Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung zur Steuerberaterprüfung: "abgeschlossenes" Universitätsstudium; einstweilige Anordnung: Vorwegnahme der Hauptsache
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Universitätsstudium ist in dem Zeitpunkt "abgeschlossen", in dem eine nach dem einschlägigen Ausbildungsrecht und Prüfungsrecht zur Feststellung des Studienerfolges vorgesehene Prüfungsentscheidung ergangen ist. Vor Ergehen der Prüfungsentscheidung ist das Studium auch dann nicht abgeschlossen, wenn das Prüfungsrecht dem Prüfungskandidaten die Wahl läßt, sich von der Teilnahme an weiteren Prüfungsabschnitten befreien zu lassen, es sei denn, der Prüfungskandidat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
2. Es bleibt offen, ob ein Grund für eine einstweilige Anordnung auf Zulassung zur Steuerberaterprüfung wegen Vorwegnahme der Hauptsache auch dann verneint werden kann, wenn dem Antragsteller in diesem Fall droht, sein angebliches Recht auf Teilnahme an einer bestimmten Steuerberaterprüfung endgültig nicht durchsetzen zu können.
Orientierungssatz
1. Der vom Senat für geboten erachteten Auslegung steht das Grundrecht des Bewerbers aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht entgegen.
2. Eine bereits während des Universitätsstudiums aufgenommene praktische Tätigkeit ist auf die Drei-Jahres-Frist des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG nicht anzurechnen (vgl. BFH-Urteil vom 9.2.1965 VII 284/64).
3. Eine Regelungsanordnung, durch die die Verpflichtung ausgesprochen wird, einen Bewerber vorläufig zur Steuerberaterprüfung zuzulassen, darf grundsätzlich nicht ergehen, weil sie das Ergebnis des Hauptsacheprozesses in unzulässiger Weise vorwegnehmen würde. Eine solche Regelungsanordnung ist nur ausnahmsweise unter erschwerten Voraussetzungen zulässig, wenn der Anordnungsgrund eine "besondere Intensität" hat, weil die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Antragstellers unmittelbar bedroht, der Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung also unumgänglich ist (hier: bloße Verzögerung der Zulassung zur Steuerberaterprüfung um ein Jahr).
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1 S. 2; StBerG § 36 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) erhebt Anspruch, zu der am 6. Oktober 1998 beginnenden Steuerberaterprüfung vom Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzministerium --FinMin--) zugelassen zu werden; er meint, in diesem Zeitpunkt von den Zulassungsvoraussetzungen nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) auch die einer dreijährigen praktischen Tätigkeit nach abgeschlossenem Studium erfüllt zu haben.
Der Antragsteller hat ein Universitätsstudium mit dem Ziel der Diplomprüfung absolviert. Die in der einschlägigen Prüfungsordnung vorgesehenen Klausurarbeiten hat er bis Ende Juli 1995 angefertigt. Anschließend, nämlich im August 1995, nahm er eine hauptberufliche praktische Tätigkeit bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft auf, Mitte September wurde er durch Aushang am schwarzen Brett über die Bewertung seiner schriftlichen Arbeiten unterrichtet. Die Prüfungsordnung eröffnete ihm die Möglichkeit, sich in jedem Prüfungsfach von der mündlichen Prüfung befreien zu lassen. Hiervon hat der Antragsteller, außer im Fach Statistik, Gebrauch gemacht. Die mündliche Prüfung in diesem Prüfungsfach fand am 24. Oktober 1995 statt. Dieses Datum trägt das Prüfungszeugnis.
Für seinen Zulassungsantrag beruft sich der Antragsteller darauf, seit August 1995 hauptberuflich praktisch tätig gewesen zu sein. Das FinMin hat den Zulassungsantrag jedoch abgelehnt. Hiergegen hat der Antragsteller Klage erhoben und beantragt, das FinMin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn zur Steuerberaterprüfung 1998 zuzulassen.
Der Antrag hatte vor dem Finanzgericht (FG) mit der Maßgabe Erfolg, daß das FG das FinMin zur vorläufigen Zulassung verpflichtete. Zur Begründung dieser Entscheidung führt das FG aus, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Hinweis auf den Beschluß vom 20. September 1988 VII B 129/88 (BFHE 154, 31, BStBl II 1988, 956)-- komme eine im Wege der einstweiligen Anordnung zu verfügende Teilnahme an der Steuerberaterprüfung nur höchst ausnahmsweise in Betracht. Im Rahmen der gebotenen Abwägung seien durch Art. 12 Abs. 1 und 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) geschützte Positionen besonders zu gewichten.
Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit sei mit einem Erfolg des Antragstellers in der Hauptsache zu rechnen. Zu der Frage, wann ein Universitätsstudium "abgeschlossen" sei, werde zwar im Schrifttum die Auffassung vertreten, das Studium sei an dem Tag abgeschlossen, an dem die zuständige Stelle feststelle, daß der Bewerber die Abschlußprüfung bestanden hat. Zu Recht habe hingegen das FG Düsseldorf in dem Urteil vom 19. Oktober 1987 II 30/87 StB (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1988, 137) nicht auf diesen Zeitpunkt, sondern auf das Erbringen der letzten im Ergebnis erfolgreichen Prüfungsleistung abgestellt. Dies berücksichtige den Normzweck des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG, wonach nur durch den Kenntnisstand eines erfolgreich absolvierten Universitätsstudiums getragene berufspraktische Erfahrungen die Vorbildungsvoraussetzungen erfüllten. Diese Auslegung berücksichtige aber auch, daß Art. 12 GG nur solche Einschränkungen gestatte, die im Interesse eines wichtigen Gemeinschaftsguts unbedingt erforderlich sind. Es bestehe kein Sachgrund, die Anrechnung von berufspraktischen Erfahrungen in der Zeit zwischen dem Erbringen der letzten Prüfungsleistung und der Bekanntgabe des Bestehens der Prüfung zu versagen.
Im Streitfall habe der Antragsteller zwar die letzte Prüfungsleistung erst am 24. Oktober 1995 erbracht. Seine Teilnahme an der mündlichen Prüfung an diesem Tag sei jedoch nicht erforderlich gewesen, um die Prüfung zu bestehen. Sie sei außerdem in dem Sinne freiwillig gewesen, daß sie ausschließlich von seinem Willensentschluß abgehangen habe. Im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG gebe es daher keinen Sachgrund, den Antragsteller anders zu behandeln, als wenn er sich auch im Prüfungsfach Statistik von der mündlichen Prüfung hätte befreien lassen.
Zur Sicherung des Anspruchs auf Teilnahme an der Steuerberaterprüfung 1998 sei die vorläufige Zulassung des Antragstellers auszusprechen. Das Hauptsacheverfahren könne bis zum Beginn der Prüfung nicht abgeschlossen werden. Den Antragsteller auf die Steuerberaterprüfung 1999 zu verweisen, bringe schwerwiegende berufliche Nachteile für ihn mit sich. Auch seien überragende öffentliche Interessen, die eine vorläufige Zulassung zur Steuerberaterprüfung 1998 verböten, nicht gegeben. Die "kritische Zeitspanne" betrage nicht einmal drei Wochen. Es stehe fest, daß der Antragsteller bereits aufgrund der bis zum Juli 1995 erbrachten Prüfungsleistungen die Prüfung bestanden hätte, wenn er sich von der mündlichen Prüfung gänzlich hätte befreien lassen; er habe folglich schon geraume Zeit vor dem 24. Oktober 1995 über die durch das Universitätsstudium vermittelten Kenntnisse verfügt.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FinMin, das sich darauf beruft, es fehle sowohl an einem Anordnungsgrund, wie an einem Anordnungsanspruch.
Das FinMin beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und den Erlaß einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde des FinMin zurückzuweisen.
Er verteidigt den Beschluß des FG und hebt hervor, Unsicherheiten über den Zeitpunkt des Abschlusses der Ausbildung seien auch vom rechtlichen Standpunkt des FG aus nicht zu befürchten. Die Feststellung des Zeitpunktes, in dem die für das Bestehen erforderlichen Prüfungsleistungen erbracht worden sind, sei Aufgabe des Prüfungsamtes. Der Antragsteller habe von diesem eine Bescheinigung erhalten und vorgelegt, die den 28. Juli 1995 ausweise.
Den Anordnungsgrund hält der Antragsteller für gegeben, weil er anderweit keinen wirksamen Rechtsschutz erlangen könne, sondern mindestens 12 Monate von der Steuerberaterprüfung ausgeschlossen bliebe, was mit einer verlängerten nervlichen Anspannung und schwerwiegenden beruflichen und finanziellen Nachteilen verbunden sei, die durch die verspätete berufliche Weiterqualifikation entstünden.
