Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zulässigkeit einer Anhörungsrüge und Begründetheit einer Gegenvorstellung
Leitsatz (NV)
1. Die Darlegung der Voraussetzungen des § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGO erfordert einen substantiierten Vortrag, aus dem hervorgeht, dass das Gericht den Anspruch des Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die bloße Behauptung, das Gericht habe in der Begründung seiner Entscheidung die in der Beschwerdeschrift erwähnten Ansichten maßgebender Kommentatoren übergangen, reicht hierzu nicht aus.
2. Es stellt keine willkürliche Rechtsanwendung dar, wenn das Gericht der bloßen Wiedergabe einer angeblichen Äußerung einer vom eigentlichen Zustellungsempfänger verschiedenen Person die Anerkennung als Gegenbeweis versagt, mit dem die Unrichtigkeit des Inhalts einer Postzustellungsurkunde belegt werden soll.
3. Offensichtliche Willkür ist auch nicht darin zu sehen, dass das Gericht einen in einer BFH-Entscheidung zu einer bereits außer Kraft getretenen Vorschrift des VwZG aufgestellten Rechtssatz nicht auf den Streitfall übertragen und stattdessen auf die aktuelle Rechtslage nach § 189 ZPO abgestellt hat.
Normenkette
FGO § 133a; ZPO § 189; VwZG § 9 Abs. 2
Tatbestand
I. Mit Beschluss vom 16. Juni 2005 VII B 138/04 hat der Senat die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) München vom 26. Mai 2004 3 K 1999/02 als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 18. August 2005 gemäß § 133a der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Anhörungsrüge erhoben. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, die Schlussfolgerung des Senats, dass ihrem Beschwerdevorbringen eine nicht ordnungsgemäße Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht zu entnehmen sei, erscheine willkürlich und nicht nachvollziehbar. Offensichtlich willkürlich sei auch die Annahme, dass die Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften im Streitfall nach § 189 der Zivilprozessordnung (ZPO) geheilt worden sei. Im Übrigen hätten sich die diesbezüglichen Rügen nicht auf die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils, sondern auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung bezogen. Ferner möge der Senat nochmals seine rechtliche Würdigung überdenken, nach der ein Hinweis auf eine Beratungsdauer von maximal 11 Minuten zur Darlegung eines Verfahrensmangels nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht ausreichend sei. Schließlich habe der Senat verkannt, dass der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage, was unter dem mineralölsteuerrechtlichen Begriff des Verheizens zu verstehen sei, eine grundsätzliche Bedeutung zukomme. Entgegen der Rechtsansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ergebe sich die Antwort nicht aus dem Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Eingabe der Klägerin ist zunächst als Anhörungsrüge i.S. von § 133a FGO zu werten. Diese Vorschrift ist durch Art. 10 Nr. 2 des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (AnhRüG) vom 9. Dezember 2004 (BGBl I, 3220) in die FGO aufgenommen worden und hat mit Wirkung ab 1. Januar 2005 (vgl. Art. 22 Satz 2 AnhRüG) die zuvor gültige Regelung des § 155 FGO i.V.m. § 321a ZPO abgelöst. Die Rüge zielt auf die Fortführung des Verfahrens vor dem Gericht ab, das die beanstandete Entscheidung, gegen die ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf nicht gegeben ist, erlassen hat, sofern durch das Gericht der Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist. Einen solchen Verfahrensverstoß hält die Klägerin der beanstandeten Entscheidung entgegen. Dabei versteht der Senat ihren Antrag dahin gehend, dass sie mit der Anhörungsrüge das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde fortführen möchte, um unter Aufhebung der beanstandeten Entscheidung des BFH eine Zulassung der Revision zu erreichen.
2. Die Anhörungsrüge ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 133a Abs. 4 Satz 2 FGO), denn der vermeintliche Verfahrensverstoß liegt nicht vor.
