Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer tarifvertraglichen Besitzstandsregelung. Tarifauslegung. betriebsrentenrechtliche Besitzstandsregelung. Begriff der „letzten Einstellung”. Inkrafttreten sowie persönlicher und sachlicher Geltungsbereich einer Abschmelzungsvorschrift
Orientierungssatz
Dient eine Abschmelzungsregelung dazu, den Abbau einer Überversorgung zu verstärken und zu beschleunigen, so ist ohne besondere Anhaltspunkte nicht anzunehmen, daß Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten ausgenommen sein sollen.
Normenkette
BetrAVG § 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 21. September 1999 – 1 Sa 50/98 – wird auf die Revision der Beklagten unter Zurückweisung im übrigen insoweit aufgehoben, als dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung des Überschreitungsbetrages ohne Aufsaugung nach § 16 Abs. 2 der Versorgungsvereinbarung vom 13. März 1997 zugesprochen wurde.
2. Das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 8. Oktober 1998 – 4 Ca 213/98 – wird auf die Berufung des Klägers unter Zurückweisung im übrigen wie folgt abgeändert:
- Es wird festgestellt, daß der dem Kläger zustehende Überschreitungsbetrag nach § 16 Abs. 2 der Versorgungsvereinbarung vom 29. Juli 1985 nicht abzubauen ist, jedoch die Steigerung der Betriebsrente nach § 16 Abs. 2 der Versorgungsvereinbarung vom 13. März 1997 so lange auszusetzen ist, bis die Nettogesamtversorgung die Obergrenze von 100/100 des jeweiligen Nettovergleichseinkommens nicht mehr überschreitet.
- Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten nur um die Auslegung einer tarifvertraglichen Besitzstandsregelung.
Der Kläger war vom 1. April 1970 bis zum 14. Februar 1998 bei der beklagten Rundfunkanstalt als Angestellter tätig. Für die Zeit vom 1. April 1970 bis 31. März 1972 und anschließend für die Zeit vom 1. April 1972 bis 31. März 1974 hatten die Parteien ein befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart. Es wurde ohne Unterbrechung als unbefristetes fortgesetzt. Im unbefristeten Arbeitsvertrag verpflichtete sich die Beklagte zur Gewährung von Versorgungsleistungen nach Maßgabe der jeweils gültigen tarifvertraglichen Versorgungsvereinbarung.
Nach § 5 der Versorgungsvereinbarung in der Fassung des Tarifvertrages vom 1. November 1973 (VV 73) betrug die Altersrente nach Ablauf der zehnjährigen Wartezeit 35 % des ruhegeldfähigen Einkommens und erhöhte sich nach dem vollendeten 10. Beschäftigungsjahr um einen Steigerungssatz von 1,0 bzw. 1,5 % pro Jahr bis zu dem nach dem 30. Beschäftigungsjahr erreichten Höchstsatz von 60 %. Bei einer Betriebsrente von 35 bis 45 % des ruhegeldfähigen Einkommens durfte die Gesamtversorgung nach § 14 Abs. 1 VV 73 75 % des ruhegeldfähigen Einkommens nicht überschreiten. Bei einer Betriebsrente von 46 % bis 55 % des ruhegeldfähigen Einkommens erhöhte sich die Bruttogesamtversorgungsobergrenze auf 80 % und bei einer Betriebsrente von 56 bis 60 % des ruhegeldfähigen Einkommens auf 85 % des ruhegeldfähigen Einkommens. Der Tarifvertrag vom 29. Juli 1985 (VV 85) führte mit Wirkung zum 1. Januar 1985 außerdem eine Nettogesamtversorgungsobergrenze ein. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 VV 85 beträgt „die Obergrenze der Nettogesamtversorgung bis einschließlich 20 Beschäftigungsjahren 80/100, bei mehr als 20 bis einschließlich 25 Beschäftigungsjahren 85/100 und bei mehr als 25 Beschäftigungsjahren 90/100 des jeweiligen Nettovergleichseinkommens”. § 16 VV 85 enthält folgende Besitzstandsregelung:
„Für Berechtigte, die vor dem 1.1.1985 Versorgungsbezüge erhalten haben, und für Arbeitnehmer, deren ruhegeldfähige Dienstzeit gemäß § 4 vor dem 1.1.1984 begonnen hat, gilt § 15 mit folgender Maßgabe:
(1) Die Nettogesamtversorgung darf eine Obergrenze von 91,75/100 des jeweiligen Nettovergleichseinkommens nicht überschreiten. Als Ausgleich für etwaige gezahlte Mehrarbeitsvergütungen, Mehrarbeits- und Zeitzuschläge erhöht sich dieser Vom-Hundert-Satz pauschal um zwei Prozent-Punkte. …
(2) Soweit die Gesamtversorgung die nach Ziffer 1 bestimmte Obergrenze überschreitet, ist der Überschreitungsbetrag mit Beginn folgender Zeitpunkte abzubauen:
a) Bei letzter Einstellung des Berechtigten im NDR vor dem 1. Januar 1984, aber nach dem 1. Januar 1974:
…
bei mindestens 15 Beschäftigungsjahren frühestens vom 1.1.1990 an,
bei mindestens 25 Beschäftigungsjahren frühestens vom 1.1.1993 an.
