Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensfehler: unwirksames Urteil
Leitsatz (NV)
Ein Urteil leidet an einem Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO und ist unwirksam, wenn die Urteilsformel bzw. der Tenor unklar ist und auch nicht in einem bestimmten Sinne zweifelsfrei ausgelegt werden kann.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 105 Abs. 2 Nr. 3, §§ 151, 154
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 20.09.2004; Aktenzeichen 10 K 3302/01) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) beantragte die Berichtigung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1995 bis 1998 nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977). Er war der Auffassung, die in diesen Bescheiden vorgenommene Kürzung des Vorwegabzugs (§ 10 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) beruhe auf einer offenbaren Unrichtigkeit. Mit Verfügung vom 15. November 2000 lehnte der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) die begehrte Berichtigung ab. Er wies den dagegen eingelegten Einspruch mit zwei Entscheidungen vom 23. Mai 2001 (zum einen betreffend die Jahre 1995 bis 1997 und zum anderen betreffend das Jahr 1998) als unbegründet zurück.
Der Kläger erhob dagegen Klage. Die Klageschrift trägt die Überschrift "Anfechtungsklage" und enthält den Antrag, die Einkommensteuerbescheide dahin zu ändern, dass der Vorwegabzug bei den Vorsorgeaufwendungen jeweils ungekürzt zu berücksichtigen sei. Über diese Klage entschied das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 20. September 2004 mit folgendem Tenor:
"Die Einkommensteuerbescheide 1995 - 1998 vom 15.11.2000 sowie die dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen werden mit der Maßgabe geändert bzw. aufgehoben, dass eine Kürzung des Vorwegabzugs gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG nicht vorzunehmen ist."
Das FA macht mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde als Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) des FG geltend, die Urteilsformel sei so unbestimmt und fehlerhaft, dass das Urteil als unwirksam anzusehen sei. Entgegen dem Urteilstenor seien die Einkommensteuerbescheide 1995 bis 1998 nicht angefochten worden und es sei dazu auch keine Einspruchsentscheidung ergangen. Unter dem Datum 15. November 2000 seien auch keine Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre erlassen worden. Würde man davon ausgehen, dass die Einspruchsentscheidung vom 23. Mai 2001 durch das Urteil aufgehoben worden sei, wäre der Einspruch gegen den Bescheid über die Ablehnung des Änderungsantrags wieder offen. Auch erfordere eine Änderung der Einkommensteuerbescheide zunächst die Aufhebung des Bescheides über die Ablehnung des Änderungsantrags und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung. Aufgrund dieser Unklarheiten lasse sich aus dem Tenor auch durch Auslegung keine eindeutige Formel gewinnen. Das FA rügt außerdem einen Verstoß des FG gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO und eine Abweichung des angefochtenen Urteils von dem Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 19. Mai 1999 4 K 577/98 E (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 877).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Das Urteil leidet an einem Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Es ist deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).
Das angefochtene Urteil ist unwirksam, weil die Urteilsformel bzw. der Tenor (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO) unklar ist und auch nicht in einem bestimmten Sinne zweifelsfrei ausgelegt werden kann.
Der Tenor des angefochtenen Urteils ist bereits deshalb unklar, weil für die Jahre 1995 bis 1998 keine Einkommensteuerbescheide vom 15. November 2000 existieren, die das FA hätte ändern können.
Entscheidend kommt jedoch hinzu, dass auch unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, ob das FG eine Verpflichtung des FA zur Änderung der Einkommensteuerbescheide (§ 101 FGO) aussprechen oder ob es die Bescheide selbst ändern wollte (§ 100 Abs. 2 FGO). Das FG hat die als Anfechtungsklage gefassten Klageanträge der Klageschrift, die der Kläger ausweislich des Protokolls auch in der mündlichen Verhandlung gestellt hat, gleichwohl im Tatbestand des Urteils umformuliert. Danach hat der Kläger beantragt, "unter Aufhebung der Ablehnungsverfügung vom 15.11.2000 und Aufhebung der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung bei den Einkommensteuerbescheiden 1995 bis 1998 den Vorwegabzug bei den Vorsorgeaufwendungen jeweils ungekürzt zu berücksichtigen". Diese Fassung des Klageantrags lässt es als möglich, aber nicht sicher erscheinen, dass das FG von einer Verpflichtungsklage (§ 101 FGO) ausgegangen ist. In diesem Fall wäre anzunehmen, dass es den Willen hatte, das FA zur Änderung der Bescheide zu verpflichten.
Da das FG im Tenor seines Urteils jedoch nicht die Verpflichtung des FA zu einer Änderung der Einkommensteuerbescheide ausgesprochen, sondern statt dessen erklärt hat, dass die Einkommensteuerbescheide geändert werden, ist es auch denkbar, dass es die Einkommensteuerbescheide gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO ändern wollte. Dies hätte zur Folge gehabt, dass das FA nach § 100 Abs. 2 Satz 3 FGO zunächst das Ergebnis der Neuberechnung formlos hätte mitteilen und nach Rechtskraft des Urteils die Steuerbescheide mit geändertem Inhalt neu hätte bekannt geben müssen. Da das FG die Steuerberechnung jedoch weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen auf das FA übertragen hat, bleibt sein wahrer Wille unklar.
Ein Urteil, dessen Tenor die Änderung von Einkommensteuerbescheiden mit einem nicht existenten Datum ausspricht und dem auch nicht zweifelsfrei zu entnehmen ist, ob das FG das FA zu einer Änderung eines Steuerbescheides nach § 101 FGO verpflichten oder ob es dem FA lediglich eine Neuberechnung der Steuer und Bekanntgabe der Steuerbescheide mit dem neuen Inhalt (§ 100 Abs. 2 Satz 3 FGO) auferlegen will, ist keine geeignete Vollstreckungsgrundlage i.S. der §§ 151, 154 FGO. Es ist deshalb unwirksam und aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 1461756 |
BFH/NV 2006, 349 |