Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmangel und fehlerhafte Adressierung eines Steuerbescheids
Leitsatz (NV)
Die Frage, ob ein Steuerbescheid einen nicht existierenden Steuerpflichtigen betrifft und deshalb nichtig ist, gehört zum materiellen Recht im revisionsrechtlichen Sinn und nicht zum Gerichtsverfahrensrecht.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ist die "Erbengemeinschaft nach Frau A als Vermieterin des Grundstücks B-Str. 1 in C".
A war im Jahre 1986 verstorben. Erben waren zu gleichen Teilen D, E und F. Mit Wirkung vom … Februar 1990 verkaufte die Miterbin F ihren Erbteil mit Erbteilskauf- und Erbteilsübertragungsvertrag an den Miterben E. Mit Übergabevertrag vom … Oktober 1994 übertrug dann E seinen Erbteil und den entgeltlich von seiner Schwester F erworbenen Erbteil auf seine drei Kinder "G, H und J in Gesellschaft bürgerlichen Rechts".
Zum bis heute ungeteilten Nachlass gehört das bebaute Grundstück B-Straße 1 in C.
Erdgeschoss und 1. Obergeschoss des Gebäudes B-Straße 1 waren schon vor dem Erbfall an die Fa. K-GmbH vermietet; an dieser GmbH war sowohl vor als auch in den Streitjahren 1990 bis 1993 der Miterbe E zu 60 v.H. beteiligt. Das 2. Obergeschoss des Gebäudes wurde für Wohnzwecke an fremde Dritte vermietet. Der gewerblich genutzte Teil des Grundstücks samt Gebäude beträgt 86,6 v.H., der zu Wohnzwecken genutzte Teil 13,4 v.H.
Steuerlich wurde die Erbengemeinschaft ursprünglich als Grundstücksgemeinschaft beim Finanzamt C-Körperschaften unter der Steuernummer … geführt. In den Steuererklärungen für die Streitjahre ist unter der Rubrik "Unternehmen/Firma" (Zeile 9 des Vordrucks USt 2 A) die "Grundstücksgemeinschaft B-Str. 1" eingetragen. Das Finanzamt C-Körperschaften hat an "D für Grundstücksgemeinschaft B-Str. 1" folgende Bescheide erlassen: …
Bei der Vermieterin fanden Außenprüfungen statt, bei denen es auch um die Frage ging, ob für ihre Veranlagung das Finanzamt C-Körperschaften oder der Beklagte und Beschwerdeführer (Finanzamt C ―FA―) zuständig sei.
Wie sich aus der Nichtzulassungsbeschwerde ergibt, schrieb das FA am 24. Mai 1994 an Steuerberater L unter dem Betreff "Grundstücksgemeinschaft B-Str. 1.":
"Sehr geehrter Herr L,
aus kassentechnischen Gründen wird die Umsatzbesteuerung der Grundstücksgesellschaft B-Str. 1 bereits ab 1. 3. 1990 unter der neuen Steuernummer der Grundstücksgesellschaft durchgeführt, was zu einer Abweichung zu den ergangenen BP-Berichten führt. Dies hat jedoch insgesamt keine steuerliche Auswirkung, da es sich lediglich um eine Verlagerung der Umsätze von der Grundstücksgemeinschaft zur Grundstücksgesellschaft handelt … ."
Das FA erließ demgemäß für die "GbR D und E Grundst. B-Str. 1" folgende Umsatzsteuerbescheide: …
Gegen alle vorgenannten Bescheide wurde Einspruch eingelegt.
Das Finanzamt C-Körperschaften hob mit Verwaltungsakt vom 7. Oktober 1999 seinen Umsatzsteuerbescheid 1990 ersatzlos auf. Zur Begründung ist ausgeführt: "Der oben genannte Umsatzsteuerbescheid wird hiermit nach § 174 Abs. 4 AO 1977 aufgehoben, weil für die Umsatzsteuerfestsetzung allein das FA zuständig ist."
Mit Einspruchsentscheidung vom 22. Dezember 1999 hat das FA den Einspruch der "Erbengemeinschaft nach Frau A als Vermieter des Grundstücks B-Str. 1 in C" wegen Umsatzsteuer 1990 bis 1993 als unbegründet zurückgewiesen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage der "Erbengemeinschaft nach A als Vermieter des Grundstücks B-Str. 1 in C, vertreten durch H" statt. Die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1990 und 1991 vom 18. Dezember 1997 bzw. 28. Oktober 1999 hätten wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr ergehen dürfen; außerdem seien alle angefochtenen Umsatzsteuerbescheide nichtig, weil sie eine nicht existierende Gesellschaft bürgerlichen Rechts beträfen. Das FG ließ die Revision gegen das Urteil nicht zu.
