Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung einer Wohngeldsachbearbeiterin. Bestimmung von Arbeitsvorgängen. Antragsbearbeitungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade
Orientierungssatz
1. Der Grundsatz, dass Tätigkeiten, die tariflich unterschiedlich zu bewerten sind, nicht in einem Arbeitsvorgang zusammengefasst werden können, setzt die tatsächliche Trennbarkeit der verschiedenen Tätigkeiten voraus.
2. Eine tatsächliche Trennbarkeit zwischen der Bearbeitung von einfachen und derjenigen von schwierigen Wohngeldanträgen besteht nicht, wenn die Bearbeitung von Wohngeldanträgen als einheitliche Arbeitsaufgabe einer Angestellten übertragen worden ist und sich jeweils erst im Laufe der Bearbeitung herausstellt, ob es sich um einen einfachen oder einen schwierigen Fall handelt.
3. Es ist deshalb tarifwidrig, die tatsächliche Vergütung erst im Nachgang der Antragsbearbeitung durch Auszählen der bearbeiteten Vorgänge und ihrer Zuweisung zu dem einen oder dem anderen Schwierigkeitsgrad zu ermitteln.
4. Zu den “selbständigen Leistungen” im tariflichen Sinne bei der Bearbeitung von Wohngeldanträgen.
Normenkette
BAT-O §§ 22-23, 70; BAT-O Anlage 1a VergGr. Vc Fallgr. 1b
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 19.03.2008; Aktenzeichen 8 Sa 83/07) |
ArbG Leipzig (Urteil vom 08.12.2006; Aktenzeichen 16 Ca 4580/06) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 19. März 2008 – 8 Sa 83/07 – teilweise aufgehoben und wie folgt zur Klarstellung neu gefasst:
“Auf die Berufung des Beklagten wird – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen – das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 8. Dezember 2006 – 16 Ca 4580/06 – abgeändert und klarstellend insgesamt neugefasst:
(1) Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin ab dem 1. Februar 2006 nach der Entgeltgruppe 9 TVöD zu vergüten und die monatlichen Bruttodifferenzbeträge zwischen der Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 und der Entgeltgruppe 6 für die Monate Februar bis September 2006 ab dem 13. Oktober 2006 sowie ab Oktober 2006 ab dem auf den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt folgenden Tag mit einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.
(2) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.”
2. Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu 7/36, der Beklagte zu 29/36 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin, die bei dem beklagten Landkreis bzw. dessen Rechtsvorgänger, dem Landkreis T…, der Mitglied des KAV ist, seit 1991 als Sachbearbeiterin in der Wohngeldstelle beschäftigt ist. Im Arbeitsvertrag vom 16. Oktober 1990 ist in § 3 vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung richtet.
Rz. 2
Bis zum 31. März 1996 wurde die Klägerin nach VergGr. Vc der Anlage 1a BAT-O vergütet. Mit dem Vertrag zur Änderung des Arbeitsvertrags vom 11. September 1995 vereinbarten die Parteien, dass an die Stelle der VergGr. Vc ab dem 1. April 1996 die VergGr. VIb BAT-O tritt.
Rz. 3
Am 4. Januar 2006 wandte sich die Klägerin zusammen mit zwei weiteren Beschäftigten unter dem Betreff “Antrag auf Überprüfung der Eingruppierung” an den Beklagten. Dieses Schreiben lautet auszugsweise:
“Uns liegt die Entscheidung des Arbeitsgerichts L… bezüglich der Eingruppierung der Mitarbeiter der Wohngeldstelle vor. Auf dieser Grundlage bitten wir um eine Prüfung unserer Eingruppierung. Die Beschäftigten unserer Wohngeldstelle wurden von der Vergütungsgruppe 5c in die Vergütungsgruppe 6b zurückgruppiert. Bedauerlicherweise sind wir gegen diese Rückgruppierung nicht in Widerspruch gegangen bzw. haben gegen die Rückgruppierung nicht geklagt. Da die Mitarbeiter der Wohngeldstelle L… diesen Schritt getan haben und die Entscheidung nun vorliegt, bitten wir um eine erneute Prüfung der Eingruppierung.”
