Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtswidrigkeit von Haftungsbescheiden wegen fehlender Darlegung von Ermessenserwägungen
Leitsatz (NV)
1. Die der haftungsweisen Inanspruchnahme zugrunde liegenden Ermessenserwägungen müssen im Haftungsbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung, grundsätzlich dargelegt werden, sofern die Darlegung nicht ausnahmsweise entbehrlich ist.
2. Das finanzbehördliche Vorbringen in der Revisionsinstanz zur Ausübung des Ermessens kann insoweit nicht berücksichtigt werden.
3. Der Umstand, daß die Voraussetzungen der Haftung beim Betrieb eines nichtkonzessionierten Spielcasinos verwirklicht worden sein sollen, entbindet das FA nicht davon, die Ermessenserwägungen, entsprechend den Verhältnissen des Einzelfalles, darzulegen.
Normenkette
AO §§ 113, 118 S. 1; AO 1977 §§ 118, 121, 126 Abs. 1-2, § 191; FGO § 102
Tatbestand
Bis zur polizeilichen Schließung betrieben der Kl. zu 2. und andere Personen unter der Bezeichnung ,,X-Y-Z" - ohne Konzession - ein Spielcasino.
Die Umsätze aus dem Spielbetrieb wurden im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung geschätzt. Ausgangspunkt für die Schätzung waren Aufzeichnungen eines Mitgesellschafters und eines Croupiers, in denen für einzelne Tage der Monate . . . bestimmte Beträge festgehalten waren. Diese Beträge wurden von der Steuerfahndung und ihr folgend vom FA als Tagesrohgewinne (Tagesbruttospielerträge) angesehen und auf volle Monate umgerechnet. Für die Monate, für die keine Aufzeichnungen vorlagen, wurden die Monatsrohgewinne in Anlehnung an die Rohgewinne der Monate . . . und . . . geschätzt. Als Gesamtbruttospielertrag ergab sich daraus für die Monate . . . . . . DM. Ausgehend von dem geschätzten Bruttospielertrag von . . . DM errechnete das FA unter Berücksichtigung eines Vervielfältigers von 6,5 einen Bruttoumsatz von . . . DM.
Am . . . 1977 erließ das FA einen USt-Bescheid über . . . DM, den es wie folgt adressierte: ,,X-Y-Z GbR A u. a. Herrn A".
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hob das FG den USt-Bescheid sowie den diesbezüglichen Einspruchsbescheid auf. Darauf stellte das FA den USt-Bescheid fünf Personen, die es als Gesellschafter der GbR ansah, selbst zu.
Ebenfalls am . . . 1977 erließ das FA Haftungsbescheide betreffend die Steuerschuld der ,,X-Y-Z GbR" gegen die Klin. zu 1., den Kl. zu 2. und die anderen von ihm als Beteiligte an der GbR angesehenen Personen. Die Haftungsbescheide stützte es auf die §§ 113, 118 AO, § 7 Abs. 1 und 3 StAnpG, § 421 BGB, § 11 EGAO 1977. Als Rechtsgrund gab das FA die persönliche Haftung der Kl. als ,,Gesellschafter der X-Y-Z GbR" ,,für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft als Gesamtschuldner" an. Ob diesen Haftungsbescheiden Ablichtungen des USt-Bescheides als Anlage beigefügt waren, ist nicht geklärt.
Am . . . 1977 hatte das FA dem Bevollmächtigten der Kl. den Bericht der Steuerfahndungsprüfung übersandt, aus dem sich ergab, wie das FA die Umsätze und die sich daraus ergebende USt berechnet hatte.
Die Einsprüche gegen die Haftungsbescheide wies das FA als unbegründet zurück. Es führte hierzu aus, die Umsätze seien steuerpflichtig, die Höhe des Umsatzes sei nicht zu beanstanden, der der Umsatzbesteuerung zugrunde liegende Sachverhalt sei durch die GbR verwirklicht und den Beteiligten durch Übersendung einer Kopie des Betriebsprüfungsberichts bekannt und die Beteiligung der Kl. an der GbR ergebe sich aus den Aussagen eines anderen Beteiligten. Weiter sei gegen die Annahme des Haftungstatbestandes nichts vorgebracht worden. Die haftungsbegründenden Umstände ergäben sich aus der Beteiligung an den gemeinsamen Geschäften der ehemaligen Gesellschafter der GbR.
Die Klagen gegen die Haftungsbescheide blieben erfolglos. Das FG führte u. a. aus, auch unter Ermessensgesichtspunkten (Entschließungs- und Auswahlermessen) sei die Inanspruchnahme der Kl. nicht zu beanstanden. Denn vom Steuerschuldner sei die USt nicht zu erlangen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem FG sagten die Beteiligten B und der Kl. zu 2. übereinstimmend aus, daß der Gewinn an vier und evtl. mehr Personen verteilt worden sei, unter denen sich jedoch die Klin., zu 1. nicht befunden habe.
Mit ihrer Revision bringt die Klin. zu 1. im wesentlichen vor, daß sie nicht Gesellschafterin einer unter dem Namen X-Y-Z auftretenden GbR sei. Sie habe zwar Räume zum Spielbetrieb zur Verfügung gestellt. Damit werde sie jedoch nicht Gesellschafterin.
Darüber hinaus machen die Kl. geltend, daß die Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft für Steuerschulden der Gesellschaft nur anteilig und nicht als Gesamtschuldner haften würden. Der Haftungsbescheid sei nicht in notwendigem Umfang begründet worden. Die Umsätze der GbR seien lotteriesteuerpflichtig und damit umsatzsteuerfrei (§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 1967).
