Entscheidungsstichwort (Thema)
Identität einer Rechtsfrage bei der Divergenzrüge
Leitsatz (NV)
Zwar steht es der für eine erfolgreiche Divergenzrüge i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO gebotenen Identität der Rechtsfrage nicht per se entgegen, daß die gegenübergestellten Rechtssätze der Vorentscheidung und des betreffenden BFH-Urteils aus verschiedenen Steuergesetzen hergeleitet werden. So kann eine Divergenz auch dann vorliegen, wenn sich die Abweichung auf ein inzwischen geändertes oder aufgehobenes Gesetz bezieht. Erforderlich ist solchenfalls jedoch, daß der aus dem früheren Gesetz gewonnene Rechtssatz auch der neuen Rechtslage zugrundeliegt.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 3
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Zur Divergenz
Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) behauptete Abweichung der Vorentscheidung von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90 (BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381) liegt deswegen nicht vor, weil die von der Klägerin herausgearbeiteten und gegenübergestellten Rechtssätze der Vorentscheidung und des zitierten BFH-Urteils nicht dieselbe (identische) Rechtsfrage betreffen. Der in dem vermeintlichen Divergenzurteil des BFH aufgestellte Rechtssatz, daß eine gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung nach Ablauf der für sie geltenden Festsetzungsfrist nicht mehr durchgeführt oder geändert werden könne, wenn für einen oder mehrere Feststellungsbeteiligte(n) die Festsetzungsfrist für die Folgesteuer bereits abgelaufen ist, bezieht sich auf die im Streitfall unerhebliche Rechtslage nach der Abgabenordnung (AO 1977) und beschäftigt sich insbesondere mit der Auslegung des §181 Abs. 5 AO 1977. Dagegen betrifft der vom Finanzgericht (FG) aufgestellte Rechtssatz die im Streitfall gemäß Art. 97 §10 Abs. 1 und 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) anzuwendenden Verjährungsvorschriften der Reichsabgabenordnung (AO).
Zwar steht es der für eine erfolgreiche Divergenzrüge i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Identität der Rechtsfrage nicht per se entgegen, daß die gegenübergestellten Rechtssätze aus verschiedenen Steuergesetzen hergeleitet werden (vgl. z. B. Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rdnr. 163, m. w. N.). So kann eine Divergenz i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO auch dann vorliegen, wenn sich -- wie im Streitfall -- die Abweichung auf ein inzwischen geändertes oder aufgehobenes Gesetz bezieht. Erforderlich ist solchenfalls jedoch, daß der aus dem früheren Gesetz gewonnene Rechtsgrundsatz auch der neuen Gesetzeslage zugrunde liegt (vgl. z. B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rdnr. 20, m. w. N.).
Daran fehlt es im Streitfall. Die Verjährungsregelungen der AO und der AO 1977 weichen in grundlegenden Punkten voneinander ab. So war der AO die in der AO 1977 getroffene Unterscheidung zwischen Festsetzungs- und Feststellungsverjährung einerseits und Zahlungsverjährung andererseits unbekannt. Im Gegensatz zur AO 1977 kannte die AO insbesondere keine Feststellungsverjährung. Es verjährten nur die "Ansprüche des Abgabenberechtigten" (§143 AO). Der Erlaß von Verwaltungsakten, die -- wie die Gewinnfeststellungsbescheide -- kein Zahlungsgebot enthielten, unterlag daher im Prinzip keinen zeitlichen Grenzen. Nach der Verjährungssystematik der AO 1977 ist dies grundlegend anders. Deshalb gelten auch für Gewinnfeststellungsbescheide die Fristen, innerhalb derer Steuerbescheide ergehen oder geändert werden können. §181 Abs. 5 AO 1977 statuiert hiervon die Ausnahme, daß ein Gewinnfeststellungsbescheid insoweit noch ergehen kann, als er für eine unverjährte Steuerfestsetzung von Bedeutung ist. Auf diesem Ausnahmecharakter des §181 Abs. 5 AO 1977 beruht die enge Auslegung im BFH-Urteil in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381.
