Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung nach dem AWbG (Juris: ArbWeitBiG NW) und Lohnfortzahlungspflicht
Leitsatz (redaktionell)
1. Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf dessen Antrag für die Zeit einer Arbeitnehmerweiterbildungsveranstaltung frei, so erfüllt der Arbeitgeber damit regelmäßig den gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitnehmerweiterbildung.
2. Besucht der Arbeitnehmer daraufhin die von ihm angegebene Bildungsveranstaltung, so hat der Arbeitgeber für die Zeit der Freistellung die Vergütung zu entrichten. Auf den Inhalt der Bildungsveranstaltung kommt es nicht an (im Anschluß an das Senatsurteil vom 11. Mai 1993 - 9 AZR 231/89 - BB 1993, 1735).
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 23.05.1991; Aktenzeichen 12 Sa 229/91) |
ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 03.01.1991; Aktenzeichen 4 Ca 661/90) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Der Kläger ist seit 1982 bei der Beklagten als Programmierer beschäftigt. Auf seine Mitteilung, er wolle an einem Seminar mit dem Thema "Arbeitnehmer in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft" teilnehmen, das von der Verwaltungsstelle Neuss der Industriegewerkschaft Metall vom 19. - 23. März 1990 durchgeführt werden sollte, stellte die Beklagte den Kläger für die Dauer der Bildungsveranstaltung von der Arbeit frei. Sie lehnte es aber in der Folgezeit ab, das während der Zeit des Seminarbesuchs ausgefallene Arbeitsentgelt fortzuzahlen.
Nach dem Besuch der Veranstaltung hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
824,93 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem ent-
sprechenden Nettobetrag seit dem 23. Juli 1990 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie verlangt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils mit der Begründung, das Landesarbeitsgericht habe § 9 und § 1 Abs. 2 AWbG verletzt. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach § 7 AWbG i. V. mit § 1 Abs. 2 AWbG einen Anspruch auf Lohnfortzahlung in der unstreitigen Höhe von 824,93 DM.
1. Nach der von der Revision ungerügten Feststellung des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte den Kläger für die Dauer der Bildungsveranstaltung freigestellt. Diese Feststellung deckt sich mit dem beiderseitigen Sachvortrag der Parteien in der Klageschrift und in der Klageerwiderung. Da die Beklagte zu keiner Zeit vorgetragen hat, bei dieser Freistellung handele es sich lediglich um ein Angebot auf unbezahlten Sonderurlaub, zu dem der Kläger sein Einverständnis erklärt habe, erweist sich die Freistellung inhaltlich als die vom Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz vorgesehene Erfüllungshandlung nach § 1 Abs. 2 AWbG. Eine einseitige Freistellung zur Erfüllung eines anderen Anspruchs wie z. B. den auf Erholungsurlaub kommt nicht in Betracht. Eine einseitige Freistellung in Form der "Suspendierung" von der Arbeit ist angesichts des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers im bestehenden Arbeitsverhältnis rechtlich nicht möglich.
2. Erfüllt der Arbeitgeber den Anspruch, indem er auf Antrag des Arbeitnehmers die Freistellung nach dem AWbG für einen bestimmten Zeitraum erklärt, und nimmt der Arbeitnehmer an der Bildungsveranstaltung teil, so hat der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 1, § 7 AWbG den Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts, das er ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte. Auf den Inhalt der Bildungsveranstaltung kommt es dann ebensowenig an wie darauf, daß der Arbeitgeber gegenüber dem Freistellungsanspruch gesetzliche Leistungsverweigerungsrechte hatte oder geltend machen konnte, die Veranstaltung sei nicht gem. den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes durchgeführt worden (Senatsurteil vom 11. Mai 1993 - 9 AZR 231/89 - BB 1993, 1735). Die aufgrund der Freistellungserklärung gewährte Freizeit kann nämlich auch für den Fall, daß sie auf einen zu Unrecht geltend gemachten Anspruch gegeben worden ist, nicht zurückgefordert werden. Damit bleibt zugleich der Lohnfortzahlungsanspruch nach § 7 AWbG für die Zeit der Teilnahme an der Bildungsveranstaltung unberührt. Die Freistellungserklärung nach dem AWbG und die Teilnahme des Arbeitnehmers an der Bildungsveranstaltung bedingen notwendig den Lohnfortzahlungsanspruch.
Soweit die Beklagte nach Abgabe der Freistellungserklärung, insbesondere nach dem Besuch der Veranstaltung dennoch gemeint hat, den Lohn verweigern zu können, sind ihre Erklärungen rechtlich unbeachtlich (Senatsurteil vom 11. Mai 1993, aaO). Ihre ggf. bestehenden Leistungsverweigerungsrechte hätte sie gegenüber dem Freistellungsverlangen des Klägers geltend machen müssen.
3. Auf den weiteren Streit der Parteien über die Jedermannzugänglichkeit der Veranstaltung und die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "politische Bildung" kommt es damit nicht an.
4. Die Zinsentscheidung folgt aus den §§ 284 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB. 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Leinemann Düwell Dörner
Dr. Schwarze Hennecke
Fundstellen
Haufe-Index 441788 |
BB 1993, 2531 |
BB 1993, 2531-2532 (LT1-2) |
DB 1994, 52 (LT1-2) |
AiB 1994, 126 (LT1-2) |
EzB AwbG Nordrhein-Westfalen § 7, Nr 52 (LT1-2) |
NZA 1994, 267 |
NZA 1994, 267 (LT1-2) |
AP § 1 BildungsurlaubsG NRW (LT1-2), Nr 6 |
EzA § 7 AWbG Nordrhein-Westfalen, Nr 14 (LT1-2) |