Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltungsbereich eines Firmentarifvertrages
Leitsatz (redaktionell)
1. Wer einen Anspruch auf eine infolge beiderseitiger Tarifgebundenheit zwingend anzuwendende Inhaltsnorm eines Tarifvertrages stützt, muß darlegen und ggf. beweisen, daß im Anspruchszeitraum Tarifgebundenheit (§ 3 Abs 1 TVG) bestanden hat. Die bloße Erklärung, einer Tarifvertragspartei (Gewerkschaft oder Arbeitgeberverband) anzugehören, besagt für sich allein nicht, seit wann Tarifgebundenheit vorliegen soll.
2. Die Einholung einer richterlichen Auskunft bei den Tarifvertragsparteien darf nicht auf die Beantwortung der prozeßentscheidenden Rechtsfrage gerichtet sein. Die Einholung einer Auskunft über das tatsächliche Tarifgeschehen oder einvernehmlich tarifliche Übungen (§ 273 Abs 2 Nr 2, § 293 ZPO) unterliegt dem pflichtgemäßen, revisionsgerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Ermessen der Tatsachengerichte. Eine solche Auskunft muß von allen beteiligten Tarifvertragsparteien, auch dem Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist, gleichermaßen eingeholt werden (Weiterführung von BAG Urteil vom 16. Oktober 1985 - 4 AZR 149/84 - BAGE 50, 9, 21 = AP Nr 108 zu §§ 22, 23 BAT 1975).
3. Der persönliche Geltungsbereich der Gehaltstarifverträge zwischen dem Reichsbund der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten, Sozialrentner und Hinterbliebenen eV (nunmehr: Sozialverband Reichsbund eV) und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen sowie der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft vom 9. April 1992 (GTV 1992) - dto vom 1. September 1994 (GTV 1994) - erstreckt sich nicht auf die Beschäftigten in Erholungsheimen.
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 9. Januar 1998 - 15 Sa 1467/97- wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers und dabei wesentlich darum, ob sich diese nach einem Haustarifvertrag der Beklagten richtet.
Der Kläger steht seit dem 15. Januar 1992 als Masseur und medizinischer Bademeister in den Diensten des Beklagten, der u.a. fünf Erholungsheime, davon zwei in Nordrhein-Westfalen, betreibt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 3. Dezember 1991. Dieser enthält keine Bezugnahme auf tarifvertragliche Regelungen. Der Kläger, der, wie das Arbeitsgericht am 12. Juni 1997 festgestellt hat, Mitglied der Gewerkschaft HBV ist, wird vom Beklagten in der Badeabteilung des Erholungszentrums in B , das über 150 Betten verfügt, beschäftigt. Dort arbeiten neben ihm die teilzeitbeschäftigte Masseurin und medizinische Bademeisterin S und halbtags jeweils von Frühjahr bis Herbst eine ungelernte Kraft, Frau P . Die Klientel besteht aus in der Regel über 65jährigen Mitgliedern des Beklagten, die im Heim einen meist dreiwöchigen Aufenthalt verbringen.
Der Kläger, der der Dienstaufsicht der Heimleitung untersteht, führt in Zusammenarbeit mit seiner Kollegin S die verordneten badeärztlichen Behandlungen aus. Er bestimmt die zeitliche Lage der Behandlungstermine für sich und die beiden anderen Mitarbeiterinnen der Badeabteilung. Er errechnet und vereinnahmt die anfallenden Rezeptgebühren. Daneben ist der Kläger für die Verwaltung des Lagers mit ca. 40 verschiedenen für die verordneten Behandlungen benötigten Artikeln verantwortlich. Zu seinen Aufgaben gehören die notwendigen Bestellungen für das Lager, der Verkauf von Salben und Cremes, die Inventur des Lagers und die Verwaltung der in eine Barkasse eingelegten Einnahmen aus den Verkäufen und aus den Rezeptgebühren.
Für seine Tätigkeit erhielt der Kläger im Oktober 1993 und in den Folgemonaten ein monatliches Gehalt von 2.781,00 DM, ab April 1994 von 2.836,62 DM und im Jahre 1995 von 3.102,00 DM - jeweils brutto -. Er beansprucht von der Beklagten für Teilzeiträume in der Zeit von Oktober 1993 bis Dezember 1996 die höhere Vergütung nach der VergGr. 6 der Gehaltstarifverträge des Beklagten vom 9. April 1992 (GTV 1992) und vom 1. September 1994 (GTV 1994). Dabei geht der Streit der Parteien darum, ob die Beschäftigten in den Erholungsheimen des Beklagten in den persönlichen Geltungsbereich dieser Tarifverträge fallen.
