Leitsatz (amtlich)
1. Die Vollziehung eines angefochtenen Einkommensteuerbescheids kann ausgesetzt werden, wenn ernstlich zweifelhaft ist, ob der Erlaß eines positiven einheitlichen Feststellungsbescheids hinsichtlich im Einkommensteuerbescheid angesetzter Einkünfte zu Recht abgelehnt worden ist.
2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eines Einfamilienhauses, das zusammenzuveranlagenden Eheleuten gemeinsam gehört und von diesen teils zu eigenen Wohnzwecken und teils zu anderen - z. B. beruflichen - Zwecken genutzt wird, ohne Erlaß eines einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheids bei der Veranlagung zur Einkommensteuer ermittelt werden können.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3; EStG § 21; Einfamilienhaus-Verordnung § 3 Abs. 2; AO § 215 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 4 S. 2
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) - Eheleute - sind je zur Hälfte Eigentümer eines Grundstücks mit Wohngebäude, das zum 1. Januar 1963 bestandskräftig und zum 1. Januar 1964 noch nicht bestandskräftig als Einfamilienhaus bewertet ist. Ein Teil des Wohngebäudes wird vom Antragsteller - Ehemann - für freiberufliche Zwecke genutzt, im übrigen wird das Gebäude von den Antragstellern selbst bewohnt.
Die Antragsteller meinen, ihre Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung seien unter Berechnung des Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten zu ermitteln, da ihr Haus kein Einfamilienhaus sei und deshalb die Verordnung über die Bemessung des Nutzungswertes der Wohnung im eigenen Einfamilienhaus vom 26. Januar 1937 (Einfamilienhaus-Verordnung) nicht angewendet werden könne. Ihren Antrag, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 1962 bis 1972 einheitlich und gesondert festzustellen, lehnte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (FA) ab. Gegen die negativen Feststellungsbescheide wurde Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Das FA erließ 1975 Einkommensteuerbescheide für 1963 bis 1972, in denen die Antragsteller zusammenveranlagt wurden und ihre Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, soweit auf den Wohnbereich entfallend, nach der Einfamilienhaus-Verordnung, und soweit auf den freiberuflich genutzten Teil entfallend, unter Ansatz der anteiligen Betriebsausgaben ermittelt waren. Gegen den Einkommensteuerbescheid für 1963 wurde Sprungklage erhoben, gegen die übrigen Bescheide sind Einsprüche beim FA anhängig.
Die Antragsteller beantragten beim FG Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 1962 bis 1972 wegen der Steuerbeträge, "die bei erfolgreichem Ausgang der Klage bezüglich der Grundlagenbescheide durch die sich ergebenden Folgebescheide der Veranlagungen zur ESt usw. für die Kalenderjahre 1963 bis 1972 nicht zu entrichten wären". Später wurde klargestellt, daß auch Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 1962 begehrt wird. Das FG lehnte den Antrag ab und führte dazu im wesentlichen aus: Eine Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 1962 und 1963 sei nicht möglich, weil das Wohngebäude durch rechtskräftigen Grundlagenbescheid als Einfamilienhaus bewertet sei und deshalb die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach der Einfamilienhaus-Verordnung zu ermitteln seien. Eine einheitliche und gesonderte Feststellung dieser Einkünfte komme nicht in Betracht, weil nach § 215 Abs. 2 Satz 1 AO nur ein Überschuß festgestellt werden könne, die Einfamilienhaus-Verordnung jedoch eine Überschußrechnung nicht zulasse. Die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 1964 bis 1972 sei ebenfalls nicht auszusetzen. Zwar sei der das Wohngebäude bewertende Grundlagenbescheid für diese Jahre noch nicht bestandskräftig. Der beschließende Senat des FG könne jedoch im Aussetzungsverfahren nicht über die Bewertung des Hauses und damit über die Anwendung der Einfamilienhaus-Verordnung befinden, da hierüber ein anderer Senat zu entscheiden habe.
Mit der Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, wird geltend gemacht, der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung werde, was die Vorinstanz verkannt habe, allein darauf gestützt, daß Streit über die Notwendigkeit einer einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 1962 bis 1972 bestehe. Solche Feststellungen seien erforderlich, weil an diesen Einkünften beide Antragsteller beteiligt seien und das Wohngebäude nicht entsprechend den Eigentumsanteilen genutzt werde.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Der Vorentscheidung ist im Ergebnis darin beizutreten, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide bereits insoweit zu verneinen sind, als über die Notwendigkeit von einheitlichen und gesonderten Feststellungen gestritten wird.
Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Einkommensteuerbescheids im Hinblick auf einheitlich und gesondert festzustellende Besteuerungsgrundlagen nicht ausgeschlossen. Der Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung ist lediglich dahin gehend eingeschränkt, daß er nur insoweit gewährt werden kann, als ein im Einkommensteuerbescheid enthaltener Vorgriff auf das Ergebnis einer einheitlichen und gesonderten Feststellung vorläufig wieder beseitigt wird (vgl. BFH-Beschluß vom 1. August 1973 I B 29/73, BFHE 110, 177, BStBl II 1973, 854, mit weiteren Nachweisen). Als Vorgriff auf das Ergebnis eines Feststellungsverfahrens kann es auch angesehen werden, wenn der Einkommensteuerbescheid eine Besteuerungsgrundlage enthält, bei der noch ungewiß ist, ob sie als unselbständige Besteuerungsgrundlage behandelt werden darf oder nicht. Diese Ungewißheit besteht, wenn das FA es in einem negativen Feststellungsbescheid abgelehnt hat, die Besteuerungsgrundlage einheitlich und gesondert festzustellen und wenn über die Rechtmäßigkeit dieser Ablehnung gestritten wird. Die Vollziehung eines angefochtenen Einkommensteuerbescheids ist demnach auch dann auszusetzen, wenn ernstlich zweifelhaft ist, ob das für die Feststellung zuständige FA es zu Recht abgelehnt hat, einen positiven einheitlichen Feststellungsbescheid zu erlassen. Der Senat schließt sich insoweit der von ihm für zutreffend gehaltenen Auffassung an, wie sie im BFH-Beschluß vom 24. März 1975 IV S 22/74 (BFHE 115, 417, BStBl II 1975, 711) unter Nr. 3 der Gründe - damals allerdings nicht entscheidungserheblich - niedergelegt wurde.
Im vorliegenden Fall ist es nicht ernstlich zweifelhaft, daß das FA eine einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem hier in Rede stehenden Grundstück ablehnen durfte. Nach § 215 Abs. 2 Nr. 4 AO werden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unbeweglichen Vermögens, wenn an den Einkünften mehrere beteiligt sind, im besonderen Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung des Überschusses der Mieteinnahmen über die Werbungskosten - außerhalb der Einkommensteuerveranlagung - ermittelt. Dies gilt, wie der Senat in seinem Urteil vom 3. Februar 1976 VIII R 29/71 (BFHE 118 Nr. 31, BStBl II 1976, 396) entschieden hat, grundsätzlich auch für Einkünfte zusammenzuveranlagender Eheleute aus Vermietung und Verpachtung eines ihnen gemeinsam gehörenden Mietshauses, wenn diese Einkünfte nicht verhältnismäßig leicht zu ermitteln sind. Hingegen können Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Anwendung von § 215 Abs. 4 Satz 2 AO unmittelbar im Veranlagungsverfahren zur Einkommensteuer ermittelt werden, wenn die Ermittlung gemeinsamer Mieteinkünfte auf einem leicht überschaubaren und kurzfristigen Vorgang mit insbesondere nicht schwierigen Einnahmen-(Ausgaben-) Aufteilung nach einfachem Verteilungsschlüssel beruht (vgl. Urteil des Senats vom 26. Oktober 1971 VIII R 137/70, BFHE 104, 67, BStBl II 1972, 215) oder wenn die Verhältnisse anderweitig in leicht überschaubarer Weise so gelagert sind, daß die Ermittlung der Einkünfte hinsichtlich ihrer Höhe und ihrer Zurechnung verhältnismäßig einfach und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nahezu ausgeschlossen ist (vgl. Urteil des Senats vom 20. Januar 1976 VIII R 253/71, BFHE 117, 437, BStBl II 1976, 305). Im Urteil VIII R 253/71 hat der Senat einen Fall von geringer Bedeutung im Sinne von § 215 Abs. 4 Satz 2 AO angenommen, wenn es um die Ermittlung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung eines Zweifamilienhauses geht, das zusammenzuveranlagenden Eheleuten je zur Hälfte gehört und ausschließlich Wohnzwecken dient und die Einkünfteermittlung von dem FA vorgenommen wird, das auch für eine einheitliche und gesonderte Feststellung zuständig wäre. Es spricht nichts dagegen, die dafür maßgebenden Überlegungen auch dann gelten zu lassen, wenn es bei im übrigen gleichen Voraussetzungen um die Ermittlung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung eines Einfamilienhauses geht, das zusammenzuveranlagenden Eheleuten gemeinsam gehört und von diesen teils zu eigenen Wohnzwecken und teils zu anderen - z. B. beruflichen - Zwecken genutzt wird. Zwar kann in einem solchen Fall - entgegen den Auffassungen des FA und des FG - die Notwendigkeit der einheitlichen und gesonderten Feststellung nicht schon damit verneint werden, daß Einkünfte ganz oder zum Teil nach der Einfamilienhaus-Verordnung zu ermitteln sind; denn auch beim Ansatz von Durchschnittsätzen nach § 29 EStG sind Gewinne oder Überschüsse im Sinne des § 215 Abs. 2 Satz 1 AO zu ermitteln. In einem solchen Fall kann aber in der Regel auf einen Grundlagenbescheid verzichtet werden, weil die Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des auch zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäudes sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der Zurechnung ohne besondere Schwierigkeiten vorgenommen werden kann und die Gefahr widersprechender Entscheidungen gering ist.
Da die Vorentscheidung im Ergebnis richtig ist, bedarf es keiner weiteren Erörterungen, ob eine Aussetzung der Vollziehung in dem beantragten Umfange auch aus anderen Gründen abzulehnen war.
Fundstellen
BStBl II 1976, 596 |
BFHE 1977, 22 |