Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerkschaftliche Mitgliederwerbung in Betrieben. Betriebliches Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Zweck der Mitgliederwerbung. Ausgestaltung der grundrechtlich garantierten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften durch richterliche Rechtsfortbildung. Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem gewerkschaftlichen Recht auf Mitgliederwerbung und den verfassungsrechtlich geschützten Belangen des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
- Die Mitgliederwerbung ist Teil der durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften.
- Gewerkschaften haben grundsätzlich ein Zutrittsrecht zu Betrieben, um dort auch durch betriebsfremde Beauftragte um Mitglieder zu werben.
- Das Zutrittsrecht ist nicht unbeschränkt. Ihm können die verfassungsrechtlich geschützten Belange des Arbeitgebers, insbesondere dessen Interesse an einem störungsfreien Arbeitsablauf und der Wahrung des Betriebsfriedens entgegenstehen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls.
Orientierungssatz
- Die Werbung von Mitgliedern ist Teil der durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften. Dazu gehört deren Befugnis, selbst zu bestimmen, welche Personen sie mit der Werbung betrauen, und die Möglichkeit, im Betrieb um Mitglieder zu werben.
- Da hinsichtlich der Mitgliederwerbung eine gesetzliche Regelung der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit fehlt, müssen die Gerichte auf Grund ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht eine entsprechende Ausgestaltung vornehmen.
- Hierzu ist den Gewerkschaften grundsätzlich ein betriebliches Zutrittsrecht zu Werbezwecken einzuräumen. Dem steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 1981 (– 2 BvR 384/78 – BVerfGE 57, 220) nicht entgegen.
- Das betriebliche Zutrittsrecht der Gewerkschaften ist nicht uneingeschränkt. Gegenüber dem Interesse an einer effektiven Mitgliederwerbung sind die ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Belange des Arbeitgebers und Betriebsinhabers abzuwägen. Dazu gehören dessen Haus- und Eigentumsrecht sowie sein Interesse an einem störungsfreien Arbeitsablauf und der Wahrung des Betriebsfriedens. Auch Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteressen sind zu berücksichtigen. Die Belange des Arbeitgebers können dem Zutrittsrecht der Gewerkschaften entgegenstehen. Maßgeblich sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls.
- Ein Globalantrag, der eine Vielzahl von Fallgestaltungen erfasst, ist insgesamt als unbegründet abzuweisen, wenn es darunter auch Fallgestaltungen gibt, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3, 3 Sätze 1-2, Art. 2 Abs. 1, Art. 13-14, 20 Abs. 3; BetrVG § 2 Abs. 2-3, § 118 Abs. 2; TVG § 2 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 308 Abs. 1 S. 1, §§ 887-888, 890 Abs. 1, § 894 Abs. 1; GVG § 132 Abs. 4; ArbGG § 45 Abs. 4
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Arbeitgeberin in einem ihrer Betriebe den Zutritt betriebsfremder Beauftragter einer Gewerkschaft zum Zwecke der Mitgliederwerbung dulden muss.
Die Beklagte, ein Technologieunternehmen, beschäftigt bundesweit insgesamt ca. 7.500 Arbeitnehmer. Ihre Betriebe fallen in die Tarifzuständigkeit der klagenden Gewerkschaft. Diese hat in den Betrieben eine nicht näher festgestellte Anzahl von Mitgliedern. Vor dem Hintergrund eines von der Beklagten beabsichtigten erheblichen Personalabbaus verpflichtete sie das Arbeitsgericht Frankfurt am Main am 29. November 2002 im Wege einer einstweiligen Verfügung dazu, den Beauftragten der Klägerin am 2. Dezember 2002 in der Zeit von 11.30 Uhr bis 14.00 Uhr den Zutritt zum Betrieb in B… zu gestatten, um dort vor der Kantine an die Betriebsangehörigen Flugblätter zu verteilen.
Die Klägerin hat mit der vorliegenden Klage für sich das Recht in Anspruch genommen, im B… Betrieb der Beklagten auch künftig während der Mittagsöffnungszeiten der Kantine durch betriebsfremde Beauftragte Werbemaßnahmen durchzuführen. Sie hat die Auffassung vertreten, hierzu sei sie gemäß Art. 9 Abs. 3 GG berechtigt. Gewerkschaftliche Mitgliederwerbung müsse dort erfolgen, wo die Arbeitnehmer rollenspezifisch als solche aufträten. Dies geschehe im Betrieb. Störungen der Betriebsabläufe oder des Betriebsfriedens seien nicht zu besorgen. Sie könne nicht darauf verwiesen werden, die Mitgliederwerbung ausschließlich durch ihre im Betrieb organisierten Mitglieder vorzunehmen. Diese befürchteten Repressalien und hätten sie deshalb gebeten, die Werbemaßnahmen durch außerbetriebliche Beauftragte durchzuführen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Zutritt von betriebsfremden Beauftragten der Klägerin in den Betrieb B… zu gestatten, damit diese Gewerkschaftsbeauftragten während der Mittagsöffnungszeiten der Kantine dort unter Vermeidung jeglicher Störung des Betriebsfriedens und der Betriebsabläufe Mitgliederwerbung betreiben können durch Überreichung von Broschüren, Formularen und Flugblättern.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin könne zu Zwecken der Mitgliederwerbung kein Zutrittsrecht für betriebsfremde Beauftragte beanspruchen. Hierfür fehle es an einer Rechtsgrundlage.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat dabei im verkündeten Urteilstenor die Worte “unter Vermeidung jeglicher Störung des Betriebsfriedens und der Betriebsabläufe” ersatzlos weggelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht entsprochen. Die Klägerin hat zwar grundsätzlich das Recht, im B… Betrieb der Beklagten auch durch betriebsfremde Beauftragte um Mitglieder zu werben. Der von ihr gestellte Klageantrag erfasst aber auch Fallgestaltungen, in denen dem gewerkschaftlichen Zutrittsrecht berechtigte Interessen der Beklagten entgegenstehen können und sich der geltend gemachte Anspruch als unbegründet erweist. Dies hat die Abweisung des gesamten Antrags zur Folge.
