Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigungsschutz. Betriebliches Eingliederungsmanagement. Krankheitsbedingte ordentliche Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen. unterlassenes betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX: Anwendung auch bei nicht schwerbehinderten Personen, Auswirkungen auf ausgesprochene Kündigung
Orientierungssatz
1. Eine Kündigung ist entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch andere mildere Mittel vermieden werden kann, dh., wenn die Kündigung nicht zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen bzw. der eingetretenen Vertragsstörung geeignet oder nicht erforderlich ist.
2. Das in § 84 Abs. 2 SGB IX vorgeschriebene “Betriebliche Eingliederungsmanagement” (BEM) stellt eine Konkretisierung dieses Grundsatzes dar.
3. Dabei ist das BEM an sich zwar kein milderes Mittel. Durch das BEM können aber solche milderen Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen – ggf. durch Umsetzungen “freizumachenden” – Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden.
4. Allerdings kann eine Kündigung nicht allein deshalb wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als sozial ungerechtfertigt qualifiziert werden, weil das BEM nicht durchgeführt wurde. Es müssen vielmehr auch bei gehöriger Durchführung des BEM überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-)Beschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten.
5. Ein unterlassenes BEM steht einer Kündigung dann nicht entgegen, wenn sie auch durch das BEM nicht hätte verhindert werden können.
Normenkette
KSchG § 1; SGB IX § 84 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das am 25. Oktober 2006 verkündete Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen – 6 Sa 974/05 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten auf verhaltens- und personenbedingte Gründe gestützten ordentlichen Kündigung.
Der 1964 geborene Kläger trat 1992 in die Dienste der Beklagten. Er war zuletzt als Busfahrer tätig.
In den Jahren von 1996 bis 2004 war der Kläger wie folgt mit Entgeltfortzahlung arbeitsunfähig erkrankt:
1996: |
80 Tage |
1997: |
114 Tage |
1998: |
52 Tage |
1999: |
67 Tage |
2000: |
61 Tage |
2001: |
127 Tage |
2002: |
138 Tage |
2003: |
93 Tage |
2004 (mit und ohne Entgeltfortzahlung): |
119 Tage |
Die Fehlzeiten resultierten aus unterschiedlichen Leiden, wobei ab Ende 2000 wiederholt Furunkulosen/Hautabszesse und depressive Episoden auftraten.
Auf Grund einer betriebsärztlichen Mitteilung vom 16. Dezember 2002 konnte der Kläger vorübergehend nicht im Fahrdienst eingesetzt werden. Die Beklagte wies dem Kläger daraufhin vom 23. Dezember 2002 bis 31. Juli 2003 einen Arbeitsplatz in ihrem “Servicecenter City” im “Frontoffice” zu. Die dort beschäftigten Mitarbeiter haben von 8.00 bis 20.00 Uhr Schichtdienst zu leisten. Während dieser Tätigkeit tauschte der Kläger wiederholt mit seinen Kollegen die Spätschicht gegen deren Frühschicht ein. In diesem Zeitraum war der Kläger vom 10. April bis 18. April 2003 (Virusinfektion) und vom 2. Mai bis 9. Mai 2003 (Luxation, Verstauchung, Zerrung) arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 1. August 2003 wurde der Kläger wieder im Schichtdienst als Busfahrer eingesetzt.
Die Beklagte erteilte dem Kläger im April und Mai 2004 insgesamt drei Abmahnungen. Darin warf sie dem Kläger Fehlverhalten im Zusammenhang mit Arbeitsunfähigkeiten vor. Der Kläger wandte sich klageweise gegen die Abmahnungen. Der betreffende Rechtsstreit ruht gegenwärtig.
Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 27. Mai 2004 das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2004.