Rz. 4
In der Zeit vom 27. Februar 2006 bis zum 24. März 2006 ermittelte der Beklagte Zeitanteile, die bei der Wohngeldsachbearbeitung anfallen, und fertigte folgende Stellenbeschreibung:
1. Beratung und Erteilung von Auskünften zur Antragstellung und Durchführung von Überschlagsberechnungen eines Anspruchs auf Mietzuschuss und Lastenzuschuss
Zeitanteil 27 %
2. Erstanträge
2.1 Bearbeitung und abschließende Entscheidung der Erstanträge auf Mietzuschuss und Lastenzuschuss unter Anwendung der gesetzlichen Regelungen
– Antragserfordernis und Antragsberechtigung
– Antragsüberprüfung
– Einkommensermittlung (Einkommensberechnung unter besonderer Beachtung des § 29 WoGG sowie Ermittlung von Freibeträgen und pauschalen Abzügen)
– Belastungsberechnung (Ermittlung der wohngeldfähigen Miete, eigengenutzter Wohnfläche/Mehrfamilienhäuser, Ermittlung der anrechenbaren Fremdmittel/Lastenzuschuss Belastungsberechnungen)
– Erteilen von Wohngeldbescheiden
– Aktenablage
Zeitanteil 13 %
2.2 Bearbeitung und abschließende Entscheidung der Erstanträge auf Mietzuschuss und Lastenzuschuss mit schwierigen Sachverhalten unter Anwendung der gesetzlichen Regelungen
– Antragserfordernis und Antragsberechtigung
– Antragsüberprüfung
– Einkommensermittlung (Einkommensberechnung unter besonderer Beachtung des § 29 WoGG sowie Ermittlung von Freibeträgen und pauschalen Abzügen)
– Einkommensermittlung mit zeitaufwendigen Plausibilitätsprüfungen und unter Anwendung des gesetzlichen Ermessens
– Ermittlung des Einkommens Selbständiger
– Belastungsberechnung (Ermittlung der wohngeldfähigen Miete, eigengenutzter Wohnfläche/Mehrfamilienhäuser, Ermittlung der anrechenbaren Fremdmittel/Lastenzuschuss Belastungsberechnungen)
– Erteilen von Wohngeldbescheiden
– Aktenablage
Zeitanteil 6 %
3. Folgeanträge
3.1 Bearbeitung und abschließende Entscheidung der Erstanträge auf Mietzuschuss und Lastenzuschuss unter Anwendung der gesetzlichen Regelungen
– Antragserfordernis und Antragsberechtigung
– Antragsüberprüfung
– Einkommensermittlung (Einkommensberechnung unter besonderer Beachtung des § 29 WoGG sowie Ermittlung von Freibeträgen und pauschalen Abzügen)
– Belastungsberechnung (Ermittlung der wohngeldfähigen Miete, eigengenutzter Wohnfläche/Mehrfamilienhäuser, Ermittlung der anrechenbaren Fremdmittel/Lastenzuschuss Belastungsberechnungen)
– Erteilen von Wohngeldbescheiden bzw. Aufhebung von Wohngeldbescheiden
– Aktenablage
Zeitanteil 30 %
3.2 Bearbeitung und abschließende Entscheidung der Erstanträge auf Mietzuschuss und Lastenzuschuss mit schwierigen Sachverhalten unter Anwendung der gesetzlichen Regelungen
– Antragserfordernis und Antragsberechtigung
– Antragsüberprüfung
– Einkommensermittlung (Einkommensberechnung unter besonderer Beachtung des § 29 WoGG sowie Ermittlung von Freibeträgen und pauschalen Abzügen)
– Einkommensermittlung mit zeitaufwendigen Plausibilitätsprüfungen und unter Anwendung des gesetzlichen Ermessens
– Ermittlung des Einkommens Selbständiger
– Belastungsberechnung (Ermittlung der wohngeldfähigen Miete, eigengenutzter Wohnfläche/Mehrfamilienhäuser, Ermittlung der anrechenbaren Fremdmittel/Lastenzuschuss Belastungsberechnungen)
– Erteilen von Wohngeldbescheiden bzw. Aufhebung von Wohngeldbescheiden
– Aktenablage
Zeitanteil 16 %
4. Rückforderungen zu unrecht erbrachter Leistungen oder Überzahlungen
– Vorbereitung Stundungsvereinbarungen
– Ratenzahlungsvereinbarungen
– Überwachung der Zahlungseingänge und eventuell Mahnverfahren
– Einleitung von Insolvenzverfahren
Zeitanteil 3 %
5. Widerspruchsbearbeitung (Überprüfung des Widerspruchsanliegens und Zuarbeiten für den SGL, Vorbereitung und Einladung zur Anhörung; Erläuterung der Entscheidung und des Verwaltungsrechtsweges)
Zeitanteil 2 %
6. Sonstiges
– Abklärungen und Rücksprachen mit ARGE
Zeitanteil 3 %
Kompetenzen, Fachkenntnisse, Rechtsgrundlagen:
SGB I, III, V und X; BBiG; BGB Teil IV, EStG, AFBG, OWiG, BuKiG, WoGG, WoGSoG, WoGV, WoGVwV, SGB, BSHG, BKGG, BVG, AfG”
Rz. 5
Mit Schreiben vom 6. August 2006 wandte sich die Klägerin abermals an den Beklagten und beantragte diesmal ausdrücklich die “Neueinstufung in die Vergütungsgruppe 5b”, was der Beklagte jedoch ablehnte.
Rz. 6
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Vergütungsdifferenzen zwischen der VergGr. VIb und den VergGr. Vc bzw. Vb BAT-O – beginnend mit dem 1. Juli 2005 – geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, ihre Tätigkeit – die Bearbeitung von Wohngeldanträgen – erfordere neben gründlichen und vielseitigen Fachkenntnissen durchgehend auch selbständige Leistungen. Eine Vorsortierung in einfache und schwierige Sachverhalte sei unmöglich, so dass die Stellenbeschreibung die Antragsbearbeitungen zu Unrecht in verschiedene Vorgänge unterteile. Tatsächlich eröffne jede Wohngeldantragsbearbeitung, und zwar in jedem Stadium der Bearbeitung, Ermessens- und Beurteilungsspielräume – sei es durch notwendige Aufklärung, durch erforderliche Schätzungen oder durch abwägende Entscheidungen –. Unzutreffend seien deshalb auch die vom Beklagten angesetzten Zeitanteile.
Rz. 7
Die Klägerin hat – soweit für die Revisionsinstanz von Interesse – zuletzt sinngemäß beantragt, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin
1. für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2005 nach der VergGr. Vc BAT-O zu vergüten und die monatlichen Bruttodifferenzbeträge zwischen der Vergütung nach der VergGr. Vc und VIb BAT-O ab dem 13. Oktober 2006 mit einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen,
2. für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis 31. Januar 2006 nach der Entgeltgruppe 8 TVöD zu vergüten und die monatlichen Bruttodifferenzbeträge zwischen der Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 und der Entgeltgruppe 6 TVöD ab dem 13. Oktober 2006 mit einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen,
3. für die Zeit ab 1. Februar 2006 nach der Entgeltgruppe 9 TVöD zu vergüten und die monatlichen Bruttodifferenzbeträge zwischen der Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 und der Entgeltgruppe 6 TVöD für die Monate Februar bis Oktober 2006 ab dem 13. Oktober 2006 sowie ab November 2006 ab dem auf den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt folgenden Tag mit einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.