A. Die Revision hat nicht bereits deshalb Erfolg, weil das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts wegen Verletzung des § 308 Abs. 1 ZPO hätte abändern müssen. Der Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO ist geheilt.
I. Allerdings hat das Arbeitsgericht bei seiner Entscheidung § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verletzt.
1. Nach dieser Bestimmung ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Das ist Ausdruck der den Zivilprozess beherrschenden Dispositionsmaxime. Das Gericht darf der klagenden Partei weder quantitativ mehr noch qualitativ etwas anderes zuerkennen. Ein in den Vorinstanzen erfolgter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist noch vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten (BAG 13. Juni 1989 – 1 ABR 4/88 – BAGE 62, 100, zu B I 2 der Gründe; Zöller/Vollkommer ZPO 25. Aufl. § 308 Rn. 6 mwN).
2. Vorliegend hat das Arbeitsgericht der Klägerin mehr zugesprochen als diese beantragt hatte.
a) Der von der Klägerin vor dem Arbeitsgericht gestellte Klageantrag enthielt ausdrücklich die Passage “unter Vermeidung jeglicher Störung des Betriebsfriedens und der Betriebsabläufe”. Dabei handelte es sich um eine Einschränkung des Klagbegehrens. Die Beklagte sollte zur Gestattung des Zutritts nur mit der Maßgabe verurteilt werden, dass jegliche Störung des Betriebsfriedens und des Betriebsablaufs vermieden würde. Dem steht nicht entgegen, dass diese Einschränkung nicht hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO war.
b) Das Arbeitsgericht hat im Tenor seines Urteils die einschränkende Maßgabe entfallen lassen. Es handelt sich dabei nicht um eine offenbare Unrichtigkeit des Urteils iSv. § 319 Abs. 1 ZPO, die “jederzeit” und damit auch noch während des Revisionsverfahrens durch den Senat von Amts wegen zu berichtigen wäre. Offenbar ist eine Unrichtigkeit nur dann, wenn sie sich für den Außenstehenden aus dem Zusammenhang des Urteils oder aus Vorgängen bei Erlass und Verkündung ohne weiteres ergibt (vgl. Zöller/Vollkommer § 319 Rn. 5 mwN). Das ist vorliegend nicht der Fall. Es kann nicht zuverlässig davon ausgegangen werden, das Arbeitsgericht habe im Urteilstenor die einschränkende Maßgabe versehentlich weggelassen. Für eine Berichtigung des Urteils erster Instanz war daher kein Raum.
II. Der Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO wurde in zweiter Instanz geheilt.
1. Die Verletzung des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum geheilt werden, wenn die klagende Partei sich die angefochtene Entscheidung im zweiten Rechtszug durch den Antrag auf Zurückweisung der Berufung zu Eigen macht (vgl. BGH 20. April 1990 – V ZR 282/88 – BGHZ 111, 158; 12. Januar 1994 – VIII ZR 165/92 – BGHZ 124, 351; Zöller/Vollkommer § 308 Rn. 7; vgl. auch BAG 13. Juni 1989 – 1 ABR 4/88 – BAGE 62, 100, zu B I 3 der Gründe).
2. Von einer solchen Heilung ist hier auszugehen. Die Klägerin hat vor dem Landesarbeitsgericht vorbehaltlos die Zurückweisung der Berufung der Beklagten beantragt. Damit hat sie sich das erstinstanzliche Urteil zu Eigen gemacht. Die Beklagte hat hiergegen keine Einwendungen erhoben. Sie hat insbesondere weder die Verletzung des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO gerügt noch sich gegen die in dem Antrag auf Zurückweisung der Berufung etwa liegende Klageerweiterung gewandt.
B. Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht entsprochen. Die Klage ist in der Fassung, die sie im zweiten Rechtszug erfahren hat, zwar zulässig, aber unbegründet. Mit ihr wird ein sog. Globalantrag verfolgt, der auch Fallgestaltungen umfasst, in denen das von der Klägerin geltend gemachte Zugangsrecht nicht besteht.
I. Der Antrag ist zulässig, bedarf aber der Auslegung.
1. Die Klage ist weder auf die Verurteilung zur Vornahme einer vertretbaren oder unvertretbaren Handlung iSv. §§ 887, 888 ZPO noch auf die Abgabe einer Willenserklärung iSv. § 894 Abs. 1 ZPO, sondern auf die Verurteilung der Beklagten zur Duldung von Handlungen der Klägerin iSv. § 890 Abs. 1 ZPO gerichtet. Zwar soll die Beklagte nach dem Wortlaut des Klageantrags verurteilt werden, den Zutritt von Beauftragten der Klägerin “zu gestatten”. Dies legt den Schluss nahe, die Beklagte solle bestimmte Handlungen vornehmen oder Erklärungen abgeben. Ein solches Verständnis würde aber dem Begehr der Klägerin nicht gerecht. Dieser geht es, wie ihr gesamtes Vorbringen ergibt, in erster Linie darum, selbst im Betrieb der Beklagten in B… Handlungen vornehmen zu können und hieran durch die Beklagte nicht gehindert zu werden. Ihr Antrag ist dahin zu verstehen, dass die Beklagte verurteilt werden soll, den Zutritt betriebsfremder, von ihr beauftragter Personen in den Betrieb B… zu dulden, damit diese dort während der Mittagsöffnungszeiten der Kantine Mitgliederwerbung betreiben können. Eine Zwangsvollstreckung hätte gemäß § 890 ZPO durch Verhängung von Ordnungsgeld für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Duldungspflicht zu erfolgen. Dabei würde sich die Verpflichtung zur Duldung nicht notwendig im Unterlassen der Behinderung des Zutritts erschöpfen. Vielmehr können damit je nach den konkreten Umständen Handlungspflichten verbunden sein, wie etwa das Öffnen von Türen, die einem ungehinderten Zugang im Wege stehen, oder die Anweisung an das Pfortenpersonal, die Gewerkschaftsbeauftragten hereinzulassen.
