Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision. Schiedsvertrag. freie Tage bei Opernchor
Leitsatz (redaktionell)
1. Wenn sie mitverkündet worden ist, kann die Zulassung der Revision wirksam auch in den Entscheidungsgründen des berufungsgerichtlichen Urteils erfolgen. Davon ist auch auszugehen, wenn in einem Verkündungstermin des Landesarbeitsgerichts ein bereits vollständig abgesetztes und von allen Richtern unterschriebenes Urteil verkündet wird, das in seinen Entscheidungsgründen die Revisionszulassung enthält.
2. Die Einrede des Schiedsvertrages ist auch im Bereiche des ArbGG eine verzichtbare prozeßhindernde Einrede, auf die sich der Beklagte in jeder Instanz berufen muß. Von Amts wegen ist die etwaige Zuständigkeit eines Schiedsgerichts (zB Bühnenschiedsgericht) nicht zu berücksichtigen.
3. Die Gewährung "freier Tage" gemäß § 7 Normalvertrag Chor erfordert vollständige Freistellung des Chormitglieds von allen arbeitsvertraglichen Pflichten unter Einschluß von Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft. Die freien Tage können auch während auswärtiger Gastspiele und im Ausland gewährt werden.
4. Im Rahmen der tariflichen Bestimmungen obliegt die Festlegung der freien Tage dem Arbeitgeber nach billigem Ermessen (§ 315 Abs 1 BGB).
Orientierungssatz
Bedeutung von Bühnenbräuchen für die Tarifauslegung.
Normenkette
TVG § 1; BGB §§ 315, 611; ArbGG § 72; GewO § 105; ArbGG § 102; ZPO § 1027 a
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 23.02.1987; Aktenzeichen 4 Sa 30/86) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 14.02.1986; Aktenzeichen 14 Ca 507/83) |
Tatbestand
Der der Vereinigung Deutscher Opernchöre und Bühnentänzer e.V. in der Deutschen Angestelltengewerkschaft angehörende Kläger steht als Opernchorsänger in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Die Parteien haben einen schriftlichen Arbeitsvertrag nach dem Muster der Anlage 1 zum Normalvertrag Chor (Normalv Chor) abgeschlossen.
Vom 20. bis 28. August 1983 nahm der Kläger an einem Gastspiel der H in Edinburgh (Schottland) teil. Am Freitag, dem 26. August 1983, der in Schottland als sogenannter "Bank-holiday" arbeitsfrei war, war das gesamte Ensemble von jeglicher Tätigkeit freigestellt. An diesem Tage fanden weder Proben noch Aufführungen statt. Für die Mitglieder des Ensembles bestand auch keine Anwesenheitspflicht. Zahlreiche Angehörige des Ensembles, unter ihnen auch der Kläger, benutzten die Möglichkeit zur Teilnahme an einem von der Beklagten vorbereiteten Busausflug. Die chorfreien Tage waren dem Opernchorvorstand zuvor mit Schreiben vom 21. Juni 1983 mitgeteilt worden. Darin wurde von der Beklagten auch darauf hingewiesen, daß - abgesehen von einem Japan-Gastspiel - die während auswärtiger Gastspiele anfallenden freien Tage jeweils an den betreffenden auswärtigen Aufenthaltsorten gewährt würden. Dementsprechend ist auch verfahren worden.