Rz. 8
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er ist der Auffassung, dass die Tätigkeit der Klägerin weniger als zu einem Drittel selbständige Leistungen erfordere. Für die tarifliche Bewertung müsse die Bearbeitung von Wohngeldanträgen in vier Arbeitsvorgänge aufgeteilt werden, nämlich unterteilt in (a) Erst- und Folgeanträge und dort jeweils (b) einfache und schwierige Sachverhalte. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (5. November 2003 – 4 AZR 689/02 – BAGE 108, 245, 254 f.). Einfache und schwierige Sachverhalte seien mittels kurzer Sichtung der Unterlagen bereits zu unterscheiden. Rund drei Viertel aller Anträge enthielten ausweislich der durchgeführten Zeiterfassung keinerlei nennenswerte Schwierigkeiten. Der Entscheidungsweg ergebe sich hierzu nämlich schon anhand der verwendeten Formulare und Verwaltungsvorschriften.
Rz. 9
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und sinngemäß die Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
Die zulässige Revision des Beklagten ist teilweise begründet. Die als Eingruppierungsfeststellungsklage nach ständiger Rechtsprechung auch im Hinblick auf den Verzinsungsantrag zulässige Klage (BAG 23. August 2006 – 4 AZR 417/05 – BAGE 119, 205, 208) ist nicht in vollem Umfang, aber überwiegend begründet. Die Klägerin hat seit dem 1. Februar 2006 Anspruch auf Vergütung aus der Entgeltgruppe 9 TVöD. Für den vorangegangenen Zeitraum hat das Landesarbeitsgericht der Klägerin einen Anspruch aus der begehrten Vergütungsgruppe zu Unrecht zuerkannt. Dieser ist wegen der Nichteinhaltung der maßgeblichen tariflichen Ausschlussfrist verfallen.
Rz. 11
I. Die Revision des Beklagten ist unbegründet, soweit sie sich auf den Zeitraum seit dem 1. Februar 2006 bezieht. Die Klägerin hat seit diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 der Anlage 1 zum Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts vom 13. September 2005 (TVÜ-VKA).
Rz. 12
1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestimmt sich kraft vertraglicher Vereinbarung bis zum 30. September 2005 nach dem BAT-O und seit dem 1. Oktober 2005 nach dem TVöD (VKA). Der TVöD ist ein den BAT-O ersetzender Tarifvertrag. Der Beklagte unterfällt ihm in seiner Fassung für die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (vgl. dazu BAG 22. April 2009 – 4 ABR 14/08 – Rn. 24 ff., NZA 2009, 1286). Die Verweisungsklausel in § 3 des Arbeitsvertrags der Klägerin nimmt auf diese Ersetzung ausreichenden Bezug (vgl. Greiner NZA 2009, 877, 878 mwN).
Rz. 13
2. Danach ist die der Klägerin zustehende Vergütung anhand der Anlage 1a zum BAT-O zu ermitteln.
Rz. 14
a) Vom Beginn des Streitzeitraums am 1. Juli 2005 bis zum 30. September 2005 verweist § 3 des Arbeitsvertrages auf den BAT-O/VKA. Damit richtet sich die Vergütung der Klägerin gemäß § 22 Abs. 1 BAT-O/VKA nach den Tätigkeitsmerkmalen der Anlagen 1a und 1b.
Rz. 15
b) Auch im Zeitraum seit dem 1. Oktober 2005 richtet sich die Vergütung der Klägerin nach der Anlage 1a zum BAT-O. Der an diesem Tag in Kraft getretene TVöD bestimmt in § 15 Abs. 1, dass Beschäftigte ein monatliches Tabellenentgelt in Höhe der Entgeltgruppe erhalten, in der sie eingruppiert sind. Bis zum Inkrafttreten der neuen Eingruppierungsvorschriften regelt § 17 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA die Weitergeltung der §§ 22, 23 BAT-O und damit auch der Vergütungsordnung der Anlage 1a.
Rz. 16
3. Nach § 22 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT-O ist ein Angestellter in der Vergütungsgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmale die gesamte von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Nach § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 BAT-O entspricht die gesamte auszuübende Tätigkeit den Tätigkeitsmerkmalen einer Vergütungsgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen. Die hier maßgebenden Tätigkeitsmerkmale der folgenden, aufeinander aufbauenden Vergütungsfallgruppen VIb, Vc und Vb der genannten Anlage 1a lauten wie folgt:
VIb:
1a) Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst, deren Tätigkeit gründliche und vielseitige Fachkenntnisse und mindestens zu einem Fünftel selbständige Leistungen erfordert.
Vc:
1a) Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst, deren Tätigkeit gründliche und vielseitige Fachkenntnisse und mindestens zu einem Drittel selbständige Leistungen erfordert.
1b) Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst, deren Tätigkeit gründliche und vielseitige Fachkenntnisse und selbständige Leistungen erfordert.
Vb:
1c) Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst, deren Tätigkeit gründliche und vielseitige Fachkenntnisse und selbständige Leistungen erfordert,
nach dreijähriger Bewährung in Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1b.”