Die Ausführungen der Klägerin richten sich ausdrücklich gegen rechtliche Würdigungen des beschließenden Senats, mit denen die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet abgewiesen worden ist. Es ist nicht erkennbar, in welcher Weise das Gericht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt haben soll. Auch die bloße Behauptung, in der Entscheidung seien die in der Beschwerde erwähnten Ansichten maßgebender Kommentatoren aus der Zollverwaltung schlicht übergangen worden, vermag eine Verletzung des Gehörsanspruchs nicht zu belegen. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind jedoch nicht verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen (vgl. z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 1995 1 BvR 1463/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 153, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 15. Juni 1994 II B 172/93, BFH/NV 1995, 131).
3. Soweit die Klägerin nicht die Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern einen Verstoß gegen das Willkürverbot rügt, ist ihre Eingabe als Gegenvorstellung im bisher verstandenen Sinne zu würdigen. Durch die Schaffung und nähere Ausgestaltung der Anhörungsrüge in allen Verfahrensordnungen sollte das Institut der Gegenvorstellung nicht ausgeschlossen werden (vgl. BTDrucks 663/04, S. 33, und Senatsbeschluss vom 13. Januar 2005 VII S 31/04, BFH/NV 2005, 898).
Ein von der Klägerin behaupteter Verstoß gegen das Willkürverbot liegt jedoch nicht vor. Ein solcher wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des Gerichts unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erschiene und jeder gesetzlichen Grundlage entbehren würde (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., Vor § 115 Tz. 28, m.w.N.). Entgegen dem Vorbringen der Klägerin liegen diese Voraussetzungen im Streitfall nicht vor.
a) Die in der Entscheidung vertretene Rechtsansicht, dass die bloße Wiedergabe einer Bekundung einer Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Unrichtigkeit der von einem Postbediensteten in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsache der Übergabe eines Schriftstückes nicht belegen könne, ist nach Ansicht des beschließenden Senats durchaus nachvollziehbar. Denn die Postzustellungsurkunde begründet nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung den vollen Beweis darüber, dass die gesetzlichen Zustellungsvorschriften beachtet worden sind. Dieser Beweis kann nur durch einen Gegenbeweis erschüttert werden. Es liegt auf der Hand, dass als Gegenbeweis nicht jedes Vorbringen einer Partei anerkannt werden kann. Sofern es auf die Wahrnehmungen und Bekundungen einer vom Empfänger verschiedenen Person ankommt, stellt es jedenfalls keine willkürliche Rechtsanwendung dar, wenn der bloßen Wiedergabe einer angeblichen Äußerung dieser Person eine Anerkennung als Gegenbeweis versagt wird. Bei dieser Betrachtungsweise kann es dahingestellt bleiben, wie die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung zu beurteilen wäre, die der Senat in der BFH-Entscheidung vom 2. Juni 1987 VII R 36/84 (BFH/NV 1988, 170) lediglich als Mittel der Glaubhaftmachung angesehen und als unmittelbares Beweismittel zurückgewiesen hat.
b) Nicht nachvollziehbar ist die Behauptung der Klägerin, die Logik der Beweiswürdigung hinsichtlich der fehlenden Angabe des Aktenzeichens und der fehlenden Bezeichnung des Schriftstücks auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks würde sich auch bei mehrmaligem Lesen deshalb nicht erschließen, weil es im Zustellungsstreit allein um die Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung und nicht um die Zustellung des Urteils gehe. Denn dieses Vorbringen steht im Widerspruch zu dem eindeutigen Inhalt der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Dort wird auf Seite 3 ausgeführt: "Dies zu den Fakten der 'Zustellung' des angefochtenen Urteils. Sie entspricht in diesen Details, jedenfalls bezüglich des fehlenden Aktenzeichens und fehlender Bezeichnung der zugestellten Schriftstücke" (gemeint ist das FG-Urteil und das Verhandlungsprotokoll), "weder der heute üblichen Praxis der Finanzgerichte noch den insoweit (strengen) Erfordernissen der einschlägigen BFH-Rechtssprechung". In einem nachfolgenden Schriftsatz wird ergänzend ausgeführt: "Zum anderen ist, aus dem (gleichen) Grunde die Postzustellung (fehlende Kennzeichnung des Zustellungs-Umschlags, insbesondere fehlendes Aktenzeichen und fehlende Kennzeichnung der Art des zuzustellenden Schriftstückes) unzulänglich, das angefochtene Urteil deshalb auch als unheilbar nicht wirksam zugestellt." In Anbetracht des insoweit eindeutigen Vorbringens der Klägerin war es im Rahmen der Entscheidungsfindung geboten, auf die Rechtsprobleme im Zusammenhang mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils einzugehen. Folgerichtig entspricht der Hinweis auf § 189 ZPO auch der inneren Logik der Entscheidungsbegründung.