Nachdem er diese Forderung vergeblich außergerichtlich geltend gemacht hatte, hat der Kläger mit der Klage die Beklagte auf Gewährung eines weiteren freien Werktags und hilfsweise auf dessen Abgeltung in Anspruch genommen. Dazu hat der Kläger vorgetragen, es sei nach den einschlägigen tariflichen Bestimmungen nicht zulässig, den ihm danach zustehenden freien Tag im Laufe einer Gastspielreise an einem auswärtigen Ort oder gar im Ausland zu gewähren, wie es die Beklagte am 26. August 1983 getan habe. Auch ohne die Anordnung von Proben und Aufführungen bestehe bei einer solchen Handhabung faktische Dienstbereitschaft. Demgegenüber bestehe der Sinn und Zweck der die Gewährung der freien Tage regelnden Tarifnormen darin, sicherzustellen, daß diese Tage wie Urlaubstage von dem Opernchormitglied nach freiem Belieben und nach seinen individuellen Bedürfnissen gestaltet werden könnten. Durch die tarifwidrige Verfahrensweise der Beklagten sei er am 26. August 1983 nicht in der Lage gewesen, mit seiner Familie zusammenzusein oder in Ha Behördengänge oder andere persönliche Angelegenheiten zu erledigen. Ungeachtet der entsprechenden rechtlichen Pflicht sei es der Beklagten auch möglich gewesen, den freien Tag nach Abschluß der Gastspielreise zu gewähren. Auf einen gegenteiligen Bühnenbrauch könne sich die Beklagte nicht berufen. Der Rechtsstreit sei entgegen der Auffassung der Beklagten durch die staatlichen Arbeitsgerichte und nicht durch ein Schiedsgericht zu entscheiden. Demgemäß hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger
einen zusätzlichen freien Tag zu gewähren,
hilfsweise zu dessen Abgeltung an den
Kläger 104,-- DM zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Einrede des Schiedsvertrages erhoben. Dazu hat die Beklagte ausgeführt, der Kläger hätte das vom Deutschen Bühnenverein und der dem DGB angehörenden Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) eingerichtete Schiedsgericht anrufen müssen. Daran ändere nichts, daß das von der Vereinigung Deutscher Opernchöre und Bühnentänzer in der Deutschen Angestelltengewerkschaft mit dem Deutschen Bühnenverein gebildete Schiedsgericht zeitweilig seine Tätigkeit eingestellt habe.
Zur Hauptsache hat die Beklagte erwidert, die eingeklagte Forderung sei von ihr in tarifgerechter Weise gegenüber dem Kläger am 26. August 1983 erfüllt worden. Sowohl nach dem Tarifwortlaut als auch nach dem Zusammenhang der Tarifnormen könnten die freien Tage entgegen der Meinung des Klägers auch während auswärtiger Gastspiele und auch im Ausland gewährt werden. Dafür spreche eindeutig der Sinn und Zweck der Tarifnormen, auch ein entsprechender, allgemein anerkannter Bühnenbrauch. Die Tarifregelung diene dem Zweck, dem Opernchormitglied zum Ausgleich für seine Verpflichtung zur Sonntagsarbeit Gelegenheit zum Ausruhen, zur Entspannung und zur Erholung zu geben. Ein entsprechendes Bedürfnis bestehe auch und gerade während Gastspielreisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage auf die Einrede der Beklagten hin durch Prozeßurteil als bei den staatlichen Arbeitsgerichten unzulässig abgewiesen. Trotz der in der Berufungsinstanz aufrechterhaltenen Einrede der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Zuständigkeit der staatlichen Arbeitsgerichte bejaht, die Klage jedoch als unbegründet abgewiesen.
Das berufungsgerichtliche Urteil enthält im Tenor keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision. Auf Seite 17 seiner Entscheidungsgründe führt das Landesarbeitsgericht jedoch aus:
"Die Revision wird gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1
Arbeitsgerichtsgesetz zugelassen, weil die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung für
die Tarifvertragsparteien hat."
Auch wurde vom Landesarbeitsgericht eine dementsprechende Rechtsmittelbelehrung erteilt.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte, die in der Revisionsinstanz die Einrede des Schiedsvertrages nicht mehr aufrechterhält, beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision wirksam zugelassen und in der Hauptsache zutreffend erkannt, daß das Klagebegehren unbegründet ist, weil die Klageforderung von der Beklagten ordnungsgemäß erfüllt worden ist.
Bei der vorliegenden Fallgestaltung ist es unschädlich, daß das Landesarbeitsgericht die Zulassung der Revision entgegen der allgemeinen Übung nicht im Tenor des angefochtenen Urteils, sondern lediglich in den Entscheidungsgründen ausgesprochen hat. Bereits in seinem Urteil vom 25. Juni 1986 - 4 AZR 206/85 - AP Nr. 122 zu §§ 22, 23 BAT 1975 (auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) hat der Senat mit näherer Begründung ausgeführt, obwohl ihre Aufnahme in den Urteilstenor im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit empfehlenswert sei, könne auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren die Zulassung der Revision mangels anderslautender gesetzlicher Bestimmungen auch in den Entscheidungsgründen des berufungsgerichtlichen Urteils erfolgen, sofern die Rechtsmittelzulassung mitverkündet worden sei.
