Leitsatz (amtlich)
Die in einem Steuerbescheid enthaltene schriftliche Zahlungsaufforderung unterbricht die Verjährung nur dann, wenn der Steuerbescheid dem Steuerpflichtigen vor Eintritt der Verjährung zugeht. Betriebsprüfungen, die nicht bei dem Steuerpflichtigen, sondern bei einem Dritten durchgeführt werden, hemmen den Ablauf der Verjährung nicht.
Normenkette
AO § 146a Abs. 3, § 147
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ in Jahre 1969 eine als Kakaopräparat bezeichnete Ware zum freien Verkehr abfertigen. Das ZA wies die Ware der Zolltarifnr. 19.02 zu.
Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Interzonen- und Außenwirtschaftsprüfung stellten die Prüfer fest: Derartige Waren seien nach einer verbindlichen Zolltarifauskunft, die eine andere Firma für eine gleichfalls als Kakaopräparat bezeichnete Ware fast gleicher Zusammensetzung erhalten habe, der Tarifst. 18.06 D II c 2 zuzuweisen. Deshalb sei die Einfuhr nicht durch die Einfuhrgenehmigung gedeckt. Der Beklagte und Revisionskläger (HZA) sei von der unterschiedlichen Tarifierung unterrichtet worden. Da die Zuweisung zu der Tarifst. 18.06 D II c 2 eine Feststellung des in der Ware enthaltenen Anteils an Milchfett erforderlich machte, führte die Zollfahndungsstelle bei dem einzigen Abnehmer der streitigen Ware eine Prüfung durch, die zu dem Ergebnis führte, daß diese Firma die Ware zu Butterschmalz verarbeitet und dabei Butterreinfett gewonnen habe. Daraufhin erließ das ZA am 18. Dezember 1970 einen Änderungsbescheid, in dem es die eingeführte Ware der Tarifst. 18.06 D II c 2 zuwies und die sich daraus ergebende Nachforderung an Zoll und Verbrauchsteuern festsetzte. Der Bescheid enthielt die Aufforderung, den Nachforderungsbetrag bis zum 29. Dezember 1970 zu entrichten. Nach dem in den Akten angebrachten Absendevermerk ist der Bescheid am 18. Dezember 1970 zur Post gegeben worden.
Mit der gegen den Bescheid erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, die Abgabenforderung sei verjährt, da ihr der Nachforderungsbescheid erst am 5. Januar 1971 nach Ablauf der Verjährungsfrist zugegangen sei. Das FG Hamburg schloß sich dieser Auffassung an und hob den Nachforderungsbescheid durch Urteil vom 25. September 1972 IV 28/71 H (Entscheidungen der Finanzgerichte 1973 S. 185) auf. Die Verjährung sei nicht dadurch unterbrochen worden, daß das ZA den Steuerbescheid vom 18. Dezember 1970 an diesem Tage zur Post gegeben habe.
Die bei der Klägerin durchgeführte Außenwirtschaftsprüfung habe die Verjährung nicht hemmen können, da es sich nicht um eine steuerliche Betriebsprüfung gehandelt habe. Die bei dem Abnehmer der Ware durchgeführte Fahndungsprüfung habe ebenfalls keine verjährungshemmende Wirkung gehabt. Prüfungen bei Dritten seien nicht geeignet, die Verjährung gegenüber dem Steuerpflichtigen zu hemmen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Revision des HZA, mit der unrichtige Anwendung der §§ 147 Abs. 1 und 146 a Abs. 3 AO i. d. F. des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 (BGBl I 1965, 1356) gerügt wird.
