Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bemessungsgrundlage der Rücklagen nach § 6 d EStG
Leitsatz (NV)
Im Sinne des § 69 FGO ist es ernstlich zweifelhaft, ob bei Erwerb eines von der Stilllegung bedrohten Betriebs in die Bemessungsgrundlage für die Rücklage nach § 6 d EStG nur die Anschaffungskosten für den Erwerb der dem Betriebsveräußerer gehörigen Wirtschaftsgüter oder auch die Anschaffungskosten eines gleichzeitig von dritter Seite erworbenen Grundstücks einzubeziehen sind, das dem Betriebsveräußerer langfristig zur Nutzung überlassen war, und dessen weitere Nutzung für den Fortbestand des von der Stillegung bedrohten Betriebs von wesentlicher Bedeutung ist.
Normenkette
EStG 1982 § 6d Abs. 1-2; FGO § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine GmbH & Co. KG, erwarb mit Vertrag vom 1. August 1983 den von der Stillegung bedrohten Betrieb der Firma X-KG (im folgenden: KG) mit Betriebstätten in E und B.
Die KG hatte ihre Niederlassung in B auf einem Grundstück (im folgenden: Grundstück M) betrieben, das im zivilrechtlichen Eigentum der Firma . . . S . . . GmbH (im folgenden: S) stand. Mit der S hatte die KG 1980 einen Leasing-Vertrag über ein zu erwerbendes Grundstück und ein zu errichtendes Gebäude (Ausstellungsraum, Werkstatt, Lager, Büro) abgeschlossen. Im Hinblick auf diesen Vertrag hatte die S den Grund und Boden (Grundstück M) erworben und das Gebäude für die KG errichten lassen. Der Leasing-Vertrag hatte eine Laufzeit von 30 Jahren.
Mit Vertrag vom 5. August 1983 erwarb die Antragstellerin von der S unter Aufhebung des mit der KG abgeschlossenen Leasing-Vertrags das Grundstück M.
Das Staatsministerium für Wirtschaft hat der Antragstellerin bescheinigt, daß den Voraussetzungen des § 6 d Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) genügt ist.
In ihrem Jahresabschluß zum 31. Dezember 1983 bildete die Antragstellerin im Hinblick auf den Erwerb des Betriebs der KG eine Rücklage nach § 6 d EStG in Höhe von 1 909 700 DM (= 40 v.H. der Anschaffungskosten der Kapitalanlage von 4 774 265 DM). Bei der Berechnung der Rücklage berücksichtigte die Antragstellerin auch die Anschaffungskosten des von der S erworbenen Betriebsgrundstücks M mit 1 635 384 DM.
Im Rahmen der Gewinnfeststellung für 1983 vertrat der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, die Anschaffungskosten für das Grundstück M seien nicht rücklagefähig nach § 6 d EStG, da das Grundstück nicht im Eigentum der KG gestanden habe. Demgemäß stellte das FA statt des erklärten Verlustes von 2 202 311 DM einen um 654 150 DM (= 40 v.H. von 1 635 384 DM) niedrigeren Verlust fest.
Gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1983 hat die Antragstellerin Einspruch eingelegt; über diesen ist noch nicht entschieden.
Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheids 1983 lehnte das FA ab. Daraufhin beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheids für 1983 in der Weise auszusetzen, daß vorläufig an Stelle eines Verlustes von 1 548 161 DM ein Verlust von 2 202 311 DM festgestellt wird.
Das FG lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab, weil bei summarischer Prüfung keine Umstände zutage träten, die eine gewichtige Unentschiedenheit in rechtlicher Hinsicht oder Unklarheit in tatsächlicher Hinsicht bewirkten.
Mit der Beschwerde, die das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat, beantragt die Antragstellerin, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheids nach Maßgabe des vor dem FG gestellten Antrags auszusetzen.Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur beantragten Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheids.
Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat das Gericht der Hauptsache die Vollziehung auszusetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Solche ernstlichen Zweifel sind gegeben, wenn eine summarische Prüfung ergibt, daß neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unklarheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage auslösen.