Außerdem sei beim . . .spiel nur der jeweilige Bankhalter, nicht aber der X-Y-Z Unternehmer geworden. Abweichend von der Annahme des FA und des FG sei nicht der Bruttogesamtgewinn Bemessungsgrundlage, sondern der sich nach Abzug der Auszahlungsverluste ergebende Reinertrag. Die Schlußfolgerungen des FG, bei den vorgefundenen Aufzeichnungen handle es sich um Aufzeichnungen über die Tagesbruttospielerträge der GbR, widersprächen der Einlassung eines Gesellschafters.
Die Festsetzung der USt verstoße gegen Art. 3 GG insoweit, als öffentliche Spielbanken gegenüber illegal betriebenen Spielbanken begünstigt würden, und dies stelle sich im Streitfall als eine Erdrosselungssteuer dar.
Weder FG noch FA hätten zur Ermessensausübung tatsächliche Erhebungen angestellt. Soweit nach Ansicht des FG der Erlaß des Haftungsbescheids gegen die Klin. zu 1. als ermessensgemäß anzusehen sei, weil die Klin. ,,mit ihrem Ehemann als Einheit anzusehen sei" und es keine Rolle spiele, daß sie bei der Verteilung nicht berücksichtigt worden sei, verstoße dies gegen Art. 1, 3, 6 GG.
Während die Kl. keinen ausdrücklichen Revisionsantrag stellen, beantragt das FA, die Revisionen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind begründet.
1. Das FG ist an sich zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei der Inanspruchnahme eines kraft Gesetzes für einen Steuerschuldner Haftenden (Haftungsschuldner) durch Haftungsbescheid (§ 118 AO, § 191 der AO 1977) um eine Ermessensentscheidung handelt, die nach § 102 FGO darauf zu prüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (BFH-Urteil vom 30. April 1987 VII R 48/84, BFHE 149, 511, BStBl II 1988, 170).
Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Prüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lassen, muß die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Haftungsbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung begründet werden (§ 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO 1977). Dabei müssen die bei Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen aus der Entscheidung erkennbar sein (BFH-Entscheidung vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493).
Die Darstellung der Ermessenserwägungen kann fehlen, wenn diese für den Haftungsschuldner offensichtlich sind (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Das kann der Fall sein, wenn die Auffassung der Behörde zu den Ermessenserwägungen bekannt ist (BFH-Entscheidung vom 23. Oktober 1985 I R 248/81, BFHE 145, 175, BStBl II 1986, 178 unter 6.) oder wenn die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners wegen seiner besonderen Stellung so vorgeprägt ist, daß die Behörde von ihrem Ermessen auch stillschweigend sachgerecht Gebrauch gemacht hat (vgl. Urteil des Senats vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508, unter 1.), oder wenn nur eine einzige Ermessensentscheidung möglich erscheint (Einengung des Ermessens).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Ausübung des Verwaltungsermessens im Streitfall nicht ausreichend deutlich gemacht. In den Haftungsbescheiden ist nur der Haftungsgrund angegeben. Auch im Einspruchsverfahren hat sich das FA nur zum Haftungstatbestand und zu den haftungsbegründenden Umständen geäußert. Das Vorbringen in der Revisionsinstanz zur Ausübung des Ermessens kann keine Berücksichtigung mehr finden (vgl. BFH-Entscheidung vom 18. September 1981 VI R 44/77, BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801 unter 2. a). Aus dem vom FA angeführten Haftungstatbestand ergibt sich keine Vorprägung in dem Sinne, daß ohne weiteres von einer stillschweigenden und ausreichenden Ermessenserwägung des FA ausgegangen werden kann.
Auch aus den Umständen des Streitfalles kann nicht gefolgert werden, daß das FA auf die Darlegung von Ermessenserwägungen und diesen vorausgehenden Ermittlungen verzichten konnte. Das Glücksspiel, wie es nach den Feststellungen des FG betrieben wurde, mag sich im Rahmen der Illegalität und damit in einem Bereich abgespielt haben, in dem sowohl die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen und Grundlagen für die Ermessensentscheidungen als auch die Durchsetzung der Steuerschuld auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Dies entbindet jedoch das FA nicht, entsprechend den Umständen des Einzelfalles darzulegen, daß es sein Entschließungs- und Auswahlermessen ausgeübt hat, damit z. B. überprüft werden kann, ob gegen den Grundsatz der Subsidiarität (vgl. § 219 AO 1977) verstoßen worden ist (vgl. BFH-Entscheidung vom 23. Oktober 1985 VII R 195/83, BFHE 144, 479, BStBl II 1986, 158, unter 4.) oder ob die Auswahl des (der) Haftenden ermessensfehlerfrei war (BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801, unter 2. a).
3. Da im Streitfall die erforderlichen Ermessenserwägungen durch das FA nicht ausreichend dargelegt worden sind, kann der Senat offen lassen, ob die Klin. zu 1. eine für die Verwirklichung des Haftungstatbestandes erforderliche Gesellschafterstellung erlangt hatte und in welchem Umfang Gesellschafter einer GbR als solche im Haftungsweg in Anspruch genommen werden können.
Unter Aufhebung der Vorentscheidung sind somit die die Kl. betreffenden Haftungsbescheide in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen aufzuheben.
Fundstellen