Die von der Beklagten mit den Gewerkschaften HBV und DAG geschlossenen Mantel- und Gehaltstarifverträge reichen bis ins Jahr 1959 zurück. Nach § 1 b des Manteltarifvertrages vom 7. März 1959 erstreckt sich dessen Geltungsbereich "persönlich: auf alle hauptamtlich gegen Lohn oder Gehalt vom Bundesvorstand, von den Landesverbänden des Reichsbundes, von der Gemeinnützigen Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. und von sonstigen Einrichtungen des Reichsbundes Beschäftigten". Dem entsprach § 1 b des am 1. Februar in Kraft getretenen Manteltarifvertrags aus dem Jahre 1986 (MTV 1986) mit der Maßgabe, daß darin die Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft nicht mehr genannt war.
Mit Schreiben vom 29. März 1990 übersandte die HBV der Beklagten die mit der DAG abgestimmten "Vorschläge der beiden Organisationen zur Neuformulierung von Tätigkeitsmerkmalen und Tätigkeitsbeispielen sowie zur Neufassung der Gehaltstabelle" für einen neuen Gehaltstarifvertrag. In diesem Schreiben ist u.a. ausgeführt:
"Die Arbeitsentgelte der Beschäftigten in den Reichsbund-Erholungsheimen sollen nach gemeinsamer Auffassung von DAG und HBV in einem besonderen Tarifvertrag geregelt werden. Hierzu werden von uns Forderungen noch entwickelt. ..."
Der "Geltungsbereich" des am 1. Februar 1992 in Kraft getretenen GTV 1992 "erstreckt sich" nach dessen § 1 b "persönlich: auf alle hauptamtlich gegen Lohn oder Gehalt vom Bundesvorstand, von den Landesverbänden und gegebenenfalls von sonstigen Einrichtungen des Reichsbundes Beschäftigten". Sein § 2 enthält unter der Überschrift "Tätigkeitsgruppen" die Eingruppierungsmerkmale, gegliedert in insgesamt 16 Gruppen. Die lediglich mit einer arabischen Ziffer bezeichneten Eingruppierungsmerkmale bestehen aus einem "Oberbegriff", denen "Hauptbeispiele" zugeordnet sind. Eingruppierungsmerkmale, die mit einer arabischen Ziffer sowie zusätzlich dem Buchstaben a bezeichnet sind, enthalten überwiegend die Angabe einer präzise bezeichneten Stelle (z.B. "Gruppe 5 a - Kreisgeschäftsführer bis 2500 Mitglieder"). Spezifische Tätigkeiten in Erholungsheimen sind in der Eingruppierungsordnung des § 2 GTV 1992 nicht aufgeführt. Diese Tarifnorm lautet auszugsweise:
...
§ 2 Tätigkeitsgruppen
Über die Eingruppierung nach den nachstehend aufgeführten Gruppen entscheidet unter Berücksichtigung der Leistungen und Schwierigkeit des Arbeitsplatzes der zuständige Gehaltsträger im Einvernehmen mit der Betriebsvertretung.
...
Gruppe 6
Oberbegriff Angestellte in selbständiger und verantwortlicher Tätigkeit
verantwortlicher Tätigkeit
HauptbeispielBuchhalter mit besonderen Leistungen,
e Sekretärinnen mit besonderer Verantwortung
...
Mit Schreiben vom 1. Februar 1993 teilte die DAG dem Beklagten ihre Forderungen für die Gehaltstarifverhandlungen 1993 sowie zum Manteltarifvertrag für die Angestellten des Reichsbundes mit. In diesem verweist sie u.a. "auf die z.Zt. laufenden Gespräche zur Einbeziehung der Erholungsheime in den Manteltarifvertrag ...".
Der am 1. September 1994 abgeschlossene GTV 1994 stimmt hinsichtlich seines persönlichen Geltungsbereichs und seines § 2 mit dem GTV 1992 überein. Das Gehalt der Gruppe 6 belief sich nach § 3 GTV 1994 in Stufe 4 auf 3.871,92 DM und in Stufe 5 auf 4.010,64 DM.