Letzteres ist zwar vorliegend nicht ausdrücklich geschehen. Gleichwohl ist bei der vorliegenden Fallgestaltung ebenfalls von einer rechtsgültigen Verkündung auch der Revisionszulassung auszugehen und deswegen das Rechtsmittel zulässig. Die letzte mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht mit Antragstellung der Parteien fand am 3. Dezember 1986 statt. Laut Sitzungsprotokoll wurde in dieser Sitzung Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf Montag, den 23. Februar 1987, bestimmt. Am 21. Januar 1987 wurde die Sache vom Vorsitzenden mit den ehrenamtlichen Richtern beraten (nachdem zwischenzeitlich das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 3. September 1986 - 5 AZR 319/85 - zu den Vorakten vorgelegt worden war). Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde am 23. Februar 1987 das "anliegende Urteil", d.h. das angefochtene berufungsgerichtliche Urteil verkündet. Dabei handelt es sich ausweislich des weiteren Akteninhalts um das vollständige, mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung versehene, vom Vorsitzenden und beiden ehrenamtlichen Richtern unterschriebene Urteil des Landesarbeitsgerichts, das auch bereits drei Tage später zur Zustellung gelangte.
In einem solchen Fall, der der Üblichkeit in der allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit entspricht und in der Arbeitsgerichtsbarkeit seltener vorkommt, gilt mit der vorliegend stattgefundenen Vorlesung der Urteilsformel nach § 311, § 312 ZPO, die mangels einer anderslautenden Bestimmung des ArbGG insoweit auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren gelten, das gesamte Urteil als verkündet, wobei der Bundesgerichtshof vom "Geburtsakt des Urteils" spricht (vgl. das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Oktober 1984 - VI ZR 205/83 - VersR 1985, 45, 46, auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 45. Aufl., § 311 Anm. 1 B und 2). Diese Beurteilung des Senats stimmt auch mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts überein, wonach sogar im Wege eines Berichtigungsbeschlusses nach § 319 ZPO die Zulassung der Revision dann nachholbar ist, wenn sich aus dem Urteil selbst oder den Vorgängen bei seiner Verkündung - wie vorliegend - ergibt, daß sie vom Berufungsgericht beabsichtigt war (vgl. BAGE 9, 205, 207 = AP Nr. 4 zu § 319 ZPO sowie die Urteile des Senats vom 4. Juni 1969 - 4 AZR 418/69 - AP Nr. 15 zu § 319 ZPO und 23. Mai 1973 - 4 AZR 364/72 - AP Nr. 17 zu § 319 ZPO m.w.N.).
Schon in der Klageerwiderung hatte die Beklagte gegenüber dem Arbeitsgericht die Einrede des Schiedsvertrages gemäß § 102 ArbGG erhoben und demgemäß eingewandt, der Rechtsstreit gehöre aufgrund tariflicher Regelung vor das Bühnenschiedsgericht. Während die Beklagte diese Rüge im Wege der Anschlußberufung gegenüber dem Landesarbeitsgericht wiederholt hat, hat sie sie in der Revisionsinstanz nicht mehr aufrechterhalten und zu verstehen gegeben, sie wolle sich darauf nicht mehr berufen.
Das hat zur Folge, daß das Revisionsgericht diese Rüge nicht mehr zu beachten und auch nicht etwa von Amts wegen zu prüfen hat, ob und welches Schiedsgericht (Bühnenschiedsgericht) vorliegend zur Entscheidung berufen sein könnte.
