Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Vorsteuerabzug bei gemischter Verwendung des Leistungsbezugs; zum Vorliegen ,,Neuer Tatsachen"
Leitsatz (NV)
1. Die Vorsteuerbeträge aus den Gebäudeherstellungskosten, die auf einen für eigene Wohnzwecke des Unternehmers genutzten Gebäudeteil entfallen, sind nicht abzugsfähig, weil entweder dieser Gebäudeteil vom Unternehmer nicht gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 ,,für sein Unternehmen" angeschafft worden ist, oder weil er, auch wenn er ,,für sein Unternehmen" angeschafft worden ist, zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet wurde (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 15 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1973).
2. Grundsätzlich sind der Finanzbehörde auch die Tatsachen bekannt, die ein Bediensteter in einem Aktenvermerk festgehalten hat oder festhalten mußte. Wird ein notwendiger Aktenvermerk über eine mündliche Unterredung (z. B. Inhalt eines Telefonats) mit dem Steuerpflichtigen nicht zu den Akten genommen, hat die Finanzbehörde ihre Ermittlungspflicht nicht gehörig erfüllt mit der Folge, daß sie die mündlich dargelegten und erörterten Umstände als bekannt gegen sich gelten lassen muß.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1973 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 4 Nr. 12, § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5, 4 Nr. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Inhaber einer . . .-Fabrik.
Im Streitjahr 1973 wurde auf einem Grundstück, das dem Kläger und seiner Ehefrau je zu 1/2 Miteigentumsanteil gehört, ein Neubau errichtet. Im zweiten Obergeschoß dieses Neubaus befinden sich die Wohnung und das Schwimmbad der Eheleute. Auf diesen - für eigene Wohnzwecke der Eheleute genutzten - Teil des Gebäudes entfielen 40 v. H. der Baukosten. Bei der Herstellung des Neubaus sind Vorsteuern in Höhe von 105 620,49 DM angefallen.
Im Rahmen des Umsatzsteuervoranmeldeverfahrens hat sich nach den Angaben des Klägers eine Angestellte seines Bevollmächtigten am 2. November 1973 beim Finanzamt fernmündlich danach erkundigt, wie die Vorsteuern aufzuteilen seien. Der von der Angestellten hierzu gefertigte Vermerk lautet wörtlich:
,,. . . kann die Vorsteuer auf Bürogebäude nach 15,3 aufgeteilt werden in der Voranmeldung. Evtl. in Jahreserklärung berichtigen, wenn Gesamtumsatz und Mietwert der Wohnung feststehen.
. . ."
Der Bedienstete beim Finanzamt hat das Gespräch nicht in den Akten vermerkt.
In der Umsatzsteuerjahreserklärung für 1973 führte der Kläger unter Buchst. b Zeile 11 ,,steuerfreie Umsätze ohne Vorsteuerabzug nach § 4 Nr. 12 UStG" in Höhe von 13 200 DM an. Im Rahmen der Berechnung des Betrages der abziehbaren Vorsteuern (= 128 552,78 DM) in einer Anlage zur Umsatzsteuerjahreserklärung waren die Vorsteuerbeträge von insgesamt 129 790 DM um 1 238,21 DM gekürzt, da sie insoweit nicht nach § 15 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1973) abziehbar seien. Aus der Umsatzsteuerjahreserklärung ergab sich eine gegenüber der Summe der Vorauszahlungen geringere Steuerschuld, da - wie der Kläger auf einem als Anlage zur Umsatzsteuerjahreserklärung beigefügten Blatt darlegte - einige Rechnungen über den Bau des ,,Bürogebäudes" bei der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen noch nicht bei seiner Firma eingegangen gewesen seien.
In der Bilanz zum 31. Dezember 1973 war ein Zugang ,,Betriebsgebäude" in Höhe von 960 676,56 DM ausgewiesen. Ein Hinweis darauf, daß in dem neuerrichteten Gebäude auch die Wohnung und das Schwimmbad des Klägers lägen, findet sich weder in der Bilanz zum 31. Dezember 1973 noch in den Steuererklärungen für 1973.
Entsprechend den Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung setzte das Finanzamt mit Bescheid für 1973 vom 27. März 1974 die Umsatzsteuer auf 22 241,82 DM fest.