Am 12. Oktober 1994 schlossen die Gewerkschaften HBV und DAG mit der Beklagten zwei am 1. November 1994 in Kraft getretene Manteltarifverträge, von denen der eine für alle gegen Lohn oder Gehalt vom Bundesvorstand oder den Landesverbänden des Reichsbundes Beschäftigten, ausschließlich der Beschäftigten der Erholungsheime, gilt - nachfolgend MTV 1994 -, während der Geltungsbereich des anderen sich gem. seines § 1 b "auf alle gegen Lohn oder Gehalt vom Bundesvorstand oder den Landesverbänden des Reichsbundes in den Erholungsheimen des Reichsbundes Beschäftigten" erstreckt.
Im Anschluß daran richtete der Beklagte am 13. Oktober 1994 folgendes Schreiben an die Gewerkschaften HBV und DAG:
Im Auftrag des 1. Bundesvorsitzenden teile ich Ihnen mit, daß der Bundesvorstand des Reichsbundes in seiner Sitzung vom 12.10.1994 den Manteltarifvertrag, allgemein, für die Beschäftigten des Reichsbundes und den Manteltarifvertrag, Erholungsheime, für die Beschäftigten in den Erholungsheimen des Reichsbundes in der Form des Ihnen vorliegenden Beschlußvorschlages, Stand: 12.10.1994, gebilligt hat.
Ihre Zustimmung und Unterschrift vorausgesetzt, stellt der Bundesvorstand mit Freude fest, daß es damit erstmalig gelungen ist, auch einen für die Erholungsheime gültigen Manteltarifvertrag zu vereinbaren. Wir hoffen, daß auch die notwendigen Verhandlungen für einen erstmals für die Erholungsheime gültigen Gehaltstarifvertrag zügig zu einem Abschluß gebracht werden können.
...
Im Verlaufe der Gehaltstarifverhandlungen des Jahres 1995 richtete der Beklagte folgendes Schreiben vom 3. Juli 1995 an die Gewerkschaften HBV und DAG:
Im Auftrag des 1. Bundesvorsitzenden, Herrn , teile ich Ihnen mit, daß der Bundesvorstand des Reichsbundes in seiner Sitzung vom 30.06.1995 beschlossen hat, die Gehälter der allgemein beim Reichsbund Beschäftigten mit Wirkung vom 01.02.1995 bei einer Laufzeit von 15 Monaten bis 30.04.1996 um 3,4% zu erhöhen. Die Beschäftigten in den neuen Bundesländern erhalten 87% der Bezüge.
Die Arbeitnehmer in den Erholungsheimen des Reichsbundes, für die noch kein Gehaltstarifvertrag zwischen den Tarifpartnern vereinbart wurde, erhalten ab 01.02.1995 eine Erhöhung von 3,4% auf die z.Zt. in den jeweiligen Erholungsheimen gezahlten Bezüge, als freiwillige Leistung des Arbeitgebers.
Da der Beschluß des Bundesvorstandes für die allgemein Beschäftigten des Reichsbundes einer der Varianten, wie sie durch die Gewerkschaften bei den Tarifverhandlungen am 20.06.1995 vorgebracht wurden, entspricht, wird um Mitteilung gebeten, ob Ihre Tarifkommission formal diesem Ergebnis und dem im Entwurf beigefügten Gehaltstarifvertrag (allgemein) zustimmen kann, oder ob dazu eine erneute Sitzung einberufen werden muß.
Im Falle Ihrer Zustimmung würde der Tarifvertrag ausgefertigt und seitens des Bundesvorstandes unterschrieben Ihnen zugeleitet werden."
Die HBV antwortete darauf mit Schreiben vom 14. Juli 1995:
"Gehaltstarifvertrag für die Beschäftigten des Reichsbundes
wir stimmen formal dem mit Schreiben vom 03. Juli 1995 mitgeteilten Tarifergebnis zu und bitten um Zusendung der unterzeichneten Tarifverträge.
Die Registrierung des Tarifvertrages wird durch uns vorgenommen."
Das Antwortschreiben der DAG vom 18. Juli 1995 lautet wie folgt:
"Gehaltsanhebung für die Beschäftigten des Reichsbundes
...
herzlichen Dank für Ihr Schreiben vom 03. Juli 1995, mit dem Sie mitteilen, daß Sie einer Variante unseres Kompromißvorschlages folgen mit dem Ziel einer tarifvertraglichen Regelung.
Unsererseits kann ich Ihnen mitteilen, daß wir Ihrem Angebot zustimmen.