1. Im Streitfall muß die Rechtsfrage als offen bezeichnet werden, ob bei Erwerb eines von der Stillegung bedrohten Betriebs oder Teilbetriebs in die Bemessungsgrundlage für die Rücklage nach § 6 d EStG nur die Anschaffungskosten für den Erwerb der dem Betriebsveräußerer gehörigen und von diesem dem Betrieb gewidmeten Wirtschaftsgüter oder auch die Anschaffungskosten eines gleichzeitig von dritter Seite erworbenen Grundstücks einzubeziehen sind, das dem Betriebsveräußerer nicht gehörte, diesem aber langfristig zur Nutzung überlassen war, und dessen weitere Nutzung für den Fortbestand des von der Stillegung bedrohten Betriebs von wesentlicher Bedeutung ist.
a) Gemäß § 6 d Abs. 1 Satz 1 EStG können Steuerpflichtige, die nach dem 30. September 1982 und vor dem 1. Januar 1987 ,,Kapitalanlagen" vornehmen, unter bestimmten Voraussetzungen eine den Gewinn mindernde Rücklage bilden. Kapitalanlagen i.S. des § 6 d Abs. 1 EStG sind u.a. ,,der Erwerb eines im Inland belegenen Betriebs oder Teilbetriebs oder einer im Inland belegenen Betriebstätte" (§ 6 d Abs. 2 Nr. 1 EStG). Zu den Voraussetzungen der Rücklagenbildung gehört u.a. der Nachweis, daß ,,im Wirtschaftsjahr des Erwerbs der Kapitalanlage der Betrieb, Teilbetrieb oder die Betriebstätte stillgelegt oder von der Stillegung bedroht waren". Bemessungsgrundlage der Rücklage sind gemäß § 6 d Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG ,,die Anschaffungskosten der Kapitalanlage", also beim Erwerb eines Betriebs die Anschaffungskosten des Betriebs.
Der zitierte Wortlaut des Gesetzes legt es nahe, in die Bemessungsgrundlage der Rücklagen nur die Anschaffungskosten für solche Wirtschaftsgüter einzubeziehen, die als solche bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses über den Erwerb des von der Stillegung bedrohten Betriebs beim Veräußerer Betriebsvermögen dieses Betriebs waren, insbesondere dem Veräußerer des Betriebs rechtlich oder zumindest wirtschaftlich gehörten und deshalb bei ihm bilanzierungsfähig und bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns (vgl. § 16 Abs. 2 EStG) berücksichtigungsfähig waren. Insoweit ist der Vorentscheidung beizupflichten. Für den Streitfall hätte dies die rechtliche Folge, daß die Anschaffungskosten für den Erwerb des Grundstücks M nicht in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind - unterstellt, daß die S aufgrund des Leasing-Vertrags nicht nur rechtliche, sondern auch wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks geblieben ist -, weil zum Betriebsvermögen der KG nur ein schuldrechtliches Nutzungsrecht aufgrund des Leasing-Vertrags an dem Grundstück M, nicht jedoch dieses Grundstück als solches, gehörte, und die Antragstellerin für den Erwerb dieses möglicherweise aufgrund des Vertrags mit der KG vom 1. August 1983 auf sie übergegangenen schuldrechtlichen Nutzungsrechts bilanzrechtlich betrachtet im Hinblick auf den Grundsatz der Nichtbilanzierung von Rechten und Pflichten aus schwebenden Verträgen keine Anschaffungskosten hatte.
b) Dieses vom Gesetzeswortlaut indizierte Gesetzesverständnis ist jedoch nicht zwingend. Der Zweck des § 6 d EStG spricht dafür, in die Bemessungsgrundlage der Rücklage und damit in die Steuervergünstigung auch die Anschaffungskosten für das Grundstück M einzubeziehen.
§ 6 d EStG will die Übernahme stillgelegter oder von der Stillegung bedrohter Betriebe durch Gewährung von Liquiditäts- und Zinsvorteilen einkommensteuerrechtlich begünstigen, um den negativen Folgen von Stillegungen und Insolvenzen entgegenzuwirken. Als solche negativen Folgen sind ,,ein verstärkter Verlust von Dauerarbeitsplätzen, zusätzliche Sozialausgaben und weniger Steuereinnahmen sowie die Vernichtung immaterieller Wirtschaftsgüter und die Zerschlagung zum Teil noch nutzbarer Produktionseinheiten zu verzeichnen" (BTDrucks 9/2140 S. 62). Die Steuervergünstigung soll somit ,,insbesondere zum Erhalt von Arbeitsplätzen sowie zur Vermeidung volkswirtschaftlicher Verluste beitragen" (BTDrucks 9/2140 S. 63).
Im Streitfall hat die Antragstellerin unwidersprochen vorgetragen, daß die Fortführung des Zweigbetriebs der KG in B nur auf dem Grundstück M möglich gewesen sei, daß die Konditionen des Leasing-Vertrags mit der S für die Leasing-Nehmerin außergewöhnlich ungünstig gewesen seien und daß demgemäß für die Antragstellerin an Stelle der Fortsetzung des Leasing-Vertrags nur dessen Aufhebung und Ersatz durch einen Kaufvertrag mit der S über den Leasing-Gegenstand wirtschaftlich tragbar gewesen sei.