Demgegenüber stellte es nach der Systematik der AO die Ausnahme dar, daß die an sich unverjährbare Gewinnfeststellung wegen Zeitablaufs nicht mehr durchgeführt werden durfte. Tragender Gesichtspunkt für diese von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Rechtslage nach der AO statuierte Ausnahme war, daß an der Feststellung nach Verjährung aller von ihr abhängigen Abgabenansprüche kein Interesse mehr bestand (vgl. BFH-Urteil vom 24. Oktober 1996 IV R 50/95, BFH/NV 1997, 331, unter 3. der Gründe).
Zu Recht hat daher der BFH bereits in seinem Urteil vom 18. Juli 1990 I R 39/89 (BFH/NV 1991, 498, unter 6. der Gründe) ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Auslegung des §181 Abs. 5 AO 1977 für die Interpretation der Verjährungsvorschriften der AO ohne Bedeutung sei. Ebenso hat auch der IV. Senat des BFH in seinem Urteil in BFH/NV 1997, 331 (unter 3. der Gründe) klargestellt, daß die Rechtslage nach der AO durch sein Urteil in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381 nicht korrigiert worden sei.
Nach der gefestigten Rechtsprechung zur alten Rechtslage der AO sind -- im Unterschied zur neuen Rechtslage der AO 1977 -- gesonderte und einheitliche Feststellungen der Einkünfte grundsätzlich durchzuführen, solange sie sich bei einem Beteiligten noch auswirken können (vgl. z. B. BFH-Urteile in BFH/NV 1991, 498, unter 6.; vom 7. April 1976 I R 75/73, BFHE 119, 146, BStBl II 1976, 557; BFH-Beschluß vom 7. Dezember 1977 I B 16/77, BFHE 124, 19, BStBl II 1978, 265, unter 2., letzter Absatz der Gründe; BFH-Urteil vom 11. Februar 1988 IV R 19/87, BFHE 153, 26, BStBl II 1988, 825, unter 1.; letzter Absatz der Gründe).
Eine erfolgreiche Divergenzrüge hätte daher vorausgesetzt, daß die Klägerin eine Abweichung der Vorentscheidung von diesen, zur alten Rechtslage ergangenen BFH- Entscheidungen geltend gemacht hätte, was nicht geschehen ist.
2. Zur grundsätzlichen Bedeutung
Die Klägerin hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob eine gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung auch dann noch getroffen werden kann, wenn für einen oder mehrere Feststellungsbeteiligte(n) die Festsetzungsfrist für die Folgesteuer bereits abgelaufen ist.
Die Klägerin vermochte die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht in der nach §115 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise darzulegen. Allerdings hat die Klägerin mit Recht darauf hingewiesen, daß die Finanzverwaltung das zur Rechtslage nach der AO 1977 ergangene BFH-Urteil in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381 über den dort entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anwendet (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 24. Mai 1994, BStBl I 1994, 302). Wäre daher im Streitfall die neue Rechtslage (nach der AO 1977) maßgebend oder wäre die streitige Rechtsfrage in den Geltungsbereichen der AO und der AO 1977 nach denselben Rechtsgrundsätzen zu beurteilen, so unterlägen die Klärungsbedürftigkeit der streitigen Frage und deren schlüssige Darlegung durch die Klägerin keinem Zweifel. Jedoch beantwortet sich -- wie unter 1. ausgeführt -- die streitige Rechtsfrage nach den von der Rechtslage nach der AO 1977 grundlegend verschiedenen Vorschriften der AO. Die substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Frage hätte deshalb insbesondere erfordert aufzuzeigen, daß und warum die umfängliche Rechtsprechung des BFH zur hier einschlägigen alten Rechtslage (vgl. u. a. die Nachweise unter 1.) eine Klärung nicht herbeigeführt habe (vgl. z. B. Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Rdnr. 62, m. w. N.). Dies ist unterblieben.
3. Im übrigen wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer Begründung abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 154100 |
BFH/NV 1999, 351 |