Wie früher schon § 274 Abs. 2 Nr. 3 ZPO a.F. bestimmt nunmehr § 1027 a ZPO in ganz eindeutiger Weise, daß, wenn ein Gericht wegen einer Rechtsstreitigkeit angerufen wird, für die die Parteien einen Schiedsvertrag geschlossen haben, das Gericht die Klage als unzulässig durch Prozeßurteil abzuweisen hat,
"wenn sich der Beklagte auf den
Schiedsvertrag beruft",
was in allen Instanzen zu geschehen hat. Damit stellt der Gesetzgeber klar, daß die Einrede des Schiedsvertrages in der ZPO als verzichtbare prozeßhindernde Einrede ausgestaltet ist, die nur zu beachten ist, wenn und solange sie erhoben wird. Demgemäß ist ein Schiedsvertrag im Bereiche der ZPO niemals von Amts wegen zu berücksichtigen. Es bleibt daher den Parteien eines Schiedsvertrages auch unbenommen, einen zwischen ihnen auftretenden Prozeß anstelle des Schiedsgerichts durch die staatlichen Zivilgerichte entscheiden zu lassen, indem sich der Beklagte - ggf. vereinbarungsgemäß - seinerseits nicht einredeweise auf den Schiedsvertrag beruft (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 1025 Anm. 3 B; Thomas/Putzo, ZPO, 14. Aufl., § 1027 a Anm. 1 b sowie Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 19. Aufl., § 1025 Anm. V 1).
Zwar weichen die Bestimmungen der ZPO (§§ 1025 ff.) und des ArbGG (§§ 101-102) insofern voneinander ab, als es im Bereiche des ArbGG die Bildung von Schiedsgerichten auf kollektivrechtlich-tariflicher Grundlage gibt. Gleichwohl ist aber auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren ungeachtet der Regelung in § 101 Abs. 3 ArbGG, wie sich eindeutig aus § 102 Abs. 1 ArbGG ergibt, das Bestehen eines Schiedsvertrages und die Berufung darauf in derselben Weise geltend zu machen wie im allgemeinen Zivilprozeß. § 102 Abs. 1 ArbGG stellt nämlich klar, daß es sich bei der Einrede des Schiedsvertrages auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren um eine verzichtbare prozeßhindernde Einrede handelt, auf die sich die Beklagte Prozeßpartei berufen muß. Da insoweit die Rechtslage auch im Bereiche des ArbGG der nach der ZPO entspricht, ist daher auch von den Gerichten für Arbeitssachen eine etwaige Zuständigkeit von Schiedsgerichten bzw. Bühnenschiedsgerichten niemals von Amts wegen zu berücksichtigen. Auch im Bereiche der Arbeitsgerichtsbarkeit kann es daher trotz Bestehens eines tariflich begründeten Schiedsgerichtes dazu kommen, daß statt dieses Schiedsgerichtes die staatlichen Arbeitsgerichte zu entscheiden haben. Das kann von den Prozeßparteien in der Weise realisiert werden, daß - ggf. aufgrund entsprechender Absprache - der Beklagte die Einrede des Schiedsvertrages nicht oder nicht mehr erhebt. Dann hat das staatliche Arbeitsgericht ohne Rücksicht auf Existenz und Kompetenz des Schiedsgerichts den Rechtsstreit zu entscheiden. Darüber besteht auch im verfahrensrechtlichen Schrifttum Einvernehmen (vgl. Dersch/Volkmar, ArbGG, 6. Aufl., § 102 Anm. 3 sowie 4 a - b; Dietz/Nikisch, ArbGG, § 102 Rz. 1 - 2; Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 102 Anm. 1 und Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Band I, § 104 III, S. 990 mit Nachweisen auf die entsprechende Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts). Diese Rechtslage ist nunmehr in der Revisionsinstanz eingetreten, weil die Beklagte die Einrede des Schiedsvertrages nicht mehr aufrechterhält. Daher hat sich auch der Senat mit den Ausführungen der Vorinstanzen zur Frage der Zuständigkeit von Bühnenschiedsgerichten und dem entsprechenden Parteivortrag nicht mehr auseinanderzusetzen.
In der Hauptsache hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, daß die Klageforderung durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen ist.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gehören der Kläger der Vereinigung Deutscher Opernchöre und Bühnentänzer e.V. in der Deutschen Angestelltengewerkschaft und die Beklagte dem Deutschen Bühnenverein an, die (zusammen mit der Gemeinschaft Deutscher Bühnenangehöriger im DGB) den Normalvertrag Chor (Normalv Chor) abgeschlossen haben, der demgemäß, und zwar in der Fassung vom 27. Oktober 1982, nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG unmittelbar und zwingend gilt.