Der Kläger hält die Kündigung für sozialwidrig. Verhaltensbedingte Kündigungsgründe lägen nicht vor oder seien durch die Abmahnungen verbraucht. Für eine Kündigung aus Krankheitsgründen fehle es an einer negativen Prognose. Die Beklagte habe das erforderliche betriebliche Eingliederungsmanagement versäumt. Sie habe nicht ausreichend dargestellt, dass keine anderweitige Beschäftigung möglich sei.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 27. Mai 2004 zum 31. Dezember 2004 nicht beendet ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Kündigung sei aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt. Auch die Voraussetzungen einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen lägen vor. Bei Zugang der Kündigung sei eine negative Prognose gerechtfertigt gewesen. Mit den Fehlzeiten seien erhebliche Entgeltfortzahlungskosten verbunden. Zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement sei sie nicht verpflichtet gewesen. Gleichwohl habe sie dem Kläger vielfach und sehr geduldig Gelegenheit zur Beschäftigung auf unterschiedlichen Arbeitsplätzen gegeben. Eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bestehe nicht. Selbst wenn im Servicecenter City eine freie, besetzbare Planstelle vorhanden sei, ändere das an der negativen Gesundheitsprognose nichts, weil der Kläger auch dort Schichtdienst zu leisten habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben und nach dem Klageantrag erkannt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung sei sozialwidrig. Auf verhaltensbedingte Gründe könne die Beklagte sich nicht stützen, weil der Kündigungsvorwurf durch Abmahnung verbraucht sei. Was die personenbedingten Gründe betreffe, so könne zwar auf Grund der unstreitigen Tatsachen und der Zeugenaussage von einer negativen Prognose ausgegangen werden. Die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten stellten auch eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen dar. Die Beklagte habe aber das Ultima-Ratio-Prinzip nicht gewahrt, weil sie ein Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX unterlassen habe. Die Vorschrift konkretisiere die Handlungspflichten des Arbeitgebers und wirke sich auf seine Darlegungslast im Prozess aus. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt zu haben. Sie habe sich deshalb nicht damit begnügen dürfen, pauschal geltend zu machen, es seien keine freien Arbeitsplätze vorhanden. Sie habe die vorhandenen Arbeitsplätze nach Anforderungsprofil und etwaigen Umgestaltungsmöglichkeiten in zeitlicher und tatsächlicher Hinsicht konkret vortragen müssen. Daran fehle es.
B. Dem stimmt der Senat in weiten Teilen der Begründung, aber nicht im Ergebnis zu.
I. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dass die Kündigung nicht durch Gründe im Verhalten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) des Klägers gerechtfertigt sei, ist von der Revision nicht beanstandet worden. Sie liegt auch innerhalb des revisionsrechtlich zu beachtenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die mit Schreiben vom 12. Mai 2004 erteilte Abmahnung schließe es aus, den abgemahnten Vorgang, nämlich die um mehrere Stunden verspätete Meldung über die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit, zur Begründung der Kündigung heranzuziehen, ist überdies gut nachvollziehbar.
II. Ob die Kündigung aus Gründen in der Person des Klägers gerechtfertigt ist, kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch nicht beurteilt werden.
1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat (vgl. insbesondere 12. Dezember 1996 – 2 AZR 7/96 – EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 41; 20. Januar 2000 – 2 AZR 378/99 – BAGE 93, 255; 7. November 2002 – 2 AZR 599/01 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50; 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 41 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 52; zuletzt 8. November 2007 – 2 AZR 292/06 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 29 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 54). Danach ist zunächst – erste Stufe – eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes – zweite Stufe – festzustellen ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer derartigen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Liegt eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vor, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen.
2. Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, beim Kläger sei bei unverändertem Einsatz als Busfahrer auch in Zukunft mit erheblichen Fehlzeiten zu rechnen. Der Kläger hat insoweit keine Gegenrüge erhoben und sich – im Gegenteil – den rechtlichen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts “in vollem Umfang” angeschlossen.