Entscheidungsgründe
II. Die zulässige Beschwerde (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist begründet. Das FG durfte das FinMin nicht im Wege einstweiliger Anordnung verpflichten, den Antragsteller vorläufig zur Steuerberaterprüfung 1998 zuzulassen. Denn es fehlt, wenn nicht schon an einem Anordnungsgrund, so doch jedenfalls an einem Anordnungsanspruch.
1. Einstweilige Anordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO). Eine Regelungsanordnung, durch die die Verpflichtung ausgesprochen wird, einen Bewerber vorläufig zur Steuerberaterprüfung zuzulassen, darf nach der durch die Beschlüsse des Senats vom 9. Dezember 1969 VII B 127/69 (BFHE 97, 575, BStBl II 1970, 222) und vom 21. Februar 1984 VII B 78/83 (BFHE 140, 163, BStBl II 1984, 449) begründeten und in dem Beschluß des Senats in BFHE 154, 31, BStBl II 1988, 956 unter erneuter eingehender Erörterung der Rechtslage ausdrücklich bestätigten Rechtsprechung des Senats grundsätzlich nicht ergehen, weil sie das Ergebnis des Hauptsacheprozesses in unzulässiger Weise vorwegnehmen würde. Denn der Bewerber erreiche, so hat der Senat in dem Beschluß in BFHE 154, 31, BStBl II 1988, 956 ausgeführt, mit der "vorläufigen" Prüfungszulassung endgültig und irreparabel das Ziel des Hauptprozesses, nämlich die Zulassung zur Prüfung.
Eine solche Regelungsanordnung hat die bisherige Rechtsprechung des Senats nur ausnahmsweise unter erschwerten Voraussetzungen dann für zulässig gehalten, wenn der Anordnungsgrund eine "besondere Intensität" hat, weil die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Antragstellers unmittelbar bedroht, der Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung also unumgänglich ist (Senatsbeschluß in BFHE 154, 31, BStBl II 1988, 956). Diese strengen Voraussetzungen zu bejahen hat der erkennende Senat in der eben angeführten Entscheidung für Fälle in Betracht gezogen, in denen der Bewerber ohne Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf Dauer oder jedenfalls für längere Zeit von der Teilnahme an der Steuerberaterprüfung ausgeschlossen sein würde (vgl. auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 25. Juli 1996 1 BvR 638/96, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 1997, 479, wonach sich besondere Erfordernisse an die Effektivität des Rechtsschutzes jedenfalls dann ergeben, wenn die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führe). Das könne etwa dann der Fall sein, wenn dem Bewerber aus besonderen persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen die Teilnahme an der Prüfung nur zu dem beantragten Termin möglich ist bzw. eine spätere Teilnahme an einer erst nach Erledigung des Hauptsacheverfahrens durchzuführenden Prüfung für ihn deshalb ihren Sinn verliert, weil dann die angestrebte freie Berufstätigkeit als Steuerberater nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll ausgeübt werden kann. Hingegen hat der Senat die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ausdrücklich verneint, wenn der Nachteil in erster Linie in einer Verzögerung des Überwechselns in den angestrebten Beruf des Steuerberaters besteht, weil eine solche Verzögerung nicht existenzgefährdend ist.