2. In dieser Auslegung ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
a) Anträge, mit denen die Duldung von Handlungen verlangt wird, müssen die zu duldenden Handlungen so genau bezeichnen, dass der in Anspruch Genommene im Falle einer dem Antrag entsprechenden gerichtlichen Entscheidung eindeutig erkennen kann, was von ihm verlangt wird. Diese Prüfung darf grundsätzlich nicht in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden. Dessen Aufgabe ist es zu klären, ob der Schuldner einer Verpflichtung nachgekommen ist, nicht, wie diese aussieht (vgl. BAG 17. Juni 1997 – 1 ABR 10/97 –, zu B 1 der Gründe; 3. Juni 2003 – 1 ABR 19/02 – BAGE 106, 188, zu B I 1 der Gründe; 29. April 2004 – 1 ABR 30/02 – BAGE 110, 252, zu B III 1b aa der Gründe). Gleichwohl sind bei Unterlassungs- und Duldungsanträgen bisweilen generalisierende Formulierungen unvermeidlich. Andernfalls würde die Möglichkeit, gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, durch prozessuale Anforderungen unzumutbar erschwert, wenn nicht gar beseitigt (vgl. BAG 25. August 2004 – 1 AZB 41/03 – AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 41 = EzA ArbGG 1979 § 78 Nr. 7, zu B II 2c bb der Gründe). Dementsprechend sind die Gerichte auch verpflichtet, Anträge nach Möglichkeit so auszulegen, dass eine Sachentscheidung ergehen kann.
b) Hiernach genügt der Antrag den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
aa) Prozessual unschädlich ist zunächst der Umstand, dass die Modalitäten des begehrten Zugangs nicht noch näher beschrieben sind. Immerhin ist der Antrag dahin konkretisiert, dass es um den Betrieb B… sowie um die Mittagsöffnungszeiten der dortigen Kantine geht. Zur Anzahl der Gewerkschaftsbeauftragten und zur Häufigkeit der Besuche verhält sich der Antrag allerdings nicht. Er ist aber dahin zu verstehen, dass beides von der Entscheidung der Klägerin abhängen soll. Damit erfasst der Antrag grundsätzlich eine unbeschränkte Anzahl von Gewerkschaftsbeauftragten sowie sämtliche Tage, an denen die Kantine geöffnet ist.
bb) Auch der im Antrag angegebene Zweck des begehrten Zutritts – “damit diese … Mitgliederwerbung betreiben können durch Überreichung von Broschüren, Formularen und Flugblättern” – hat nicht dessen Unbestimmtheit zur Folge. Zwar wird für die Beklagte im Einzelfall nicht ohne weiteres zuverlässig erkennbar sein, zu welchem Zweck die Gewerkschaftsbeauftragten den Zugang begehren. Der Antrag ist aber dahin zu verstehen, dass die Erklärung der Gewerkschaftsbeauftragten, sie begehrten den Zutritt zum Zwecke der Mitgliederwerbung durch Überreichung von Broschüren, Formularen und Flugblättern ausreichen soll. Das erscheint hinreichend bestimmt. Ob eine solche Erklärung genügt, um ein Zugangsrecht zu begründen, ist keine Frage der Bestimmtheit, sondern der Begründetheit des Antrags.
II. Entgegen der Beurteilung des Landesarbeitsgerichts ist die Klage unbegründet. Allerdings besitzt die Klägerin grundsätzlich einen Anspruch, auch in den Räumlichkeiten der Beklagten durch betriebsfremde Beauftragte Mitgliederwerbung zu betreiben. Der Klageantrag erfasst aber auch Fallgestaltungen, in denen der Anspruch nicht besteht. Da eine Aufspaltung des Begehrs der Klägerin nach Fallgestaltungen nicht möglich ist, war der Antrag insgesamt abzuweisen.
1. Gewerkschaften haben grundsätzlich einen Anspruch darauf, in Betrieben auch mit betriebsfremden Beauftragten Mitgliederwerbung zu betreiben, soweit überwiegende schützenswerte Interessen des Arbeitgebers und Betriebsinhabers nicht entgegenstehen. Dies gilt auch dann, wenn Arbeitnehmer des Betriebs bereits Mitglieder der Gewerkschaft sind.