In Erwartung des von Ihnen unterschriebenen Tarifvertrages verbleibe ich ..."
Die Tarifvertragsparteien unterzeichneten daraufhin den rückwirkend zum 1. Februar 1995 in Kraft gesetzten Gehaltstarifvertrag (GTV 1995), dessen persönlicher Geltungsbereich sich gem. seines § 1 b "auf alle gegen Lohn oder Gehalt vom Bundesvorstand oder den Landesverbänden nach dem §Manteltarifvertrag Reichsbund - allgemein -§ Beschäftigten, ausschließlich der Beschäftigten der Erholungsheime" erstreckt. Die Gehaltsgruppenregelung in dessen § 2 ist identisch mit derjenigen in den GTV 1992 und 1994.
Mit Schreiben vom 26. Januar 1995 ließ der Kläger durch den Betriebsrat des Erholungszentrums B Gehaltsansprüche in Höhe von 10.905,42 DM als Differenz zwischen gezahlten Gehältern und dem Tarifgehalt für die Zeit von Oktober 1993 bis Dezember 1994 dem Beklagten gegenüber geltend machen.
Die Gewerkschaft HBV machte sodann mit Schreiben vom 27. März 1996 Gehaltsnachforderungen des Klägers für die Monate Dezember 1995 bis Februar 1996 in Höhe von insgesamt 3.450,25 DM brutto geltend. Zur Begründung dieser Ansprüche heißt es in diesem Schreiben u.a.:
"... Da eine tarifliche Norm beim Reichsbund für das Erholungsheim bisher abgelehnt wurde, gilt dann ersatzweise die vorhandene Norm des öffentlichen Dienstes für Bademeister als ortsübliche Taxe im Sinne des § 612 BGB. ..."
Diese "Taxe" bezifferte die Gewerkschaft HBV mit 4.218,75 DM im Monat.
Für die Zeit bis Dezember 1996 machte der Kläger Vergütungsansprüche mit Schreiben vom 6. Januar 1997 gegenüber dem Beklagten geltend.
Mit seiner mehrfach erweiterten Klage fordert er vom Beklagten Vergütung (Gehalt und 13. Monatseinkommen) für die Monate Oktober 1993 bis Dezember 1994 und Dezember 1995 bis Dezember 1996 in Höhe von insgesamt 23.448,30 DM brutto nebst 4 % Rechtshängigkeitszinsen auf die jeweiligen Nettobeträge.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der GTV 1994 sei auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar, weil dieser Tarifvertrag persönlich auch für die Beschäftigten der Erholungsheime gelte. Der Umstand, daß die Tätigkeiten in den Erholungsheimen in den Hauptbeispielen der Tätigkeitsgruppen des § 2 nicht aufgeführt seien, stehe der Geltung des Tarifvertrages für Beschäftigte in Erholungsheimen nicht entgegen. Der Begriff "Hauptbeispiel" beinhalte, daß es daneben noch andere Beispiele gebe. Da er selbständige und verantwortungsvolle Tätigkeiten ausübe, sei der Beklagte verpflichtet, ihn gem. § 2 Gruppe 6 GTV 1992 und GTV 1994 zu vergüten.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, 23.448,30 DM nebst 4% Zinsen aus dem jeweiligen Nettobetrag von 7.061,04 DM seit dem 6. September 1996, aus 10.905,42 DM seit dem 7. Januar 1997 und aus 5.481,84 DM sei dem 13. Februar 1997 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, der GTV 1994 sei auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anwendbar. Der Kläger unterfalle nicht dem persönlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages. In den Tätigkeitsgruppen des § 2 GTV 1994 seien keine typischen Tätigkeitsmerkmale für die in den Erholungsheimen tätigen Arbeitnehmer aufgenommen worden. Dies zeige, daß dieser Tarifvertrag nicht für die Beschäftigten in den Erholungsheimen gelten solle. Im Hinblick auf die in den Erholungsheimen Beschäftigten enthalte der GTV 1994 eine bewußte Regelungslücke, die nicht durch ergänzende Tarifvertragsauslegung geschlossen werden könne. Dies werde auch durch die Tarifgeschichte belegt. Schon im Jahre 1959 sei die Einbeziehung der Beschäftigten im damals einzigen Erholungsheim in Ba S in den GTV vom 7. März 1959 von keiner der Tarifvertragsparteien beabsichtigt gewesen und demzufolge nicht