…
b) Bei letzter Einstellung des Berechtigten im NDR vor dem 1.1.1974, aber nach dem 1.1.1965:
…
Bei mehr als 20 Beschäftigungsjahren findet kein Abbau statt.
…
(3) Der Überschreitungsbetrag gemäß Ziffer 2 wird bei allgemeinen Änderungen nicht angepaßt.
Der Überschreitungsbetrag vermindert sich vom Zeitpunkt der Überprüfung gemäß § 15 Ziffer 9 an, die den in § 16 Ziffer 2 genannten Terminen folgt. Die Minderung beträgt 1/6 des Überschreitungsbetrages; … .
In Fällen, in denen der Beginn der Versorgungszahlung nach den in § 16 Ziffer 2 genannten Terminen liegt, ist zu den sich jeweils ergebenden Überprüfungszeitpunkten der Überschreitungsbetrag vorab zu vermindern.”
Die Versorgungsvereinbarung wurde durch Tarifvertrag vom 13. März 1997 neu gefaßt. Die Besitzstandsregelung in § 16 VV 97 lautet auszugsweise:
„…
(2) Für Berechtigte, die bei Inkrafttreten dieses Tarifvertrages Versorgungsbezüge erhalten und bei denen die Obergrenze von 100/100 des Nettovergleichseinkommens überschritten ist, wird die Steigerung der NDR-Altersrente so lange ausgesetzt, bis die Nettogesamtversorgung die Obergrenze von 100/100 des jeweiligen Nettovergleichseinkommens nicht mehr überschreitet.
(3) Bei Berechtigten, die nach § 16 Abs. 1, 2 und 3 der Versorgungsvereinbarung in der Fassung vom 29. Juli 1985 einen Überschreitungsbetrag erhalten bzw. erhalten würden, der abgebaut wird bzw. abgebaut würde, erfolgt der Abbau unverändert nach § 16 Abs. 3 der Versorgungsvereinbarung in der Fassung vom 29. Juli 1985.
…”
Der Tarifvertrag vom 13. März 1997 regelte sein Inkrafttreten wie folgt:
„Der Tarifvertrag tritt mit Ausnahme der §§ 4 Abs. 3 (einschließlich Protokollnotiz) und 16 Abs. 2 am 1.1.1998 in Kraft. Die §§ 4 Abs. 3 (einschließlich Protokollnotiz) und 16 Abs. 2 traten bereits am 1.3.1997 in Kraft.”
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bewilligte dem Kläger rückwirkend ab 1. September 1997 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 14. Februar 1998 beendet. Die Obergrenze der Nettogesamtversorgung war um 900,68 DM überschritten. Die Beklagte legte als Zeitpunkt der „letzten Einstellung” den 1. April 1974 zu Grunde und baute deshalb den Überschreitungsbetrag nach § 16 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 VV 85 ab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß der ihm zustehende Überschreitungsbetrag nach § 16 Abs. 2 Buchst. b VV 85 nicht abgebaut werden dürfe. Als „letzte Einstellung” sei der 1. April 1970 anzusehen. Wenn sich an ein befristetes Arbeitsverhältnis ein unbefristetes unmittelbar anschließe, sei der Beginn des ununterbrochenen Arbeitsverhältnisses entscheidend. Eine Aufsaugung nach § 16 Abs. 2 VV 97 finde nicht statt. Diese Vorschrift gelte nicht für Berufsunfähigkeitsrenten.