§ 7 dieses Tarifvertrages bestimmt:
(1) Das Opernchormitglied hat Anspruch auf
a) einen freien Tag wöchentlich und
b) zwölf zusätzliche halbe freie Tage...
(2) Die freien Tage sollen so gewährt werden,
daß in der Regel nicht mehr als zwölf
Tage zwischen zwei ganzen freien Tagen
liegen. Kann in Ausnahmefällen ein freier
Tag nicht gewährt werden, ist der Ausgleich
innerhalb von vier Wochen vorzunehmen.
In besonderen Fällen kann im Einvernehmen
mit dem Opernchorvorstand der ganze freie
Tag durch zwei halbe freie Tage ersetzt
werden.
.....
(7) Im Einzelfall sind im Einvernehmen mit dem
Opernchorvorstand Abweichungen von Absatz 2
bis 6 zulässig."
Im übrigen sieht bezüglich der Mitwirkungspflichten der Opernchormitglieder § 4 Abs. 1 Normalv Chor vor:
Das Opernchormitglied ist im Rahmen seines
Kunstfaches verpflichtet, bei allen Veranstaltungen
(Aufführungen und Proben) der im
Arbeitsvertrag bezeichneten Bühne(n) mitzuwirken.
Hierin sind auch auswärtige Gesamtgastspiele,
Festspiele, Werbeveranstaltungen,
Bunte Programme, Matineen und durch Hörfunk
oder Fernsehen übertragene Ensembledarbietungen
inbegriffen. ...
Der von ihnen verwendete Begriff der "freien Tage" wird von den Tarifvertragsparteien selbst nicht im Sinne einer Legaldefinition klargestellt. Daher hat das durch die Gerichte für Arbeitssachen nach den allgemeinen Grundsätzen der Tarifauslegung zu geschehen. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, jedoch darüber hinaus unter Einbeziehung auch des tariflichen Gesamtzusammenhanges der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. BAGE 46, 309, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).
Ausgehend von diesen zutreffenden Auslegungsgrundsätzen nimmt das Landesarbeitsgericht mit Recht an, daß schon der allgemeine Sprachgebrauch unter "freien Tagen" solche Tage versteht, an denen nicht gearbeitet, d.h. an denen der Arbeitnehmer - wie in der Regel an Sonn- und Feiertagen und insbesondere während seines Urlaubs - von seinen arbeitsvertraglichen Pflichten freigestellt ist. Diese Freistellung muß indessen eine totale sein. Sie umfaßt nicht nur die völlige Freistellung von der eigentlichen, nach dem Arbeitsvertrag zu leistenden Arbeit, sondern darüber hinaus das Fehlen von Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft. So wird der Begriff der Freizeit auch im Arbeitszeitrecht verstanden (vgl. BAGE 10, 191, 194 = AP Nr. 6 zu § 12 AZO; BAGE 8, 63, 69 ff. = AP Nr. 1 zu § 13 AZO sowie Denecke/Neumann, AZO, 10. Aufl., § 12 Rz. 2 - 3). Danach setzen Freizeit und die Gewährung "freier Tage" begrifflich voraus, daß der Arbeitnehmer von jeder Bindung an seine Arbeitsstätte und seine arbeitsvertraglichen Pflichten befreit ist, nach Belieben über seine Zeit verfügen kann, auch darüber, wie er sie gestalten will. Diese Beurteilung entspricht zugleich dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß dann, wenn die Tarifvertragsparteien in einem Tarifvertrag einen Begriff verwenden, der in der Rechtsterminologie eine bestimmte Bedeutung hat (wie z.B. Freizeit oder "freie Tage"), davon auszugehen ist, daß die Tarifvertragsparteien ihn auch in ihrem Regelungsbereich, sofern sie nicht selbst etwas anderes bestimmen, in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung verwenden und angewendet wissen wollen (vgl. BAGE 42, 272, 277 = AP Nr. 61 zu § 616 BGB sowie die weiteren Urteile des Senats vom 13. November 1985 - 4 AZR 269/84 - AP Nr. 35 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, und 1. April 1987 - 4 AZR 397/86 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, mit weiteren Nachweisen auf die ständige Rechtsprechung des Senats).