Gegenstand von Tarifvertragsverhandlungen gewesen. Bezeichnenderweise habe daher auch keiner der im Laufe der Zeit geschlossenen Gehaltstarifverträge jemals bei den Hauptbeispielen Berufsbezeichnungen bzw. -beschreibungen enthalten, die mit den vorhandenen beruflichen Tätigkeiten in den Heimen in Verbindung gebracht werden könnten. Zu keinem Zeitpunkt seien die in den Erholungsheimen Beschäftigten entsprechend einem Gehaltstarifvertrag vergütet worden. Zwischen den Tarifvertragsparteien habe stets Einigkeit darüber bestanden, daß der Gehaltstarifvertrag auf die in den Erholungsheimen Beschäftigten keine Anwendung finde. Dies werde auch durch die Korrespondenz der Tarifvertragsparteien belegt. Aus den Schreiben der HBV und der DAG gehe eindeutig hervor, daß beide Gewerkschaften der Auffassung gewesen seien, für die Beschäftigten der Erholungsheime existiere ein Gehaltstarifvertrag noch nicht. Die Tarifvertragsparteien seien sich nach Abschluß des Manteltarifvertrages vom 12. Oktober 1994 für die Beschäftigten der Erholungsheime darüber einig gewesen, die Verhandlungen über den Abschluß eines für diesen Personenkreis geltenden Gehaltstarifvertrages baldmöglichst aufzunehmen.
Der Beklagte hat weiter die Auffassung vertreten, der Kläger habe die Voraussetzungen für eine Eingruppierung in Gruppe 6 GTV 1994 nicht dargelegt. Im übrigen seien etwaige Ansprüche verfallen bzw. verjährt.
Das Arbeitsgericht hat nach Einholung einer Auskunft bei den Gewerkschaften HBV und DAG zur Geltung des GTV 1994 für die Beschäftigten in den Erholungsheimen des Beklagten diesen unter Abweisung der Klage im übrigen verurteilt, an den Kläger 9.709,50 DM nebst 4% Zinsen aus dem Nettobetrag von 6.529,26 DM seit dem 6. September 1996 und von 3.180,24 DM seit dem 7. Januar 1997 zu zahlen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, mit der sie der Sache nach jeweils ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt haben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat seine Klage zu Recht abgewiesen.
I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gehalt nach Gruppe 6 des § 2 GTV 1992 und GTV 1994.
1. Ein Anspruch auf die von ihm geforderte tarifliche (§ 4 Abs. 1 TVG) Vergütung steht dem Kläger schon deshalb nicht zu, weil seine Tarifgebundenheit (§ 3 Abs. 1 TVG) an die genannten Tarifverträge während der streitigen Anspruchszeiträume oder eines Teils derselben nicht festgestellt ist.
Die vom Arbeitsgericht getroffene und vom Landesarbeitsgericht nicht angesprochene tatsächliche Feststellung zur Tarifgebundenheit des Klägers ist für den Streitgegenstand dieses Rechtsstreits unzureichend. Wer einen Anspruch auf eine infolge beiderseitiger Tarifgebundenheit zwingend anzuwendende Inhaltsnorm eines Tarifvertrages stützt, muß darlegen und ggf. beweisen, daß im Anspruchszeitraum Tarifgebundenheit (§ 3 Abs. 1 TVG) bestanden hat. Die bloße Erklärung, einer Tarifvertragspartei (Gewerkschaft oder Arbeitgeberverband) anzugehören, besagt für sich allein nicht, seit wann Tarifgebundenheit vorliegen soll. Das Arbeitsgericht hat im Termin vom 12. Juni 1997 folgende vom Beklagten inhaltlich nicht bestrittene Erklärung des Klägers zu Protokoll genommen: "Ich bin Gewerkschaftsmitglied in der HBV". Damit ist die Tarifgebundenheit des Klägers lediglich für die Zeit seit dem 12. Juni 1997 festgestellt. Aus dieser Feststellung kann nicht auf das Bestehen der Tarifgebundenheit des Klägers während des Streitzeitraums geschlossen werden, der eine Zeit von fast drei Jahren vor Erhebung der Klage umfaßt. Denn vielfach ist erst der den Prozeßgegenstand bildende Konflikt mit dem Arbeitgeber Anlaß für den dann erst kurz vor Klageerhebung erfolgten Gewerkschaftsbeitritt des Arbeitnehmers.
