Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO bei Übergehen eines Antrags
Leitsatz (NV)
Mit der Verfahrensrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO kann nicht gerügt werden, das FG habe einen im finanzgerichtlichen Verfahren gestellten Hilfsantrag des Klägers in den Urteilsgründen ganz oder teilweise übergangen, weil insoweit die Antragsmöglichkeit auf Urteilsergänzung (§ 109 FGO) vorgeht.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 109
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren Gesellschafter der X-KG. Bei der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte der KG für 1975 machte der Kläger u.a. Zinsen für ein im Jahre 1962 aufgenommenes Darlehen, das er für private Zwecke verwendet hatte, als Sonderbetriebsausgaben geltend. Das Finanzamt (FA) lehnte es ab, diese Aufwendungen als Betriebsausgaben zu berücksichtigen.
Die KG hatte in den Streitjahren Sonderabschreibungen gemäß § 75 EStDV für abnutzbare bewegliche und unbewegliche Wirtschaftsgüter vorgenommen. Diese Abschreibungen standen Steuerpflichtigen zu, die eine im besonderen Maße der minderbemittelten Bevölkerung dienende private Krankenanstalt betrieben. Die Kommanditisten der KG nahmen den auf sie entfallenden Anteil an den Sonderabschreibungen mit unterschiedlichen Abschreibungssätzen in Anspruch. Der Kläger hatte zunächst die auf ihn entfallenden Sonderabschreibungen zu 1/3 in 1974 und zu 2/3 in 1975 beansprucht. Nachdem er sich nachträglich zu einer für ihn günstigeren Verteilung entschlossen hatte, berücksichtigte das FA die Sonderabschreibungen in vollem Umfang in 1974.
Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer kam der Kläger zu der Ansicht, daß es für ihn günstiger sei, einen Teil der Abschreibungen auf 1975 zu übertragen. Er beantragte deshalb, die Gewinnfeststellungsbescheide 1974 und 1975 entsprechend zu ändern.
Der Kläger hat nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage beim Finanzgericht (FG) erhoben, der das FG überwiegend stattgegeben hat. Das FG änderte die Gewinnfeststellung für die Jahre 1974 im Sinne des bezifferten Klageantrags, die Gewinnfeststellung 1975 änderte es insoweit, als es antragsgemäß anteilige Sonderabschreibungen des Klägers in Höhe von ... DM von 1974 in das Jahr 1975 übertrug. Die Klage hatte keinen Erfolg hinsichtlich der für das Jahr 1975 geltend gemachten Schuldzinsen (515 DM) als Sonderbetriebsausgaben. Auch der weitere Antrag des Klägers (Klageantrag zu 3.), sein Wohnsitzfinanzamt zu verpflichten, soweit erforderlich unter Einschaltung des beklagten Finanzamts (hilfsweise auf dessen Anordnung, die diesem hiermit aufgegeben wird), die Sonderabschreibungen gemäß § 75 EStDV bei jeder ... zukünftigen weiteren Änderung der Veranlagungen der Jahre 1974 und 1975 ... dergestalt aufzuteilen, daß für den Kläger die geringstmögliche Gesamtsteuerlast für diese beiden Jahre erreicht wird, hatte keinen Erfolg.
Erfolglos blieb auch ein vom Kläger gestellter Antrag auf Tatbestandsberichtigung, mit dem er geltend machte, sein Klageantrag zu 3. sei im angefochtenen Urteil nicht zutreffend festgestellt. Den Antrag des Klägers, das Urteil vom 11. Februar 1992 hinsichtlich der Entscheidung über den Klageantrag zu 3. zu ergänzen, lehnte das FG durch Urteil vom 5. Mai 1992 ab.
Das FG hat in seinen Urteilen die Revision nicht zugelassen.
Der Kläger hat Revision gegen das Urteil vom 11. Februar 1992 eingelegt, mit der er rügt, die Entscheidung leide an einem schweren Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Das Urteil sei nicht mit Gründen versehen, weil das FG auf die verfassungsrechtlichen Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 6. Februar 1992 nicht eingegangen sei. In diesem Schriftsatz habe der Kläger zur Begründung seines Antrags auf Abzug der streitigen Schuldzinsen als Sonderbetriebsausgaben vorgetragen, der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und das Rechtsstaatsprinzip forderten, ihn steuerlich einem Gewerbetreibenden gleichzustellen, der seinem Betrieb zur Bezahlung privater Aufwendungen Mittel entnommen und anschließend zur Finanzierung betrieblicher Aufwendungen einen Bankkredit aufgenommen habe. In einem solchen Fall seien die Schuldzinsen unstreitig betrieblich veranlaßt.
