Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung für Auszubildenden
Orientierungssatz
Die Verpflichtungserklärung eines Auszubildenden, die Kosten zu tragen, die durch Ausbildungsmaßnahmen und Ausbildungsveranstaltungen außerhalb der Ausbildungsstätte entstehen, ist wegen Verstoßes gegen § 5 Abs 2 Nr 1 BBiG nichtig.
Der Ausbildende hat daher die Kosten zu tragen, die aus den im Rahmen der Berufsausbildung notwendigen außerbetrieblichen Lehrgängen erwachsen. (Vergleiche das Urteil des BAG vom 25.4.1984, 5 AZR 386/83 = AP Nr 5 zu § 5 BBiG).
Normenkette
BBiG § 18; BGB §§ 611, 662, 670; BBiG § 6 Abs. 1, § 7 S. 2, § 12 Abs. 1, § 5 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 15.04.1987; Aktenzeichen 5 Sa 27/87) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 23.10.1986; Aktenzeichen 5 Ca 4655/86) |
Tatbestand
Die Parteien streiten im Revisionsverfahren nur noch darüber, ob die Beklagte der Klägerin Verpflegungs- und Übernachtungskosten im Rahmen einer Ausbildungsmaßnahme zu erstatten hat.
Die Parteien schlossen am 19. August 1985 einen Berufsausbildungsvertrag, in dem es in den §§ 5 und 11 u.a. wie folgt heißt:
§ 5 - Vergütung und sonstige Leistungen
3. (Kosten für Maßnahmen außerhalb der Ausbildungs-
stätte)
Der Ausbildende trägt die Kosten für Maßnahmen außerhalb
der Ausbildungsstätte gemäß § 3 Nr. 5, soweit sie nicht
anderweitig gedeckt sind. Ist eine auswärtige Unterbringung
erforderlich, so können dem Auszubildenden anteilige Kosten
für Verpflegung in dem Umfang in Rechnung gestellt werden,
in dem dieser Kosten einspart. Die Anrechnung von anteiligen
Kosten und Sachbezugswerten nach § 10 (2) BBiG darf 50 %
der vereinbarten Bruttovergütung nicht übersteigen.
§ 11 - Sonstige Vereinbarungen
Rechtswirksame Nebenabreden, die das Berufsausbildungs-
verhältnis betreffen, können nur durch schriftliche Er-
gänzungen im Rahmen des § 11 dieses Berufsausbildungs-
vertrages getroffen werden.
Am 20. August 1985 unterschrieb die Klägerin folgende "Verpflichtungserklärung":
Hiermit verpflichte ich, Fräulein G B ,
mich, aufgrund der Anmeldung zur Privaten Berufsschule
des Ausbildungswerkes der Gemeinnützigen Wohnungswirt-
schaft in R , die Kosten für Unterkunft zu
zahlen.
Sie werden mir in Rechnung gestellt und belaufen sich
z. Zt. je Folge auf DM 145,--.
Ich habe davon Kenntnis genommen, daß der Gesamtbetrag
für 5 Unterrichtsfolgen in einem halben Jahr im voraus
zu zahlen ist.
Das Ausbildungsverhältnis dauerte vom 1. September 1985 bis zum 3. März 1986. Während dieser Zeit nahm die Klägerin, wie im Berufsausbildungsvertrag vorgesehen, an einer Ausbildungsmaßnahme der Privaten Berufsschule des Ausbildungswerks der Gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in R teil. Über die Kosten für Übernachtung und Verpflegung stellte das Ausbildungswerk der Beklagten eine Rechnung aus. Den auf sie entfallenden Teil in Höhe von 580,-- DM hat die Klägerin beglichen. Mit ihrer Klage verlangt sie Erstattung.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte müsse diese Kosten tragen. Die Verpflichtungserklärung vom 20. August 1985 sei nichtig, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot verstoße. Ferner entspreche sie nicht der von § 11 des Berufsausbildungsvertrages verlangten Schriftform. Die Klägerin hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 580,-- DM
nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Mai 1986
an sie zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Vereinbarung vom 20. August 1985 sei wirksam. Auch § 11 des Berufsausbildungsvertrages stehe ihrem Abschluß nicht entgegen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht die verlangte Erstattung der durch die auswärtige Ausbildung entstandenen Kosten von 580,-- DM zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat als Rechtsgrundlage für den Klageanspruch die Bestimmungen der §§ 611, 662, 670 BGB und weiter § 5 Nr. 3 des Berufsausbildungsvertrages der Parteien angesehen. Dem ist zu folgen.
