßt sich dem Tarif auch nicht andeutungsweise entnehmen.
4. Die am Wortlaut und tariflichen Gesamtzusammenhang vorgenommene Interpretation wird bestätigt durch den Sinn und Zweck der Normen sowie durch die versicherungsrechtliche Behandlung etwaiger Beschädigungen an Musikinstrumenten.
a) § 12 Abs. 3 Satz 1 TVK überträgt das Risiko der schuldlosen Beschädigung oder des schuldlosen Verlustes eines dem Musiker gehörenden Instruments, das dieser zur Entlastung des Arbeitgebers im Dienst nutzt, auf den Arbeitgeber. Der Musiker soll allein für eigenes Verschulden einstehen. Das Risiko einer Beschädigung würde aber nur teilweise vom Arbeitgeber getragen, wenn der Musiker den Wertverlust, der nach einer Beschädigung verbleibt, selbst tragen müßte. Eine teilweise Risikoübernahme im Falle der Beschädigung ist auch damit nicht in Einklang zu bringen, daß bei einem Verlust des Instruments, dessen Wert zu ersetzen ist, mithin vom Arbeitgeber das Gesamtrisiko zu tragen und nicht nur ein anderes spielbares Instrument zur Verfügung zu stellen ist.
b) Die versicherungsrechtliche Handhabung stimmt mit der Auslegung überein. Das zeigt sich am Beispiel der Beklagten. Sie geht von ihrer tariflichen Haftung auf Ersatz des Minderwerts bei Streichinstrumenten eines Zeitwerts von mehr als 20.000 DM aus. Andernfalls wäre nicht verständlich, warum die Beklagte für diese Musikinstrumente das Risiko der Wertminderung versichert hat. Es ist nicht ersichtlich, warum das für weniger wertvolle Instrumente nicht gelten sollte. Denn der Tarifvertrag kennt keinen nach dem Wert der Instrumente abgestuften Haftungsumfang. Die in diesem Zusammenhang erwähnte Unmöglichkeit der Versicherbarkeit weniger hochwertiger Musikinstrumente ist unergiebig. Die Behauptung der Beklagten als richtig unterstellt, für Instrumente unter der Wertgrenze von 20.000 DM könne der Arbeitgeber keine Versicherung abschließen, läßt keinen Schluß auf den Willen der Tarifvertragsparteien zu, der Wertminderungsschaden sei generell oder für diese Gruppe von Instrumenten nicht zu ersetzen.
5. Die Haftung der Beklagten ist auch nicht ausgeschlossen, weil die Klägerin die Beschädigung ihrer Viola selbst verschuldet hat. Feststellungen dazu hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen, vielmehr zu Recht ausgeführt, die Beklagte habe ihrer Darlegungslast nicht genügt. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind unbegründet.
a) Die Tarifvertragsparteien haben in § 12 Abs. 3 TVK unter bestimmten Voraussetzungen eine vom Verschulden des Arbeitgebers unabhängige Haftung für Beschädigungen an einer Sache des Musikers normiert. Nur im Ausnahmefall, in dem den Musiker eigenes Verschulden trifft, soll die vom Verschulden des Arbeitgebers unabhängige Haftung ausgeschlossen sein. Damit enthält § 12 Abs. 3 TVK eine anspruchshindernde Einwendung des Schuldners; das Nichtvorliegen des haftungsausschließenden Eigenverschuldens ist also keine anspruchsbegründende Voraussetzung für den Gläubiger. Dementsprechend trägt nicht er, sondern der Schuldner die Darlegungslast und im Fall der Erheblichkeit seines Vorbringens die Beweislast.
b) Die Beklagte ist bereits ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen. Das übersieht die Revision, die lediglich rügt, das Landesarbeitsgericht habe die Beweislast verkannt und die Regeln über den prima-facie-Beweis mißachtet. Diese Regeln greifen jedoch erst ein, wenn die beweisbelastete Partei ihrer Darlegungspflicht genügt und einen Sachverhalt geschildert hat, der unstreitig oder als gegeben festgestellt ist. Unstreitig ist nur, daß die Klägerin infolge der engen Raumverhältnisse gegen das Notenpult gestoßen ist und ihr hierbei die Bratsche aus der Hand geglitten ist. Die weiteren Einzelumstände beim Geschehensablauf wie insbesondere die räumlichen Gegebenheiten hat die Beklagte jedoch nicht näher geschildert. Diese sind streitig geblieben, so daß sich die Beklagte nicht auf die Erleichterungen des Anscheinsbeweises zur Feststellung eines Eigenverschuldens der Klägerin berufen kann.
III. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 ZPO und die Kostenentscheidung aus § 97 ZPO.
Dr. Röhsler Dörner
zugleich für den erkrankten
Richter Dr. Jobs
Oberhofer Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 440823 |
BAGE 56, 129-137 (LT1) |
BAGE, 129 |
NJW 1988, 932 |
NJW 1988, 932-932 (LT) |
JR 1988, 220 |
RdA 1988, 60 |
AP § 611 BGB Musiker (LT1), Nr 15 |
AR-Blattei, ES 860 Nr 59 (LT1) |
AR-Blattei, Haftung des Arbeitgebers Entsch 59 (LT1) |
RiA 1988, 272-272 (T) |