Das HZA führt aus: Das FG habe den Wortlaut des § 147 AO, wonach die Verjährung durch schriftliche Zahlungsaufforderung unterbrochen werde, nur unter Hinweis auf die Bestimmung des § 91 AO ausgelegt und sich dabei auf das Urteil des BFH vom 7. Februar 1962 II 137/60 U (BFHE 75, 628, BStBl III 1962, 496) bezogen. Den ebenfalls zu § 147 AO in der bis zum 31. Dezember 1965 geltenden Fassung ergangenen BFH-Urteilen vom 23. Oktober 1959 VI 251/57 U (BFHE 70, 65, BStBl III 1960, 25) und vom 16. Dezember 1959 VII 41/59 (StRK, Reichsabgabenordnung, § 147 a. F., Rechtsspruch 19), in denen die Aufgabe eines Steuerbescheides zur Post ausdrücklich als für die Verjährungsunterbrechung ausreichend angesehen werde, habe es trotz des insoweit unverändert gebliebenen gesetzlichen Wortlauts zu Unrecht keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen. Das BFH-Urteil vom 22. März 1961 VII 45/60 S (BFHE 72, 672, BStBl III 1961, 244 [246]), das entsprechend dem Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften ein fristgerechtes Handeln, nicht jedoch den Schutz der bloßen Unkenntnis des Steuerpflichtigen hiervon fordere, habe das FG nicht in die Urteilsbegründung aufgenommen. Das gleiche gelte für die Kommentierung in Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, die auf das Handeln der Behörde, nicht jedoch auf den Erfolg des Handelns abstelle. Der Gedanke, daß der Ablauf der Verjährungsfrist von den Zufälligkeiten des Bekanntgabevorganges unabhängig sein müsse, finde in § 150 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs der Reichsabgabenordnung 1974 und der Begründung dazu (Bundestagsdrucksache VI/1982) seinen Ausdruck. Ein Verstoß gegen § 146 a Abs. 3 AO n. F. liege darin, daß das FG der Fahndungsprüfung keine verjährungsunterbrechende Wirkung zugeschrieben habe (BFH-Urteil vom 8. Februar 1966 VII 271/63, BFHE 85, 231, BStBl III 1966, 293). Das HZA beantragt, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie führt aus: Die Frage, ob der Steuerbescheid am 18. Dezember 1970 zur Post gegeben worden ist, sei streitig geblieben. Auch das Urteil des FG enthalte eine solche Feststellung nicht. Sollte aber das Urteil so ausgelegt werden können, daß es diese Feststellung enthalte, so müsse die Feststellung mit den zulässigen Verfahrensrügen angegriffen werden, da sie gegen die Denkgesetze und gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoße und unter Verletzung der Aufklärungspflicht des Gerichts zustande gekommen sei. Im übrigen sei die Frage, ob die verjährungsunterbrechende Wirkung durch die Aufgabe zur Post oder erst durch die Bekanntgabe einer schriftlichen Zahlungsaufforderung bewirkt werde, im finanzgerichtlichen Verfahren eingehend erörtert worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
Das FG hat zu Recht der gegen den Nachforderungsbescheid gerichteten Klage stattgegeben. Dem Nachforderungsbescheid liegen Zoll- und Verbrauchsteuerforderungen zugrunde, die im Jahre 1969 entstanden waren. Für diese Forderungen endete die Verjährung mit Ablauf des Jahres 1970 (§§ 144 Abs. 1, 145 AO), da bis zu diesem Zeitpunkt die Verjährung weder gehemmt noch unterbrochen wurde.
Die Verjährung kann nach § 147 AO durch eine schriftliche Zahlungsaufforderung unterbrochen werden, wie sie in dem gegen die Klägerin gerichteten Nachforderungsbescheid enthalten war. Der Bescheid ist nach den Feststellungen des FG am 18. Dezember 1970, also vor Eintritt der Verjährung, zur Post gegeben worden. Diese Feststellung ist von der Klägerin mit verschiedenen Revisionsrügen angefochten worden, denen jedoch nicht nachgegangen zu werden braucht. Denn für die Unterbrechung der Verjährung war nicht der Zeitpunkt maßgebend, in dem der die Zahlungsaufforderung enthaltende Bescheid zur Post gegeben wurde, sondern der Zeitpunkt seines Zuganges. Der Bescheid ist nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des FG erst am 5. Januar 1971, also nach Eintritt der Verjährung, der Klägerin zugegangen.