Rz. 17
Dabei weist jedes dieser Tätigkeitsmerkmale die ergänzende Klammerbemerkung auf:
“(Die gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse brauchen sich nicht auf das gesamte Gebiet der Verwaltung [des Betriebs], bei der der Angestellte beschäftigt ist, zu beziehen. Der Aufgabenkreis des Angestellten muss aber so gestaltet sein, dass er nur beim Vorhandensein gründlicher und vielseitiger Fachkenntnisse ordnungsgemäß bearbeitet werden kann. Selbständige Leistungen erfordern ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative; eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderung nicht erfüllen.)”
Rz. 18
4. Danach erfüllt die Tätigkeit der Klägerin das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. Vb Fallgr. 1c), da in ihr zeitlich mehr als zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die gründliche und vielseitige Fachkenntnisse sowie selbständige Leistungen erfordern und die Klägerin sich in dieser Tätigkeit mehr als drei Jahre bewährt hat. Die Höhe der Vergütung ergibt sich aus der Entgeltgruppe 9 der Anlage 1 zum TVÜ-VKA.
Rz. 19
a) Die Bestimmung der Arbeitsvorgänge der Klägerin durch das Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dabei kann zu Gunsten des Beklagten unterstellt werden, dass die Bearbeitung von Erst- und Folgeanträgen jeweils einen eigenen Arbeitsvorgang bilden. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Zusammenfassung jeweils aller Erstanträge und aller Folgeanträge, gleich welchen Schwierigkeitsgrades, ist rechtsfehlerfrei.
Rz. 20
aa) Ein Arbeitsvorgang ist eine – unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung – nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten (st. Rspr., zuletzt etwa BAG 22. April 2009 – 4 AZR 166/08 – Rn. 16). Der Rechtsbegriff unterliegt der vollen revisionsgerichtlichen Prüfung (BAG 26. Juli 1995 – 4 AZR 280/94 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 203; 22. November 1977 – 4 AZR 395/76 – BAGE 29, 364, 370 f.). Entscheidendes Bestimmungskriterium ist das Arbeitsergebnis (BAG 25. Februar 2009 – 4 AZR 20/08 – Rn. 18 mwN, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 310). Rechtlich zulässig ist es, dass eine gesamte Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmacht. Nur wenn es tatsächlich möglich ist, Tätigkeiten von unterschiedlicher Wertigkeit abzutrennen, werden diese nicht zu einem Arbeitsvorgang zusammengefasst (BAG 23. Februar 2005 – 4 AZR 191/04 – zu I 3a aa der Gründe, ZTR 2005, 643).
Rz. 21
bb) Das Landesarbeitsgericht hat die von dem Beklagten vorgenommene Differenzierung der Bearbeitung und abschließenden Bescheidung von Wohngeldanträgen durch die Klägerin nach einfachen und schwierigen Sachverhalten rechtsfehlerfrei abgelehnt.
Rz. 22
(1) Das Landesarbeitsgericht hat die einzelnen Arbeitsschritte der Wohngeldsachbearbeitung durch die Klägerin festgestellt. Hinsichtlich der Prüfung der Antragsberechtigung ist es davon ausgegangen, dass dabei regelmäßig Tatsachenermittlungen anfallen, Bewertungen anzustellen sind und ergänzende Schlussfolgerungen gezogen werden. Bei der Ermittlung des Einkommens müssen danach etwaige zusätzliche Erkundungen eingeholt und notwendige Folgeentscheidungen getroffen werden. Bei der Bemessung des Bewilligungszeitraums werden Abwägungen und Einzelfallbetrachtungen notwendig. Aus der Vielzahl der Bearbeitungsvarianten hat das Landesarbeitsgericht gefolgert, dass keine tatsächliche Möglichkeit besteht, die Sachverhalte trennscharf in “einfache” und “schwierige” aufzuteilen, und hat eine Unterscheidungsmöglichkeit allenfalls anhand einer Skala von je unterschiedlich schwierigen Fallgruppen und hierzu zu bildenden Untergruppen angenommen. Dabei ergibt sich eine Einordnung der jeweils zu behandelnden Sache nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erst im Lauf der Prüfungstätigkeit und kann nicht bereits vor Beginn der Antragsbearbeitung abschließend festgelegt werden. Daraus ergebe sich die Zusammenfassung der Antragsbearbeitung, gleich welchen Schwierigkeitsgrades, zu einem Arbeitsvorgang.
Rz. 23
(2) Diese Erwägungen sind rechtsfehlerfrei.
Rz. 24
(a) Bei der Bestimmung von Arbeitsvorgängen können wiederkehrende gleichartige und gleichwertige Arbeitsleistungen zusammengefasst werden (st. Rspr., zB BAG 31. Juli 2002 – 4 AZR 163/01 – BAGE 102, 122, 125; 16. April 1986 – 4 AZR 595/84 – BAGE 51, 356, 360 f.; 30. Januar 1985 – 4 AZR 184/83 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 101; 13. Dezember 1978 – 4 AZR 322/77 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 12). Bei der Bearbeitung von Anträgen und Widersprüchen bildet nicht jeder einzelne Antrag einen eigenen Arbeitsvorgang, sondern erst die Befassung mit allen Anträgen oder Widersprüchen füllt diesen Rechtsbegriff aus (BAG 6. März 1996 – 4 AZR 775/94 – zu II 3b der Gründe, AP BAT §§ 22, 23 Sozialarbeiter Nr. 23; 28. September 1983 – 4 AZR 93/81 –; 12. August 1981 – 4 AZR 15/79 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 47). Nicht zusammengefasst werden können allerdings Bearbeitungen, die tariflich unterschiedlich zu bewerten sind. Dies gilt jedoch nur, wenn die unterschiedlich wertigen Arbeitsleistungen von vorne herein – sei es aufgrund der Schwierigkeit oder anderer Umstände – auseinander gehalten werden können und von einander zu trennen sind (BAG 6. März 1996 – 4 AZR 775/94 – aaO; 16. April 1986 – 4 AZR 595/04 – zu 1 der Gründe, aaO). Allein die theoretische Möglichkeit, einzelne Arbeitsschritte isoliert auf andere Angestellte übertragen zu können, ergibt hierfür keinen entscheidenden Anhalt. Es kommt nach der Senatsrechtsprechung für die tarifliche Bewertung nicht darauf an, ob und inwieweit Einzelaufgaben verwaltungstechnisch verschiedenen Angestellten zugewiesen werden könnten, solange sie im Zusammenhang als eine einheitliche Arbeitsaufgabe noch einer Person übertragen sind (vgl. BAG 23. Februar 2005 – 4 AZR 191/04 – ZTR 2005, 643). Tatsächlich trennbar sind Arbeitsschritte nicht, wenn sich erst im Laufe der Bearbeitung herausstellt, welchen tariflich erheblichen Schwierigkeitsgrad der einzelne Fall aufweist (BAG 14. Dezember 1994 – 4 AZR 950/93 – AP BAT §§ 22, 23 Sozialarbeiter Nr. 10).