Das FG hat sich auf diese Rechtsprechung des Senats berufen, ohne indes die aus ihr für den Streitfall zu ziehenden Folgerungen näher zu untersuchen. Es meint offenbar, dem Antragsteller einen Anordnungsgrund zubilligen zu können, weil die ihm bei Ablehnung der begehrten einstweiligen Anordnung drohenden Nachteile gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer genauen Beachtung der Zulassungsvorschriften, so wie sie das FinMin versteht, deshalb nicht schwer wögen, weil der Antragsteller die Zulassungsvoraussetzungen jedenfalls nur knapp verfehle ("kritische Zeitspanne" nicht einmal drei Wochen; Erwerb der durch das Studium vermittelten Kenntnisse schon bis Ende Juli), und offenbar auch deshalb, weil die Grundrechte des Antragstellers betroffen seien. Hingegen kommt es nach der vorgenannten Rechtsprechung des Senats darauf an, ob die dem Antragsteller bei Ablehnung der einstweiligen Anordnung drohenden Nachteile dessen persönliche oder wirtschaftliche Existenz bedrohen oder doch jedenfalls "besonders schwerwiegend" sind, was mindestens voraussetzt, daß die dem Antragsteller drohenden Nachteile über das hinausgehen, was mit der Versagung der Teilnahme an der Prüfung zu dem begehrten Prüfungstermin notwendigerweise und stets verbunden ist. Daran fehlt es hier offenkundig. Denn kann der Antragsteller nicht, wie er verlangt, an der Steuerberaterprüfung 1998 teilnehmen, weil die einstweilige Anordnung nicht ergeht, so ist ihm gewiß, daß er zur nächsten Steuerberaterprüfung 1999 zugelassen werden wird. Er muß also nicht einmal den ungewissen Zeitpunkt abwarten, zu dem über die von ihm erhobene Klage entschieden worden ist (so der Streitfall in dem Beschluß des Senats in BFHE 154, 31, BStBl II 1988, 956), sondern lediglich eine Verzögerung des Erwerbs seiner zusätzlichen beruflichen Qualifikation um ein Jahr hinnehmen. Gründe, wie sie in dem eben und schon mehrfach angeführten Beschluß des Senats aufgeführt sind, aufgrund derer dies den Antragsteller besonders hart treffen würde, macht er nicht geltend.
Allerdings hat das BVerfG, etwa in den Entscheidungen vom 25. Oktober 1988 2 BvR 745/88 (BVerfGE 79, 69) und in NVwZ 1997, 479, ungeachtet des sog. Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache dem in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verankerten Anspruch des Bürgers auf eine tatsächlich und rechtlich wirksame Kontrolle die Verpflichtung der Gerichte entnommen, bei ihrer Entscheidungsfindung diejenigen Folgen zu erwägen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes für den Bürger verbunden sind und die das Interesse an einer vorläufigen Regelung zurückzustellen um so weniger gestatteten, je schwerer die sich daraus ergebenden Belastungen wögen und je geringer die Wahrscheinlichkeit sei, daß sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können (Beschluß in NVwZ 1997, 479); drohe bei Versagung einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche Verletzung der Grundrechte, die durch die Hauptsacheentscheidung nicht mehr beseitigt werden kann, so sei einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, daß ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG-Beschluß vom 25. Januar 1995 2 BvR 2689/94, 2 BvR 52/95, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1995, 950). Im neueren Schrifttum ist grundsätzliche Kritik an der die bisherige Rechtsprechung auch des erkennenden Senats tragenden Auffassung geäußert worden, die Notwendigkeit einer sog. Vorwegnahme der Hauptsache schließe den Erlaß einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich aus (vgl. insbesondere etwa Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, Heidelberg 1988, S. 1402 ff.; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rdnr. 214, m.zahlr.w.N.). Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird danach für notwendig gehalten bzw. eine schwerwiegende Folge im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung bejaht, wenn das Abwarten des Hauptsacheverfahrens zu Nachteilen führt, die sich bei einem Erfolg in der Hauptsache weder rückgängig noch wiedergutmachen lassen (Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rdnr. 222, mit zahlr. Nachw. aus der Rspr. insbesondere der Verwaltungsgerichtsbarkeit; vgl. Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl. 1998, § 123 Rdnr. 63).
Der erkennende Senat braucht indes nicht abschließend zu entscheiden, ob im vorliegenden Fall dem Erlaß einer einstweiligen Anordnung das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegensteht und das Vorliegen eines Anordnungsgrunds verneint werden kann, obwohl dem Antragsteller in diesem Fall droht, sein angebliches Recht auf Teilnahme an der Steuerberaterprüfung 1998 endgültig nicht durchsetzen zu können, und die davon ausgehenden Folgen irreversibel sind und auch anderweit kaum ausgeglichen werden könnten (vgl. die Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung auf Zulassung zur Prüfung offenbar grundsätzlich bejahend Jank in Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rdnr. 1209, sowie FG Berlin, Beschluß vom 9. Oktober 1995 III 326/95, Der Steuerberater 1996, 358, mit zustimmender Anmerkung Szarka). Denn die Voraussetzungen, unter denen zur Abwehr einer bloßen Verzögerung des Erwerbs einer beruflichen Qualifikation eine einstweilige Anordnung auf Teilnahme an einer Prüfung ergehen darf, bedürfen hier deshalb keiner näheren Erörterung, weil es an einem Anordnungsanspruch oder jedenfalls an der bei einer Vorwegnahme der Hauptsache nach allgemeiner Ansicht erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit fehlt, daß das Begehren in der Hauptsache durchdringen wird.
