Entscheidungsstichwort (Thema)

Auftauchen neuer Aktiva nach Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse

 

Leitsatz (NV)

1. Nach Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse kann die Finanzbehörde ihre im Konkursverfahren ungedeckt gebliebenen oder gar nicht in das Konkursverfahren einbezogenen Steuerforderungen wieder frei von den Bindungen des Konkursrechts im Verwaltungswege vollstrecken.

2. Kommen nach Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse neue Aktiva zum Vorschein, gilt für die Vollstreckung grundsätzlich das Prioritätsprinzip, es sei denn, das Konkursgericht hätte analog §166 KO eine Nachtragsverteilung angeordnet. Eine "freiwillige Nachtragsverteilung" durch den ehemaligen Gemeinschuldner oder den ehemaligen Konkursverwalter oder durch einen bestellten Nachtragsliquidator kommt nicht in Betracht.

 

Normenkette

AO § 251 Abs. 2, § 309; HGB § 124 Abs. 2, §§ 156, 161 Abs. 2; KO § 14 Abs. 1, §§ 161, 163-164, 166, 204, 206

 

Tatbestand

I. Die Konkursverfahren über das Vermögen der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), einer GmbH & Co. KG i. L., und über das Vermögen der dazugehörigen Komplementär-GmbH wurden 1990 gemäß §204 der Konkursordnung (KO) mangels Masse eingestellt. 1992 wurde X zur Nachtragsliquidatorin der GmbH bestellt. Die Beteiligten gehen davon aus, daß X damit auch Nachtragsliquidatorin der Antragstellerin geworden ist.

Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 25. April 1996 pfändete der Beklagte (das Finanzamt -- FA --) wegen bestehender Abgabenschulden der Antragstellerin eine Forderung der Antragstellerin gegen Y über 8 000 DM, die aus einem Vergleich resultierte, den die Nachtragsliquidatorin für die Antragstellerin am 16. April 1996 mit Y abgeschlossen hatte. Y gab die Drittschuldnererklärung ab und zahlte danach vereinbarungsgemäß monatliche Ratenzahlungen an das FA.

Die Einwendungen der Antragstellerin gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung blieben erfolglos. Mit Schreiben vom 29. August 1996 teilte ihr das FA endgültig mit, nach erneuter und umfassender Prüfung werde die Verfügung nicht aufgehoben und bleibe weiterhin bestehen. Hierauf erhob die Antragstellerin Klage vor dem Finanzgericht (FG) mit dem Ziel einer Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung. Sie hält das FA nicht für berechtigt, sich durch Pfändung während der Nachtragsliquidation eine Sonderbefriedigung als Einzelgläubiger zu verschaffen. Der gepfändete Betrag sei vielmehr für eine Nachtragsverteilung im Liquidationsverfahren bereitzuhalten.

Die zur Durchführung dieser Klage beantragte Erteilung der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) hat das FG mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abgelehnt. Zwar könne die Klage nicht wegen Unzulässigkeit abgewiesen werden, weil angesichts der gesamten Umstände von der Durchführung eines Vorverfahrens mit abschließender Einspruchsentscheidung im Schreiben des FA vom 29. August 1996 auszugehen sei. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des FA vom 25. April 1996 sei aber formell und materiell rechtmäßig. Die Auffassung der Antragstellerin, eine Einzelzwangsvollstreckung sei wegen der Nachtragsliquidation nach eingestelltem Konkursverfahren unzulässig, finde im Gesetz keine Stütze. Mit der Einstellung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Antragstellerin mangels Masse hätten die nicht befriedigten Gläubiger der Antragstellerin, unabhängig davon, ob sie am Konkursverfahren teilgenommen hätten oder nicht, die Möglichkeit der unbeschränkten Geltendmachung ihrer (ungedeckt gebliebenen) Forderungen zurückgewonnen. Davon ausgeschlossen seien lediglich Vermögensgegenstände, die gemäß §166 KO der Nachtragsverteilung unterlägen. Dieser Ausnahmefall sei aber vorliegend nicht gegeben, weil das Konkursgericht eine solche Nachtragsverteilung nicht angeordnet habe. Das bloße Tätigwerden einer Nachtragsliquidatorin habe diese Wirkung nicht und hindere daher auch nicht die Einzelzwangsvollstreckung in das noch vorhandene Vermögen der Antragstellerin.