Im Jahr 1975 wurde anläßlich einer Betriebsprüfung die tatsächliche Gebäudenutzung festgestellt. Aufgrund der Feststellungen des Betriebsprüfers erließ das Finanzamt am 1. September 1975 einen gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) berichtigten Bescheid, in dem es die Umsatzsteuer auf 63 278,16 DM festsetzte. Die Änderung beruht - soweit hier streitig - darauf, daß das Finanzamt nach § 15 Abs. 5 UStG 1973 eine Aufteilung der auf den Neubau entfallenden Vorsteuern nach § 15 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1973 entsprechend der Nutzung des Neubaus vornahm, während die Aufteilung der Vorsteuer im ursprünglichen Bescheid gemäß § 15 Abs. 3 UStG 1973 nach dem Verhältnis der steuerpflichtigen Umsätze zu den vom Kläger erklärten steuerfreien Umsätzen ohne Vorsteuerabzug erfolgt war. Diese Aufteilung führe - so das Finanzamt - zu ungerechtfertigten Steuervorteilen i. S. des § 15 Abs. 5 UStG 1973. Denn unter Berücksichtigung der Aufteilungsmethode des § 15 Abs. 3 UStG 1973 wären weniger als 1 v. H. der auf den Neubau entfallenden Vorsteuern nicht abziehbar (1 238,21 DM); nach der vom Finanzamt nunmehr vorgenommenen Aufteilung entsprechend dem Umfang der privaten Nutzung des Neubaus waren 40 v. H. (42 248,15 DM) nicht abziehbar.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO i. V. m. § 15 Abs. 5 UStG 1973. Er trägt vor: Es lägen keine neuen Tatsachen i. S. des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO vor. Denn die Tatsachen, die im Streitfall eine Aufteilung der Vorsteuer nach § 15 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1973 erforderlich machten, seien dem Finanzamt bekannt gewesen oder hätte das Finanzamt kennen müssen. Die Behandlung der Vorsteuern sei in dem Ferngespräch zwischen der Angestellten seines Bevollmächtigten und dem Sachbearbeiter des Finanzamts abgestimmt worden. Außerdem habe er - der Kläger - erstmals in der Umsatzsteuerjahreserklärung 1973 steuerfreie Umsätze gemäß § 4 Nr. 12 UStG 1973 erklärt. Hieraus ergebe sich, daß das Finanzamt schon bei der ursprünglichen Veranlagung aufgrund der vorliegenden Anhaltspunkte die begehrte Vorsteueraufteilung hätte überprüfen müssen.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung des Finanzgerichts (FG), den berichtigten Umsatzsteuerbescheid für 1973 vom 1. September 1975 und die Einspruchsentscheidung vom 20. Februar 1976 aufzuheben.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zutreffend die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Berichtigungsbescheids bejaht. Dieser Steuerbescheid war jedoch nicht nur in formeller Hinsicht, sondern auch in materieller Hinsicht zu überprüfen. In materieller Hinsicht ist die zuungunsten des Klägers geänderte Steuerfestsetzung im angegriffenen Änderungsbescheid der Höhe nach gerechtfertigt (zu Abschnitt 1). In formeller Hinsicht ist der angefochtene Steuerbescheid als Berichtigungsbescheid gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO zu Recht ergangen (zu Abschnitt 2).
1. Die Vorentscheidung ist in materieller Hinsicht insoweit rechtsfehlerfrei, als die Umsatzsteuer in dem angegriffenen Bescheid gegenüber dem berichtigten Bescheid zuungunsten des Klägers um 41 036,34 DM höher festgesetzt wurde. In dieser Höhe sind Vorsteuerbeträge aus den Gebäudeherstellungskosten des im Jahre 1973 errichteten Bürogebäudes zusätzlich nicht abziehbar. Für dieses Ergebnis kann der Senat offenlassen, ob Vorsteuerbeträge in der streitbefangenen Höhe schon deshalb nicht abziehbar sind, weil es für einen Vorsteuerabzug aus den Gebäudeherstellungskosten des gesamten Bauwerks (ganz oder teilweise) an den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 fehlt. Der Senat braucht deshalb nicht zu prüfen, ob der Kläger als Leistungsempfänger i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 zu beurteilen ist (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Dezember 1986 V R 57/76, BFHE 148, 361, BStBl II 1987, 233), und ob die Abrechnungen über die erbrachten Bauleistungen im Veranlagungszeitraum vorgelegen haben (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 25. November 1976 V R 98/71, BFHE 121, 550, BStBl II 1977, 448; - siehe unter Ziff. 3 -). Auch wenn insoweit die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 in der Person des Klägers erfüllt wären, wären die Vorsteuerbeträge, die auf das - für eigene Wohnzwecke der Eheleute genutzte - zweite Obergeschoß entfallen, nicht abziehbar.