Rz. 25
(b) Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist eine Aufteilung der der Klägerin übertragenen Aufgabe der Wohngeldantragsbearbeitung in einfache und schwierige Sachverhalte nicht möglich. Das Arbeitsergebnis der Tätigkeit der Klägerin ist die Erstellung von Wohngeldbescheiden, nicht die Erstellung von Wohngeldbescheiden in schwierigen oder in einfachen Fällen (vgl. dazu BAG 20. März 1996 – 4 AZR 967/94 – BAGE 82, 252, 258; 20. März 1996 – 4 AZR 1052/94 – BAGE 82, 272, 279). Mit dem Landesarbeitsgericht ist davon auszugehen, dass bereits die Unterscheidung zwischen einer einfachen und einer schwierigen Konstellation nicht ohne weitere Kriterien vorgenommen werden kann. Auch in der der Senatsentscheidung vom 5. November 2003 (– 4 AZR 689/02 – BAGE 108, 245) zu Grunde liegenden Konstellation der Wohngeldantragsbearbeitung in zwei möglichen Arbeitsvorgängen ging es nicht um die Abgrenzung von einfachen und schwierigen Sachverhalten, sondern um “Erstanträge ohne gleich liegende Vorbilder” und solche “mit einer gleich liegenden früher bearbeiteten Fallgestaltung” (aaO, S. 254). Eine derartige Unterscheidung hat der Beklagte jedoch nicht vorgenommen, so dass dahingestellt bleiben kann, inwieweit die Entscheidung vom 5. November 2003 vor dem Hintergrund der besonderen Konstellation des seinerzeit zu entscheidenden Falles überhaupt auf Wohngeldsachbearbeitung im Allgemeinen übertragen werden kann. Das Landesarbeitsgericht hat ferner anhand des Bearbeitungsvorgangs eines Wohngeldantrags überzeugend dargelegt, dass bei jedem der dafür erforderlichen Arbeitsschritte die Änderung einer bis dahin möglicherweise zutreffenden Qualifizierung als einfach oder schwierig eintreten kann. Dieser Ungewissheit hat der Beklagte auch dadurch Rechnung getragen, dass er die Wohngeldantragsbearbeitung nicht von Vorneherein so aufgeteilt hat, dass sie nach einfachen und schwierigen Vorgängen getrennt werden könnte. Es ist zwar nicht zwingend erforderlich, dass die Verwaltungsorganisation die von ihr als trennbar angesehenen Arbeitsergebnisse auch tatsächlich trennt und gar verschiedenen Angestellten überträgt. Eine Mindestvoraussetzung ist aber die Gestaltung einer Arbeitsorganisation, die eine derartige Trennung schon bei der Zuweisung der Arbeitsaufgabe ermöglicht. Es ist tarifwidrig, die tatsächliche Vergütung erst im Nachgang durch Auszählen der bearbeiteten Vorgänge und ihrer Zuweisung zu dem einen oder dem anderen Schwierigkeitsgrad zu ermitteln (vgl. dazu BAG 7. Juli 2004 – 4 AZR 507/03 – BAGE 111, 216, 227; 18. Mai 1994 – 4 AZR 461/93 – zu B II 2b der Gründe, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 178). Die Möglichkeit einer solchen Trennung ist bei der der Klägerin übertragenen Aufgabe der Wohngeldantragsbearbeitung nicht gegeben.
Rz. 26
cc) Ob die im Weiteren vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Bestimmung zweier tariflich voneinander unterscheidbarer Arbeitsvorgänge in der Bearbeitung von einerseits Erst- und andererseits Folgeanträgen auf Bewilligung von Wohngeld tatsächlich zutreffend ist oder ob nicht auch diese beiden Tätigkeitsschritte als einheitlicher Arbeitsvorgang zu bestimmen sind, muss nicht entschieden werden. Denn auch wenn zu Gunsten des Beklagten mit dem Landesarbeitsgericht davon ausgegangen wird, dass die Bearbeitung von Erst- und Folgeanträgen zwei verschiedene Arbeitsvorgänge sind, erfüllen sie die Voraussetzungen der VergGr. Vc Fallgr. 1b der Anlage 1a zu § 22 BAT-O (VKA).