a) Das betriebliche Zugangsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Zwecke der Mitgliederwerbung ist im Schrifttum umstritten (vgl. Brock Gewerkschaftliche Betätigung im Betrieb nach Aufgabe der Kernbereichslehre durch das Bundesverfassungsgericht S. 210 ff.; DKK-Berg 9. Aufl. § 2 Rn. 45 ff.; Kraft/Franzen GKBetrVG 8. Aufl. § 2 Rn. 95 f.; Richardi BetrVG 10. Aufl. § 2 Rn. 151 ff.). Teilweise wird es grundsätzlich bejaht (vgl. insb. Däubler Gewerkschaftsrechte im Betrieb 10. Aufl. Rn. 407 ff.; ders. DB 1998, 2014, 2016 f.; ErfK/Dieterich 6. Aufl. Art. 9 GG Rn. 40; ErfK/Eisemann § 2 BetrVG Rn. 8; Fitting 23. Aufl. § 2 Rn. 86; Scholz in Maunz/Dürig GG Stand August 2005 Art. 9 Rn. 252; AK-GG Kittner/Schiek 3. Aufl. Stand August 2002 Art. 9 GG Rn. 122; wohl auch Schaub/Koch § 215 Rn. 8; Hanau Das Arbeitsrecht der Gegenwart Bd. 17 S. 37 ff., 55; aA aber ders. in AuR 1983, 257, 260; vgl. auch ders. in ZIP 1996, 447), teilweise grundsätzlich verneint (so Richardi aaO; Kemper in v. Mangoldt/Klein/Starck GG 5. Aufl. Art. 9 Rn. 115; Brock S. 229 ff.). Ein weiterer Teil des Schrifttums hält ein Zugangsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter nur dann für gegeben, wenn die betreffende Gewerkschaft im Betrieb noch nicht durch Mitglieder vertreten ist (Kraft/Franzen § 2 Rn. 95, 96; MünchArbR/Löwisch/Rieble 2. Aufl. § 246 Rn. 163; Klosterkemper Das Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb S. 151 ff.).
b) Auch in der Rechtsprechung ist die Frage nicht abschließend geklärt.
aa) Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst ein Zugangsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Zwecke der Mitgliederwerbung sogar für karitative kirchliche Einrichtungen iSv. § 118 Abs. 2 BetrVG bejaht. Es hat diesen Anspruch unmittelbar auf Art. 9 Abs. 3 GG und den dort verankerten Schutz der Koalitionen gestützt (14. Februar 1978 – 1 AZR 280/77 – BAGE 30, 122). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Entscheidung jedoch mit Beschluss vom 17. Februar 1981 (– 2 BvR 384/78 – BVerfGE 57, 220) aufgehoben und unter Hinweis auf die sog. Kernbereichsformel festgestellt, dass das Urteil des Bundesarbeitsgerichts das verfassungsmäßige Recht der beklagten Arbeitgeberin aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung verletze. Nach der Aufhebung und Zurückverweisung entschied das Bundesarbeitsgericht am 19. Januar 1982 (– 1 AZR 279/81 – BAGE 37, 331), dass Gewerkschaften in kirchlichen Einrichtungen jedenfalls dann keinen unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG ableitbaren Anspruch auf Duldung gewerkschaftlicher Werbe-, Informationsund Betreuungstätigkeit durch betriebsfremde Gewerkschaftsbeauftragte haben, wenn sie in diesen Einrichtungen bereits durch betriebsangehörige Mitglieder vertreten sind.
bb) Die Funktion und Bedeutung der Kernbereichsformel, mit der das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 17. Februar 1981 (– 2 BvR 384/78 – BVerfGE 57, 220, zu C II 4a der Gründe) maßgeblich argumentiert hatte, hat es mit Beschluss vom 14. November 1995 klargestellt. Es hat sich dazu “wegen der – nicht fernliegenden – Mißverständnisse, zu denen die früheren Entscheidungen geführt hatten, veranlaßt” gesehen (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352, zu B I 3c der Gründe; vgl. dazu Sachs JuS 1996, 931). Danach beschränkt die Kernbereichsformel den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG nicht von vornherein auf den Bereich des Unerlässlichen, sondern beschreibt allein die Grenze, die der Gesetzgeber bei der einfachrechtlichen Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit zu beachten hat. Dementsprechend ist die Mitgliederwerbung nicht nur in dem Maße grundrechtlich geschützt, in dem sie für die Erhaltung und die Sicherung des Bestands der Gewerkschaft unerlässlich ist. Der Grundrechtschutz erstreckt sich vielmehr auf alle Verhaltensweisen, die koalitionsspezifisch sind (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – aaO, zu B I 3 der Gründe; ebenso 24. Februar 1999 – 1 BvR 123/93 – BVerfGE 100, 214, zu B II 1 der Gründe). Die Klarstellung der Kernbereichsformel durch das Bundesverfassungsgericht hat auch Eingang in die jüngere Rechtsprechung des Senats gefunden (vgl. etwa BAG 20. April 1999 – 1 ABR 72/98 – BAGE 91, 210, zu B II 2b bb der Gründe; 25. Januar 2005 – 1 AZR 657/03 – AP GG Art. 9 Nr. 123 = EzA GG Art. 9 Nr. 81, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 1a der Gründe).
c) Im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Zugangsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Zwecke der Mitgliederwerbung grundsätzlich gegeben. Allerdings fehlt es hierfür an einer ausdrücklichen einfachgesetzlichen Regelung. Auch aus Art. 9 Abs. 3 GG ergibt sich das Zutrittsrecht nicht unmittelbar. Die Werbung von Mitgliedern ist aber Teil der durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften. Dazu gehört deren Befugnis, selbst zu bestimmen, welche Personen sie mit der Werbung betrauen, und die Möglichkeit, dort um Mitglieder zu werben, wo Arbeitnehmer zusammenkommen und als solche angesprochen werden können. Da eine gesetzliche Regelung fehlt, müssen die Gerichte auf Grund ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht im Wege der Rechtsfortbildung eine entsprechende Ausgestaltung vornehmen. Das den Gewerkschaften einzuräumende betriebliche Zutrittsrecht ist freilich nicht unbeschränkt. Gegenüber dem gewerkschaftlichen Interesse an einer effektiven Mitgliederwerbung sind die ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Belange des Arbeitgebers und Betriebsinhabers abzuwägen. Dazu zählen dessen Haus- und Eigentumsrecht sowie sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Gestalt eines störungsfreien Betriebsablaufs. Diese Rechte des Arbeitgebers können je nach den Umständen des Einzelfalls dem Zutrittsrecht der Gewerkschaft entgegenstehen.