1. Voraussetzung für einen Anspruch nach § 670 BGB ist, daß die Aufwendung zum Zwecke der Auftragsausführung erbracht wurde. Dazu gehören auch Ausgaben, die sich als notwendige Folge der Ausführung ergeben (BGHZ 8, 222, 229). Das war hier der Fall. Die Klägerin war nach § 4 Nr. 2 des Berufsausbildungsvertrages verpflichtet, an Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte teilzunehmen. Die mit ihrem Aufenthalt in dem Ausbildungswerk verbundenen Übernachtungs- und Verpflegungskosten waren mit der Ausbildung verbundene Neben- und Folgekosten. Die Klägerin durfte diese Aufwendungen auch für erforderlich halten. Danach sind die Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 670 BGB zu bejahen.
2. Der Klageanspruch ergibt sich ferner aus § 5 Nr. 3 des Berufsausbildungsvertrages. Bei diesem Vertrag handelt es sich um eine typische Absprache, die unter Benutzung eines Vordrucks der Industrie- und Handelskammer geschlossen wurde. Sie ist daher als typischer Vertrag der Auslegung durch das Revisionsgericht zugänglich (vgl. BAGE 6, 280, 285 = AP Nr. 17 zu § 64 ArbGG 1953, zu II 2 a der Gründe, mit Anm. Pohle).
Bereits der Wortlaut des § 5 Nr. 3 S. 1 des Vertrages ergibt, daß der Ausbildende die Kosten für Maßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte zu tragen hat, falls sie nicht anderweitig gedeckt sind.
Hiervon sind ersichtlich auch die Parteien ausgegangen, denn sonst hätten sie keine besondere Vereinbarung über die Kosten einer Schulungsmaßnahme getroffen.
II. 1. Das Landesarbeitsgericht hat weiter angenommen, dem Klageanspruch stehe die "Verpflichtungserklärung" vom 20. August 1985 nicht entgegen, wonach die Klägerin die Unterkunftskosten aus Anlaß des Besuchs der Privaten Berufsschule des Ausbildungswerkes der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in R selbst zu tragen habe. Diese Erklärung sei wegen Verstoßes gegen § 5 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nichtig. Sinn des § 5 BBiG sei es, dem Auszubildenden keine Kosten anzulasten, die dem Ausbilder bei der Ausbildung entstehen. Die in der Vereinbarung vom 20. August 1985 angesprochene Verpflichtung betreffe aber eine solche Entschädigung für eine Ausbildungsmaßnahme.
2. Demgegenüber macht die Revision geltend, mit § 5 Abs. 2 Nr. 1 BBiG habe der Gesetzgeber lediglich sicherstellen wollen, daß die betriebliche Ausbildung als solche nicht zu bezahlen sei oder von der Zahlung einer Entschädigung abhängig gemacht werde. Die Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegungskosten durch die Klägerin stelle aber keine Entschädigung für die Berufsausbildung im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 1 BBiG dar.
Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Vielmehr ist die Vereinbarung vom 20. August 1985 gemäß § 18 BBiG nichtig, weil sie zuungunsten des Auszubildenden von § 5 Abs. 2 Satz 1 BBiG abweicht.
3. Nach § 7 Satz 2 in Verbindung mit § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBiG hat der Ausbildende den Auszubildenden auch für eine Ausbildungsmaßnahme außerhalb der Ausbildungsstätte freizustellen und für diese Zeit die Vergütung weiterzuzahlen. Insofern unterscheiden sich Ausbildungsmaßnahmen innerhalb und außerhalb des Betriebes nicht.
Darüber hinaus muß der Ausbildende gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 BBiG dem Auszubildenden kostenlos die Ausbildungsmittel zur Verfügung stellen. Auch ist es nicht zulässig, den Auszubildenden zu verpflichten, für die Berufsausbildung eine Entschädigung zu zahlen (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 BBiG). Im schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Arbeitsmarkts an die Entwicklung von Wirtschaft und Technik sowie über den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Berufsausbildung heißt es:
"Abs. 2 enthält eine Verbotsnorm, die auf dem Gedanken
beruht, die finanziellen Belastungen, die dem Auszu-
bildenden und dessen Eltern aus der Berufsausbildung
erwachsen, möglichst gering zu halten." (BT-Drucks. V/
4260, S. 7).