Ein weiterer Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO sei darin zu sehen, daß das FG sich mit dem Klageantrag zu 3., soweit sich dieser Antrag gegen das beklagte FA richte, nicht auseinandergesetzt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet die Revision abweichend von § 115 Abs. 1 FGO nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Das FG hat die Revision nicht zugelassen; die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat durch Beschluß vom heutigen Tage zurückgewiesen.
Einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO, der die Revision auch ohne Zulassung eröffnen könnte, hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Insbesondere greift die Rüge des Klägers, die Entscheidung des FG sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO), nicht durch. Ein Begründungsmangel im Sinne dieser Vorschrift ist zum einen dann anzunehmen, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht begründet hat. Das ist hier erkennbar nicht der Fall.
Ein Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO kann aber auch dann gegeben sein, wenn das FG bei der Begründung einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (BFH-Beschluß vom 20. November 1990 IV R 80/90, BFH/NV 1991, 610 m.w.N.). Dabei muß es sich um einen eigenständigen Klagegrund oder um solche Angriffs- oder Verteidigungsmittel handeln, die den gesamten Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden. Dagegen ist die Rüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht schlüssig, wenn der angebliche Begründungsmangel nur ein Tatbestandselement einer Rechtsnorm berührt oder wenn sich das FG in den Urteilsgründen nicht mit allen Rechtsausführungen des Klägers auseinandergesetzt hat. Im Streitfall betrifft der Einwand des Klägers, das FG habe seine verfassungsrechtlichen Einwendungen zum Abzug von Schuldzinsen als Betriebsausgaben nicht gewürdigt, die Auslegung des Begriffs der betrieblichen Veranlassung in § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Mit diesem Begriff hat sich das FG im angefochtenen Urteil bei der Prüfung des vom Kläger begehrten Betriebsausgabenabzugs der Darlehenszinsen eingehend auseinandergesetzt. Zwar ist es in den Urteilsgründen auf die verfassungsrechtlichen Einwendungen des Klägers nicht ausdrücklich eingegangen. Darin liegt jedoch kein Verfahrensfehler i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO. Wird mit der Revision geltend gemacht, das FG habe bei seiner Würdigung des Sachverhalts bestimmte rechtliche Gesichtspunkte übergangen oder das rechtliche Vorbringen der Beteiligten in den Urteilsgründen nicht erschöpfend abgehandelt, so ist damit ein Begründungsmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht schlüssig dargetan. Mit einer derartigen Rüge wird regelmäßig die unrichtige Anwendung materiellen Rechts (hier: des § 4 Abs. 4 EStG) gerügt; sie kann die zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht eröffnen (BFH-Beschlüsse vom 17. Mai 1989 II R 154/88, BFH/NV 1990, 244, und vom 9. November 1990 X R 67/89, BFH/NV 1991, 546 m.w.N.).
Ein Begründungsmangel im Sinne dieser Vorschrift ergibt sich auch nicht schlüssig aus dem weiteren Einwand des Klägers, das FG habe im Urteil vom 11. Februar 1992 seinen Hilfsantrag (Klageantrag zu 3.) nicht erschöpfend beschieden. Mit der Verfahrensrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO kann nicht gerügt werden, das FG habe einen im finanzgerichtlichen Verfahren gestellten Antrag des Revisionsklägers in den Urteilsgründen ganz oder teilweise übergangen. Für diesen Fall ist in der FGO der speziellere Rechtsbehelf des fristgebundenen Antrags auf Urteilsergänzung nach § 109 FGO vorgesehen. Im Streitfall hat das FG den Antrag des Klägers auf Ergänzung des Urteils vom 11. Februar 1992 durch Urteil vom 5. Mai 1992 abgelehnt. Die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung kann nur im Rechtsmittelverfahren gegen das Urteil vom 5. Mai 1992, nicht aber im vorliegenden Revisionsverfahren gegen das Urteil vom 11. Februar 1992 geprüft werden (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 109 Tz. 2). Das Urteil vom 5. Mai 1992 hat der Kläger jedoch nicht mit der Verfahrensrevision nach § 116 FGO angegriffen.
Fundstellen
Haufe-Index 418859 |
BFH/NV 1994, 246 |