a) Die Vorsteuerbeträge, die auf das zweite Obergeschoß entfallen, sind entweder deshalb nicht abzugsfähig, weil dieser Teil des Gebäudes nicht gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 ,,für das Unternehmen" des Klägers angeschafft worden ist (siehe unter aa) oder weil dieser Gebäudeteil, auch wenn er für das Unternehmen bezogen worden ist, zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet wurde (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 15 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1973 - siehe unter bb -).
aa) Da der Kläger das zweite Obergeschoß erstmals für eigene Wohnzwecke der Miteigentümer verwendet hat, könnte im Rahmen des § 15 Abs. 1 UStG 1973 seine durch das Vorsteuerabzugsbegehren in der Umsatzsteuerjahreserklärung für 1973 erkennbar gemachte Entscheidung, diese Räume dem Unternehmen zuzuordnen, nicht anerkannt werden; denn für eigene Wohnzwecke verwendete Räume fördern die gewerbliche Tätigkeit des Klägers nicht. Es fehlt der objektive und erkennbare wirtschaftliche Zusammenhang zwischen dem Leistungsbezug und der Unternehmertätigkeit des Klägers (BFH-Urteil vom 11. Dezember 1985 V R 25/78, BFHE 145, 255, BStBl II 1986, 216).
Ein Ausschluß des Vorsteuerabzugs bezüglich des für eigene Wohnzwecke genutzten Gebäudeteils gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 setzt allerdings voraus, daß das Gebäude als teilbarer Gegenstand nach Maßgabe der für unternehmerische und für nichtunternehmerische Zwecke verwendeten Gebäudeteile angesehen wird, hinsichtlich derer die Zuordnungsentscheidung im Rahmen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 unterschiedlich ausfallen kann (siehe BFH-Urteile vom 30. Juli 1986 V R 99/76, BFHE 147, 284, BStBl II 1986, 877; in BFHE 148, 361, BStBl II 1987, 233; Schreiben des Bundesminsters der Finanzen - BMF - vom 23. Juli 1986 IV A 2 - S 7100 - 76/86, BStBl I 1986, 432, Buchst. H, Beispiel 11 Abs. 2).
bb) Im Streitfall braucht diese Rechtsfrage nicht entschieden zu werden. Auch wenn man davon ausgeht, daß der Kläger den für eigene Wohnzwecke genutzten Gebäudeteil ,,für sein Unternehmen" i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 bezogen hat, weil der Neubau als einheitlicher Gegenstand zu beurteilen ist, sind die Vorsteuerbeträge, die auf den Wohnteil entfallen, nicht abziehbar. In diesem Fall ist die Aufteilung der Vorsteuern, die auf die vom Kläger gemischt verwendeten Leistungsbezüge entfallen, nach § 15 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 Nr. 2 UStG 1973 vorzunehmen, weil diese Aufteilungsmethode am ehesten geeignet ist, das rechtlich zutreffende Ergebnis herbeizuführen (BFH-Urteil vom 14. Februar 1980 V R 49/74, BFHE 130, 107, BStBl II 1980, 533). Danach sind die auf die Baukosten des zweiten Obergeschosses entfallenden Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, weil der Kläger insoweit das Gebäude zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet hat. Die Verwendung des zweiten Obergeschosses des Gebäudes für die eigenen Wohnzwecke des Klägers und seiner Ehefrau ist Eigenverbrauch (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1973; Urteil in BFHE 148, 361, BStBl II 1987, 233, unter 2, a, bb), für den die Steuerbefreiungsvorschriften des § 4 UStG 1973 gelten. Der Eigenverbrauch durch Nutzung eines dem Unternehmen dienenden Gebäudes für eigene Wohnzwecke ist gemäß § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG 1973 steuerfrei. Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung ist beim Eigenverbrauch nicht möglich.
Der Steuerbefreiung des Verwendungseigenverbrauchs steht im Streitfall nicht entgegen, daß sich in dem für eigene Wohnzwecke verwendeten Gebäudeteil ein Schwimmbad befindet. Die Steuerbefreiung bezüglich der Verwendung des Schwimmbads für eigene Wohnzwecke würde nur dann entfallen, wenn es sich bei dem Schwimmbad um eine Betriebsvorrichtung handeln würde (§ 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1973; BFH-Urteile vom 16. Oktober 1980 V R 51/76, BFHE 132, 119, BStBl II 1981, 228, und vom 18. Dezember 1986 V R 176/75, BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350). Dies trifft im Streitfall nicht zu. Dies gilt unabhängig davon, ob der für eigene Wohnzwecke genutzte Gebäudeteil i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 ,,für das Unternehmen" des Klägers angeschafft wurde oder nicht. Eine Betriebsvorrichtung ist nämlich eine Anlage, die ,,in besonderer und unmittelbarer Beziehung" zu dem auf dem Grundstück ausgeübten Betrieb in der Weise stehen muß, daß das Gewerbe oder der Beruf durch die Anlage unmittelbar betrieben wird (BFH-Urteile vom 14. August 1958 III 382/57 U, BFHE 67, 325, BStBl III 1958, 400; in BFHE 132, 119, BStBl II 1981, 228). Im Streitfall dient das innerhalb der Wohnräume gelegene Schwimmbad nicht unmittelbar dem Unternehmen des Klägers, sondern der privaten Lebensführung der Eheleute.
