Leitsatz (amtlich)
Die Revisionsbegründungsfrist ist schuldhaft versäumt und daher eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen, wenn der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers es unterlassen hat, in dem geführten Fristenkontrollbuch besondere Spalten für die Überwachung von Revisionsbegründungsfristen und deren Verlängerung vorzusehen (Organisationsmangel).
Normenkette
FGO § 56
Tatbestand
Das Urteil des FG, durch das die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) abgewiesen worden war, war den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 17. Januar 1972 gemäß § 5 Abs. 2 VwZG zugestellt worden. Die Klägerin hatte am 17. Februar 1972 Revision eingelegt. Mit Schreiben vom 17. März 1972 - eingegangen am 20. März 1972 - haben die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin gebeten, die Frist für die Einreichung der Revisionsbegründung bis zum 15. April 1972 zu verlängern. Der Vorsitzende des Senats hat die Prozeßbevollmächtigten mit Verfügung vom 20. März 1972 darauf hingewiesen, daß die Revisionsbegründungsfrist am 17. März 1972 abgelaufen und der Fristverlängerunsantrag verspätet eingegangen war, sowie ihnen anheimgegeben, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen und die Tatsachen zur Begründung dieses Antrags glaubhaft zu machen.
Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin haben mit Schriftsatz vom 29./30. März 1972 "wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" beantragt und die Revisionsbegründung eingereicht. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags führen sie aus, die Fristversäumnis beruhe auf einem Versehen des Büropersonals. In ihrem Büro werde ein Fristenkontrollbuch geführt. Die Sozietätspartner oder die zuständigen Sachbearbeiter würden Beginn und Ablauf der Frist feststellen und die Daten in den Handakten vermerken. Die Bürovorsteherin, eine Gehilfin in den wirtschafts- und steuerberatenden Berufen, trage die berechneten Fristen in das Fristenkontrollbuch ein. Die Bürovorsteherin sei bereits "seit Jahren in dem Büro tätig und als zuverlässig bekannt"; gelegentliche Kontrollen hätten zu keinen Beanstandungen geführt. Die Bürovorsteherin habe das von dem Sachbearbeiter errechnete und in den Handakten vermerkte Datum "Fristablauf 17 März" im Fristenkontrollbuch nicht unter der Spalte "Rechtskräftig" verzeichnet, in der auch der Fristablauf eingetragen werde, sondern in der Spalte "Vorlagedatum". In der Spalte "Rechtskräftig" sei das Datum "17. April" vermerkt. Das beruhe offenbar darauf, daß die Bürovorsteherin das in der Handakte ebenfalls vermerkte Datum "bei Verlängerung: 17. April" mit dem Datum des Fristablaufs verwechselt habe.
Der Fehler sei erst am Abend des 17. März 1972 entdeckt worden, als für den vom Außendienst zurückkehrenden Sachbearbeiter die Akten bereitgelegt worden seien. Zum "Beweis für alles Vorstehende" haben sich die Prozeßbevollmächtigten auf die "Einvernahme der Bürovorsteherin" und deren "beiliegende Versicherung" berufen. In dieser "Versicherung" vom 29. März 1972 erklärte die Bürovorsteherin, daß sie "die in vorstehendem Schriftsatz angeführten Tatsachen ... zur Kenntnis gegenommen" ... habe "und ... deren Richtigkeit" bestätige.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unzulässig.
Die Klägerin hat die Frist zur Begründung ihrer Revision versäumt. Bis zum Ablauf der Begründungsfrist (17. März 1972; § 120 Abs. 1 FGO) hat die Klägerin ihre fristgemäß eingelegte Revision nicht begründet. Sie hat auch nicht rechtzeitig eine Verlängerung der Frist beantragt. Der am 20. März 1972 beim BFH eingegangene Antrag ist nicht, wie § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich vorschreibt, vor dem Ablauf der Frist gestellt worden.
