Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung. Entfernung aus Personalakte. Zeitablauf
Orientierungssatz
Ob eine Abmahnung nach Ablauf einer bestimmten Zeit wirkungslos geworden ist, läßt sich nur aufgrund aller Umstände des Einzelfalles beurteilten (vergleiche BAG Urteil vom 18.11.1986, 7 AZR 674/84 = AP Nr 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = BB 1987, 1252 = NZA 1987, 418; BAG Urteil vom 21.5.1987, 2 AZR 313/86 = DB 1987, 2367).
Normenkette
BGB §§ 242, 611, 1004
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 26.09.1986; Aktenzeichen 2 Sa 12/86) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.10.1984; Aktenzeichen 19 Ca 69/84) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, eine Abmahnung aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
Der Kläger ist seit dem 13. Januar 1969 bei der Beklagten angestellt. Seit dem 16. April 1982 ist er als Hilfssachbearbeiter in der zentralen Bearbeitungsstelle für Fragen der Beschäftigungspflicht und Feststellung der Ausgleichsabgabe nach dem Schwerbehindertengesetz tätig.
Der Vorgesetzte des Klägers, Verwaltungsrat B, hat unter dem 16. März 1984 folgenden Vermerk zu den Personalakten des Klägers gegeben und ihm zugeleitet:
"Betreff
Dienstliches Verhalten des Personals;
Angestellter N
Vor Monaten mußte ich feststellen, daß Herr N
während der Dienstzeit - außerhalb der Mittagspause ein
Buch las. Am 16. März 1984 - ca. 8.15 Uhr - traf
ich Herrn N beim Sortieren von Briefmarken im
Dienstraum an.
In einer von mir anberaumten Unterredung wurde
Herr N am 16. März 1984 auf sein Fehlverhalten
und mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen im Wiederholungsfall
hingewiesen (Abmahnung, Zeugen: ...)".
Der Kläger will in diesem Rechtsstreit die Entfernung dieses Vermerks aus seiner Personalakte erreichen und bestreitet den darin festgehaltenen Sachverhalt: Er habe nämlich außerhalb der Mittagspause nicht in einem Buch gelesen. Außerdem habe er nur kurz in einem Briefmarkenalbum geblättert, um nachzuschauen, ob er bestimmte Marken eingesteckt hatte, die er nach Feierabend tauschen wollte. Aber selbst wenn man die Behauptungen der Beklagten zugrundelege, sei die hierauf gestützte Abmahnung überzogen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom
16. März 1984 gemäß dem Vermerk des VR B
zurückzunehmen und den Vermerk selbst aus der
Personalakte des Klägers zu entfernen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die Abmahnung nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt für gerechtfertigt und lehnt eine Entfernung des Vermerks aus den Personalakten ab. Der im Vermerk dargestellte Sachverhalt sei richtig. Der Kläger habe nicht lediglich in einem Briefmarkenalbum geblättert, als der Verwaltungsrat B hinzugekommen sei, sondern er sei dabei überrascht worden, als er vor zwei bis drei Briefmarkenalben und einem Stapel von etwa 50 Briefmarken gesessen habe. Hierfür habe er sich extra außerhalb seines Dienstzimmers in einen Raum zurückgezogen, wo er sich vor Nachforschungen sicher gefühlt habe.
Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung des Zeugen B die Beklagte verurteilt, den Vermerk über die Abmahnung vom 16. März 1984 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen und hierzu ausgeführt, der Kläger sei zwar zur Ausführung privater Tätigkeiten während der Dienstzeit nicht berechtigt gewesen, jedoch habe die Beklagte mit diesem Vermerk den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und sich gegen die rechtliche Würdigung des Arbeitsgerichts gewandt.
Das Landesarbeitsgericht hat im vorausgegangenen Berufungsverfahren (2 Sa 1/85) unter Abänderung des angefochtenen Urteils erster Instanz die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat einen Anspruch eines Arbeitnehmers auf Entfernung einer mißbilligenden Äußerung des Arbeitgebers aus den Personalakten verneint, selbst wenn diese unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält.