Mit der vorliegenden Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung der PKH durch das FG verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, das FG habe die Problematik des Falles verkannt und nicht gesehen, daß Bestimmungen der KO und des Handelsgesetzbuches (HGB) zueinander in Widerspruch ständen. Das Recht des Gemeinschuldners, nach Einstellung des Konkursverfahrens über die Konkursmasse wieder frei zu verfügen (§206 Abs. 1 KO), werde durch Absatz 2 dieser Vorschrift, der §164 KO für entsprechend anwendbar erkläre, eingeschränkt. Beschließe der Gemeinschuldner im Interesse der Gläubiger eine Fortsetzung der Gesellschaft und möchte er, gestützt auf §§144 ff. HGB, eine Nachtragsverteilung gemäß §166 Abs. 2 KO vornehmen, so werde er an einer gleichmäßigen Verteilung durch §164 KO gehindert. Das Recht müsse dahin geändert werden, daß zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger während einer Dauer von drei oder fünf Jahren nach Einstellung des Konkursverfahrens nach §204 KO keine Einzelzwangsvollstreckung erfolgen dürfe. Zu dieser grundsätzlichen Problematik müsse der Bundesfinanzhof (BFH) eine Entscheidung treffen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Der Antragstellerin kann, wie von der Vorinstanz zutreffend entschieden, PKH nicht gewährt werden, weil es an dem Bewilligungserfordernis der hinreichenden Erfolgsaussicht für das Klageverfahren fehlt (§142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i.V.m. §114 der Zivilprozeßordnung).

Richtig ist das FG davon ausgegangen, daß mit der Einstellung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Antragstellerin mangels Masse (§204 KO) im Jahre 1990 die Antragstellerin als Gemeinschuldnerin dieses Verfahrens das Recht zurückerlangt hat, über die Konkursmasse frei zu verfügen (§206 Abs. 1 KO, vgl. Senatsbeschluß vom 8. August 1995 VII R 25/94, BFH/NV 1996, 13). Umgekehrt werden grundsätzlich auch die Konkursgläubiger von den bisherigen Beschränkungen in der Geltendmachung ihrer Rechte entbunden. Sie können gemäß §206 Abs. 2 KO in entsprechender Anwendung des §164 Abs. 1 KO ihre Forderungen gegen den Schuldner, soweit diese im Konkursverfahren ungedeckt geblieben sind oder, wie im Falle des FA, nicht in das Konkursverfahren einbezogen waren, unbeschränkt geltend machen (vgl. Kilger/K. Schmidt, Konkursordnung, 17. Aufl. 1997, §164 Anm. 1). Gleichzeitig wird damit die während der Dauer des Konkursverfahrens verbotene Einzelzwangsvollstreckung zugungsten einzelner Gläubiger (§14 Abs. 1 KO) wieder zulässig. Auch der öffentlich-rechtliche Vollstreckungsgläubiger kann dann seine Steuerforderungen wieder frei von den Bindungen des Konkursrechts im Verwaltungswege vollstrecken (§251 Abs. 2 der Abgabenordnung -- AO 1977 --).