Der Kläger hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, beantragt,
festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, die dem Kläger von der Beklagten nach der Versorgungsvereinbarung vom 13. März 1997 in Verbindung mit der Versorgungsvereinbarung vom 29. Juli 1985 zu zahlenden Versorgungsbezüge um Überschreitungsbeträge abzubauen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe die Besitzstandsregelung des § 16 Abs. 2 VV 97 richtig angewandt. Unter „letzter Einstellung” sei der Beginn des unbefristeten Arbeitsverhältnisses zu verstehen. Jedenfalls sei die Aufsaugungsvorschrift des § 16 Abs. 2 VV 97 anwendbar.
Das Arbeitsgericht hat die noch anhängige Feststellungsklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten. Den Rechtsstreit über den Zahlungsantrag haben die Parteien in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nur teilweise begründet. Der Kläger wendet sich mit seiner Feststellungsklage nicht nur gegen einen Abbau des Überschreitungsbetrages nach § 16 Abs. 2 VV 85, sondern auch gegen eine Aufsaugung nach § 16 Abs. 2 VV 97. Er möchte erreichen, daß ihm der Überschreitungsbetrag auf Dauer verbleibt. Dem Kläger steht zwar nach § 16 Abs. 2 Buchst. b VV 85 ein nicht abzubauender Überschreitungsbetrag zu. Die Steigerung seiner Versorgungsbezüge ist jedoch nach § 16 Abs. 2 VV 97 so lange auszusetzen, bis die Nettogesamtversorgung die Obergrenze von 100/100 des jeweiligen Nettovergleichseinkommens nicht mehr überschreitet.
I. Da die „letzte Einstellung” des Klägers vor dem 1. Januar 1974 lag und er mehr als 20 Beschäftigungsjahre erreichte, findet nach § 16 Abs. 2 Buchst. b VV 85 kein Abbau des Überschreitungsbetrages statt. Zwischen den Parteien bestand seit dem 1. April 1970 ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis. Es endete am 14. Februar 1998. Der Senat hat mit Urteil vom 29. August 2000 – 3 AZR 408/99 – nv. entschieden, daß nicht der Beginn des unbefristeten Arbeitsverhältnisses, sondern der Beginn des ununterbrochenen Arbeitsverhältnisses als „letzte Einstellung” iSd. § 16 VV 85 anzusehen ist. Daran hält der Senat fest.
1. Nach allgemeinem Sprachgebrauch liegt eine „Einstellung” vor, wenn der Arbeitgeber jemanden in seine Dienste nimmt(vgl. ua. Wahrig Deutsches Wörterbuch 6. Aufl. Stichwort: einstellen). Den Gegensatz zur „Einstellung” bildet die „Entlassung”(vgl. Duden Das Große Wörterbuch der deutschen Sprache 1976 Stichwort: einstellen). Bei einer lückenlosen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fehlt eine Entlassung. Der Arbeitnehmer wird dementsprechend bei Verlängerungen oder inhaltlichen Veränderungen des Arbeitsverhältnisses nicht neu eingestellt.
2. Unerheblich ist es, daß § 99 BetrVG den Begriff „Einstellung” in einem weiteren Sinne verwendet. Diese Abweichung vom allgemeinen Sprachgebrauch beruht auf betriebsverfassungsrechtlichen Erwägungen, die für § 16 VV 85 keine Rolle spielen.