Die Frage, ob für die verjährungsunterbrechende Wirkung einer in einem Steuerbescheid enthaltenen schriftlichen Zahlungsaufforderung gemäß § 147 AO der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post oder der Zeitpunkt des Zuganges des Bescheides maßgeblich ist, ist seit der Neufassung der Verjährungsbestimmungen durch das AOÄG vom 15. September 1965 noch nicht höchstrichterlich entschieden worden. Zu § 147 AO a. F. hat der BFH zunächst in mehreren Entscheidungen die Auffassung vertreten, daß es für die Unterbrechung der Verjährung durch den Erlaß eines Steuerbescheides auf den Zeitpunkt des Zuganges nicht ankomme, daß vielmehr der Bescheid schon im Zeitpunkt der Aufgabe zur Post die verjährungsunterbrechende Wirkung auslöse, da er in diesem Zeitpunkt den inneren Dienstbereich verlassen habe (Urteile VI 251/57 U und VII 41/59). Demgegenüber hat der BFH mit Urteil II 137/60 U unter Hinweis auf § 91 AO den Standpunkt vertreten, daß bei Handlungen, die sich nicht gegen, sondern an den Steuerschuldner wenden, die Unterbrechung der Verjährung erst in dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem der Steuerpflichtige von der verjährungsunterbrechenden Handlung Kenntnis erhält, bei Steuerbescheiden also im Zeitpunkt des Zuganges des Bescheides.
Durch das AOÄG vom 15. September 1965 sind die bis dahin nach § 147 AO a. F. bestehenden sehr weitgehenden Möglichkeiten zur Unterbrechung der Verjährung eingeschränkt worden, um die Funktion der Verjährung als Instrument der Rechtssicherheit stärker zu betonen. Das Ziel dieser Regelung ging dahin, den Steuerpflichtigen eine möglichst baldige Gewißheit über die Höhe ihrer Steuerschuld zu ermöglichen. Aus diesem Grunde sind die Unterbrechungstatbestände des § 147 AO n. F. so gefaßt worden, daß die Unterbrechung der Verjährung nicht festgesetzter Abgabenforderungen grundsätzlich ausgeschlossen ist. In der Begründung des Gesetzentwurfes ist dazu bemerkt (Bundestagsdrucksache IV/2442 S. 13):
"Der Steuerpflichtige erhält danach die absolute Gewißheit, daß nach Ablauf der in §§ 144 bis 146 a AO genannten Fristen Abgabennachforderungen gegen ihn nicht mehr erhoben werden."
Diese Begründung läßt erkennen, daß in der Auffassung des Schutzzweckes der Verjährung ein Wandel eingetreten ist. Während der BFH in der Entscheidung VII 45/60 S den Zweck der Verjährung darauf beschränkt, daß der Steuerpflichtige vor einem verspäteten Handeln der Verwaltung geschützt werden soll, und ein weiteres Bedürfnis dahin, auch die Unkenntnis des Steuerpflichtigen von dem fristgerechten Tätigwerden der Verwaltung zu schützen, ausdrücklich verneint, wird durch die Neufassung der Verjährungsvorschriften gerade das Interesse des Steuerpflichtigen an der rechtzeitigen Kenntnis der Abgabenforderung in den Vordergrund gestellt und als schutzwürdig behandelt. Deshalb reicht es für die Unterbrechung der Verjährung nicht mehr, daß der die schriftliche Zahlungsaufforderung enthaltende Steuerbescheid vor Ablauf der Verjährung zur Post gegeben ist. Entscheidend für die verjährungsunterbrechende Wirkung ist vielmehr nach der Neufassung der fristgerechte Zugang des Bescheides, der den Steuerpflichtigen auf die Abgabenforderung hinweist. Da im Streitfall der Bescheid nach den Feststellungen des FG erst am 5. Januar 1971 zugegangen ist, konnte die in ihm enthaltene Zahlungsaufforderung die Verjährung nicht mehr unterbrechen.
Der Senat stimmt auch der Auffassung des FG zu, daß der Ablauf der Verjährung nicht nach § 146 a AO n. F. gehemmt wurde.