Geht man hiervon aus, so drängt sich die Schlußfolgerung auf, daß die Zielvorstellungen des § 6 d EStG, nämlich Erhalt von Arbeitsplätzen und Vermeidung volkswirtschaftlicher Verluste, im Streitfall nur zu verwirklichen waren, wenn die Antragstellerin gleichzeitig mit den zum Betriebsvermögen der KG gehörigen Wirtschaftsgütern das der KG zur Nutzung überlassene Grundstück M von der S käuflich erwarb. Demgemäß käme es dem Zweck des § 6 d EStG am nächsten, wenn auch die Anschaffungskosten für den Erwerb des Grundstücks M in die Bemessungsgrundlage der Rücklage und damit in die Steuervergünstigung einbezogen würden.
In diese Richtung weist auch noch folgende Überlegung: Hätte die KG unmittelbar vor der Veräußerung ihres Betriebs an die Antragstellerin mit von der Antragstellerin darlehensweise zur Verfügung gestellten Mitteln den Leasing-Gegenstand zu denselben Konditionen erworben, wie dies später die Antragstellerin getan hat, so wäre das Grundstück M noch vor dem Erwerb des Betriebs der KG durch die Antragstellerin Bestandteil des Betriebsvermögens der KG geworden. Mit dem Erwerb des Betriebs der KG hätte die Antragstellerin sodann auch das Grundstück M (gegen Verrechnung mit den früher darlehensweise zur Verfügung gestellten Mitteln) erworben und für den Betrieb insgesamt Anschaffungskosten in der bei der Bemessung der Rücklage geltend gemachten Höhe aufgewandt. Diese mögliche Sachverhaltsgestaltung und der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt sind wirtschaftlich annähernd gleichwertig.
c) Die hiernach offenkundige Unstimmigkeit zwischen dem Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck bewirkt bei summarischer Prüfung Unentschiedenheit in der Beurteilung der einleitend erwähnten Rechtsfrage; die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheids im beantragten Umfang ist daher geboten.
2. Unter den gegebenen Verhältnissen kann auf sich beruhen, ob als unentschieden auch die Frage angesehen werden muß, wer aufgrund des Leasing-Vertrags wirtschaftlicher Eigentümer des Grundstücks M war, die S als Leasing-Geberin oder die KG als Leasing-Nehmerin. Im Hinblick auf die Ausführungen in der Beschwerdeerwiderung des FA weist der Senat jedoch für das Hauptverfahren vorsorglich auf folgendes hin: Wenn die Antragstellerin mit Vertrag vom 1. August 1983 den Betrieb der KG erworben hat, so ist sie damit, sofern nichts Abweichendes vereinbart war, in den Leasing-Vertrag mit der S eingetreten. Wäre, wie die Antragstellerin geltend macht, die KG aufgrund des Leasing-Vertrags mit der S wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks M geworden und der Leasing-Vertrag deshalb bilanzrechtlich nicht als Mietvertrag und damit als schwebendes Geschäft, sondern als Ratenverkauf und damit als Anschaffungsgeschäft der KG zu werten gewesen, so hätte die Antragstellerin mit dem Eintritt in den LeasingVertrag (durch Erwerb des Betriebs mit Vertrag vom 1. August 1983) das wirtschaftliche Eigentum am Grundstück M zusammen mit dem Eigentum an den übrigen zum Betriebsvermögen des erworbenen Betriebs gehörigen Wirtschaftsgütern entgeltlich erworben; das Entgelt für das Grundstück M wäre der Übergang der noch offenen Zahlungsverpflichtungen aus dem Ratenkaufvertrag (Leasing-Vertrag) auf die Antragstellerin; der Barwert dieser Zahlungsverpflichtung wären die Anschaffungskosten für das wirtschaftliche Eigentum am Grundstück M. Die Vereinbarung zwischen der Antragstellerin und der S, aufgrund deren die Antragstellerin das rechtliche Eigentum am Grundstück M erworben hat, wäre, was die Höhe der Anschaffungskosten für das Grundstück M anlangt, ohne Bedeutung, es sei denn, die Leistungen der Antragstellerin an die S sind höher als der Barwert der übergegangenen Zahlungsverpflichtung.
Fundstellen
Haufe-Index 414115 |
BFH/NV 1987, 425 |