Wird ein befristetes Arbeitsverhältnis verlängert oder in ein unbefristetes umgewandelt, so liegt eine nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtige Einstellung vor(hM; ständige Rechtsprechung des BAG, ua. 18. Juli 1978 – 1 ABR 79/75 – BAGE 31, 20 und 7. August 1990 – 1 ABR 68/89 – BAGE 65, 329, 334 mwN, sowie im Schrifttum ua. Kittner in Däubler/Kittner/Klebe BetrVG 7. Aufl. § 99 Rn. 45; Dietz/Richardi BetrVG 7. Aufl. § 99 Rn. 34; Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 99 Rn. 36; aA ua. Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 5. Aufl. § 99 Rn. 23; Stege/Weinspach BetrVG 8. Aufl. § 99 Rn. 23). Im Beschluß vom 18. Juli 1978(aaO) hat das Bundesarbeitsgericht darauf hingewiesen, daß eine Beschäftigung über die vereinbarte Altersgrenze hinaus betriebsverfassungsrechtlich jedenfalls „einer Neueinstellung gleich steht”. Ob es sich dabei um eine entsprechende Anwendung oder eine weite Auslegung des § 99 BetrVG handelt, kann dahinstehen. Dem Betriebsrat steht ein Mitbestimmungsrecht zu, weil bei der Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages und bei der Umwandlung eines befristeten in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis die betriebsverfassungsrechtliche Interessenlage ähnlich ist wie bei einer Einstellung(vgl. dazu Gumpert BB 1978, 1718). Der unterschiedliche Normzweck läßt es nicht zu, den betriebsverfassungsrechtlichen Einstellungsbegriff auf die versorgungsrechtliche Besitzstandsregelung des § 16 VV 85 zu übertragen.
3. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht der Tarifsystematik große Bedeutung beigemessen. Da die Tarifvertragsparteien ein und denselben Begriff in der Regel einheitlich verwenden, sind alle tarifvertraglichen Vorschriften zu berücksichtigen, bei denen es auf die „letzte Einstellung” ankommt. Die umfassende Betrachtung ergibt, daß mit dem Begriff „letzte Einstellung” zwischen ununterbrochen beschäftigten Arbeitnehmern und zeitweilig ausgeschiedenen differenziert werden soll.
a) Ausgehend von dieser Unterscheidung bestimmt § 4 Abs. 4 VV 85, daß bei unterbrochenen Arbeitsverhältnissen frühere Beschäftigungszeiten nur unter besonderen Voraussetzungen mitzählen.
aa) § 4 Abs. 4 Unterabs. 1 VV 85 legt fest, welche Dienstzeiten stets zur maßgeblichen Beschäftigungszeit gehören. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift kommt es ohne jede Einschränkung auf den „Tag der letzten Einstellung in den Dienst des NDR” an. Von einer unbefristeten Einstellung ist nicht die Rede. Hätte es auf die letzte „unbefristete Anstellung” ankommen sollen, so hätte es nahegelegen, diese in Nr. 231 Ausscheidungssatz 2 MTV verwandte Formulierung zu gebrauchen. Da es üblich ist, die gesamte Zeit eines ununterbrochenen Arbeitsverhältnisses ohne zusätzliche Voraussetzungen als Beschäftigungszeit zu berücksichtigen, ist nicht anzunehmen, daß die Tarifvertragsparteien eine abweichende Berechnungsregel aufstellen wollten, ohne dies unmißverständlich zum Ausdruck zu bringen. Auch die Unverfallbarkeitsfristen stellen auf die Dauer des ununterbrochenen Arbeitsverhältnisses ab, ohne zwischen befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen zu differenzieren.
bb) § 4 Abs. 4 Unterabs. 2 und 3 VV 85 regelt, unter welchen Voraussetzungen die vor der letzten Einstellung liegenden Beschäftigungszeiten angerechnet werden können. „Anrechnen” bedeutet, daß es sich eigentlich um keine Beschäftigungszeit handelt. Die unter die Anrechnungsvorschrift fallenden Dienstzeiten werden der Beschäftigungszeit lediglich gleichgestellt. Den Anrechnungsvorschriften in § 4 Abs. 4 Unterabs. 2 und 3 VV 85 ist zu entnehmen, daß die gesamte Zeit eines ununterbrochenen Arbeitsverhältnisses ohne weiteres nach § 4 Abs. 4 Unterabs. 1 VV 85 als Beschäftigungszeit anzusehen ist.