Rz. 27
b) Beide Arbeitsvorgänge erfüllen die Tätigkeitsmerkmale der “gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse” wie auch der “selbständigen Tätigkeiten” iSd. VergGr. Vc Fallgr. 1b). Dabei ist eine pauschale Überprüfung ausreichend, soweit die Parteien die Tätigkeiten der Klägerin als unstreitig ansehen und das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. VIb Fallgr. 1a), auf der die VergGr. Vc Fallgr. 1b) aufbaut, als erfüllt erachten (BAG 22. April 2009 – 4 AZR 166/08 – Rn. 21, ZTR 2009, 581; 26. Januar 2005 – 4 AZR 6/04 – BAGE 113, 291, 302).
Rz. 28
aa) Gründliche Fachkenntnisse setzen nähere Kenntnisse von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften und Tarifbestimmungen im Aufgabenkreis der oder des Angestellten voraus. Dabei sind Fachkenntnisse von nicht ganz unerheblichem Ausmaß und nicht nur oberflächlicher Art zu verlangen (vgl. BAG 10. Dezember 1997 – 4 AZR 221/96 – zu II 1b bb (3) der Gründe, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 237; 20. Oktober 1993 – 4 AZR 45/93 – zu III 3a der Gründe, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 172). Vielseitige Fachkenntnisse erfordern demgegenüber eine Erweiterung des Fachwissens seinem Umfang nach. Dies kann sich beispielsweise aufgrund der Menge der anzuwendenden Vorschriften und Bestimmungen ergeben. Denkbar ist auch, dass sich der Wissensbereich nur auf ein einzelnes, abgegrenztes Teilgebiet beschränkt, in dem der Angestellte eingesetzt wird (vgl. BAG 10. Dezember 1997 – 4 AZR 221/96 – aaO; 15. November 1995 – 4 AZR 557/94 – zu II 3a der Gründe, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 209; 16. April 1997 – 4 AZR 350/95 – zu II 3b der Gründe; ua.).
Rz. 29
bb) Die Klägerin hat bei der Bearbeitung von Erst- und Folgeanträgen auf Wohngeld alle einschlägigen Vorschriften des Wohngeldrechts, mehrere Bücher des Sozialgesetzbuchs, Teile des BGB sowie des Einkommensteuer- und des Ordnungswidrigkeitenrechts und des Kindergeldrechts zu berücksichtigen. Die Verwendung von Antragsformularen schließt die Notwendigkeit, ganz besondere Rechtskenntnisse anzuwenden ebenso wenig aus, wie die Verwendung eines EDV-Programms zur Überwachung von Fristen und Zahlungen sowie der Erstellung von Bescheiden (BAG 2. Dezember 1992 – 4 AZR 140/92 – ZTR 1993, 204). Das gleiche gilt hinsichtlich zusätzlicher Verwaltungsvorschriften. Hiervon geht auch der Beklagte aus.
Rz. 30
cc) Das Landesarbeitsgericht ist sodann zutreffend davon ausgegangen, dass der jeweilige Arbeitsvorgang der Wohngeldantragsbearbeitung, unabhängig davon, ob es um Erst- oder Folgeanträge geht, darüber hinaus auch das Merkmal der “selbständigen Leistungen” erfüllt. Das Revisionsgericht ist bei der Prüfung unbestimmter Rechtsbegriffe wie dem der “selbständigen Leistungen”, darauf beschränkt, zu überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht vom zutreffenden Rechtsbegriff ausgegangen ist, ob es diesen bei der Subsumtion beibehalten hat und ob bei der Anwendung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen wurde oder ob die Beurteilung wegen der Außerachtlassung wesentlicher Umstände offensichtlich fehlerhaft ist (BAG 22. April 2009 – 4 AZR 166/08 – Rn. 24, ZTR 2009, 581; 6. Juni 2007 – 4 AZR 505/06 – Rn. 31, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 308; 26. August 1998 – 4 AZR 280/97 – ZTR 1999, 216).
Rz. 31
(1) Das Landesarbeitsgericht geht vom zutreffenden Rechtsbegriff der “selbständigen Leistungen” aus. Nach Satz 3 des Klammerzusatzes zu VergGr. VIb Fallgr. 1a bzw. Vc Fallgr. 1a und 1b erfordern selbständige Leistungen ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative. Eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderung nicht erfüllen. Unter selbständigen Leistungen verstehen die Tarifvertragsparteien eine Gedankenarbeit, die im Rahmen der für die Vergütungsgruppe vorausgesetzten Fachkenntnisse hinsichtlich des zu findenden Ergebnisses eine eigene Beurteilung und eine eigene Entscheidung verlangt (BAG 28. September 1994 – 4 AZR 542/93 – zu II 4b der Gründe, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 185; 18. Mai 1994 – 4 AZR 461/93 – zu B II 4c der Gründe, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 178). Kennzeichnend hierfür können – ohne Bindung an die verwaltungsrechtlichen Fachbegriffe – wie auch immer geartete Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielräume bei der Erarbeitung des Arbeitsergebnisses sein (BAG 14. August 1985 – 4 AZR 21/84 – BAGE 49, 250, 265). Vom Angestellten erwartet werden Abwägungsprozesse; er muss unterschiedliche Informationen verknüpfen, gegeneinander abmessen und zu einer Entschließung kommen (BAG 18. Februar 1998 – 4 AZR 581/96 – BAGE 88, 69, 80; 12. Juni 1996 – 4 AZR 1025/94 – zu II 4c der Gründe, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 212). Zur Erfüllung der tariflichen Anforderung genügt es allerdings, wenn selbständige Leistungen innerhalb des Arbeitsvorgangs in rechtlich erheblichem Ausmaß vorliegen. Nicht erforderlich ist, dass die selbständigen Leistungen innerhalb eines Arbeitsvorgangs in dem von § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 und 4 BAT/BAT-O bestimmten Maß anfallen (BAG 22. April 2009 – 4 AZR 166/08 – Rn. 27 mwN, ZTR 2009, 581).