Hiergegen wendet sich das FA mit der vorliegenden Beschwerde, die es auf mehrere Verfahrensmängel stützt.
Die Klägerin ist der Beschwerde entgegen getreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Ein Verfahrensmangel liegt vor, wenn das FG gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts verstößt (vgl. Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschluss vom 27. Juni 2002 III B 38/02, BFH/NV 2002, 1443). Dabei ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des FG maßgebend; zum materiellen Recht im revisionsrechtlichen Sinn gehört auch die Frage, ob ein Steuerbescheid einen nicht existierenden Steuerpflichtigen betrifft und deshalb nichtig ist. Wird ein Verfahrensmangel geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer dartun, dass das FG unter Zugrundelegung seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts verstoßen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 28. Juni 2002 III B 41/02, BFH/NV 2002, 1337).
2. Die gerügte Versagung rechtlichen Gehörs i.S. des § 119 Nr. 3 FGO liegt nicht vor. Vor dem FG war streitig gewesen, ob die angefochtenen Bescheide falsch adressiert waren oder ob lediglich eine unbeachtliche Falschbezeichnung vorlag. Das FA hatte deshalb in seinem Schreiben an das FG vom 18. April 2002 wörtlich ausgeführt:
"Trotz unterschiedlicher Bezeichnung des Steuerpflichtigen in den Umsatzsteuererklärungen und der Adressaten der Umsatzsteuerfestsetzungen und der Einspruchsentscheidungen haben die beteiligten Steuerrechtsparteien darunter einzig und allein die Miterbengemeinschaft als Steuersubjekt verstanden.
Für den Fall, dass sich das Gericht dieser Sichtweise nicht anzuschließen vermag, wird um die Erteilung eines entsprechenden rechtlichen Hinweises gebeten. Für diesen Fall behält sich der Beklagte vor, dann ggf. durch die Vernehmung des steuerlichen Vertreters der Klägerin, Herrn Steuerberater L, bzw. der einzelnen Miterben der Klägerin als Zeugen, darüber eine Beweiserhebung zu beantragen, was diese unter den verwendeten unterschiedlichen Parteibezeichnungen verstanden haben."
Wenn das FG hierauf nicht näher einging, so lag dies daran, dass es meinte, die Steuerbescheide beträfen einen nicht existierenden Steuerpflichtigen, so dass die Nichtigkeit der Bescheide auch nicht durch die ordnungsgemäße Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geheilt worden sei und es unerheblich sei, ob er von dem Vertreter des "richtigen" Steuerpflichtigen als für diesen anderen Steuerpflichtigen bestimmt behandelt worden sei (vgl. S. 9 der Vorentscheidung). Nach der Rechtsauffassung des FG war also unerheblich, welche Vorstellungen Steuerberater L und die einzelnen Miterben hatten. Die Auffassung des FG mag materiell-rechtlich falsch sein; ein Verstoß gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts kann in dem gerügten Verfahren des FG nicht gesehen werden.
3. Auch die Rüge, das FG habe verfahrensfehlerhaft angenommen, das beklagte FA habe ―soweit ersichtlich― entgegen der Vorschrift des § 367 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) auf die drohende Verböserung der Umsatzsteuerveranlagung für das Jahr 1990 durch den Umsatzsteuerbescheid vom 28. Oktober 1990 nicht hingewiesen, hat keinen Erfolg.
Das FG hat den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1990 vom 28. Oktober 1990 nach den Entscheidungsgründen seines Urteils nicht wegen des Verstoßes gegen die Vorschrift des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 aufgehoben, sondern wegen Festsetzungsverjährung und Nichtigkeit des Steuerbescheids. Wird ein Urteil auf mehrere Gründe gestützt, so muss hinsichtlich einer jeden Begründung ein Zulassungsgrund vorliegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 16. Januar 1991 II B 77/90, BFH/NV 1992, 111). Hieran fehlt es jedenfalls insoweit, als das FG sein Urteil mit der Nichtigkeit des angefochtenen Steuerbescheids begründet hat (vgl. oben unter 2.).
4. Schließlich hat auch die Rüge, das FG habe das oben zitierte Schreiben des beklagten FA vom 24. Mai 1994 verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt, keinen Erfolg. Soweit das FA meint, dieses Schreiben habe auf den Ablauf der Festsetzungsfrist Einfluss, wendet es sich gegen die sachliche Richtigkeit der Vorentscheidung; nach der Beschwerdebegründung hat das FG den Inhalt des genannten Schreibens als unmaßgeblich bezeichnet. Damit scheidet schon nach der Beschwerdebegründung ein Verstoß gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts aus. Außerdem scheitert auch diese Rüge daran, dass das FG sein Urteil kumulativ begründet hat, und deshalb ein Zulassungsgrund, der nur einen der Urteilsgründe betrifft, nicht ausreicht.
Fundstellen