(1) Die Unterabsätze 2 und 3 des § 4 Abs. 4 VV 85 befassen sich mit Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern. § 4 Abs. 4 Unterabs. 3 Buchst. e VV 85 regelt außerdem, wie die Beschäftigungszeit nach einer Wiedereinstellung zu berechnen ist. Bei einer Wiedereinstellung unterbleibt die Anrechnung, wenn das Beschäftigungsverhältnis aus einem Verschulden des Arbeitnehmers beendet worden war oder anläßlich des Ausscheidens die Versorgungsansprüche abgefunden wurden. Nach allgemeinem Sprachgebrauch liegt eine Wiedereinstellung vor, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erneut in die Dienste seines früheren Arbeitgebers tritt. Die Anrechnungsvoraussetzungen des § 4 Abs. 4 Unterabs. 3 Buchst. e VV 85 gehen ebenfalls von einer zwischenzeitlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus.
(2) Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 4 Unterabs. 3 Buchst. e VV 85 fällt die Umwandlung eines befristeten Arbeitsverhältnisses in ein unbefristetes nicht unter diese Anrechnungsvorschrift. Dies ist folgerichtig, wenn entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses nicht als Einstellung anzusehen ist. Eine Anrechnung erübrigt sich für Fallgestaltungen, die bereits von § 4 Abs. 4 Unterabs. 1 VV 85 erfaßt werden.
b) Die Besitzstandsregelung des § 16 VV 85, die nicht losgelöst von § 4 Abs. 4 VV 85 betrachtet werden kann, enthält zwei Unterscheidungsmerkmale. Zum einen kommt es auf den Beginn der Beschäftigung an. Dies ist die „letzte Einstellung”. Zum anderen hängt der Abbau des Überschreitungsbetrages davon ab, wie viele Beschäftigungsjahre der Versorgungsberechtigte beim Eintritt des Versorgungsfalles erreicht hat. Sowohl bei § 4 Abs. 4 als auch bei § 16 VV 85 ist die Beschäftigungszeit angesprochen. Deshalb ist davon auszugehen, daß die in beiden Vorschriften verwandten Begriffe inhaltlich übereinstimmen.
c) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht bei der Auslegung des Begriffs „letzte Einstellung” auch § 1 VV 85 herangezogen. Die in dieser Vorschrift verwandte Formulierung „letzter Eintritt in die Dienste” der Beklagten hat keine andere Bedeutung als der Begriff „letzte Einstellung”. § 1 VV 85 verlangt nicht, daß die Arbeitnehmer bei ihrer unbefristeten Einstellung noch nicht das 50. Lebensjahr vollendet haben. Vielmehr enthält § 1 VV 85 zwei getrennt zu prüfende Tatbestandsmerkmale. Zum einen müssen die Arbeitnehmer, um versorgungsberechtigt zu sein, in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen. Zum anderen müssen sie bei ihrem letzten Eintreten in die Dienste der Beklagten das 50. Lebensjahr vollendet haben. Auch beim Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages tritt der Arbeitnehmer in die Dienste der Beklagten. Wenn das Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechung fortgesetzt wird, bleibt er in den Diensten der Beklagten und wird damit nicht neu eingestellt. Er fällt allerdings nur dann unter den Geltungsbereich der Versorgungsvereinbarung, wenn beide Tatbestandsmerkmale des § 1 VV 85 erfüllt sind. Dies bedeutet, daß ein bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres abgeschlossener befristeter Arbeitsvertrag nur dann Versorgungsansprüche des Arbeitnehmers auslöst, wenn sich an das befristete Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechung ein unbefristetes anschließt. Entscheidend ist, ob die Altersgrenze bei Beginn der ununterbrochenen Beschäftigungszeit erfüllt ist. Dem Arbeitnehmer schadet es nicht, wenn er zunächst nur auf Grund eines befristeten Arbeitsvertrages beschäftigt wurde. Altersgrenze und Wartezeit sind damit, wie von § 1 VV 85 angestrebt, aufeinander abgestimmt.
