Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine außerordentliche Beschwerde gegen ablehnenden Aussetzungsbeschluss bei Möglichkeit eines Änderungsantrags nach § 69 Abs. 6 FGO oder eines erneuten Aussetzungsantrags
Leitsatz (NV)
- Lehnt das Finanzgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab, ohne die Beschwerde zuzulassen, kann dagegen außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit nur eingelegt werden, wenn die geltend gemachten Einwände nicht durch einen Antrag auf Änderung nach § 69 Abs. 6 FGO oder einen erneuten Aussetzungsantrag geltend gemacht werden können.
- Zu den mit einem Antrag nach § 69 Abs. 6 FGO geltend zu machenden Umständen gehört auch der Einwand, das Finanzgericht habe den Aussetzungsantrag wegen fehlender Begründung vor Ablauf der zugesagten Verlängerung einer Ausschlussfrist (zur Vorlage der Begründung) abgelehnt.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 6
Gründe
1. Die Beschwerde ist unzulässig.
a) Die Finanzgerichtsordnung (FGO) sieht eine Beschwerde gegen Beschlüsse über die Ablehnung von Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) nicht vor, wenn sie nicht ―wie im Streitfall― ausdrücklich vom Finanzgericht (FG) zugelassen worden ist; eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung ist ebenfalls nach § 128 Abs. 3 FGO unstatthaft (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 26. Januar 1998 VII B 215/97, BFH/NV 1998, 866, 867; vom 19. Februar 1998 III B 1/98, BFH/NV 1998, 1228, m.w.N.). Gleichwohl lässt die Rechtsprechung in Ausnahmefällen eine sog. "außerordentliche Beschwerde" gegen unanfechtbare Entscheidungen wegen "greifbarer Gesetzwidrigkeit" (vgl. BFH-Beschluss vom 26. August 1991 IV B 135/90, BFH/NV 1992, 509, 510) bzw. wegen "schwerwiegender" Verletzungen von Verfahrensvorschriften oder wegen "offensichtlich" gesetzwidriger Gesetzesauslegung zu (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. November 1994 VII B 144/94, BFH/NV 1995, 791, und in BFH/NV 1998, 866).
b) Die Mitwirkung des vom Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) als befangen abgelehnten Richters führt allerdings nicht zur Zulässigkeit der außerordentlichen Beschwerde. Denn eine außerordentliche Beschwerde wegen offenkundig falscher Besetzung des Gerichts bei der Entscheidung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. April 1989 II B 177/88, BFH/NV 1990, 576; vom 8. April 1997 IX B 4/97, BFH/NV 1997, 699) würde jedenfalls eine "falsche Besetzung" durch Mitwirkung eines bereits ausgeschlossenen Richters im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung voraussetzen (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 5. Dezember 1967 VII B 21/66, BFHE 90, 285, BStBl II 1969, 6) und kommt damit nicht in Betracht, wenn ―wie im Streitfall― der Befangenheitsantrag erst nach der gerichtlichen Entscheidung gestellt wurde (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1999 IV B 146/99, BFH/NV 2000, 413).
c) Das FG hat den Aussetzungsantrag wegen unzureichender Begründung durch seinen Beschluss vom 22. Juni 2001 als unzulässig verworfen, obwohl es dem Antragsteller eine Frist zur Stellungnahme zu einem Schriftsatz des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) bis zum 30. Juni 2001 gesetzt sowie die Antragsbegründungsfrist ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt stillschweigend verlängert hatte; die Geschäftsstelle des FG hatte dem Antragsteller mitgeteilt, er könne von der Gewährung der am 19. Juni 2001 beantragten Fristverlängerung für die Antragsbegründung (bis zum 30. Juli 2001) ausgehen. Ob dies eine "greifbare Gesetzwidrigkeit" der angefochtenen Entscheidung wegen Verletzung rechtlichen Gehörs ―entsprechend der Auffassung des FG in seinem Nichtabhilfebeschluss (a.A. BFH-Beschlüsse vom 7. Januar 2000 VII B 292/99, BFH/NV 2000, 481; vom 22. November 2000 I B 106/00, BFH/NV 2001, 619, m.w.N.)― oder wegen Verstoßes gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens (vgl. Senatsurteil vom 16. März 1999 X R 41/96, BFHE 188, 528, BStBl II 1999, 565, m.w.N.) ist, kann dahinstehen.
Für die außerordentliche Beschwerde besteht nämlich kein Rechtsschutzinteresse, wenn der Beschwerdeführer bereits im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfe die Möglichkeit hat, die mit der Beschwerdebegründung vorgetragenen Tatsachen durch einen Antrag auf Änderung des ablehnenden Aussetzungsbeschlusses nach § 69 Abs. 6 FGO oder durch einen erneuten Aussetzungsantrag geltend zu machen (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Januar 2000 I B 119/99, BFH/NV 2000, 858; Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Oktober 1999 5 AZB 21/99, BAGE 92, 326).
Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben.
Nach § 69 Abs. 6 Satz 1 und 2 FGO ist ein Beteiligter befugt, die Änderung oder Aufhebung eines zu einem AdV-Antrag ergangenen Gerichtsbeschlusses zu beantragen, wenn er sich auf veränderte oder im früheren Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände beruft (BFH-Beschlüsse vom 25. Oktober 1994 VIII B 101/94, BFH/NV 1995, 611, 612 f.; vom 25. März 1998 IX S 27/97, BFH/NV 1998, 1115; vom 17. März 1999 X S 13/98, BFH/NV 1999, 1348; a.A. Gosch in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 FGO Rz. 331: Änderung durch das Gericht nach Satz 1 auch ohne das Vorliegen der Voraussetzungen des Satzes 2).
Die erst mit der außerordentlichen Beschwerde vorgetragene Begründung für den Antrag auf Aussetzung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids für 1994 enthält zwar keine veränderten Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 1. Alternative FGO, weil sie sich ausschließlich in einer Bezugnahme auf den Vortrag des Antragstellers im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren vor Anhängigkeit des Aussetzungsverfahrens erschöpft.Aber die Nichtvorlage der Antragsbegründung im Zeitpunkt der Entscheidung des FG über den Aussetzungsantrag (am 22. Juni 2001) war schuldlos i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 2. Alternative FGO, weil der Antragsteller mit einer Entscheidung des FG über sein Aussetzungsbegehren nicht vor dem 30. Juni 2001 rechnen musste.
Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller auf die Mitteilung der Geschäftsstelle des FG hätte vertrauen dürfen, dass ihm die ―weiter gehende― beantragte stillschweigende Fristverlängerung bis zum 30. Juli 2001 gewährt würde (zur Erheblichkeit des Verhaltens der Geschäftsstelle des Gerichts für die Frage des Verschuldens vgl. Senatsurteil vom 25. August 1999 X R 9/98, BFH/NV 2000, 569).
2. Eine Kostenentscheidung ist mangels gesetzlicher Grundlage im außerordentlichen Beschwerdeverfahren nicht zu treffen (BFH-Beschlüsse vom 27. Dezember 1994 X B 124/93, BFH/NV 1995, 534; vom 15. März 1999 V S 5/99, BFH/NV 1999, 1228).
Fundstellen
Haufe-Index 726099 |
BFH/NV 2002, 930 |