Diese Voraussetzungen waren am 26. August 1983 zugunsten des Klägers nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und dem unstreitigen Sachverhalt erfüllt. Er hatte an diesem Tage, der in Schottland als sogenannter "Bank-holiday" arbeitsfreier gesetzlicher Feiertag war, weder irgendwelche Tätigkeiten nach seinem Arbeitsvertrag zu erbringen noch lagen zu seinen Lasten die Voraussetzungen für Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft vor. Demgemäß war auch schon vorher in Absprachen zwischen der Beklagten und dem Opernchorvorstand für diesen Tag ein Busausflug für die interessierten Mitglieder des Ensembles vereinbart worden.
Zutreffend nimmt das Landesarbeitsgericht weiter richtig an, daß § 7 Normalv Chor die Gewährung der freien Tage nicht nur am Sitz der Beklagten ermöglicht, sondern auch während auswärtiger Gastspiele unter grundsätzlicher Einbeziehung auch des Auslandes. Dafür spricht schon der Tarifwortlaut, der eine entsprechende Einschränkung nicht enthält, und erst recht der vom Landesarbeitsgericht zutreffend hervorgehobene tarifliche Gesamtzusammenhang, der auch eindeutige Schlüsse auf den Sinn und Zweck der Tarifnorm rechtfertigt. Wie das Landesarbeitsgericht mit Recht hervorhebt, soll mit den tariflich normierten freien Tagen dem Opernchormitglied zunächst einmal ein Ausgleich dafür gewährt werden, daß es - anders als die Mehrzahl der übrigen Arbeitnehmer - in Übereinstimmung mit der (allerdings aufgrund des Territorialitätsprinzips nur im Bundesgebiet geltenden) Vorschrift des § 105 i GewO auch an Sonntagen zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Der tarifliche Gesamtzusammenhang weist weiter aus, daß die freien Tage nicht "gehortet", sondern im Sinne einer faktischen Verwirklichung der Absichten der Tarifvertragsparteien möglichst in einer der Wochenendruhe vergleichbaren Weise gewährt werden sollen. Wie das Landesarbeitsgericht richtig hervorhebt, verfolgen die Tarifvertragsparteien mit der Regelung des § 7 Normalv Chor aber auch den Zweck, dem Opernchorsänger die Möglichkeit zu gewähren, seine Stimme zu schonen und auszuruhen, was auch im Hinblick auf seinen weiteren Einsatz notwendig erscheint.
Mit Recht berücksichtigt das Landesarbeitsgericht weiter, daß die Teilnahme an auswärtigen Gesamtgastspielen gemäß § 4 Abs. 1 Normalv Chor zu den tariflich normierten allgemeinen Dienstpflichten eines Opernchorsängers gehört, wovon die Tarifvertragsparteien auch in den weiteren Bestimmungen über Ruhezeiten (§ 6 Abs. 1 und Abs. 3 Normalv Chor) sowie Tage- und Übernachtungsgelder (§ 20 Normalv Chor) ausgehen. Ersichtlich besteht aber, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend bemerkt, auch während solcher Gastspielreisen einmal das allgemeine Ruhebedürfnis des Opernchorsängers, aber auch sein und das berechtigte Interesse des Arbeitgebers daran, daß der Chorsänger in gewissen Abständen einen "stimmfreien Tag" hat, an dem er seine Stimme schont. Dabei verweist das Landesarbeitsgericht ergänzend und zum Vergleich in sachgerechter Weise auf die Regelung des § 91 SeemG und die Überlagerzeiten von Omnibusfahrern, ohne daß dies der weiteren Vertiefung bedarf.
Damit ist der Tarifauslegung des Landesarbeitsgerichts, der der Senat folgt, auch deswegen der Vorzug zu geben, weil sie zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. die Urteile des Senats vom 19. März 1986 - 4 AZR 642/84 - AP Nr. 116 zu §§ 22, 23 BAT 1975, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, und 1. April 1987 - 4 AZR 397/86 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, mit weiteren Nachweisen auf die ständige Senatsrechtsprechung).