d) Soweit die Tarifvertragsparteien auf den Beginn des unbefristeten Arbeitsverhältnisses abstellen wollten, haben sie dies zum Ausdruck gebracht. Dies zeigt § 1 der Versorgungsvereinbarung vom 13. März 1997. Nach dieser Vorschrift gilt die VV 97 „für alle Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer des NDR, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen, deren unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem NDR vor dem 1. Januar 1993 begann und die bei ihrem letzten Eintreten in die Dienste des NDR das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten”. Danach wird zwischen dem Beginn des unbefristeten Arbeitsverhältnisses und dem letzten Eintreten in die Dienste der Beklagten unterschieden. Den Tarifvertragsparteien kann nicht unterstellt werden, daß sie in derselben Vorschrift für denselben Begriff unterschiedliche Formulierungen verwandten.
e) Der von der Beklagten geschlossene Manteltarifvertrag spricht ebenfalls nicht gegen, sondern für die Auslegung des Landesarbeitsgerichts. Nr. 231 MTV lautet wie folgt:
„Die Betriebszugehörigkeit beginnt mit dem Tag der letzten Einstellung bei der Anstalt. Zur Betriebszugehörigkeit rechnet auch die Zeit, die ein/e Arbeitnehmerin/ein Arbeitnehmer bei der Anstalt unmittelbar vor der unbefristeten Anstellung in einem befristeten Arbeitsverhältnis oder Ausbildungsverhältnis verbracht hat. Zeiten früherer Betriebszugehörigkeit werden angerechnet, wenn Dauer und Grund der Unterbrechungen dies rechtfertigen. Bei Teilzeitbeschäftigten …”
Mit dem in Nr. 231 Satz 1 MTV verwandten Begriff der letzten Einstellung wird der Beginn der Betriebszugehörigkeit festgelegt. Nr. 231 Satz 2 MTV enthält – im Gegensatz zu Nr. 231 Satz 3 MTV – keine Erweiterung der Betriebszugehörigkeit, sondern eine Klarstellung. Mit der in Nr. 231 Satz 2 MTV gebrauchten Formulierung „zur Betriebszugehörigkeit rechnet” haben die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht, daß diese Zeiten eines dem unbefristeten Arbeitsverhältnis unmittelbar vorausgegangenen befristeten Arbeitsverhältnis ohne weiteres zur Betriebszugehörigkeit zählen. Damit wird verdeutlicht, daß sich der Begriff „letzte Einstellung” nicht auf den Abschluß des unbefristeten Arbeitsvertrages, sondern auf die Begründung des Arbeitsverhältnisses bezieht und Änderungen des Arbeitsvertrages einschließlich der Umwandlung eines befristeten in einen unbefristeten für die Dauer der Betriebszugehörigkeit keine Rolle spielen. Die Tarifvertragsparteien haben durch Satz 2 sichergestellt, daß der Begriff Einstellung iSd. allgemeinen Sprachgebrauchs verstanden wird. Die Übernahme des allgemeinen Sprachgebrauchs lag nahe, weil es für die Dauer der Betriebszugehörigkeit üblicherweise nicht auf Art und Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses ankommt. Dagegen beenden rechtliche Unterbrechungen die Betriebszugehörigkeit. Bei einer Wiedereinstellung zählt häufig die frühere Betriebszugehörigkeit nicht mit(vgl. ua. § 1 Abs. 1 KSchG). Nr. 231 Satz 3 MTV berücksichtigt dies und spricht deshalb von einer „Anrechnung” früherer Beschäftigungszeiten, die von bestimmten Voraussetzungen abhängt.