Daß die bei der Klägerin durchgeführte Interzonenund Außenwirtschaftsprüfung keine steuerliche Betriebsprüfung im Sinne des § 146 a Abs. 3 AO darstellt, entspricht der Rechtsprechung des Senats (Beschluß vom 21. November 1972 VII B 80/71, BFHE 107, 360, BStBl II 1973, 130). Diese Prüfung konnte deshalb als solche nicht den Verjährungsablauf für die mit dem Bescheid vom 18. Dezember 1970 festgesetzten Abgabenforderungen hemmen. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, daß die Prüfungsbeamten in dem Betriebsprüfungsbericht unter Hinweis auf die einer anderen Firma erteilte vZTA die bestehenden Tarifierungszweifel aufgezeigt und diese Zweifel dem zuständigen HZA mitgeteilt haben. Die Prüfung der Tarifierungsfrage diente, wie sich aus dem Zusammenhang des Prüfungsberichtes ergibt, der Prüfung, ob die durchgeführten Einfuhren den erteilten Einfuhrgenehmigungen entsprachen. Sie lag also im Rahmen der angeordneten und auch tatsächlich durchgeführten Interzonen- und Außenwirtschaftsprüfung. Auch die Mitteilung der Tarifierungszweifel an die zuständige Zollstelle hat diesen Rahmen nicht verlassen und ist deshalb nicht geeignet, der Prüfung über ihren wirtschaftsrechtlichen Charakter hinaus den Charakter einer steuerlichen Betriebsprüfung im Sinne des § 146 a AO zu geben. Denn aus dieser Mitteilung ergibt sich nicht, daß die Prüfer über ihren Prüfungsauftrag hinausgehend steuerliche Ansprüche gegen die Klägerin prüfen wollten und geprüft haben. Die Mitteilung läßt vielmehr lediglich erkennen, daß die Prüfer das im Rahmen der außenwirtschaftlichen Prüfung gefundene Ergebnis der zuständigen Zollstelle mitteilen wollten, um dieser die Prüfung des Sachverhalts in steuerlicher Sicht zu ermöglichen. Das reicht aber für die Verjährungshemmung nach § 146a Abs. 3 AO nicht aus. Diese Bestimmung verlangt vielmehr, daß die Betriebsprüfung die Überprüfung des Steueranspruchs selbst zum Gegenstand hat, was auch in dem Prüfungsbericht zum Ausdruck kommen muß (BFH-Urteil vom 26. März 1974 VII R 133/71, BFHE 112, 324).
Der Ablauf der Verjährung ist schließlich auch durch die bei dem Abnehmer der Ware durchgeführte Fahndungsprüfung nicht gehemmt worden.
Wie das FG zutreffend dargelegt hat, kann in diesem Zusammenhang die Frage dahingestellt bleiben, ob die Fahndungsprüfung tatsächlich die Überprüfung der Steueransprüche gegen die Klägerin zum Gegenstand hatte, da nach dem Rechtsschutzgedanken der Verjährungsbestimmungen Prüfungen, die bei Dritten durchgeführt werden, dem Steuerpflichtigen gegenüber den Ablauf der Verjährung nicht hemmen können. Denn Prüfungen, die bei Dritten durchgeführt werden, müssen nicht zur Kenntnis des Steuerpflichtigen gelangen. Deshalb würde es dem erstrebten Ziel der Rechtssicherheit widersprechen, solchen Prüfungen verjährungshemmende Wirkung gegenüber den Steuerpflichtigen beizulegen. Daß § 146 a Abs. 3 AO nur Prüfungen gegenüber den Steuerpflichtigen umfaßt, ergibt sich auch aus dem Wortlaut der Bestimmung selbst, wonach die Hemmung der Verjährung auch dadurch ausgelöst wird, daß der Beginn der Betriebsprüfung auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wird. Ein solcher Antrag kann nur eine Prüfung bei dem Steuerpflichtigen selbst betreffen. Dafür spricht auch die weitere Regelung, daß die Ablaufhemmung andauert, bis die auf Grund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder dem Steuerpflichtigen die Mitteilung zugeht, daß eine Abgabenfestsetzung unterbleibt. Diese Regelung ist lückenlos, wenn § 146 a Abs. 3 AO sich auf Betriebsprüfungen beschränkt, die bei dem Steuerpflichtigen selbst durchgeführt worden sind; denn die Betriebsprüfung führt entweder zu einer Abgabennacherhebung bzw. -erstattung oder zu der Mitteilung, daß von einer Abgabenerhebung abgesehen werde. Würde aber § 146 a Abs. 3 AO auch Prüfungen umfassen, die bei Dritten durchgeführt werden, so wäre das Ende der Ablaufhemmung nicht abschließend geregelt, da auf Grund einer bei einem Dritten durchgeführten Betriebsprüfung dem Steuerpflichtigen keine Mitteilung zugehen kann, daß von einer Abgabenerhebung abgesehen werde. Eine solche Auslegung würde deshalb zu einer Rechtsunsicherheit führen, die nicht dem Sinn der Verjährungsbestimmungen entsprechen würde.
Fundstellen
Haufe-Index 71490 |
BStBl II 1975, 723 |
BFHE 1976, 2 |