aa) Das Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Zwecke der Mitgliederwerbung ist gesetzlich nicht geregelt. Während den Gewerkschaften zur Wahrnehmung der im BetrVG genannten Aufgaben und Befugnisse in § 2 Abs. 2 BetrVG unter bestimmten Maßgaben ein Zugangsrecht zum Betrieb ausdrücklich eingeräumt ist, fehlt es für ihre allgemeine koalitionsspezifische Betätigung an einer gesetzlichen Ausgestaltung. § 2 Abs. 3 BetrVG stellt insoweit lediglich klar, dass die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, durch das BetrVG nicht berührt werden. Dagegen hat der Gesetzgeber bislang von der Verabschiedung eines (“Verbände”) Gesetzes, in dem die Rechte und Pflichten ua. der Gewerkschaften näher geregelt wären, abgesehen.
§ 2 Abs. 2 BetrVG steht einem Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu anderen als den in der Vorschrift genannten Zwecken nicht etwa entgegen. Das Zutrittsrecht aus § 2 Abs. 2 BetrVG dient – ebenso wie sonstige, im Rahmen der gesetzlichen Betriebsverfassung gewährte spezielle Zugangsrechte – besonderen, den Gewerkschaften im Rahmen der Betriebsverfassung zugewiesenen Aufgaben (vgl. BVerfG 17. Februar 1981 – 2 BvR 384/78 – BVerfGE 57, 220, zu C II 4b der Gründe). Die Regelung ist nicht abschließend (Brock S. 219; Däubler Rn. 426). Dies folgt schon aus § 2 Abs. 3 BetrVG.
bb) Ein betriebliches Zutrittsrecht der Gewerkschaften zum Zwecke der Mitgliederwerbung ist jedenfalls für Betriebe nicht kirchlicher Arbeitgeber durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 1981 (– 2 BvR 384/78 – BVerfGE 57, 220) nicht mit Bindungswirkung verneint (so auch Brock S. 211 f.; aA Richardi § 2 Rn. 151). Nach § 31 Abs. 1 BVerfGG binden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Dementsprechend sind die sich aus dem Tenor und den tragenden Gründen der Entscheidung ergebenden Grundsätze für die Auslegung der Verfassung von den Gerichten und Behörden in allen künftigen Fällen zu beachten (BVerfG 20. Januar 1966 – 1 BvR 140/62 – BVerfGE 19, 377; BAG 19. Januar 1982 – 1 AZR 279/81 – BAGE 37, 331, zu I 1 der Gründe). Tragend für eine Entscheidung sind diejenigen Teile der Entscheidungsbegründung, die aus der Deduktion des Gerichts nicht hinwegzudenken sind, ohne dass sich das im Tenor formulierte Ergebnis ändert (BAG 19. Januar 1982 – 1 AZR 279/81 – aaO, zu I 1 der Gründe). Hiernach entfaltet der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 1981 (– 2 BvR 384/78 – aaO) jedenfalls keine Bindungswirkung für den nicht kirchlichen Bereich. Die Entscheidung betraf allein den Sonderfall des gewerkschaftlichen Zugangsrechts zu kirchlichen Einrichtungen. Auch die darin enthaltenen Ausführungen zu Art. 9 Abs. 3 GG erfolgten im Kontext des Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung. Daher kann dahinstehen, ob die Bindungswirkung der Entscheidung vom 17. Februar 1981 (– 2 BvR 384/78 – aaO) dadurch eine wirksame Einschränkung erfahren hat, dass nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 1995 (– 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352) die Betätigungsfreiheit der Koalitionen nicht, wie es noch im Beschluss vom 17. Februar 1981 heißt, nur in ihrem Kernbereich geschützt ist.
cc) Ein betriebliches Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu Zwecken der Mitgliederwerbung ergibt sich nicht unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG. Allerdings entfaltet Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG unmittelbare Wirkung auch in Rechtsverhältnissen Privater (vgl. BAG 20. April 1999 – 1 ABR 72/98 – BAGE 91, 210, zu B II 2a der Gründe; 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – BAGE 104, 155, zu B I 3b bb der Gründe; 31. Mai 2005 – 1 AZR 141/04 – AP GG Art. 9 Nr. 124 = EzA GG Art. 9 Nr. 84, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu I 2b aa (1) der Gründe mwN; ErfK/Dieterich Art. 9 GG Rn. 42). Das folgt aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG. Danach sind Abreden, welche das durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Recht einschränken oder zu behindern suchen, nichtig und hierauf gerichtete Maßnahmen rechtswidrig. Die Koalitionsfreiheit ist damit auch vor privatrechtlichen Beeinträchtigungen geschützt (BAG 31. Mai 2005 – 1 AZR 141/04 – aaO). Eine auf die Verhinderung oder Beschränkung gewerkschaftlicher Betätigungsfreiheit gerichtete Maßnahme liegt aber nicht vor, wenn ein Arbeitgeber in Ausübung seines Haus- und Eigentumsrechts lediglich bestimmten Personen, wie insbesondere Arbeitnehmern und Kunden, den Zutritt zu seinem Betrieb gestattet und ihn sonstigen Personengruppen verwehrt. Eine nicht gezielt die Gewerkschaften ausgrenzende Wahrnehmung des Hausrechts ist keine Maßnahme, die das Betätigungsrecht der Gewerkschaft iSv. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG einzuschränken oder zu behindern sucht (vgl. Kemper in v. Mangoldt/Klein/Starck aaO).
dd) Ein Anspruch der Gewerkschaften, Mitgliederwerbung auch durch betriebsfremde Beauftragte durchzuführen und hierfür Zutritt zum Betrieb zu erhalten, folgt aus der von den Gerichten auf Grund ihrer Schutzpflicht im Wege der Rechtsfortbildung vorzunehmenden Ausgestaltung der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit.