2. Das FA konnte auch zu Recht den Steuerbescheid vom 27. März 1974 gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO durch den angefochtenen Bescheid berichtigen. Nach dieser Vorschrift findet die Berichtigung eines Steuerbescheides statt, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen.
a) Eine höhere Steuer rechtfertigende Tatsachen im Sinn dieser Vorschrift sind im Streitfall die teilweise Verwendung des Bürogebäudes für eigene Wohnzwecke und der wertmäßig hierauf entfallende Leistungsbezug. Denn dies ist der für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG 1973 bzw. § 15 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2, Abs. 4 Nr. 2 UStG 1973 maßgebende Sachverhalt.
b) Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die steuererhöhenden Tatsachen auch ,,neu" i. S. des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO sind.
aa) ,,Neu" sind Tatsachen, die der Finanzbehörde nachträglich bekanntwerden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind Tatsachen nachträglich bekanntgeworden, wenn sie der Finanzbehörde bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung unbekannt waren (Urteil vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492). Aber auch wenn Tatsachen der Finanzbehörde positiv unbekannt waren, ist eine Änderung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn die Finanzbehörde die steuererhöhenden Tatsachen gegen sich gelten lassen muß, weil sie bei gehöriger Wahrnehmung ihrer Ermittlungspflicht (§ 204 AO) diese bereits anläßlich der ursprünglichen Veranlagung hätte feststellen können (BFH-Urteile vom 23. August 1963 III 56/62 U, BFHE 77, 542, BStBl III 1963, 518, und vom 15. November 1974 VI R 58/72, BFHE 114, 318, BStBl II 1975, 369). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Finanzbehörde trotz ersichtlicher Unklarheiten auf jede weitere Aufklärung verzichtet (vgl. BFH-Urteile vom 10. Juli 1958 IV 143/56 U, BFHE 67, 239, BStBl III 1958, 365; vom 5. Dezember 1958 VI 196/57 S, BFHE 68, 223, BStBl III 1959, 86, und vom 17. April 1964 VI 140/63 U, BFHE 79, 436, BStBl III 1964, 390) und Zweifelsfragen nicht nachgeht, die sich ihr bei Prüfung der Steuererklärung ohne weiteres aufdrängen mußten (BFH-Urteil vom 16. Januar 1964 V 94/61 U, BFHE 78, 389, BStBl III 1964, 149). Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall ergibt sich folgendes:
Dem Finanzamt waren bei Erlaß des ursprünglichen Steuerbescheides die steuererhöhenden Tatsachen und dabei insbesondere der Umstand, daß der Neubau teilweise für eigene Wohnzwecke genutzt wird und 40 v. H. der Baukosten auf diesen Gebäudeteil entfallen, weder bekannt noch hätte es diesen Sachverhalt kennen müssen. Aus der Umsatzsteuerjahreserklärung 1973 nebst Anlagen und aus der Bilanz zum 31. Dezember 1973 ergeben sich keine Unklarheiten oder Zweifelsfragen, die dem Finanzamt eine Überprüfung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge im Hinblick auf eine vorsteuerschädliche Verwendung des Neubaus hätten aufdrängen müssen. Die Angabe steuerfreier Vermietungsumsätze in der Umsatzsteuererklärung und die Erklärung, ein geringer Teil der Vorsteuerbeträge sei nach § 15 Abs. 3 UStG 1973 nicht abziehbar, sind - da nähere Erläuterungen und insbesondere ein Hinweis auf den hier vorliegenden Eigenverbrauch fehle - keine Umstände, die in sich widersprüchlich sind und deshalb beim Finanzamt die weitere Aufklärung bei gehöriger Erfüllung der ihm obliegenden Ermittlungspflicht hätten auslösen müssen. Darüber hinaus mußte sich dem Finanzamt wegen des Ansatzes steuerfreier Vermietungsumsätze in der Steuererklärung auch nicht die Vermutung aufdrängen, diese Vermietungsumsätze bezögen sich auf den Neubau, da dieser in der Bilanz als ,,Betriebsgebäude" und in der Umsatzsteuererklärung als ,,Bürogebäude" bezeichnet wurde und deshalb die Prüfung, ob dieser Bau auch für eigene Wohnzwecke des Klägers verwendet wird, sich nicht aufdrängte. Bei dieser Sachlage bestand für das Finanzamt kein Grund, nicht auf die Richtigkeit der Angaben in der Steuererklärung zu vertrauen.