Rz. 32
(2) Das Landesarbeitsgericht hat diesen Begriff in seiner Subsumtion auch beibehalten. Soweit die Wohngeldantragsbearbeitung sich mit schwierigen Sachverhalten auseinanderzusetzen hat, sieht auch die Beklagte das Merkmal der “selbständigen Leistungen” als erfüllt an.
Rz. 33
(a) Nach dem unstreitigen Parteivorbringen hat die Klägerin Nachforschungen im Zuge der Einkommensermittlung anzustellen, wenn Einkunftsangaben im deutlichen Missverhältnis zum eigentlichen Lebensbedarf stehen oder sonst wie unplausibel erscheinen. Dies eröffnet Handlungsspielräume sowohl im “ob” als auch im “wie” der anzustellenden Sachverhaltsermittlungen und ist folglich selbständige Tätigkeit. Das gleiche gilt für Recherchen oder Einschätzungen, die bei der Bewertung von Ausschlussgründen nach § 18 WoGG aF für Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften oder bei der Berücksichtigung vorübergehend abwesender Personen vorzunehmen sind. Ebenfalls als selbständige Leistungen erscheinen gänzliche Einkommensschätzungen, wenn keine hinreichenden Anhaltspunkte zum wirklichen Einkommen vorliegen. Darüber hinaus ergeben sich unstreitig bei der Behandlung von Mischeinkünften, beim Ehegattenunterhalt und bei Selbständigeneinkommen problembehaftete und nur mit besonderem geistigem Aufwand zu bewältigende Vorgänge. Hinzu kommt schließlich, dass auch die Entscheidung über einen vom gesetzlichen Regelfall des § 27 WoGG aF abweichenden Bewilligungszeitraum eine Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erfordert, die als selbständige Leistung zu verstehen ist. Auch die zwischenzeitlich erfolgte Novellierung des Wohngeldgesetzes nebst Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften hat an diesen notwendigen Sachbearbeitertätigkeiten nichts geändert.
Rz. 34
(b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dass diese selbständigen Leistungsinhalte einen rechtserheblichen Umfang ausmachen, begegnet keinen Bedenken. Ausgehend von der Stellenbeschreibung des Beklagten entfallen auf die Bearbeitung von Erstanträgen 19 Prozent und auf die Bearbeitung von Folgeanträgen 46 Prozent der Arbeitszeit der Klägerin. In diesen beiden Komplexen sind – wiederum nach der Stellenbeschreibung des Beklagten – jeweils etwa zu einem Drittel schwierige Sachverhalte gegeben, die selbständige Leistungen der Klägerin erfordern. Diese Anteile in den jeweiligen Arbeitsvorgängen reichen aus, um dem gesamten jeweiligen Arbeitsvorgang seine tarifliche Wertigkeit zu geben. Der Senat hat dies schon für deutlich geringere Zeitanteile entschieden (vgl. die Nachweise bei BAG 28. Januar 2009 – 4 AZR 13/08 – Rn. 47, ZTR 2009, 481, 484).
Rz. 35
(3) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts enthält keine Verstöße gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze und kein Übersehen eines wesentlichen tatsächlichen Gesichtspunktes. Dies wird von der Revision auch nicht gerügt.
Rz. 36
c) Die Klägerin erfüllte schließlich zum 1. Februar 2006 die Voraussetzungen der VergGr. Vb Fallgr. 1c BAT-O (VKA). Sie hatte sich zu diesem Zeitpunkt mehr als drei Jahre lang in der VergGr. Vc Fallgr. 1b BAT-O (VKA) bewährt. Das Landesarbeitsgericht hat, ohne dass die Revision dies angegriffen hat, angenommen, die Klägerin habe den vorgenannten Tätigkeitsinhalt über drei Jahre verrichtet. Der Beklagte hat keine Anhaltspunkte eröffnet, aus denen ein gewichtiges Versagen der Klägerin hervorgegangen sein könnte. Die Voraussetzungen der Bewährung waren folglich als gegeben anzunehmen (vgl. dazu BAG 17. Februar 1993 – 4 AZR 153/92 – AP BAT § 23a Nr. 29).
Rz. 37
d) Die Erfüllung des Tätigkeitsmerkmals der VergGr. Vb Fallgr. 1c) der Anlage 1a zum BAT-O führt zur Vergütungspflicht des Beklagten nach der Entgeltgruppe 9 der Anlage 1 zum TVÜ-VKA. Danach ist dieser Entgeltgruppe ua. die VergGr. “Vb nach Aufstieg aus Vc” zugeordnet.
Rz. 38
5. Soweit der Anspruch der Klägerin ab dem 1. Februar 2006 betroffen ist, ist er auch nicht verfallen. Die Klägerin hat die tarifliche Ausschlussfrist gewahrt.
Rz. 39
a) Der Anspruch der Klägerin auf tarifgerechte Vergütung unterliegt der Ausschlussfrist. Nach § 70 Satz 1 BAT-O bzw. seit 1. Oktober 2005 § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten schriftlich geltend gemacht werden. Dabei ist die Klarstellung gegenüber dem Anspruchsschuldner gemeint, dass an ihn ein näher bestimmter Anspruch gestellt wird, wobei unmissverständlich hervortreten muss, dass auf der Anspruchserfüllung bestanden wird (BAG 10. Dezember 1997 – 4 AZR 228/96 – zu II 6 der Gründe, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 234). Allein die Aufforderung, die bisherige Nichterfüllung “zu überdenken” oder “zu überprüfen” ist noch keine Geltendmachung im Tarifsinn, weil ihr das unmissverständliche Erfüllungsverlangen fehlt. Gleiches gilt für den Hinweis, sich “die Geltendmachung der Ansprüche vorzubehalten” (BAG 20. Februar 2001 – 9 AZR 46/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Gaststätten Nr. 11 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 139; 10. Dezember 1997 – 4 AZR 228/96 – aaO; 5. April 1995 – 5 AZR 961/93 – zu 2b der Gründe, AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 130 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 111).