(1) Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistet für jedermann und für alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen Koalitionen zu bilden. Das Grundrecht schützt den Einzelnen, eine derartige Vereinigung zu gründen, ihr beizutreten oder fernzubleiben. Außerdem schützt es die Koalitionen in ihrem Bestand und ihrer organisatorischen Ausgestaltung sowie solchen Betätigungen, die darauf gerichtet sind, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. etwa BVerfG 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 136, zu B II 1 der Gründe mwN).
(2) Zu den geschützten Tätigkeiten, die dem Erhalt und der Sicherung einer Koalition dienen, gehört deren Mitgliederwerbung (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352, zu B I 2 der Gründe; vgl. auch 26. Mai 1970 – 2 BvR 664/65 – BVerfGE 28, 195; BAG 31. Mai 2005 – 1 AZR 141/04 – AP GG Art. 9 Nr. 124 = EzA GG Art. 9 Nr. 84, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu I 2b aa (2) der Gründe). Durch diese schaffen die Koalitionen das Fundament für die Erfüllung ihrer Aufgaben und sichern ihren Fortbestand. Ferner hängt von der Mitgliederzahl ihre Verhandlungsstärke ab (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – aaO). Ohne Werbung um neue Mitglieder besteht die Gefahr, dass der Mitgliederbestand einer Gewerkschaft im Laufe der Zeit in einem Umfang zurückgeht, dass sie ihrer Aufgabe, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und fördern, nicht mehr sachgemäß nachkommen kann (BAG 30. August 1983 – 1 AZR 121/81 – AP GG Art. 9 Nr. 38, zu III 1 der Gründe). Zu der Betätigungsfreiheit einer Gewerkschaft gehört daher das Recht, ihre Schlagkraft mit dem Ziel der Mitgliedererhaltung und Mitgliederwerbung zu stärken (BAG 31. Mai 2005 – 1 AZR 141/04 – aaO). Dabei ist für die Gewerkschaften die Mitgliederwerbung in den Betrieben von besonderer Bedeutung. Eine effektive Werbung setzt Aufmerksamkeit und Aufgeschlossenheit der umworbenen Arbeitnehmer voraus. Hiervon kann vor allem im Betrieb ausgegangen werden. Dort werden die Fragen, Aufgaben und Probleme deutlich, auf die sich das Tätigwerden einer Gewerkschaft bezieht und an welche die Werbung um neue Mitglieder anknüpfen kann (BAG 30. August 1983 – 1 AZR 121/81 – aaO). Eine Gewerkschaft kann daher nicht generell darauf verwiesen werden, sie könne auch außerhalb des Betriebs werben.
(3) Die Mitgliederwerbung ist, wie das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 14. November 1995 (– 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352) klargestellt hat, nicht etwa nur in dem Maße grundrechtlich geschützt, in welchem sie für die Erhaltung und die Sicherung des Bestands der Gewerkschaft unerlässlich ist. Der Grundrechtschutz des Art. 9 Abs. 3 GG betrifft nicht nur einen Kernbereich der Betätigungsfreiheit. Er erstreckt sich vielmehr auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Die Frage, ob eine koalitionsspezifische Betätigung für die Wahrnehmung der Koalitionsfreiheit unerlässlich ist, erlangt erst bei Einschränkungen dieser Freiheit Bedeutung (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – aaO, zu B I 3 der Gründe).
(4) Art. 9 Abs. 3 GG überlässt einer Koalition grundsätzlich die Wahl der Mittel, die sie bei ihrer koalitionsspezifischen Betätigung für geeignet und erforderlich hält (BVerfG 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 136, zu B II 1 der Gründe mwN; vgl. auch 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, zu C I 1a der Gründe; Höfling in Sachs GG 3. Aufl. Art. 9 Rn. 81). Dementsprechend kann eine Gewerkschaft selbst darüber befinden, an welchem Ort, durch welche Personen und in welcher Art und Weise sie um Mitglieder werben will. Damit unterfällt auch ihre Entscheidung, Mitgliederwerbung im Betrieb und durch von ihr ausgewählte betriebsexterne Beauftragte durchzuführen, dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG (Scholz in Maunz/Dürig Art. 9 Rn. 251, 252). Dieser ist grundsätzlich umfassend und nicht etwa auf notwendige Werbemaßnahmen beschränkt.
(5) Zur Durchführung von Werbemaßnahmen im Betrieb ist eine Gewerkschaft auf die Mitwirkung des Betriebsinhabers angewiesen. Sie kann im Betrieb durch betriebsfremde Beauftragte nur tätig werden, wenn der Arbeitgeber diesen den Zutritt gestattet und ihre Tätigkeit duldet. Damit kollidiert eine derartige Mitgliederwerbung mit ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Rechten des Arbeitgebers und Betriebsinhabers, ua. dessen durch Art. 13 und 14 GG geschütztem Haus- und Eigentumsrecht sowie seiner jedenfalls durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, die insbesondere bei einer Störung des Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens berührt wird (vgl. Scholz in Maunz/Dürig Art. 9 Rn. 251; vgl. auch BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352, zu B II 2 der Gründe).