4. Mit dem Zweck der Besitzstandsregelung läßt sich die von der Beklagten vertretene einschränkende Auslegung des Begriffs „letzte Einstellung” nicht begründen, obwohl die Versorgungsansprüche ein unbefristetes Arbeitsverhältnis voraussetzen und insoweit erst mit Abschluß des unbefristeten Arbeitsvertrages eine gesicherte Rechtsposition entsteht. Es ist unerheblich, ob die Tarifvertragsparteien bei einer Besitzstandsregelung auf den Beginn des unbefristeten Arbeitsverhältnisses abstellen durften, ohne gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen. Denn es kommt nicht auf die mögliche, sondern auf die im Tarifvertrag zum Ausdruck gebrachte Zielsetzung der Tarifvertragsparteien an. Der Normzweck ist dem Wortlaut und der Systematik des Tarifvertrages zu entnehmen. Hätten die Tarifvertragsparteien den Beginn des unbefristeten Arbeitsverhältnisses zu Grunde legen wollen, so hätte es nahegelegen, entweder die Erteilung der Versorgungszusage oder die unbefristete Anstellung als maßgeblichen Zeitpunkt zu nennen. Die Tarifvertragsparteien haben statt dessen den weitergehenden Begriff der „letzten Einstellung” gewählt und damit auf den Beginn der Beschäftigungszeit abgestellt. In der Beschäftigungszeit schlägt sich die Betriebstreue der Arbeitnehmer nieder. Für den Umfang der Betriebstreue spielt es jedoch keine Rolle, ob die Arbeitnehmer in einem befristeten oder einem unbefristeten Arbeitsverhältnis tätig waren.
5. Zudem entspricht es den gängigen betriebsrentenrechtlichen Wertvorstellungen, beim Schutz der Versorgungsrechte auf die bereits erbrachte Betriebstreue und damit auf die Dauer des ununterbrochenen Arbeitsverhältnisses abzustellen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 BetrAVG hängt die gesetzliche Unverfallbarkeit von einer mindestens zwölfjährigen ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit ab(vgl. BAG 9. März 1982 – 3 AZR 389/79 – AP BetrAVG § 1 Wartezeit Nr. 13, zu II b der Gründe; 19. Oktober 1982 – 3 AZR 629/80 – BetrAV 1984, 73 f. = BB 1984, 573 f. = DB 1984, 1735 f., zu I 2 der Gründe; 26. September 1989 – 3 AZR 815/87 – BAGE 63, 47, 50; 17. Dezember 1991 – 3 AZR 89/91 – nv., zu 2 a der Gründe). Wenn die Versorgungszusage erst nach Abschluß eines unbefristeten Arbeitsvertrages erteilt wird, ändert dies nichts daran, daß ein unmittelbar vorausgegangenes befristetes Arbeitsverhältnis ohne weiteres zur Betriebszugehörigkeit zählt.
6. Da bei einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis der Abschluß eines unbefristeten Arbeitsvertrages keine neue Einstellung darstellt, sondern die Begründung der arbeitsrechtlichen Beziehung als „letzte Einstellung” anzusehen ist, kommt es nicht darauf an, ob die Befristung des Arbeitsvertrages wirksam war und ob sich die Klägerin auf die Unwirksamkeit der Befristung noch berufen kann.
II. Entgegen der Ansicht des Klägers werden nach § 16 Abs. 2 VV 97 die Steigerungen seiner Betriebsrente jedoch so lange ausgesetzt, bis seine betriebliche Altersversorgung auf 100 % des jeweiligen Nettovergleichseinkommens abgeschmolzen ist. Die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 VV 97 sind im vorliegenden Fall erfüllt.
1. § 16 Abs. 2 VV 97 ist auf die Berechtigten anzuwenden, „die bei Inkrafttreten dieses Tarifvertrags Versorgungsbezüge erhalten”. Mit dem Ausdruck „erhalten” wird ebensowenig wie in § 7 Abs. 1 BetrAVG darauf abgestellt, ob bereits Zahlungen geleistet wurden. Entscheidend ist, ob der Berechtigte im maßgeblichen Zeitpunkt bereits Versorgungsempfänger oder noch Versorgungsanwärter war(zur Abgrenzung vgl. BAG 26. Januar 1999 – 3 AZR 464/97 – BAGE 91, 1, 4). An diesem Stichtag war der Versorgungsfall eingetreten und der Kläger damit Versorgungsempfänger.