2. Unbeschadet der Frage seiner Tarifgebundenheit hat der in einem Erholungsheim des Beklagten beschäftigte Kläger keinen Anspruch auf Gehalt nach Gruppe 6 des § 2 GTV 1992 und GTV 1994, weil diese Tarifverträge nicht für die Beschäftigten des Beklagten in Erholungsheimen gelten. Der Senat folgt der überzeugenden Auslegung des GTV 1994 durch das Landesarbeitsgericht. Diese trifft auch für den Geltungsbereich des - vom Landesarbeitsgericht insoweit nicht genannten - GTV 1992 zu, dessen Regelung des persönlichen Geltungsbereichs mit derjenigen des GTV 1994 übereinstimmt.
2.1 Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist außerdem stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es ebenfalls zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z.B. Senatsurteil vom 21. Juli 1993 - 4 AZR 468/92 - BAGE 73, 364 = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung).
2.2 Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt und zutreffend angewandt.
2.2.1 Mit überzeugender Begründung ist es zu dem Ergebnis gelangt, daß sich die Regelung des persönlichen Geltungsbereichs in § 1 b GTV 1994 nicht auf die Beschäftigten in den Erholungsheimen des Beklagten erstreckt. Zwar spricht der Wortlaut des § 1 b GTV 1992 und 1994, der Geltungsbereich erstrecke sich "persönlich: auf alle hauptamtlich gegen Lohn oder Gehalt vom Bundesvorstand, von den Landesverbänden und gegebenenfalls von sonstigen Einrichtungen des Reichsbundes Beschäftigten" dafür, daß diese Tarifverträge auch für die Beschäftigten in Erholungsheimen des Beklagten gelten sollen. Die Mitberücksichtigung der Eingruppierungsmerkmale der GTV 1992 und 1994 und die Tarifgeschichte sprechen jedoch eindeutig gegen die Erstreckung des persönlichen Geltungsbereichs dieser Tarifverträge auf die Beschäftigten in den Erholungsheimen des Beklagten. In solchen Einrichtungen sind Küchenpersonal, Personal in medizinischen Hilfsberufen (Pflegekräfte, Krankenschwestern, Masseure und medizinische Bademeister), möglicherweise auch ärztliches Personal, Heimleiter u.a. mehr beschäftigt. Arbeitnehmer mit solchen Tätigkeiten finden in der Regelung der "Tätigkeitsgruppen" des § 2 GTV 1992 und 1994 keinerlei Erwähnung, und zwar weder als Hauptbeispiel noch in den zum Teil sehr konkreten Oberbegriffen (z.B. "Kreisgeschäftsführer", "Rechtsschutzsekretäre"). In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß es hier um die Auslegung von Haustarifverträgen geht, die Tarifvertragsparteien also über die beim Arbeitgeber vertretenen Berufsgruppen im Bilde sind. Ein auf die konkreten Verhältnisse des tarifvertragschließenden Arbeitgebers zugeschnittenes Eingruppierungssystem läßt kaum Beispiele für eine ganze Gruppe verschiedener Berufe eines speziellen Tätigkeitsfeldes des Arbeitgebers aus, für das die vereinbarten Eingruppierungsmerkmale mangels zutreffender Beispiele, denen nach dem Willen der Tarifvertragsparteien wesentliche Bedeutung für die Eingruppierung zukommt, nur schwer anwendbar sind. Diese Erwägung hat das Landesarbeitsgericht zutreffend herausgestellt. Es geht hier nicht darum, daß "die Nichtnennung" solcher Tätigkeiten "als Hauptbeispiel" es nicht hindert, den Oberbegriff als erfüllt anzusehen, wie der Kläger zutreffend geltend macht. Vielmehr spricht der Umstand, daß in keinem Oberbegriff und in keinem Hauptbeispiel Tätigkeiten behandelt sind, die speziell in einem Erholungsheim anfallen, dafür, daß diese Beschäftigten vom Geltungsbereich der GTV 1992 und 1994 nicht erfaßt waren. Dem entspricht es, daß die Tätigkeitsgruppenregelung im GTV 1995 gegenüber derjenigen in den GTV 1992 und 1994 völlig unverändert geblieben ist, obwohl der persönliche Geltungsbereich des GTV 1995 die Beschäftigten in Erholungsheimen - aus der Sicht des Klägers - anders als seine Vorgänger nicht mehr erfaßt. Einer Änderung der Eingruppierungsregelung bedurfte es nicht. Denn die Regelung des persönlichen Geltungsbereichs im GTV 1995 beinhaltet keine Änderung, sondern nur die Klarstellung dessen, was auch vorher galt.
Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht auch darauf hingewiesen, es widerspreche der Lebenserfahrung, daß eine tarifvertragschließende Gewerkschaft einen - nicht unerheblichen - Teil ihrer Mitglieder vom bisherigen Geltungsbereich eines Tarifvertrages ausnimmt, ohne zugleich für diese Beschäftigten einen neuen Tarifvertrag verhandelt und abgeschlossen zu haben. Das wäre aber der Fall, wäre die Rechtsansicht des Klägers richtig, die in den Erholungsheimen Beschäftigten seien bis zum 31. Januar 1995 vom persönlichen Geltungsbereich des GTV 1994 erfaßt gewesen.
2.2.2 Die zutreffende Auslegung der Regelung des persönlichen Geltungsbereichs in § 1 b GTV 1992 und 1994 durch das Landesarbeitsgericht findet ihre eindeutige Bestätigung in dem diesbezüglichen von ihm festgestellten Schriftwechsel der Tarifvertragsparteien in den Jahren 1990 bis 1995 sowie dem Geltendmachungsschreiben der Tarifvertragspartei HBV vom 27. März 1996. Danach galt auch noch im Jahre 1995 kein Gehaltstarifvertrag für die Beschäftigten in den Erholungsheimen des Beklagten.
2.3 Der Einholung einer Auskunft bei den Tarifvertragsparteien zur Auslegung des § 1 b GTV 1992 und 1994 bedurfte es unter diesen Umständen nicht.
2.3.1 Die Einholung einer richterlichen Auskunft bei den Tarifvertragsparteien darf nicht auf die Beantwortung der prozeßentscheidenden Rechtsfrage gerichtet sein. Die Einholung einer Auskunft über das tatsächliche Tarifgeschehen oder einvernehmliche tarifliche Übungen (§ 273 Abs. 2 Nr. 2, § 293 ZPO) unterliegt dem pflichtgemäßen, revisionsgerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Ermessen der Tatsachengerichte. Eine solche Auskunft muß von allen beteiligten Tarifvertragsparteien, auch dem Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist, gleichermaßen eingeholt werden (Weiterführung von BAG Urteil vom 16. Oktober 1985 - 4 AZR 149/84 - BAGE 50, 9, 21 = AP Nr. 108 zu §§ 22, 23 BAT 1975).
2.3.2 Die eingeholte Auskunft ist unstatthaft, weil sie sich nicht auf Tatsachen zum Tarifgeschehen beschränkt, sondern lediglich zur Beantwortung einer Rechtsfrage auffordert. Außerdem ist sie auch deshalb unbehilflich, weil das Arbeitsgericht es unterlassen hat, die von ihm für erforderlich gehaltene Auskunft auch bei der Arbeitgeberseite einzuholen.
2.4 Der Senat setzt sich mit der Auslegung der tariflichen Regelung des persönlichen Geltungsbereichs der GTV 1992 und 1994 nicht in Widerspruch zu seiner Entscheidung vom 29. Januar 1992 (- 4 AZR 294/91 - AP Nr. 12 zu § 3 TVG). Denn darin hat der Senat entschieden, daß der MTV 1986, dessen § 1 b dieselbe Auslegungsfrage aufwirft, für beim Beklagten beschäftigte Arbeiter gilt. Zwar war die mit ihrem Zahlungsanspruch obsiegende Klägerin jenes Rechtsstreits in einem Erholungsheim des Beklagten beschäftigt. Die Geltung des MTV 1986 für die Beschäftigten in den Erholungsheimen des Beklagten ist in jenem Rechtsstreit von diesem nicht in Zweifel gezogen worden. Mit der Auslegung der den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages regelnden Tarifnorm in dieser Hinsicht brauchte der Senat sich daher nicht zu befassen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Schliemann
FriedricBott Gnade
Görgens
Fundstellen
Haufe-Index 610929 |
BAGE, 229 |
BB 2000, 832 |
DB 2000, 1080 |
FA 2000, 162 |
FA 2000, 193 |
NZA 2000, 432 |
SAE 2000, 128 |
ZTR 2000, 219 |
AP, 0 |
AuA 2001, 90 |
MDR 2000, 647 |
AUR 2000, 159 |