(6) Der danach vorliegende Konflikt zwischen den widerstreitenden Interessen gleich geordneter Grundrechtsträger bedarf der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung (vgl. BVerfG 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 136, zu B II 1 der Gründe). Diese obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber. Bei fehlenden oder unzureichenden gesetzlichen Vorgaben müssen die Gerichte das materielle Recht mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen Rechtsgrundlagen ableiten, die für das betreffende Rechtsverhältnis maßgeblich sind. Das gilt gerade auch dort, wo eine gesetzliche Regelung wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht geboten ist. Nur so können die Gerichte die ihnen vom Grundgesetz auferlegte Pflicht erfüllen, jeden vor sie gebrachten Rechtsstreit sachgerecht zu entscheiden (BVerfG 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, zu C I 2a der Gründe). Hierzu müssen sie koordinierende Regelungen entwickeln, die gewährleisten, dass die aufeinander bezogenen Grundrechtspositionen trotz ihres Gegensatzes nebeneinander bestehen können (vgl. BVerfG 2. März 1993 – 1 BvR 1213/85 – BVerfGE 88, 103, zu C II 2 der Gründe). Die damit verbundene Aufgabe und Befugnis der Gerichte zu richterlicher Rechtsfortbildung haben Gesetzgeber (vgl. etwa § 132 Abs. 4 GVG; § 45 Abs. 4 ArbGG) und Bundesverfassungsgericht innerhalb der durch Art. 20 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen anerkannt (vgl. BVerfG 19. Oktober 1983 – 2 BvR 485/80 und 2 BvR 486/80 – BVerfGE 65, 182, zu B II 1 der Gründe).
(7) Bei der hiernach den Gerichten obliegenden koordinierenden Regelung der gewerkschaftlichen Mitgliederwerbung in Betrieben ist von Bedeutung, dass ein Arbeitgeber einer für seinen Betrieb tarifzuständigen Gewerkschaft nicht wie ein völlig unbeteiligter Dritter gegenübersteht. Vielmehr befinden sich Arbeitgeber und Gewerkschaften in einer Vielzahl unmittelbarer und mittelbarer Rechtsbeziehungen, die es rechtfertigen, Arbeitgebern unter bestimmten Voraussetzungen den Zutritt von Vertretern der Gewerkschaften zu ihrem Besitztum eher zuzumuten als einem unbeteiligten Dritten, der in keinerlei Rechtsbeziehung zu einer Gewerkschaft steht. Arbeitgeber nehmen in dieser Eigenschaft am Wirtschafts- und Arbeitsleben teil. Damit treten sie in mannigfacher Hinsicht auch in rechtliche Beziehungen zu den für ihre Betriebe zuständigen Gewerkschaften. Zum einen machen das die im BetrVG ausdrücklich normierten betrieblichen Aufgaben und Befugnisse der Gewerkschaften deutlich. Zum anderen entstehen Rechtsbeziehungen zumindest mittelbar dadurch, dass der Arbeitgeber in seinem Betrieb Arbeitnehmer und damit tatsächliche oder potentielle Gewerkschaftsmitglieder beschäftigt. Das führt dazu, dass die Gewerkschaften die sich aus den Arbeitsverhältnissen ergebenden Rechte ihrer Mitglieder gegenüber dem Arbeitgeber wahrzunehmen befugt sind. Außerdem finden die rechtlichen Verbindungen zwischen einzelnen Arbeitgebern und Gewerkschaften im TVG Niederschlag. So besitzen nach § 2 Abs. 1 TVG nicht nur Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, sondern auch der einzelne Arbeitgeber Tariffähigkeit (vgl. BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – BAGE 104, 155, zu B I 1a aa der Gründe). Damit ist der einzelne Arbeitgeber zumindest potentieller Tarifvertragspartner der tarifzuständigen Gewerkschaft. Er kann mit dieser Tarifverträge abschließen sowie Adressat von Arbeitskämpfen sein (BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – aaO, zu B I 1b der Gründe).
(8) Die von den Gerichten geforderte Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem Recht der Gewerkschaften auf betriebliche Mitgliederwerbung einerseits und gegenläufigen Rechten des Betriebsinhabers und Arbeitgebers andererseits lässt eine generelle Anerkennung oder Versagung des Zutrittsrechts betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter für sämtliche möglichen Fallgestaltungen nicht zu. Maßgeblich sind vielmehr die jeweiligen Umstände des Einzelfalls. Dabei sind vor allem Ausmaß und Intensität des beanspruchten Zugangsrechts von Bedeutung. In diesem Zusammenhang können die Häufigkeit, der zeitliche Umfang und der jeweilige Zeitpunkt der Besuche, wie auch die ggf. ins Verhältnis zur Belegschaftsgröße zu setzende Anzahl der betriebsexternen Gewerkschaftsbeauftragten eine Rolle spielen. Vor allem aber sind bei der Prüfung im Einzelfall die berechtigten betrieblichen Belange des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Dazu gehört dessen Interesse an einem störungsfreien Betriebsablauf und der Wahrung des Betriebsfriedens. Ebenso können seine Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteressen von Bedeutung sein. Diese können im Einzelfall den personellen und organisatorischen Aufwand, der für ihn mit dem Besuch betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter – etwa durch Ausstellung von Ausweisen oder Gestellung von Begleitpersonen – verbunden ist, nicht unerheblich beeinflussen. Gleiches gilt für den konkreten Ort, zu dem innerhalb des Betriebs der Zugang gestattet werden soll. Schließlich können bei der Abwägung auch die in § 2 Abs. 2 BetrVG kodifizierten Maßgaben des gesetzlichen Zugangsrechts herangezogen werden (ebenso Däubler Rn. 438 ff.). Es dürfte deshalb in der Regel geboten sein, dass der Arbeitgeber zuvor über den Zeitpunkt des Besuchs und über die Person des oder der Beauftragten unterrichtet wird.
