Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine grundsätzliche Bedeutung bei ausgelaufenem Recht
Leitsatz (NV)
Der Frage, ob das HZA bei der Nachforderung von Zoll trotz der Änderungsbefugnis nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 im Einspruchsverfahren auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung hinweisen muß (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977), kommt jedenfalls seit 1. Juli 1980 keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu, da die Nacherhebung von Zoll seit diesem Zeitpunkt nach dem Gemeinschaftsrecht nicht mehr von einer Änderung entsprechender Zollbescheide abhängig ist.
Normenkette
NacherhebungsVO Art. 2; AO 1977 § 172 Abs. 1 Nr. 1, § 367 Abs. 2 S. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ließ 1974/75 bei dem beklagten und beschwerdeführenden Hauptzollamt (HZA) Süßwaren zum freien Verkehr abfertigen. Mit Steueränderungsbescheid ... setzte das HZA den Zoll für diese Einfuhren endgültig auf ... DM fest, was eine Erhöhung um ... DM gegenüber den bei der Abfertigung ergangenen Bescheiden bedeutete. Im Einspruchsverfahren korrigierte das HZA die Zollwerte und setzte den Zoll um weitere ... DM herauf.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt zwar den Steueränderungsbescheid vom ... für rechtmäßig, erkannte aber, daß das HZA in seiner Entscheidung über den Einspruch gegen diese endgültige Steuerfestsetzung keine Verböserung hätte vornehmen dürfen, weil es die Klägerin auf diese Möglichkeit nicht zuvor nach § 367 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) hingewiesen habe.
Mit seiner Beschwerde begehrt das HZA die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Grundsätzliche Bedeutung komme der Rechtsfrage zu, ob in Fällen, in denen die Finanzbehörde unabhängig von dem eingelegten Einspruch zu Änderungen der Steuerfestsetzung befugt sei (hier nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, Art. 2 der Verordnung - EWG - Nr. 1697/79 -NacherhebungsVO -), der unterbliebene Hinweis auf die Möglichkeit einer verbösernden Einspruchsentscheidung für sich allein die Aufhebung der Einspruchsentscheidung in dem entsprechenden Umfang durch das FG rechtfertigen könne. Das Urteil des FG beruhe insoweit auf einer unzutreffenden Auslegung des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977. Greife die Rechtsauffassung des FG durch, sei die Anwendung von § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sowie von Art. 2 NacherhebungsVO in dem vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vorgesehenen Umfang in Frage gestellt.
Die Klägerin ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig; das Vorbringen des HZA erfüllt nicht die Mindestanforderungen an die gesetzlich vorgeschriebene Begründung.
Die nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderliche Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muß erwarten lassen, daß eine Entscheidung im angestrebten Revisionsverfahren geeignet ist, im Hinblick auf weitere Streitfälle Rechtsklarheit zu schaffen, zur Wahrung der Rechtseinheit beizutragen oder die Rechtsfortbildung zu fördern. Es muß also über den vorgelegten konkreten Fall hinaus ein Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt sein (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Februar 1987 III B 151/86, BFHE 148, 530, 532, BStBl II 1987, 339; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 115 Anm. 7, m.w.N.).
Das HZA hat nicht dargelegt, daß diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind. Es hat lediglich die unzutreffende Auslegung des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 durch das FG gerügt und vorgebracht, daß damit die Anwendung des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sowie des Art. 2 der NacherhebungsVO in dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Umfang in Frage gestellt sei. Dieses Vorbringen und die zur weiteren Begründung hierzu gemachten Ausführungen gehen über eine Rüge der Verletzung materiellen Rechts nicht hinaus. Es entspricht aber ständiger Rechtsprechung, daß auf die bloße Rüge der Verletzung materiellen Rechts eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision nicht gestützt werden kann (s. zuletzt BFH-Beschluß vom 16. Februar 1993 III B 219/92, BFH/NV 1993, 613; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 62).
Allerdings ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, daß von einer Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung dann abgesehen werden kann, wenn diese offenkundig ist und das Verlangen, konkrete Angaben zur Grundsätzlichkeit der Sache zu machen, eine unnötige Förmelei bedeutete (BFH-Beschlüsse vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725, und vom 18. August 1992 VII B 227/91, BFH/NV 1993, 312, 313; vgl. auch Schuhmann, Die Nichtzulassungsbeschwerde aus der Sicht des Bundesfinanzhofs, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1992, 28, 30).
Im Streitfall ist die grundsätzliche Bedeutung jedoch nicht offenkundig; sie drängt sich nicht auf. Selbst wenn man davon ausgeht, daß gute Gründe für die Rechtsauffassung des HZA und damit für die Fehlerhaftigkeit des FG-Urteils sprechen, führt dies unter den gegebenen Umständen nicht zur Zulassung einer Grundsatzrevision. Entscheidend hierfür ist, daß es sich bei der für den Streitfall aufgeworfenen Frage des Zusammenspiels der §§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 und 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 um ein Problem ausgelaufenen Rechts handelt.
Die Nachforderung von Zoll ist seit dem 1. Juli 1980 auf Grund Gemeinschaftsrechts nicht mehr von einer Änderung entsprechender Zollbescheide (§ 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) abhängig. Soweit es um die Erhebung von aus irgendeinem Grunde noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangsabgaben geht, wird diese nationale Vorschrift seitdem durch die Bestimmungen der NacherhebungsVO überlagert (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 erster Unterabsatz und Art. 11 NacherhebungsVO). Schon hieraus folgt, daß das angefochtene FG-Urteil, das, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch nach den Umständen zu altem Recht entschieden hat, nicht ohne weiteres auf das neue Recht und damit auf das Zusammenspiel von § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 mit Art. 2 NacherhebungsVO übertragen werden kann (vgl. dazu auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 172 AO 1977 Tz. 3). Zwar hat sich das HZA in seiner Beschwerde auch auf Art. 2 NacherhebungsVO berufen; hierzu hat das FG jedoch nicht entschieden, so daß das Verhältnis dieser Vorschrift zu § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre.
Da im Streitfall somit ausgelaufenes Recht maßgeblich ist, ist es hier, anders als in BFHE 153, 378 von vornherein gerade nicht offenkundig, daß die aufgeworfene Rechtsfrage noch für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen von erheblicher Bedeutung ist und deswegen eine höchstrichterliche Entscheidung notwendig erscheint (BFH/NV 1993, 312, 313). Das HZA hätte daher im Streitfall zumindest darlegen müssen, daß die Befassung der Revisionsinstanz mit altem Recht im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung von Verwaltung und Gerichten in einer nicht völlig unerheblichen Anzahl von Fällen dennoch geboten ist (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 12, m.w.N.).
Die Beschwerde kann auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Abweichung (i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) des FG-Urteils von dem BFH-Urteil vom 10. November 1989 VI R 124/88 (BFHE 159, 405, BStBl II 1990, 414) keinen Erfolg haben. Die Beschwerdebegründung führt zwar dieses Urteil an, läßt aber die erforderliche Gegenüberstellung der divergierenden Rechtssätze vermissen, so daß eine Abweichung nicht erkennbar ist. Damit sind die an die Bezeichnung der Divergenz nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, 153, BStBl II 1983, 479).
Fundstellen
Haufe-Index 419527 |
BFH/NV 1994, 835 |