Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentlichkeit des Verfahrens
Leitsatz (NV)
Wird mit der zulassungsfreien Revision eine Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens gerügt (§ 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO), muß u. a. vorgetragen werden, daß der Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde, da die Prozeßbeteiligten auf die Beachtung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verzichten können.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 4, § 120 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob die vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) in den Jahren 1982, 1984 und 1985 auf dem Konto Vertreterkosten/Provisionen verbuchten Aufwendungen sowie Flugkosten in 1982 und in 1983 als Betriebsausgaben abziehbar sind.
Einspruch und Klage hatten insoweit keinen Erfolg.
In der mündlichen Verhandlung vom 7. September 1995 verkündete das Finanzgericht (FG) während der Vernehmung des Zeugen Z folgenden Beschluß: "Die Öffentlichkeit wird während der weiteren Vernehmung des Zeugen Z ausgeschlossen. Die anwesenden Zuschauer verlassen den Sitzungssaal. Der Sitzungssaal wird mit dem Schild Nichtöffentliche Sitzung versehen." Nach der Vernehmung von Z wurde die Öffentlichkeit wiederhergestellt.
Die Revision hat das FG in seinem Urteil nicht zugelassen.
Gegen das Urteil des FG legten die Kläger Revision ein.
Mit ihr machen sie in erster Linie geltend, daß das Rechtsmittel gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig sei. Das Urteil sei auf eine mündliche Verhandlung ergangen, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden seien. Ausweislich des Protokolls der öffentlichen Verhandlung des FG vom 7. September 1995 sei Z als Zeuge vernommen worden. Während der Vernehmung sei die Öffentlichkeit durch Beschluß ausgeschlossen worden. Eine Begründung für den Ausschluß sei jedoch nicht gegeben worden und sei auch aus dem Protokoll nicht ersichtlich. Gemäß § 52 FGO seien die §§ 169, 171 b bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) anzuwenden. § 174 Abs. 1 GVG sehe aber vor, daß der Beschluß über den Ausschluß der Öffentlichkeit zu begründen und öffentlich zu verkünden sei. Gemäß § 94 FGO i. V. m. §§ 160 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Nr. 7, 165 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sei die Begründung in das Protokoll aufzunehmen. Die Unterlassung dieser Maßnahme schaffe die Voraussetzungen für einen absoluten Revisionsgrund; die fehlende Begründung stelle einen Verfahrensmangel dar, auf dem das Urteil zwingend beruhe (§ 119 Nr. 5 FGO).
Ferner sei der entscheidungserhebliche Sachverhalt entgegen § 76 FGO nicht ausreichend ermittelt und festgestellt worden.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig und durch Beschluß zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO).
Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn sie das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen hat oder wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 Abs. 1 FGO gegeben ist.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen.
Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat der erkennende Senat durch Beschluß vom heutigen Tag XI B 6/96, vorstehend abgedruckt, als unbegründet zurückgewiesen.
Zwar kann mit der zulassungsfreien Revision gerügt werden, daß das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind (§ 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO). Einen solchen Verfahrensfehler haben die Kläger jedoch nicht schlüssig gerügt. Hierfür ist erforderlich, daß die zur Begründung des Verfahrensmangels vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- den Mangel ergeben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; vgl. BFH-Beschluß vom 24. August 1990 X R 45-46/90, BFHE 161, 427, BStBl II 1990, 1032, m. w. N. aus der Rechtsprechung). Wird der Verstoß gegen Vorschriften des Prozeßrechts gerügt, auf deren Beachtung die Beteiligten verzichten können (§ 155 FGO i. V. m. § 295 Abs. 1 ZPO), muß außerdem vorgetragen werden, daß der Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde (s. auch BFH-Beschluß in BFHE 161, 427, BStBl II 1990, 1032).
Auf die Beachtung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens können die Prozeßbeteiligten verzichten (BFH-Beschluß in BFHE 161, 427, BStBl II 1990, 1032; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Anm. 37, m. w. N.). Soweit zu anderen Gerichtsverfahrensordnungen eine strengere Auffassung vertreten wird (z. B. Hanack in Löwe/Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 24. Aufl., § 337 StPO Rdnr. 271), ist das Prinzip der Öffentlichkeit in der FGO abgeschwächt.
Dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 7. September 1995 ist zu entnehmen, daß die Öffentlichkeit während der weiteren Vernehmung des Zeugen Z ausgeschlossen wurde; die gemäß § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG erforderliche Begründung enthält das Protokoll nicht. Es kann offenbleiben, ob dieser Begründungsmangel im finanzgerichtlichen Verfahren ein absoluter Revisionsgrund ist. Denn die Kläger tragen nicht vor, daß sie den Verstoß in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt hätten bzw. warum sie an einer solchen Rüge gehindert gewesen wären. Damit entspricht die Revisionsrüge nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO.
In den Fällen der zulassungsfreien Verfahrensrevision ist das Revisionsgericht auf eine Prüfung der geltend gemachten Verfahrensmängel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO beschränkt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Rdnr. 9). Mangelnde Sachaufklärung durch das FG gehört nicht dazu.
Fundstellen