3. Ob die prognostizierten Fehlzeiten auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, steht noch nicht fest.
a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten für jährlich mehr als sechs Wochen könnten an sich zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen.
b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung verstoße wegen einer Möglichkeit der Weiterbeschäftigung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wird jedoch von den bisher getroffenen Feststellungen nicht getragen. Die vom Landesarbeitsgericht zur kündigungsrechtlichen Bedeutung des sog. Betrieblichen Eingliederungs-Managements (BEM) (§ 84 Abs. 2 SGB IX) vertretene Auffassung entspricht zwar in weiten Teilen den vom Senat erstmals in seiner Entscheidung vom 12. Juli 2007 (– 2 AZR 716/06 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 28 = EzA SGB IX § 84 Nr. 3) niedergelegten Grundsätzen. Die von der Revision insoweit vorgebrachten Bedenken, denen zufolge § 84 Abs. 2 SGB IX nur für schwerbehinderte Menschen und darüber hinaus lediglich als Programmsatz gelten soll, hat der Senat in der Entscheidung vom 12. Juli 2007 ausführlich behandelt und zurückgewiesen. Daran hält der Senat fest. Lediglich insoweit weicht die Auffassung des Landesarbeitsgerichts von der des Senats ab, als der Senat dem Arbeitgeber, der ein Betriebliches Eingliederungsmanagement unterlassen hat, die Darlegung gestattet, dass ein solches Verfahren, zB aus gesundheitlichen Gründen (vgl. 24. November 2005 – 2 AZR 514/04 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 43 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 51) nicht zu einer Beschäftigungsmöglichkeit geführt hätte. Da sich aus dem Vorbringen der Beklagten Ansatzpunkte dafür ergeben, dass sie zu diesem vom Landesarbeitsgericht nicht behandelten rechtlichen Gesichtspunkt, wenn er ihr bekannt gewesen wäre, Vortrag gehalten hätte, muss der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
aa) Nicht zu beanstanden ist zunächst die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, dass § 84 Abs. 2 SGB IX auf die Kündigung anzuwenden ist.
bb) Ob die Kündigung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, steht aber noch nicht fest.
(1) Der Senat hat in der Entscheidung vom 12. Juli 2007 (– 2 AZR 716/06 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 28 = EzA SGB IX § 84 Nr. 3) festgehalten, dass eine Kündigung entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam ist, wenn sie durch andere mildere Mittel vermieden werden kann, dh., wenn die Kündigung nicht zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen bzw. der eingetretenen Vertragsstörung geeignet oder nicht erforderlich ist. § 84 Abs. 2 SGB IX stellt eine Konkretisierung dieses Grundsatzes dar. Dabei ist das BEM an sich zwar kein milderes Mittel. Durch das BEM können aber solche milderen Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen – ggf. durch Umsetzungen “freizumachenden” – Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden.
(2) Für die Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess hat der Senat aus § 84 Abs. 2 SGB IX abgeleitet – und so hat es auch das Landesarbeitsgericht gesehen –, dass der Arbeitgeber, wenn er kein BEM durchgeführt hat, sich durch seine dem Gesetz widersprechende Untätigkeit keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile verschaffen darf (siehe zu § 81 SGB IX: BAG 4. Oktober 2005 – 9 AZR 632/04 – BAGE 116, 121). In diesem Fall darf er sich nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer bzw. es gebe keine “freien Arbeitsplätze”, die der erkrankte Arbeitnehmer auf Grund seiner Erkrankung noch ausfüllen könne. Es bedarf vielmehr eines umfassenderen konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz einerseits und warum andererseits eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem (alternativen) anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden könne.