2. Die Zulassung zur Steuerberaterprüfung setzt nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG voraus, daß der Bewerber ein Universitätsstudium abgeschlossen hat und danach hauptberuflich drei Jahre lang auf dem Gebiete der Steuern praktisch tätig gewesen ist. Die praktische Tätigkeit muß sich also an eine Ausbildung anschließen; eine bereits während des Universitätsstudiums aufgenommene praktische Tätigkeit ist auf die Drei-Jahres-Frist nicht anzurechnen (Urteil des Senats vom 9. Februar 1965 VII 284/64, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1965, 290). Wann ein Universitätsstudium abgeschlossen ist, beurteilt sich nach dem einschlägigen Ausbildungs- und Prüfungsrecht. Wird die Ausbildung danach --wie es regelmäßig der Fall ist-- durch eine Prüfung beendet, in der der Studienerfolg festgestellt werden soll, so ist das Universitätsstudium erst mit dem Abschluß des in der Prüfungsordnung vorgesehenen Prüfungsverfahrens abgeschlossen (vgl. Charlier/Peter, Steuerberatungsgesetz, 3. Aufl. 1981, § 36 Rdnr. 10 f.; Gehre, Steuerberatungsgesetz, 3. Aufl. 1995, § 36 Rdnr. 7; Späth in Bonner Handbuch der Steuerberatung, § 36 StBerG Rdnr. 356.3, widersprüchlich Rdnr. 362). Daß das Prüfungsverfahren Teil des Studiums ist, entspricht nicht nur dem normalen Sprachgebrauch, sondern ist, worauf das FinMin mit Recht sinngemäß hingewiesen hat, in dem hier fraglichen Zusammenhang um so mehr zwingend, als nur ein erfolgreich abgeschlossenes Studium die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG erfüllt, der Studienerfolg aber gerade erst in dem Prüfungsverfahren, und zwar durch eine diesbezügliche Entscheidung der Prüfungsbehörde, festgestellt werden soll.
Deshalb ist die von dem Senat in seinem (Kosten-)Beschluß vom 9. Juni 1988 VII R 129/87 (BFH/NV 1990, 122) offengelassene Frage, ob ein Studium mit der letzten vom Prüfling zu erbringenden Prüfungsleistung und damit unter Umständen vor Ergehen einer Prüfungsentscheidung "abgeschlossen" ist, bei der in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden vorläufigen Prüfung zu verneinen. Jedenfalls besteht nicht die für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, welche --wie hier-- die Hauptsache "vorwegnimmt", erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Auffassung, es komme nicht auf den Zeitpunkt des Ergehens der Prüfungsentscheidung --der in der Regel mit demjenigen einer am Ende der Prüfung stehenden mündlichen Prüfung zusammenfallen wird--, sondern auf den Zeitpunkt an, zu dem der Prüfling seine --von der Prüfungsbehörde noch nicht bewerteten-- Prüfungsarbeiten abgeliefert bzw. die vorgeschriebenen mündlichen Prüfungsleistungen erbracht hat (so indes das Urteil des FG Düsseldorf in EFG 1988, 137 in dem dem Beschluß in BFH/NV 1990, 122 zugrundeliegenden Verfahren). Erst recht nicht gefolgt werden kann deshalb der Auffassung des angefochtenen Beschlusses, eine Prüfung sei abgeschlossen, wenn der Prüfungskandidat Leistungen erbracht hat, aufgrund derer er ungeachtet des weiteren Prüfungsverlaufs auf jeden Fall die Prüfung bestehen wird. Diese Auslegung des Begriffs "Abschluß der Ausbildung" kann selbst dann nicht als richtig anerkannt werden, wenn das Prüfungsrecht dem Prüfungskandidaten die Wahl läßt, sich von der Teilnahme an weiteren Prüfungsabschnitten befreien zu lassen, es sei denn, der Prüfungskandidat hat von dieser Möglichkeit im Einzelfall tatsächlich Gebrauch gemacht. Tut er das jedoch nicht, ist das Prüfungsverfahren und damit die Ausbildung, so wie sie der Kandidat in Ausübung seines