Rz. 40
b) Danach ist das Schreiben der Klägerin vom 6. August 2006 als hinreichende Geltendmachung im Hinblick auf das Klagebegehren anzusehen. Mit ihm hat die Klägerin von dem Beklagten eine “Neueinstufung in die Vergütungsgruppe 5b” gefordert. Damit hat sie ihm deutlich gemacht, dass sie die bisherige Vergütung für auf einer fehlerhaften Eingruppierung beruhend hält und die aus ihrer Sicht zutreffende Vergütungspflicht des Beklagten hinreichend klar bezeichnet. Das Schreiben stellt ein ernsthaftes Verlangen einer bestimmten Anspruchserfüllung dar und umfasst die aus der Eingruppierung folgenden Ansprüche seit dem 1. Februar 2006.
Rz. 41
6. Die Klägerin hat für den Zeitraum ab dem 1. Februar 2006 grundsätzlich auch Anspruch auf die von ihr begehrten Zinsen. Der vom Landesarbeitsgericht vollumfänglich zugestandene Zinsanspruch ist bis auf den Monat Oktober 2006 zutreffend und entsprechend der klägerischen Antragstellung aus § 288 Abs. 1 Satz 2, § 291 BGB und § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD bemessen. Soweit das Landesarbeitsgericht der Klägerin allerdings auch für den Beschäftigungsmonat Oktober 2006 Zinsen vom 13. Oktober 2006 an – dem Datum der Rechtshängigkeit – zuerkennt, ist das aufgrund der in § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD geregelten Fälligkeit des Vergütungsanspruchs zum jeweils Monatsletzten fehlerhaft und zu korrigieren.
Rz. 42
II. Die Revision des Beklagten ist dagegen für den Zeitraum bis zum 31. Januar 2006 begründet. Denn ein sich aus der diesen Zeitraum erfassenden Feststellung ergebender Zahlungsanspruch wäre verfallen, weil die Klägerin die tarifliche Ausschlussfrist insoweit nicht gewahrt hat.
Rz. 43
1. Das Landesarbeitsgericht hat die Ausschlussfrist als durch das Schreiben der Klägerin vom 4. Januar 2006 gewahrt angesehen, weil der Beklagte in der Berufung eine entsprechende “Feststellung” des Arbeitsgerichtes nicht angegriffen habe.
Rz. 44
2. Die hiergegen gerichtete Revision des Beklagten hat Erfolg.
Rz. 45
a) Zum schlüssigen Vortrag eines Anspruchs, der tariflichen Verfallfristen unterliegt, gehört die Darlegung der Einhaltung dieser Fristen und damit der fristgerechten Geltendmachung. Die Fristeinhaltung ist materiell-rechtliche Voraussetzung für das Bestehen des behaupteten Anspruchs. Ihre Nichteinhaltung ist eine Einwendung, die “von Amts wegen” zu beachten ist (BAG 25. Januar 2006 – 4 AZR 622/04 – Rn. 51 mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Großhandel Nr. 22 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 55). Es ist nicht erforderlich, dass sich der Anspruchsgegner auf die Nichteinhaltung der Verfallfrist beruft. Die Rechtswirkung einer hinreichenden Geltendmachung kann daher auch nicht im prozessualen Sinne unstreitig werden.
Rz. 46
b) Die Klägerin hätte einen Anspruch auf Vergütung nach der begehrten Eingruppierung für den Monat Juli 2005 bis spätestens zum 31. Januar 2006, für August 2005 bis zum 28. Februar 2006, bis hin zur Vergütung für Januar 2006 bis zum 31. Juli 2006 geltend machen müssen. Die Fälligkeit der Monatsvergütung war schon in § 36 Abs. 1 BAT-O zum Monatsletzten bestimmt.
Rz. 47
c) Eine solche Geltendmachung liegt nicht vor. Das Schreiben der Klägerin vom 4. Januar 2006 erfüllt die oben unter I 5 a) dargelegten Kriterien nicht. Indem die Klägerin den Beklagten aufforderte, die Eingruppierung zu überprüfen, verlangte sie weder dem Wortlaut noch dem Sinn nach unmissverständlich ein höheres Gehalt. Eine bloße Überprüfungsbitte stellt jedoch kein abschließendes Erfüllungsverlangen dar (BAG 10. Dezember 1997 – 4 AZR 228/96 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 234). Es war nicht ausgeschlossen, und wurde vom Beklagten auch tatsächlich so verstanden, dass die Klägerin – ggf. zunächst – lediglich überprüft wissen wollte, ob die in ihrem Fall vorgenommene Eingruppierung rechtlich zutreffend war. Der Beklagte erstellte daraufhin eine neue Bewertung, worauf die Klägerin erstmals mit dem anschließenden “Antrag auf Neueinstufung”, und zwar in die konkret bezeichnete VergGr. (Vb) reagierte. Dies stellte, wie oben dargelegt, eine ordnungsgemäße Geltendmachung dar. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ansprüche aus der Zeit bis zum 31. Januar 2006 jedoch bereits verfallen.
Rz. 48
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Bepler, Winter, Creutzfeldt, H. Klotz, Th. Hess
Fundstellen