bb) Das Finanzamt hat auch nicht im Hinblick auf das zwischen der Angestellten des Bevollmächtigten des Klägers und dem Bediensteten beim Finanzamt geführte Ferngespräch seine Ermittlungspflicht verletzt. Das Ferngespräch war nicht geeignet, das Finanzamt über Art und Umfang der Nutzung des Neubaus und die Verwendung des Neubaus zur Ausführung von steuerabzugsschädlichen und nichtabzugsschädlichen Umsätzen dergestalt zu unterrichten, daß ihm diese Umstände bei Durchführung der Umsatzsteuerveranlagung 1973 ohne eine ausführliche Darlegung des Sachverhalts positiv bewußt sein bzw. es zu weiterer Aufklärung des Sachverhalts veranlassen mußten.
Grundsätzlich sind der Finanzbehörde auch die Tatsachen bekannt, die dem zuständigen Bediensteten mündlich mitgeteilt wurden und die der Bedienstete in einem Aktenvermerk festhalten mußte. Entscheidend ist, ob nach den Verhältnissen des Einzelfalls ein Aktenvermerk angebracht gewesen wäre (siehe Woerner/Grube, Die Änderung und Aufhebung von Steuerverwaltungsakten, 7. Aufl., 1983, S. 85; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., 1987, § 173 AO 1977, Anm. 4 a; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 173 AO 1977, Tz. 21). Wird ein notwendiger Aktenvermerk über eine mündliche Unterredung mit dem Steuerpflichtigen nicht zu den Akten genommen, hat die Finanzbehörde ihre Ermittlungspflicht nicht gehörig erfüllt mit der Folge, daß sie die mündlich dargelegten und erörterten Umstände als bekannt gegen sich gelten lassen muß (v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 173 AO 1977, Anm. 29).
Hiernach könnte das Finanzamt gegenüber einem Vorbringen, es hätte bei Erfüllung seiner Ermittlungspflicht - insbesondere unter Berücksichtigung des Telefongesprächs vom 2. November 1973 - die vorsteuerschädliche Verwendung des Bürogebäudes schon bei der ursprünglichen Veranlagung kennen müssen, nicht mit Erfolg einwenden, das Telefongespräch sei unbeachtlich, da kein Aktenvermerk angefertigt worden war. Im Streitfall hat das FA aber deshalb seine Ermittlungspflicht nicht verletzt, weil der Inhalt der telefonischen Unterredung nicht schriftlich zu den Akten genommen werden mußte. Denn es ist davon auszugehen, daß dem Finanzamt anläßlich des Telefonats vom 2. November 1973 nicht umfassend und erschöpfend (vgl. Woerner/Grube, a. a. O., S. 85) Art und Umfang der Nutzung des Bürogebäudes, die Aufteilung der Gebäudeherstellungskosten auf die unterschiedlich genutzten Gebäudeteile und nähere Angaben zur ,,gemischten Verwendung" des Neubaus mitgeteilt wurden. Unter diesen Umständen und angesichts der Vielzahl fernmündlicher Unterredungen brauchte der zuständige Bedienstete bei dem Finanzamt die telefonischen Angaben im Rahmen des Umsatzsteuervoranmeldeverfahrens für die spätere Veranlagung nicht schriftlich festzuhalten.
Der Sachbearbeiter hat bei der telefonischen Unterredung den vorläufigen Charakter seiner Auskunft hervorgehoben und auf die Korrekturmöglichkeiten der Vorsteueraufteilung bei Abgabe der Jahressteuererklärung hingewiesen. Deshalb hätte es für den Kläger nahegelegen, dem Finanzamt den genauen Sachverhalt spätestens im Rahmen der Umsatzsteuerjahreserklärung erschöpfend darzulegen, zumal es in erster Linie Sache des Klägers war, klare Verhältnisse zu schaffen und die maßgebenden Umstände richtig, vollständig und deutlich dem Finanzamt zur Prüfung zu unterbreiten. Wenn der Kläger dies gleichwohl nicht getan hat, muß das FA den ihm tatsächlich nicht bekanntgewesenen Sachverhalt sich nicht als bekannt zurechnen lassen.
Fundstellen