Wahlrechts angelegt hat, noch nicht abgeschlossen. Eine andere Auslegung kommt um so weniger in Betracht, als sonst bei der Zulassung zur Steuerberaterprüfung von dem FinMin anhand der jeweils einschlägigen Prüfungsordnung beurteilt werden müßte, wann der Bewerber die für ein Bestehen der Prüfung notwendigen Leistungen erbracht hatte und welche Gestaltungsmöglichkeiten ihm hinsichtlich der Prüfung eingeräumt waren; die Entscheidung über den erfolgreichen Abschluß der Universitätsausbildung würde damit von der dafür zuständigen Behörde in einer Weise auf die Zulassungsbehörde verlagert, die Sinn und Zweck des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG ungeachtet dessen nicht entspricht, daß die Zulassungsbehörde bei der ihr abverlangten Entscheidung möglicherweise auf die Unterstützung der Prüfungsbehörde setzen bzw. eine von dieser dem Bewerber formlos erteilte Bescheinigung oder unter Umständen ein den wirklichen Gegebenheiten zuwider rückdatiertes Prüfungszeugnis (vgl. den Sachverhalt des Beschlusses in BFH/NV 1990, 122) zugrunde legen könnte. Die Überlegung des FG, schon vor dem Abschluß der Prüfung besitze der Bewerber die Kenntnisse und Fähigkeiten, die er nach dem Sinn des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG während seiner beruflichen Tätigkeit anwenden und dadurch vertiefen und festigen soll (vgl. Urteil des Senats vom 22. Februar 1978 VII R 86/77, BFHE 124, 474, BStBl II 1978, 393), rechtfertigt eine solche die klare Regelung des Gesetzes, das auf den Abschluß abstellt, mißachtende Auslegung nicht.
Der vom Senat für geboten erachteten Auslegung steht das Grundrecht des Bewerbers aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht entgegen. Denn es verbietet dem Gesetzgeber nicht, praktikable Regelungen über die Bildungsvoraussetzungen zu treffen, die vor Aufnahme eines Berufes bzw. bei der Zulassung zu einer berufsqualifizierenden Prüfung nachzuweisen sind. Es verbietet ihm auch nicht, dabei zu schematisieren und an bestimmte Stichtage (hier: Abschluß der Prüfung) anzuknüpfen. Daß die Anwendung solcher Regelungen im Einzelfall ebenso wie die gebotene strikte Anwendung der Drei-Jahres-Frist des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG als solche zu Zufälligkeiten oder sogar Härten führen kann, die aus der Sicht des Einzelfalls vordergründig betrachtet schwer verständlich sein mögen, liegt in der Natur einer solchen Regelung, die deshalb nicht als unverhältnismäßig beanstandet werden kann. Im übrigen könnte der Gesetzgeber zur Rechtfertigung der von ihm --sinngemäß-- vorgenommenen Anknüpfung an den Abschluß der Prüfung die Erwägung anführen, daß ein Bewerber im allgemeinen während der Dauer des Prüfungsverfahrens der als Vorbildungsvoraussetzung verlangten berufspraktischen Tätigkeit bei typisierender Betrachtung nicht mit der gleichen Intensität nachgehen wird wie im Anschluß an eine erfolgreich abgeschlossene Prüfung --mag dem Prüfling der Erfolg schon gewiß sein oder nicht und mag er zur Ablegung weiterer Prüfungsleistungen obligatorisch oder nur fakultativ gehalten sein.
Fundstellen
Haufe-Index 154410 |
BFH/NV 1999, 734 |
BStBl II 1999, 141 |
BFHE 187, 170 |
BFHE 1999, 170 |
BB 1999, 410 |
DB 1999, 515 |
DStRE 1999, 281 |
DStRE 1999, 281-284 (Leitsatz und Gründe) |
DStZ 1999, 347 |
HFR 1999, 282 |
StE 1999, 123 |
LEXinform-Nr. 0550460 |
NJW 1999, 2136 |
NWB 1999, 772 |
EzB |
NJW-RR 1999, 783 |
NJW-RR 1999, 783-785 (Leitsatz und Gründe) |
StuB 1999, 228 (Kurzwiedergabe) |
NWB-DokSt 2000, 144 |
StB 1999, 478 |
StSem 2000 |
stak 1999 |