(3) Allerdings kann eine Kündigung nicht allein deshalb wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als sozial ungerechtfertigt qualifiziert werden, weil das BEM nicht durchgeführt wurde. Es müssen vielmehr auch bei gehöriger Durchführung des BEM überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-)Beschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten. Im Umkehrschluss folgt daraus weiter, dass ein unterlassenes BEM einer Kündigung dann nicht entgegensteht, wenn sie auch durch das BEM nicht hätte verhindert werden können.
cc) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist es dem Kläger nicht bereits deshalb verwehrt, sich auf eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wegen der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung zu berufen, weil er – nach seinen von der Beklagten zunächst bestrittenen – Behauptungen im Jahre 2003 eine Beschäftigung im Front-Office unter entsprechender Vertragsänderung abgelehnt hat. Die seinerzeitig ablehnende Haltung haben die Parteien nicht vor dem Hintergrund einer ansonsten drohenden Beendigungskündigung sehen können, denn eine solche stand offenbar nicht in Rede. Insoweit gelten die zur Frage der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz im Falle betriebsbedingter Kündigungen entwickelten Grundsätze auch bei krankheitsbedingten Kündigungen: Bietet der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung dem Arbeitnehmer an, den Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzupassen, und lehnt der Arbeitnehmer dies ab, so bleibt der Arbeitgeber regelmäßig dennoch verpflichtet, das abgelehnte Angebot durch Änderungskündigung anzubieten. Eine Beendigungskündigung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annehmen (BAG 21. April 2005 – 2 AZR 244/04 – AP KSchG 1969 § 2 Nr. 80 = EzA KSchG § 2 Nr. 52).
dd) Bei der kündigungsrechtlichen Anwendung des § 84 Abs. 2 SGB IX im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind demnach drei voneinander teilweise abhängige Aspekte zu beachten: Zunächst ist zu fragen, ob ein BEM stattgefunden hat. Ist dies der Fall, so ist für die Frage der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit das – positive oder auch negative – Ergebnis des BEM maßgeblich zu berücksichtigen. Hat dagegen kein BEM stattgefunden, ist – zweitens – zu prüfen, ob es ein positives Ergebnis hätte erbringen können. Ist dies nicht der Fall, so kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen des BEM kein Nachteil entstehen. Wäre ein positives Ergebnis dagegen möglich gewesen, treten – drittens – die oben näher beschriebenen Verschiebungen in der Darlegungslast ein.
(1) Zutreffend ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, aus dem Vorbringen der Beklagten ergebe sich nicht, dass sie ein BEM oder vergleichbare Maßnahmen ergriffen habe. Die Darlegung der Beklagten, sie habe dem Kläger vielfach und geduldig Gelegenheit zur Beschäftigung auf anderen Arbeitsplätzen gegeben, durfte das Landesarbeitsgericht als derart pauschal ansehen, dass damit konkrete Maßnahmen nicht dargelegt sind. Bei der Größe des Betriebs der Beklagten durfte das Landesarbeitsgericht auch die Ausführungen der Beklagten zu den Beschäftigungsmöglichkeiten im Service-Center und als Busfahrer im Schichtdienst für nicht ausreichend erachten, um Bemühungen zur Klärung für den Gesundheitszustand des Klägers passender Beschäftigungen darzutun, die dem BEM entsprechen. Zu Unrecht rügt die Revision, sie sei vor dem Berufungstermin nicht darauf hingewiesen worden, dass das Landesarbeitsgericht hierzu Vortrag erwarte. Im angefochtenen Urteil ist festgehalten, dass die Beklagte im Berufungstermin auf die Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts hingewiesen wurde und die Beklagte sich dazu weder konkret erklärt noch um Gelegenheit zu schriftsätzlichem Vortrag gebeten hat. Der Beklagten ist damit jedenfalls rechtliches Gehör gewährt worden. Gegenteiliges macht auch die Revision nicht geltend.