Diese Rechtswirkungen der Beendigung des Konkursverfahrens treten allerdings dann nicht ein, wenn ein Fall der Nachtragsverteilung gemäß §166 KO gegeben ist, denn dann bleibt die konkursrechtliche Bindung auch in Anbetracht solcher Gegenstände, die erst nach Beendigung des Konkursverfahrens als zur Konkursmasse gehörig ermittelt werden, bestehen (§164 Abs. 2 KO). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt diese Möglichkeit aber im Streitfall nicht in Betracht. Denn eine Nachtragsverteilung "nach dem Vollzuge der Schlußverteilung" (vgl. §166 KO) ist nur möglich bei Aufhebung des Konkursverfahrens gemäß §163 KO nach Schlußverteilung (§161 KO), nicht aber in den Fällen der Verfahrenseinstellung nach §204 KO (vgl. BFH-Beschluß vom 23. August 1993 V B 135/91, BFH/NV 1994, 186, m.w.N.). Nach dieser auf den Wortlaut und die systematische Stellung des §166 KO gestützten herrschenden Ansicht ist, wenn nach Verfahrenseinstellung neue Aktiva zum Vorschein kommen, zum Zwecke der Verteilung nur die Eröffnung eines neuen Konkursverfahrens nach den allgemeinen Vorschriften möglich.

Selbst wenn man mit einer im Vordringen befindlichen Ansicht (vgl. Kilger/K. Schmidt, a.a.O., §166 Anm. 4 unter Hinweis auf Landgericht Oldenburg, Beschluß vom 25. September 1991 6 T 495/91, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1992, 200, mit zustimmender Anmerkung von Pape, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 1992, 177) eine entsprechende Anwendung des §166 KO auf den Fall der Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse nach §204 KO bejahen würde, hätte dies auf die Entscheidung des Streitfalls keine Auswirkungen. Denn auch die entsprechende Anwendung des §166 KO setzt zumindest voraus, daß eine Anordnung des Konkursgerichts hinsichtlich der Nachtragsverteilung eingeholt und/oder erteilt worden ist. Das ist im Streitfall nicht geschehen. Infolgedessen kann es hier gar nicht zu einer Nachtragsverteilung i.S. des §166 KO unter Aufsicht des Konkursgerichts, dem über Verwaltung und Verteilung nachträglich zur Masse gezogenen Vermögens Rechnung abzulegen wäre, kommen. Eine "freiwillige Nachtragsverteilung" durch den Gemeinschuldner, den ehemaligen Konkursverwalter oder, wie im Streitfall, einen etwa bestellten Nachtragsliquidator ist vom Gesetz zu Recht nicht vorgesehen, da mangels Kontrolle durch das Konkursgericht nicht ausgeschlossen werden kann, daß einzelne Gläubiger bei der Verteilung benachteiligt werden. Deshalb ist in einem solchen Fall das der Einzelzwangsvollstreckung zugrundeliegende Prioritätsprinzip wiederum eher geeignet, die Interessen der Gläubiger des Vollstreckungsschuldners zu wahren. Der Senat ist an dieses Recht, das seiner Ansicht nach mit dem Grundgesetz vereinbar ist, gebunden, und es kommt nicht darauf an, wie dieses Recht sein könnte bzw. nach Auffassung der Antragstellerin vernünftigerweise sein müßte.

Zutreffend hat das FG auch erkannt, daß die Möglichkeit der Einzelzwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen der Antragstellerin, einer GmbH & Co. KG, durch eine Liquidation nicht berührt wird (§161 Abs. 2 i.V.m. §124 Abs. 2 und §156 HGB, vgl. auch Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 29. Aufl. 1995, §156 Rz. 4). Die Bestellung von X zur Nachtragsliquidatorin der GmbH, die auch für die Antragstellerin wirkt (vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1997, §56 VI 1 b), läßt damit die Befugnis der Gläubiger der Antragstellerin zur Einzelzwangsvollstreckung in noch existentes Gesellschaftsvermögen unberührt.

Da mithin die angefochtene Pfändungs- und Einziehungsverfügung (§309 AO 1977) des FA frei von konkursrechtlichen Bindungen ergehen durfte und auch keine Anhaltspunkte für eine formelle oder materielle Rechtswidrigkeit dieser Verfügung ersichtlich sind, konnte die Beschwerde der Antragstellerin mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache keinen Erfolg haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67528

BFH/NV 1998, 1188

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