Schon aus dem Wortlaut von § 7 Abs. 2 Normalv Chor ergibt sich, daß im Regelfall der Arbeitgeber einseitig zu bestimmen hat, auf welchen Tag der "freie Tag" der Opernchorsänger jeweils fällt, wobei der Ausgleich auch innerhalb von vier Wochen vorgenommen werden kann, wenn "in Ausnahmefällen" ein freier Tag nicht gewährt werden kann (§ 7 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Normalv Chor). In diesem relativ weitreichenden Rahmen kommt also dem Arbeitgeber das einseitige Bestimmungsrecht zu, während angesichts der elastischen Tarifgestaltung darüber hinaus gemäß § 7 Abs. 2 Unterabs. 2 und Abs. 7 Normalv Chor noch weitere Abweichungen möglich sind, bei denen dann freilich Einvernehmen mit dem Opernchorvorstand hergestellt werden muß.
Gegen die rechtliche Möglichkeit einer derartigen Tarifregelung, die den besonderen Verhältnissen bei einer Oper Rechnung tragen soll, bestehen keine allgemeinen rechtlichen Bedenken. Da die Tarifregelung jedoch im Regelfalle dem Arbeitgeber das Recht gibt, einseitig die freien Tage der Opernchorsänger festzulegen, ist diese Bestimmung jeweils gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu treffen. Damit wird zugleich dem Arbeitgeber ein bis an die Grenzen der Billigkeit heranreichender Ermessens- und Gestaltungsspielraum eröffnet, so daß die einseitige Festlegung der freien Tage dann der Billigkeit entspricht, wenn dabei alle wesentlichen Umstände und die Interessen beider Parteien angemessen berücksichtigt werden (vgl. das Urteil des Senats vom 28. September 1977 - 4 AZR 743/76 - AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk im Anschluß an BAGE 11, 318, 325 = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Urlaubsrecht und BGHZ 18, 149, 152 mit weiteren Nachweisen). Die Ermessensausübung durch den Arbeitgeber unterliegt gerichtlicher Kontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB. Dabei kommt dem Senat als Revisionsgericht hinsichtlich der Anwendung des § 315 BGB durch die Instanzgerichte ein unbeschränktes Überprüfungsrecht zu (vgl. die Urteile des Senats vom 28. September 1977 - 4 AZR 743/76 - AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk, 25. Januar 1978 - 4 AZR 509/76 - AP Nr. 10 zu § 611 BGB Croupier, 26. Oktober 1977 - 4 AZR 336/76 - AP Nr. 4 zu § 33 BAT und 26. November 1986 - 4 AZR 789/85 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Bei der gegebenen Fallgestaltung sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß sich die Beklagte bei der Bestimmung des 26. August 1983 zum "freien Tag" nicht im Rahmen billigen Ermessens im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB gehalten haben könnte. Aus den schon dargelegten Gründen war sie aus irgendwelchen tariflichen Gründen nicht daran gehindert, die freien Tage auch während der Gastspielreise nach Schottland dort zu gewähren. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war der dortige freie Tag wie die übrigen freien Tage während der Spielzeit der Beklagten im Sommer 1983 auch dem Chorvorstand rechtzeitig mitgeteilt worden. Im Interesse ihrer Arbeitnehmer hatte die Beklagte demgemäß für diesen Tag den Busausflug durch Schottland vorbereitet, an dem die überwiegende Zahl der Mitglieder des Opernchores und auch der Kläger selbst teilgenommen haben. Damit entsprach die Festlegung des freien Tages auf den 26. August 1983 auch den Wünschen zumindest der großen Mehrheit der Opernchormitglieder. Auch der Kläger selbst war über den freien Tag in Edinburgh nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts rechtzeitig und vollständig informiert worden, ist also auch nicht das Opfer einer unzumutbaren Überraschung geworden. Wesentlich erscheint im übrigen, daß nach den weiteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den Opernchorsängern die freien Tage in aller Regel am Arbeitsort, d.h. am Sitz der Beklagten in Ha, und nur ausnahmsweise - wie vorliegend - im Rahmen auswärtiger Gastspiele gewährt werden. Damit hat der Kläger im Sinne seines Prozeßvorbringens zumindest in aller Regel Gelegenheit, die freien Tage zusammen mit seiner Familie zu verbringen und an seinem Wohnort persönliche Angelegenheiten wie Behördengänge usw. zu erledigen. Daß das Landesarbeitsgericht sich hierzu teilweise auf den Arbeitsvertrag der Parteien stützt, anstatt von den tariflichen Bestimmungen und § 315 BGB auszugehen, ist unschädlich.