(2) Zumindest vertretbar – und damit revisionsrechtlich unbedenklich – ist, dass das Landesarbeitsgericht die auf Grund der Nichtdurchführung des BEM oder vergleichbarer Maßnahmen verschärften Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers als nicht erfüllt angesehen hat. In diesen Fällen darf sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer bzw. es gebe keine “freien Arbeitsplätze”, die der erkrankte Arbeitnehmer auf Grund seiner Erkrankung noch ausfüllen könne. Es bedarf vielmehr eines umfassenderen konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz einerseits und zu der Frage, warum andererseits eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem (alternativen) anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden könne (BAG 12. Juli 2007 – 2 AZR 716/06 – AP KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 28 = EzA SGB IX § 84 Nr. 3). Die Beklagte hat die Möglichkeit eines Einsatzes auf Büroarbeitsplätzen wegen mangelnder Vorbildung des Klägers als ausgeschlossen bezeichnet. Ihre Ausführungen hat sie nicht näher konkretisiert, insbesondere nicht die – vom Kläger angeblich nicht zu erfüllenden – Mindestanforderungen für die Bürotätigkeit benannt. Einen Einsatz im Service-Center hat sie bereits deshalb als ausgeschlossen erachtet, weil dort Schichtdienst zu leisten sei und für Schichtdienst beim Kläger eine negative Prognose bestehe. Letzteres ist aber bisher weder durch die Aussagen des sachverständigen Zeugen belegt noch offenkundig. Das Landesarbeitsgericht weist zu recht darauf hin, dass beim Kläger während seines Einsatzes im Service-Center jedenfalls für einen beträchtlichen Zeitraum sehr geringe Fehlzeiten zu verzeichnen waren. Dass sie allein wegen des Schichtdienstes wieder vermehrt auftraten, hat die Beklagte nur allgemein behauptet.
(3) Das Landesarbeitsgericht hat jedoch nicht geprüft, ob die Kündigung auch bei Durchführung eines BEM oder vergleichbarer Maßnahmen nicht zu verhindern gewesen wäre. Diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat das Landesarbeitsgericht außer Acht gelassen und dadurch § 1 Abs. 2 KSchG iVm. § 84 Abs. 2 SGB IX nicht in der rechten Weise angewandt. Da der Senat die Frage mangels entsprechender Feststellungen nicht selbst entscheiden kann, ist der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Anhaltspunkte dafür, dass ein BEM die Kündigung nicht hätte vermeiden können, sind von der Beklagten jedenfalls in einem Maße benannt, dass weiterer uU auch ausreichender Sachvortrag möglich erscheint. So hatte die Beklagte dargelegt, sie habe vielfach und sehr geduldig Gelegenheit zu Beschäftigung auf unterschiedlichen Arbeitsplätzen gegeben. In diesem Zusammenhang können die seinerzeitige Beschäftigung im Front-Office und die Gründe des Scheiterns eines dauerhaften Einsatzes Bedeutung gewinnen. Ebenso kann die Frage entscheidungserheblich sein, ob der Kläger für einen der in Betracht zu ziehenden Arbeitsplätze gesundheitlich geeignet gewesen wäre oder ob sich die für die Tätigkeit eines Busfahrers im Schichtdienst vom Landesarbeitsgericht bejahte Negativ-Prognose unter allen Umständen auf jedwede Beschäftigung bezogen hätte. Weiter kann eine Rolle spielen, ob der Kläger zu einem BEM oder vergleichbaren Maßnahmen überhaupt bereit war oder ob die im Jahre 2003 erklärte Weigerung, einer Vertragsänderung zuzustimmen, als Ablehnung jeglicher Bemühungen um eine Vertragsanpassung mit dem Ziel der Weiterbeschäftigung zu verstehen war.
Unterschriften
Rost, Dr. Rost, Schmitz-Scholemann, Bartz, Grimberg
für den wegen Eintritts in den Ruhestand an der Unterschrift verhinderten
Richter Dr. Bröhl
Fundstellen
Haufe-Index 2047919 |
BB 2008, 2409 |
DB 2008, 2091 |
DStR 2008, 2498 |
FA 2008, 347 |
JR 2009, 483 |
NZA 2008, 1431 |
EzA-SD 2008, 6 |
EzA |
NZA-RR 2008, 515 |
ZfPR 2009, 12 |
AUR 2008, 404 |
NJW-Spezial 2008, 628 |
FSt 2009, 520 |
HzA aktuell 2008, 27 |
SPA 2008, 1 |