Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Ausschlußfrist des § 152 Abs. 3 AO beginnt erst dann zu laufen, wenn der Erstattungsberechtigte die Tragweite der anspruchsbegründenden Ereignisse erkennen konnte.
Normenkette
AO § 152 Abs. 3; EStG § 3 Ziff. 8, § 3/9
Tatbestand
Die Bfin. hat beim Finanzamt die Erstattung von Lohnsteuer 1952 in Höhe von 257,49 DM beantragt. Dem Antrag liegt folgender Tatbestand zugrunde:
Die Bfin. war von 1941 bis 31. Dezember 1951 bei der X. GmbH als Sekretärin mit einem Monatsgehalt von zuletzt 300 DM beschäftigt gewesen. Am 29. Dezember 1951 wurde das Dienstverhältnis vorläufig gelöst und am 7. Februar 1952 wurde sie fristlos entlassen. Das Arbeitsgericht erklärte durch Urteil vom 26. Mai 1952 das Arbeitsverhältnis erst zum 31. August 1952 für gelöst, also die fristlose Entlassung für ungerechtfertigt, und verurteilte die Arbeitgeberin zur Zahlung eines in den Entscheidungsgründen als "Abfindung" bezeichneten Betrags von 2.600 DM, den es aus der Summe von acht Monatsgehältern und 200 DM Urlaubsgeld berechnete. Nach Bestätigung dieses Urteils durch das Landesarbeitsgericht zahlte die Arbeitgeberin den Betrag ohne Abzug an die Bfin., nachdem deren Vertreter auf die vorgehaltenen Bedenken wegen einer etwaigen Lohnsteuerpflicht mit Schreiben vom 25. September 1952 erklärt hatte, er halte die Zahlung für eine steuerfreie Abfindung und übernehme das Risiko der Auseinandersetzung mit dem Finanzamt. Auf Anforderung des Finanzamts führte die Arbeitgeberin jedoch am 26. November 1952 die auf den Betrag entfallende Lohnsteuer an die Finanzkasse ab. Nach erfolgreicher Durchführung eines Zivilprozesses vergütete ihr die Bfin. die abgeführten Beträge.
Mit Schreiben vom 11. Oktober 1954 beantragte die Bfin. die Erstattung der eingezogenen Steuerabzugsbeträge. Das Finanzamt lehnte die Erstattung ab. Nach seiner Meinung handle es sich nicht um eine steuerfreie Entlassungsentschädigung im Sinne von § 3 Ziff. 8 EStG, sondern um steuerpflichtigen Arbeitslohn, da das Arbeitsverhältnis durch das Urteil des Arbeitsgerichts erst zum 31. August 1952 aufgelöst worden sei. überdies sei der Erstattungsantrag verspätet. Die Ausschlußfrist des § 152 Abs. 3 AO, innerhalb deren der Antrag hätte gestellt werden müssen, sei am 31. Dezember 1953 abgelaufen.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht begründete seine abweisende Entscheidung mit der Versäumung der Ausschlußfrist.
Entscheidungsgründe
Auch die Rb. ist unbegründet.
Das Finanzgericht hat den Antrag der Bfin. zutreffend als Erstattungsantrag gemäß § 152 Abs. 2 Ziff. 1 AO behandelt. Die Lohnsteuer ist ohne Mitwirkung der Bfin. für ihre Rechnung an das Finanzamt abgeführt worden. Die Bfin. hatte gegen die Vornahme des Steuerabzugs kein Rechtsmittel. Das Schreiben vom 18. November 1952, in welchem das Finanzamt den Vertreter der Bfin. von der Lohnsteuerpflicht des erhaltenen Betrags in Kenntnis setzte, war kein rechtsmittelfähiger Bescheid. Die Bfin. konnte daher ihren Anspruch nur im Erstattungsverfahren geltend machen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs IV 189/40 vom 6. Februar 1941, RStBl 1941 S. 164).
Der Erstattungsantrag muß innerhalb der Ausschlußfrist des § 152 Abs. 3 AO gestellt werden. Nach Ablauf dieser Frist ist der Erstattungsanspruch, sofern er an sich berechtigt war, erloschen. Der Lauf der Ausschlußfrist beginnt jedoch erst dann, wenn der Erstattungsberechtigte die Tragweite der anspruchsbegründenden Ereignisse erkennen konnte und mußte (Urteile des Reichsfinanzhofs VI 315/40 vom 22. Januar 1941, RStBl 1941 S. 210, und V 130/42 vom 9. Oktober 1942, RStBl 1942 S. 981). Das Finanzgericht ging davon aus, daß der Zeitpunkt des Fristbeginns noch im Jahr 1952 lag. Es stellte zwar nicht wie das Finanzamt auf den Tag der Entrichtung der Lohnsteuer ab, es schloß jedoch aus dem Aktenzeichen (... / 1952) des Amtsgerichts, bei dem die Arbeitgeberin gegen die Bfin. auf Rückzahlung der an das Finanzamt abgeführten Lohnsteuer klagte, daß die Klageschrift der Bfin. oder ihrem Vertreter schon im Jahre 1952 zugestellt sei und diese dadurch Kenntnis von der am 26. November 1952 erfolgten Abführung der Lohnsteuer an das Finanzamt erlangt hätten, sich also der Tragweite der anspruchsbegründenden Ereignisse bewußt geworden wären. Dieser Schluß ist jedoch nicht zwingend. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die in den letzten Wochen des Jahres 1952 eingereichte Klage zwar das Aktenzeichen 1952 erhielt, aber der Bfin. doch erst in den ersten Tagen des Januar 1953 zuging, was zur Folge hätte, daß die Ausschlußfrist sich bis zum 31. Dezember 1954 erstreckte.