(9) Der Umstand, dass das Zutrittsrecht ihrer betriebsexternen Beauftragten zum Zwecke der Mitgliederwerbung von den Umständen des Einzelfalls abhängt, bringt für die Gewerkschaften im Prozess zwar Schwierigkeiten bei der Formulierung eines generalisierenden, auf die Zukunft gerichteten Leistungsantrags mit sich. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, an den Anspruch generell geringere materiellrechtliche Anforderungen zu stellen. Andernfalls würden die grundrechtlich geschützten Positionen des einzelnen Arbeitgebers nicht hinreichend beachtet. Zudem werden die Gewerkschaften dadurch bei der Verwirklichung ihrer Betätigungsfreiheit verfahrensrechtlich nicht rechtlos gestellt. Zum einen können sie den materiellen Anspruchsvoraussetzungen durch eng gefasste Klageanträge Rechnung tragen. Zum anderen haben sie, sofern im konkreten Einzelfall die Durchsetzung des Zugangsrechts wegen zu besorgender zeitlicher Überholung im Erkenntnisverfahren nicht möglich sein sollte, die prozessuale Möglichkeit, die Vereitelung ihres Rechts im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verhindern. Dies ist dem allgemeinen Zivil- und dem Arbeitsrecht nicht fremd und der Klägerin für den B… Betrieb der Beklagten am 2. Dezember 2002 auch gelungen.
2. Damit kann der Klage entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht entsprochen werden. Der auf die Zukunft gerichtete Antrag der Klägerin ist ein Globalantrag, der auch mögliche Fallgestaltungen umfasst, in denen ein Zugangsrecht für betriebsfremde Beauftragte der Klägerin nicht besteht.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein Globalantrag, der eine Vielzahl von Fallgestaltungen erfasst, insgesamt als unbegründet abzuweisen, wenn es darunter Fallgestaltungen gibt, in denen er sich als unbegründet erweist (vgl. BAG 3. Mai 1994 – 1 ABR 24/93 – BAGE 76, 364, zu C I der Gründe; 21. September 1999 – 1 ABR 40/98 – AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 21 = EzA BetrVG 1972 § 95 Nr. 30, zu B I der Gründe; 20. Oktober 1999 – 7 ABR 37/98 –, zu B I 2a der Gründe; 3. Juni 2003 – 1 ABR 19/02 – BAGE 106, 188, zu B II 2a der Gründe). Etwas anderes gilt nur, wenn sich der Antrag auf voneinander zu trennende und gegeneinander klar abgrenzbare Sachverhalte bezieht und der begründete Teil schon dem Antrag selbst als Teilziel des Verfahrens zu entnehmen ist (BAG 6. Dezember 1994 – 1 ABR 30/94 – BAGE 78, 379, zu B II 2 der Gründe; 19. Juli 1995 – 7 ABR 60/94 – BAGE 80, 296, zu B II 3 der Gründe; 20. Oktober 1999 – 7 ABR 37/98 –, zu B I 2a der Gründe).
b) Hiernach ist der Antrag unbegründet. Er erfasst auch Fallgestaltungen, in denen das geltend gemachte Zutrittsrecht nicht besteht. Zwar hat die Klägerin ihr Begehr räumlich auf die Kantine im B… Betrieb der Beklagten und zeitlich auf die mittäglichen Kantinenöffnungszeiten beschränkt. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass in einem künftigen Einzelfall einem Zutrittsrecht der Klägerin Notwendigkeiten des Betriebsablaufs entgegenstehen oder der Betriebsfrieden gefährdet ist, so dass im Rahmen der Interessenabwägung das berechtigte Interesse der Beklagten daran, den Zugang zu verweigern, überwiegt. Dies könnte zB der Fall sein, wenn Werbemaßnahmen in einer Häufigkeit, in einem Umfang (Anzahl der betriebsfremden Gewerkschaftsbeauftragten) oder in einer Art und Weise erfolgen sollen, die im Betrieb zu Auseinandersetzungen mit oder zwischen Arbeitnehmern oder mit einer anderen, dort ebenfalls Werbung treibenden Gewerkschaft führen.
Der Klageantrag enthält keinen hinreichend abgrenzbaren Teil, hinsichtlich dessen der Klage teilweise entsprochen werden könnte.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Münzer, Platow
Fundstellen
Haufe-Index 1523369 |
BAGE 2007, 137 |
BB 2006, 1798 |
DB 2006, 1381 |
DStR 2006, 1418 |
NJW 2006, 2207 |
FA 2006, 253 |
JR 2007, 132 |
NZA 2006, 798 |
RdA 2007, 110 |
SAE 2007, 100 |
SAE 2008, 38 |
ZIP 2006, 1838 |
ZTR 2006, 600 |
AuA 2006, 492 |
EzA-SD 2006, 3 |
EzA |
JA 2007, 150 |
MDR 2006, 1416 |
RDV 2007, 170 |
AA 2006, 198 |
AUR 2006, 253 |
ArbRB 2006, 234 |
NJW-Spezial 2006, 372 |
RdW 2006, 537 |