Auf die Revision der Beklagten hat der erkennende Senat mit Urteil vom 23. April 1986 (5 AZR 340/85) die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
In dem darauf folgenden Berufungsverfahren (2 Sa 12/86) hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Die Beklagte will mit ihrer Revision die Abweisung der Klage erreichen. Die Beklagte hat gegen den in der Verhandlung vor dem erkennenden Senat abwesenden Kläger ein Versäumnisurteil beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision mußte durch streitiges Endurteil zurückgewiesen werden, denn sie ist nicht begründet. Dem Antrag der Beklagten auf Erlaß eines Versäumnisurteils war nicht zu entsprechen, weil bei einer unbegründeten Revision das Urteil nur gegen den erschienenen Revisionskläger ergehen kann und nicht gegen den abwesenden Revisionsbeklagten (BGH Urteil vom 14. Juli 1967 - V ZR 112/64 - NJW 1967, 2162; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., § 566 Rz 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 46. Aufl., § 557 Anm. 2; Zöller/Schneider, ZPO, 14. Aufl., § 557 Rz 2 und 4; Thomas/Putzo, ZPO, 15. Aufl., § 557 Anm. 2). Trotz Säumnis des Revisionsbeklagten ist eine Sachprüfung im vollen revisionsinstanzlichen Umfange geboten. Soweit neuer Tatsachenvortrag in der Revisionsinstanz überhaupt zulässig ist (vgl. § 554 Abs. 3 Nr. 3 b, § 561 ZPO) und in der Revisionsbegründung vorgetragen ist (§§ 557, 331 ZPO) fehlt es hieran. Die für die Entscheidung in der Revisionsinstanz maßgeblichen Tatsachen sind unstreitig.
I. Das Berufungsgericht hat die in der Abmahnung festgehaltenen Vorwürfe nicht für beweisbedürftig gehalten. Selbst wenn man diese Vorwürfe als richtig unterstelle, dann seien die dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen nur geringfügig und der Kläger habe sich seitdem einwandfrei verhalten. Unter diesen Umständen müsse die Beklagte die Abmahnung nach zwei Jahren wieder aus der Personalakte entfernen.
II. Die Revision entnimmt aus dem angefochtenen Urteil den Rechtssatz, eine Abmahnung werde in der Regel nach Ablauf von zwei Jahren wirkungslos, sofern nicht in der Zwischenzeit eine erneute Abmahnung ausgesprochen worden sei, die eine gleiche Pflichtverletzung zum Gegenstand habe. Das Landesarbeitsgericht hat aber nicht allein auf den Zeitraum seit der Abmahnung abgestellt, sondern weitere Umstände berücksichtigt.
Ob eine Abmahnung nach Ablauf einer bestimmten Zeit wirkungslos geworden ist, läßt sich nämlich nur aufgrund aller Umstände des Einzelfalles beurteilen (vgl. BAG Urteil vom 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = BB 1987, 1252 = NZA 1987, 418; BAG Urteil vom 21. Mai 1987 - 2 AZR 313/86 - DB 1987, 2367).
III. Das Berufungsgericht hat sich in seinem angefochtenen Urteil nicht allein darauf gestützt, daß seit der letzten Abmahnung zwei Jahre vergangen seien, sondern es hat seinen Rechtsstandpunkt auch damit begründet, daß die von der Beklagten behaupteten Vorwürfe geringfügig seien und sich nicht wiederholt hätten.
Seit der Abmahnung vom 16. März 1984 waren bei Erlaß des angefochtenen Urteils etwa zwei Jahre vergangen. Zwar ist deswegen allein die Abmahnung noch nicht aus der Personalakte zu entfernen. Es sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Art der Verfehlung des Arbeitnehmers sowie sein weiteres Verhalten und die Einstellung des Arbeitgebers hierzu im Anschluß an die Abmahnung. Hierbei ist - wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat - zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, daß die in der Abmahnung erhobenen Vorwürfe geringfügig sind. Einmal soll der Kläger beim Lesen eines Romans außerhalb der Mittagspause an seinem Arbeitsplatz angetroffen worden sein und zum anderen soll er sich während der Arbeitszeit mit dem Sortieren und Einordnen von Briefmarken in ein Sammelalbum in einem Raum beschäftigt haben, wo er sich unentdeckt fühlte. Das Landesarbeitsgericht hat dazu bereits bemerkt, daß er diesen Tätigkeiten während einer "Arbeitslücke" nachgegangen ist. Der Zeuge B hat ergänzend bekundet, daß der Kläger keine Arbeitsrückstände gehabt habe.
Es ist weiter zugunsten des Klägers davon auszugehen, daß er die beanstandeten Verhaltensweisen unstreitig nicht wiederholt hat. Er ist nicht erneut abgemahnt worden. Es spricht außerdem für den Kläger, daß er bereits seit dem 13. Januar 1969 bei der Beklagten beschäftigt ist und die von ihm beanstandete Abmahnung während seiner gesamten Tätigkeit die einzige geblieben ist. Andererseits hat die Beklagte - allein schon durch diesen Rechtsstreit - hinreichend deutlich gemacht, daß sie es nicht duldet, wenn der Kläger beschäftigungsfremden Tätigkeiten während der Arbeitszeit nachgeht. Daran hat er sich aber nach der Abmahnung strikt gehalten. Unter diesen Umständen ist es der Beklagten verwehrt, an der Abmahnung weiter festzuhalten.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Fischer Arntzen
Fundstellen
Haufe-Index 440336 |
AiB 1989, 59-59 (ST1-2) |
BetrR 1989, 56-56 (S1-2) |
RzK, I 1 Nr 26 (ST1) |
ZTR 1988, 309-309 (ST1) |