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann nicht entsprochen werden. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin haben die Revisionsbegründungsfrist schuldhaft versäumt. Dieses Verschulden, das sich die Klägerin zurechnen lassen muß (§ 155 FGO, § 232 Abs. 2 ZPO), bestand darin, daß die Fristenkontrolle nicht ordnungsmäßig geführt wurde.
Es ist Pflicht der Prozeßbevollmächtigten, durch die Organisation ihres Bürobetriebs sicherzustellen, daß Fristversäumnisse ausgeschlossen werden (vgl. BFH-Urteil vom 11. November 1972 VIII R 8/67, BFHE 107, 486, BStBl II 1973, 169; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 1957, Bd. I Teil 2, § 233 Anm. B II c 2). Zur ordnungsmäßigen Fristenkontrolle gehört, daß im Fristenkontrollbuch (oder in einer vergleichbaren Einrichtung) der Ablauf der gesetzlichen Frist für jede einzelne Sache erfaßt wird.
Im vorliegenden Falle haben die Prozeßbevollmächtigten zwar dargelegt, was im einzelnen veranlaßt worden ist, um die rechtzeitige Einreichung der Revisionsbegründung sicherzustellen. Das reicht jedoch nicht aus.
Es kann dahinstehen, ob die Bürovorsteherin die Daten ("Fristablauf 17. März" und "bei Verlängerung: 17. April") in ihrer verfahrensrechtlichen Bedeutung richtig verstanden hat oder ob sie - insbesondere hinsichtlich des Vermerks "bei Verlängerung: 17. April"- den zuständigen Sachbearbeiter um Erläuterung hätte bitten müssen.
Daß die Bürovorsteherin das Datum des richtig berechneten (erstmaligen) Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist (17. März) in eine falsche Spalte des Fristenkontrollbuches eingetragen hat, entschuldigt die Fristversäumnis nicht. Dieser Fehler beruht - abgesehen von der Handlungsweise der Bürovorsteherin - auf der unzureichenden Gliederung des Fristenkontrollbuches. Nach den eigenen Angaben der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin waren in diesem Buch u. a. der Ablauf der Frist und der Eintritt der Rechtskraft in einer Spalte (mit der Überschrift "Rechtskräftig") zu verzeichnen. Aus dem Vorbringen ergibt sich nicht, daß die Prozeßbevollmächtigten in dem Fristenkontrollbuch besondere Spalten für die Überwachung von Rechtsmittelbegründungsfristen und deren Verlängerung vorgesehen hatten. Das begünstigt Fehler und Irrtümer bei der Fristenkontrolle und zwar insbesondere in den Fällen, in denen - wie im Streitfall - die Revision rechtzeitig eingelegt und nur noch die Frist zu ihrer rechtzeitigen Begründung zu überwachen und einzuhalten ist. Der Ablauf der - ggf. einmal oder mehrmals verlängerten - Begründungsfrist hat in diesen Fällen mit dem Datum, an dem die Rechtskraft der Entscheidung eintritt, nichts zu tun. Letzteres ist nach rechtzeitiger Einlegung der Revision regelmäßig von einer Entscheidung des Revisionsgerichts abhängig, nicht aber von dem Ablauf einer (verlängerten) Begründungsfrist. Der Überschrift "Rechtskräftig" über der hier maßgeblichen Spalte des Fristenkontrollbuches kommt für den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist keine Bedeutung zu. Das Fehlen besonderer Vorkehrungen und entsprechender Einrichtungen im Fristenkontrollbuch stellt einen Organisationsmangel dar, den die Prozeßbevollmächtigten zu vertreten haben.
Bei dieser Rechtsauffassung brauchte der Senat nicht zu prüfen, ob die dreizeilige "Versicherung" der Bürovorsteherin in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ausreicht, die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags i. S. des § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO glaubhaft zu machen.
Fundstellen
Haufe-Index 72044 |
BStBl II 1977, 290 |
BFHE 1977, 164 |
NJW 1977, 976 |