Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmangel
Leitsatz (NV)
1. Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße des FG gegen das Gerichtsverfahrensrecht.
2. Daher liegt kein berücksichtigungsfähiger Verfahrensmangel vor, wenn geltend gemacht wird, dass FG habe zu Unrecht die Voraussetzungen einer Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO1977 angenommen.
3. Soweit Verfahrensverstöße geltend gemacht werden, auf die verzichtet werden kann, muss der Kläger vortragen, dass er in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die nunmehr geltend gemachten Verfahrensverstöße gerügt habe oder weshalb ihm das nicht möglich gewesen ist.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 115 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 15.08.2004; Aktenzeichen 5 K 564/00) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist beim Oberlandesgericht (OLG) zugelassener Rechtsanwalt und übt seine Rechtsanwaltstätigkeit selbständig aus. Wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung 1994 schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr 1994 und setzte die Umsatzsteuer mit Bescheid vom 9. April 1996 auf 8 775 DM fest. Hierbei erhöhte es die für das Jahr 1993 ebenfalls im Wege der Schätzung angesetzten Umsätze einschließlich Eigenverbrauch von 55 000 DM auf 58 500 DM. Vorsteuerbeträge berücksichtigte das FA nicht. Die Umsatzsteuerfestsetzung wurde bestandskräftig.
Im Zuge einer vom FA angeordneten steuerlichen Außenprüfung stellte der Prüfer fest, dass der Kläger für den gesamten Prüfungszeitraum keine Aufzeichnungen über die Ermittlung der Betriebseinnahmen und -ausgaben geführt habe. Es lägen noch nicht einmal "Tippstreifen" vor, mit der Folge, dass eine zahlenmäßige Überprüfung der erklärten Erlöse und Betriebsausgaben nicht möglich sei. Für das Streitjahr 1994 habe der Kläger lediglich die Kontoauszüge der Stadtsparkasse vorlegen können. Ferner stellte der Prüfer fest, dass in den Mandantenhandakten keine Vor- bzw. Kostenblätter angelegt waren.
Für 1994 ermittelte der Prüfer dementsprechend die Umsätze des Klägers aus der Rechtsanwaltstätigkeit durch Addition der Zahlungseingänge auf dem Konto der Stadtsparkasse. Die ermittelte Summe der Zahlungseingänge von 93 710,31 DM korrigierte er um geschätzte durchlaufende Posten und kam danach zu einer Hinzuschätzung von Umsätzen für das Streitjahr in Höhe von brutto 21 750 DM. Den Feststellungen des Prüfers folgend erließ das FA am 1. Juli 1998 einen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Umsatzsteuerbescheid, mit dem es die Umsatzsteuer von bislang 8 775 DM auf nunmehr 11 611 DM erhöhte. Ausweislich der vorliegenden Postzustellungsurkunde wurde der Änderungsbescheid dem Kläger am 2. Juli 1998 im Wege der Ersatzzustellung durch Niederlegung unter seiner Kanzleianschrift zugestellt.
Einspruch und Klage gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid 1994 blieben ohne Erfolg. Zur Begründung der Klageabweisung führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 seien erfüllt, weil durch die Betriebsprüfung nachträgliche Schätzungsgrundlagen bekannt geworden seien, die den Ansatz höherer Umsätze des Klägers rechtfertigten. Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde. Zu deren Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, das Urteil des FG leide unter Verfahrensfehlern. Da der vom FG erwähnte Umsatzsteuerbescheid vom 9. April 1996 nicht existiere, könne er auch nicht geändert worden sein. Außerdem sei das FG zu Unrecht von nicht erfassten Bareinnahmen ausgegangen. Das Urteil beruhe letztlich auf Mutmaßungen und sei willkürlich.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Kläger macht im Wesentlichen Verfahrensmängel geltend. Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße des FG gegen das Gerichtsverfahrensrecht (BFH-Beschlüsse vom 14. Juli 2000 V B 50, 51, 52/00, BFH/NV 2000, 1493; vom 18. Mai 2000 VII B 36/99, BFH/NV 2000, 1355). Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe zu Unrecht die Voraussetzungen einer Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 angenommen, wird damit kein Verstoß gegen das Gerichtsverfahrensrecht geltend gemacht.
Soweit der Kläger weitere Verfahrensverstöße geltend macht, handelt es sich durchweg um Rügen, auf die verzichtet werden kann (vgl. hierzu im Einzelnen Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 101, m.w.N.). Der Kläger hätte deshalb vortragen müssen, dass er in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die nunmehr geltend gemachten Verfahrensverstöße gerügt habe oder weshalb ihm dies nicht möglich gewesen sei. Da ein Vortrag hierzu fehlt, lässt die Beschwerdeschrift die Möglichkeit offen, dass der Kläger auf die nunmehr erhobenen Verfahrensrügen wirksam verzichtet hat.
Ob dem FG bei den vom Kläger als Mutmaßungen bezeichneten Feststellungen Fehler unterlaufen sind, ist revisionsrechtlich ohne Bedeutung. Selbst wenn dem FG bei der Beweiswürdigung oder bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts Fehler unterlaufen sein sollten, rechtfertigt das nicht die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmangels (BFH-Beschlüsse vom 2. April 1997 V B 26/96, BFHE 182, 430, BStBl II 1997, 443; vom 27. März 2003 V B 184/01, BFH/NV 2003, 1071).
Die Entscheidung des FG ist auch nicht willkürlich. Willkür liegt vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird. Das ist erst der Fall, wenn der Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich der Schluss aufdrängt, er beruhe auf sachfremden Erwägungen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Mai 1984 1 BvR 967/83, BVerfGE 67, 90). Hierfür bieten die Akten keinen Anhaltspunkt.
Fundstellen