c) Die von der Klägerin unterstellte offenkundige Willkür vermag der Senat auch nicht darin zu erblicken, dass er die von der Klägerin aufgezeigten Zustellungsmängel nach § 189 ZPO als mit dem tatsächlichen Erhalt des Urteils geheilt angesehen und insoweit das Senatsurteil vom 25. November 1997 VII R 79/96 (BFH/NV 1998, 1101) nicht auf den Streitfall übertragen hat. Die Klägerin übersieht bei ihrer Argumentation, dass sich diese Entscheidung auf § 9 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes bezogen hat, der mit Wirkung vom 1. Juli 2002 durch Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 des Zustellungsreformgesetzes (BGBl I 2001, 1206) aufgehoben worden ist. Im Gegensatz zu § 189 ZPO sah diese Vorschrift ausdrücklich keine Heilungsmöglichkeit für Zustellungsmängel vor, wenn mit der Zustellung eine Frist für die Erhebung einer Klage, eine Berufungs-, Revisions- oder Rechtsmittelbegründungsfrist in Gang gesetzt worden ist.
d) Hinsichtlich der im angefochtenen Beschluss als nicht klärungsbedürftig eingestuften Rechtsfrage, was unter dem mineralölsteuerrechtlichen Begriff des Verheizens zu verstehen sei, gibt die Beschwerde die Entscheidungsbegründung nur unvollständig wieder. Entgegen der Darstellung der Klägerin hat der Senat bei der Ablehnung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht nur darauf abgestellt, dass sich die Antwort ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt, sondern auch darauf, dass sie offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat (Senatsbeschlüsse vom 2. März 2004 VII B 211/03, BFHE 205, 361, und vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232). In der Begründung seiner Entscheidung hat der Senat ausdrücklich auf die zweite Alternative verwiesen und ausgeführt, dass die Verbrennung von Erdgas zur Übertragung der damit gewonnenen Wärme auf Heizschlangen, die ihrerseits die Wärmeenergie zur Dampferzeugung auf Wasser übertragen, ein die Steuerfreiheit ausschließendes Verheizen darstellt. Entgegen der Ansicht der Klägerin weist der Umstand, dass diese Rechtsansicht mit sieben BFH-Entscheidungen belegt worden ist, nicht auf eine unklare Rechtslage hin, sondern auf die Sorgfalt der Entscheidungsfindung und die Eindeutigkeit des gefundenen Ergebnisses, das der ständigen Rechtsprechung des BFH entspricht. Deshalb ist die Verneinung der Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage in jeder Hinsicht nachvollziehbar und frei von Willkür.
4. Für diese Entscheidung ist eine Gebühr in Höhe von 50 € zu erheben (vgl. Anlage 1 --Kostenverzeichnis-- zum Gerichtskostengesetz i.d.F. von Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004, BGBl I, 718, Teil 6 Gebühr Nr. 6400 i.d.F. von Art. 11 Nr. 7 Buchst. h AnhRüG).
Fundstellen
BFH/NV 2006, 104 |
BFH/NV 2006, 105 |