Die demgegenüber erhobenen Einwendungen der Revision greifen nicht durch. Die Revision übersieht bereits, daß es im Normalv Chor keine Bestimmung gibt, die die Gewährung freier Tage im Rahmen einer Gastspielreise oder auch schlechthin im Ausland verbietet. Entgegen den weiteren Ausführungen der Revision sollen, wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, ihrer Zweckbestimmung entsprechend die freien Tage auch gerade nicht "aufgespart", sondern möglichst funktionsgerecht in einer dem Wochenende bzw. dem Sonntag vergleichbaren Weise gewährt werden. Verstöße gegen § 242 BGB sind entgegen den Ausführungen der Revision nicht ersichtlich. Rechtssystematisch müßten sie ohnehin dem Regelungsbereich des § 315 BGB zugeordnet werden. Fragen etwaiger Bühnenbräuche bedürfen angesichts der eindeutigen Tariflage keiner Erörterung. Rechtlich stellt sich ein Bühnenbrauch als Tarifübung im Bereich der Bühnen bzw. wie vorliegend im Bereich der Opernchöre dar. Eine für Zwecke der Tarifauslegung heranziehbare rechtserhebliche Tarifübung liegt jedoch nur dann vor, wenn sie in Kenntnis und mit Billigung der Tarifvertragsparteien praktiziert wird (vgl. die Urteile des Senats BAGE 40, 67, 72 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifliche Übung und BAGE 49, 250, 257 = AP Nr. 109 zu §§ 22, 23 BAT 1975, mit weiteren Nachweisen). Schon daran fehlt es vorliegend. Der Kläger hat nämlich nicht vorgetragen, daß ein von beiden Tarifvertragsparteien gebilligter Bühnenbrauch der Art bestehe, daß freie Tage nur am Sitz der Beklagten und nicht während Gastspielreisen und insbesondere nicht im Ausland gewährt werden dürften. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts trifft das Gegenteil zu. Abgesehen davon hat eine praktische Tarifübung und damit auch ein Bühnenbrauch für die Tarifauslegung im Sinne eines sekundären Auslegungsmittels nur dann Bedeutung, wenn Tarifwortlaut und tariflicher Gesamtzusammenhang nicht zu einer eindeutigen Auslegung führen (vgl. auch dazu die Urteile des Senats BAGE 46, 309, 314 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung und 9. Juli 1980 - 4 AZR 560/78 - AP Nr. 2 zu § 1 Tarifverträge: Seeschiffahrt, mit weiteren Nachweisen). Vorliegend führen jedoch aus den zuvor dargelegten Gründen Tarifwortlaut und tariflicher Gesamtzusammenhang zu einer eindeutigen Auslegung.
Die Kosten seiner erfolglosen Revision trägt der Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Neumann Dr. Etzel Dr. Feller
Dr. Börner Koerner
Fundstellen
Haufe-Index 439083 |
BAGE 56, 179-191 (LT1-4) |
BAGE, 179 |
DB 1988, 134-135 (LT4) |
KTS 1988, 208-210 (LT1-4) |
RdA 1988, 60 |
AP § 611 BGB, Nr 33 |
AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XC 1979 Entsch 40 (LT1) |
AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XV Entsch 16 (LT2) |
AR-Blattei, ES 1030 Nr 46 (LT3-4) |
AR-Blattei, ES 160.10.3 (1979) Nr 40 (LT1) |
AR-Blattei, ES 160.15 Nr 16 (LT2) |
AR-Blattei, Künstlerische Tätigkeit Entsch 46 (LT3-4) |
Bühnengen 1990, Nr 12, 10 (T) |
EzA § 72 ArbGG 1979, Nr 9 (LT1-4) |
MDR 1988, 259-259 (LT1-2) |
RiA 1988, 273-274 (T) |
ZUM 1988, 584-588 (LT1-4) |