Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiskraft des Protokolls über die mündliche Verhandlung
Leitsatz (NV)
- Zur (umstrittenen) Beweiskraft des Protokolls über die mündliche Verhandlung im Hinblick auf Verfahrensrügen und Prozessanträge.
- Fehlt im Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem FG die Rüge, das FG habe in der mündlichen Verhandlung den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, und lehnt das FG es auch ab, das Protokoll entsprechend zu berichtigen, müssen zumindest Umstände vorgebracht werden, die es ermöglichen, die Beweiskraft des Protokolls zu durchbrechen.
Normenkette
FGO §§ 94, 116 Abs. 3 S. 3, § 155; ZPO § 160 Abs. 4, §§ 164, 165 S. 1, § 295 Abs. 1, §§ 415, 418
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Der von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachte Verfahrensfehler, das Finanzgericht (FG) habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―) verletzt, indem es ihr keine hinreichende Gelegenheit gegeben habe, zu einem in der mündlichen Verhandlung erstmals zur Sprache gekommenen Gesichtspunkt ―die zeitliche Zuordnung der in Rede stehenden Verpflichtung auf Zahlung von Beraterhonoraren― Stellung zu nehmen, ist nicht in der gebotenen Weise (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) dargetan worden. Es kann deshalb offen bleiben, ob es ausreichte, den erwähnten Gesichtspunkt in der mündlichen Verhandlung in dem dabei geführten Rechtsgespräch zu erörtern, oder ob es erforderlich gewesen wäre, der Klägerin die Möglichkeit zu geben, den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht weiter aufzuklären und dazu vorzutragen.
Nach § 155 FGO i.V.m. § 295 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann die Verletzung einer das Verfahren und die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift dann nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet hat. Zu den verzichtbaren Verfahrensverstößen gehört auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs (vgl. z.B. Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschluss vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 37, m.w.N.). Von einem Verzicht auf dieses Recht ist im Streitfall nach Lage der Dinge auszugehen: In dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem FG ist weder eine diesbezügliche Rüge noch ein Antrag der Klägerin auf Vertagung des Termins enthalten. Das FG hat eine entsprechende Ergänzung im Wege der Protokollberichtigung (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4, § 164 ZPO) abgelehnt.
Daraus folgt für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zugleich der Beweis der Richtigkeit des Protokollinhalts, der grundsätzlich anderweitig nicht widerlegt werden kann (§ 94 FGO i.V.m. § 165 Satz 1 ZPO; Senatsbeschlüsse vom 29. August 1996 I B 12-13/96, BFH/NV 1997, 96, 97; vom 25. April 2001 I B 137, 138/00, nicht veröffentlicht; Bundessozialgericht, Beschluss vom 28. September 1999 B 2 U 31/99 B, Soziale Sicherheit 2000, 108; Peters in Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 2. Aufl., § 160 Anm. 4, § 165 Anm. 2). Zwar ist dies im Hinblick auf Verfahrensrügen und Prozessanträge ―also auch für Vertagungsanträge― nicht unbestritten. Geltend gemacht wird, solche Rügen und Anträge gehörten nicht zu den "für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten" i.S. von § 165 Satz 1 ZPO (z.B. Oberlandesgericht ―OLG― Düsseldorf, Beschluss vom 13. Februar 1990 10 W 11/90, Monatsschrift für Deutsches Recht ―MDR― 1990, 561; OLG Köln, Beschluss vom 22. Juni 1998 14 WF 69/98, MDR 1998, 1370; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Albers, Zivilprozeßordnung, 59. Aufl., § 160 Anm. 9, § 165 Anm. 1; Zöller, Zivilprozeßordnung, 22. Aufl., § 160 Anm. 6, § 165 Anm. 2, jeweils m.w.N.). Auch wenn dies zuträfe, müsste die gleichwohl bestehende Beweiskraft des Protokolls (vgl. § 415 und § 418 ZPO) entkräftet werden, was es erforderlich macht, mit der Beschwerde tatsächliche Umstände vorzubringen, die einen Gegenbeweis ermöglichen. Bloße Behauptungen reichen dazu nicht aus. Der mit dem Begründungszwang gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO bezweckte Entlastungseffekt verbietet es, dem Revisionsgericht die Klärung der Tatfrage aufzubürden, ob der Verfahrensfehler gerügt wurde (vgl. auch BFH-Beschluss vom 4. März 1992 II B 201/91, BFHE 166, 574, BStBl II 1992, 562, 563). An einem solchen entkräftenden Vorbringen fehlt es im Streitfall.
Unabhängig davon stehen der Behauptung der Klägerin, eine Verfahrensrüge angebracht und eine Vertagung beantragt zu haben, sowohl die Äußerungen des FG in den Gründen des angefochtenen Urteils und des Vorsitzenden in dem Schreiben vom 14. Dezember 2000 als auch die Darstellung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) über den Ablauf der mündlichen Verhandlung in der Beschwerdeerwiderung entgegen. Hinzu kommt, dass die Niederschrift als Hauptantrag einen Sachantrag der Klägerin enthält. Einen solchen Antrag wird im Allgemeinen jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter nicht stellen, wenn er aufgrund einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör eine Vertagung für erforderlich hält.
Fundstellen
Haufe-Index 662217 |
BFH/NV 2002, 203 |
IStR 2002, 180 |
AO-StB 2002, 38 |