Von einer weiteren Prüfung kann aber abgesehen werden. Denn der Erstattungsanspruch ist sachlich nicht begründet.
Die Steuerfreiheit des § 3 Ziff. 8 EStG ist nicht für alle Entschädigungen gegeben, die ihre Grundlage in einem Arbeitsverhältnis haben, sondern nur für solche, die unmittelbar auf dem sozialen Kündigungsschutz beruhen. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn die Abfindung den Zeitraum von einer nicht fristgemäßen Entlassung bis zum Ende der nichtgewährten Kündigungsfrist betrifft (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 26/54 U vom 28. Juli 1955, BStBl 1955 III S. 296, Slg. Bd. 61 S. 256). In diesem Zeitraum hat der Arbeitgeber Ansprüche aus dem Dienstverhältnis. Zahlungen hierfür sind steuerpflichtiger Arbeitslohn. Für sie gilt die Steuerfreiheit des § 3 Ziff. 8 EStG nicht.
Das Arbeitsverhältnis der Bfin. wurde durch das Urteil des Arbeitsgerichts vom 26. Mai 1952 zum 31. August 1952 aufgelöst. Das Arbeitsgericht führt in der Urteilsbegründung dazu aus, angesichts der nahezu elfjährigen Betriebszugehörigkeit der Bfin. habe eine ordentliche Kündigung frühestens zu diesem Termin erfolgen können; bis zu diesem Tage habe die Bfin. daher Gehaltsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gehabt. Die Bfin. hat im Arbeitsgerichtsverfahren einen Betrag in Höhe dieser Gehaltsansprüche zuzüglich Urlaubsgeld eingeklagt und zugesprochen erhalten. Sowohl nach seinem Ursprung als auch nach seiner wirtschaftlichen Bedeutung stellt dieser Betrag Arbeitslohn dar. Daran ändert weder die Bezeichnung des Betrags als "Abfindung" noch der "Verzicht" der Bfin. auf die Gehaltsansprüche etwas. Zudem ging der Streit im wesentlichen um die Frage, ob die fristlose Kündigung berechtigt sei, nicht aber darum, ob eine an sich wirksame Kündigung aus sozialen Gründen als unbeachtlich zu behandeln sei oder der Bfin. für die Zeit nach Wirksamwerden der Kündigung eine Abfindung nach dem Kündigungsschutzgesetz zusteht. Nur Abfindungen der letzteren Art sind gesetzlich begünstigt.
Auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts im Urteil vom 1. Juni 1954 vermögen die steuerliche Beurteilung nicht zu ändern. Das Landesarbeitsgericht hat hier entschieden, daß der Bfin. der Betrag von 2.600 DM nur einmal zugestanden habe. Wenn es in der Begründung erklärt, es habe sich bei diesem Betrag um eine echte Abfindung im Sinne des § 8 des Kündigungsschutzgesetzes gehandelt, so bedeutet dies keine bindende Entscheidung über die Steuerpflicht. Diese Entscheidung steht nur den Steuergerichten zu (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 78/51 U vom 14. August 1953, BStBl 1953 III S. 331, Slg. Bd. 58 S. 104). Dabei kann nicht die von den Steuerpflichtigen gewählte formale zivilrechtliche Rechtsgestaltung maßgebend sein. Für die Dauer des Arbeitsverhältnisses hat der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitslohn den Vorrang. Es kann nicht im freien Belieben des Arbeitnehmers liegen, die steuerliche Beurteilung durch Umbenennung oder Umdeutung seines Anspruchs zu bestimmen.
Der Betrag von 2.600 DM kann daher nicht als steuerfreie Entlassungsentschädigung nach § 3 Ziff. 8 EStG betrachtet werden. Er ist steuerpflichtiger Arbeitslohn. Das Finanzamt hat die Lohnsteuer hierfür mit Recht eingezogen, der Erstattungsanspruch ist nicht begründet.
Fundstellen
Haufe-Index 408748 |
BStBl III 1960, 318 |
BFHE 1961, 187 |
BFHE 71, 187 |