Sofern die Revision meint, der Gesetzgeber habe nur die betriebliche Berufsausbildung als solche kostenlos gewährleisten wollen, kann dies nicht überzeugen. Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Materialien ergeben sich Anhaltspunkte hierfür. Vielmehr hat der Gesetzgeber gerade hinsichtlich Vergütung und Freistellung nicht zwischen betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen unterschieden. Er hat die vom Ausbilder zu tragenden Kosten auch nicht auf die mit der reinen Wissensvermittlung verbundenen Kosten beschränkt. Aus den Materialien läßt sich vielmehr entnehmen, daß es das Ziel des Gesetzgebers war, "die finanziellen Belastungen für den Auszubildenden möglichst gering zu halten".
Der Senat vertritt daher in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dem Auszubildenden dürften keine Kosten übertragen werden, die dem Ausbilder bei der Ausbildung entstehen. Der Zugang zu einer durch das Berufsbildungsgesetz geregelten Ausbildung soll nicht von dem finanziellen Leistungsvermögen und - willen des Auszubildenden abhängen (BAGE 45, 349, 353 = AP Nr. 5 zu § 5 BBiG, zu II 3 der Gründe; BAGE 39, 226, 228 = AP Nr. 3 zu § 5 BBiG, zu II 1 a der Gründe, jeweils m.w.N.).
Zu den Ausbildungskosten gehören aber nicht nur die betrieblichen Personal- und Sachkosten. Auch für Ausbildungsmaßnahmen und -veranstaltungen außerhalb der Ausbildungsstätte kann der Ausbildende keine Entschädigung verlangen, sofern sie in den Ausbildungsvorgang einbezogen sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Auszubildende zur Teilnahme an solchen Veranstaltungen verpflichtet war oder zum Besuch solcher Bildungsmaßnahmen aufgefordert wurde. Der Ausbildende hat daher auch die Kosten zu tragen, die aus den im Rahmen der Berufsausbildung notwendigen außerbetrieblichen Lehrgängen erwachsen (BAGE 45, 349, 353 = AP Nr. 5 aaO; Herkert, BBiG, Loseblattsammlung Stand: Mai 1987, § 5 Rz 8; Weber, BBiG, Loseblattsammlung Stand: Februar 1988, § 5 Anm. 2; Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl. 1982, S.149).
Es würde dem Willen des Gesetzgebers widersprechen, wenn man nur die Kosten, die unmittelbar durch die Wissensvermittlung entstehen (Lehrmittel, Personalaufwendungen für Lehrkräfte), als Ausbildungskosten ansähe. Vielmehr gehören hierzu auch die Aufwendungen, die mit der Durchführung außerbetrieblicher Bildungsmaßnahmen in engem Zusammenhang stehen. Auch sie sind vom Ausbilder zu tragen. Zu diesen Kosten müssen die Übernachtungs- und Verpflegungskosten gerechnet werden, weil einer auswärtigen Bildungsmaßnahme nur dann der gewünschte Erfolg beschieden sein kann, wenn die Rahmenbedingungen der Maßnahme entsprechen. Verpflegung und Unterbringung sind unerläßlich für das Gelingen einer mehrtägigen auswärtigen Veranstaltung. Daher kann es nicht zulässig sein, dem Auszubildenden die dadurch entstandenen Kosten aufzubürden.
Soweit der Senat einen Anspruch des Auszubildenden auf Erstattung von Fahrt- und Übernachtungskosten bei Lehrabschlußprüfungen verneint hat (BAGE 44, 351 = AP Nr. 1 zu § 34 BBiG), ist streng unterschieden worden zwischen Ausbildungsmaßnahmen (um die es im vorliegenden Rechtsstreit geht) und Abschlußprüfung (vgl. zu I 2 und II 2 der Gründe). Das genannte Urteil spricht daher nicht gegen die vorliegende Entscheidung, sondern im Gegenteil dafür.
III. Unter diesen Umständen kann es dahingestellt bleiben, ob die Vereinbarung der Parteien vom 20. August 1985 auch gegen § 11 des Berufsausbildungsvertrages verstößt. Hierauf kommt es nicht mehr an.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Fischer Arntzen
Fundstellen
Haufe-Index 440160 |
EzB BBiG § 5, Nr 25 (ST1) |