a) Der Tarifvertrag vom 13. März 1997 ist am 1. Januar 1998 in Kraft getreten. Lediglich § 4 Abs. 3 und § 16 Abs. 2 der neugefaßten Versorgungsordnung sind bereits ab 1. März 1997 anzuwenden. Mit der Formulierung „dieses Tarifvertrages” haben die Tarifvertragsparteien in § 16 Abs. 2 VV 97 zum Ausdruck gebracht, daß es auf das Inkrafttreten des gesamten Tarifvertrages und nicht nur auf das vorgezogene Inkrafttreten einzelner Vorschriften ankommt.
aa) § 16 Abs. 2 VV 97 ist früher in Kraft gesetzt worden, damit möglichst bald mit dem Abschmelzen der Überversorgung begonnen werden konnte. Diese Vorschrift sollte verhindern, daß die allgemeinen Lohn- und Gehaltserhöhungen am 1. März 1997 auch bei Überversorgungen zu weiteren Rentensteigerungen führen.
bb) Der Beginn des Abschmelzens ist vom persönlichen Geltungsbereich des § 16 Abs. 2 VV 97 zu unterscheiden. Die stärkere Sicherung des Besitzstandes nach § 16 Abs. 2 VV 97 sollte allen Berechtigten zu Gute kommen, die bei Inkrafttreten der neuen Versorgungsregelungen Versorgungsempfänger waren. Davon geht auch die Beklagte aus.
b) Die Voraussetzungen des Versorgungsanspruches und damit der Eintritt des Versorgungsfalles hängen von der jeweiligen Versorgungsordnung ab. Nach § 7 VV 97 entsteht der Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente bereits dann, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich berufsunfähig ist. Der Bescheid des Sozialversicherungsträgers ist lediglich ein Beweismittel. Der Kläger war, wie sich aus dem Rentenbescheid vom 17. Februar 1998 ergibt, jedenfalls vor dem 1. Januar 1998 berufsunfähig.
2. Für die Anwendbarkeit des § 16 Abs. 2 VV 97 spielt die Art der Versorgungsleistung keine Rolle. Auch Renten wegen Berufsunfähigkeit werden erfaßt. § 16 Abs. 2 VV 97 stellt darauf ab, seit wann der Berechtigte „Versorgungsbezüge” erhält. Der Begriff Versorgungsbezüge umfaßt alle Betriebsrenten. Allerdings besteht die Rechtsfolge darin, daß Steigerungen der „NDR-Altersrente” ausgesetzt werden. „Altersrente” ist nach dem Sprachgebrauch der Versorgungsvereinbarung der engere Begriff, der die Berufsunfähigkeitsrente nicht umfaßt. Dabei handelt es sich aber um ein redaktionelles Versehen. Dies ergibt sich nicht nur daraus, daß in denselben Vorschriften der allgemeinere Begriff Versorgungsbezüge verwandt wird, sondern vor allem aus der Tarifsystematik und dem Regelungszweck.
Der neue § 16 Abs. 2 VV 97 dient dazu, den Abbau der Überversorgung zu verstärken und zu beschleunigen. Selbst die Versorgung besonders geschützter Berechtigter sollte möglichst schnell auf höchstens 100 % des jeweiligen Nettovergleichseinkommens zurückgeführt werden. Dementsprechend wurde § 16 Abs. 2 VV 97 bereits zum 1. März 1997 in Kraft gesetzt, obwohl die neuen Regelungen ansonsten erst am 1. Januar 1998 in Kraft traten. Es gibt keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, daß die Berufsunfähigkeitsrente beim Abbau der Überversorgung gegenüber der Altersrente bevorzugt werden sollte. Hätten die Tarifvertragsparteien dies gewollt, so hätte es nahegelegen, in § 16 VV 97 eine Sonderregelung aufzunehmen, zumal die Berufsunfähigkeitsrenten ansonsten in der Versorgungsordnung nicht besser gestellt wurden als die Altersrenten.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO und, soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, auf § 91a ZPO. Die Parteien haben die Kosten des Rechtsstreits im Verhältnis ihres Unterliegens bzw. voraussichtlichen Unterliegens zu tragen.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Schoden, Rödder
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.02.2001 durch Kaufhold, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 670497 |
NZA 2002, 288 |
EzA-SD 2002, 13 |
EzA |
NJOZ 2002, 611 |