Entscheidungsstichwort (Thema)
Großzügige Auslegung der Vorschriften über den Vertretungszwang in Ausnahmefällen - kein Vorkostenabzug nach § 10e Abs. 6 EStG beim Scheitern des Erwerbs oder der Herstellung der Wohnung
Leitsatz (amtlich)
Wird der angefochtene Steuerbescheid während des Revisionsverfahrens aus nicht im Streit befindlichen Gründen geändert, kann ein nicht gemäß Art.1 Nr.1 BFHEntlG vertretener Revisionsbeklagter den Antrag nach § 68 FGO persönlich stellen. Die Bestellung eines Rechtsanwalts, Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers ist hierfür nicht erforderlich.
Orientierungssatz
1. Die Vorschriften über den Vertretungszwang beim BFH sind großzügig auszulegen, wenn es um die Beendigung eines beim BFH anhängigen Verfahrens geht (vgl. BFH-Beschluß vom 17.2.1981 VII R 14/80). Darüber hinaus ist eine großzügige Auslegung dieser Vorschriften in Ausnahmefällen auch geboten bei einfachen, im Interesse des Klägers liegenden, einmaligen Prozeßerklärungen, die zur Fortführung des Revisionsverfahrens erforderlich sind.
2. NV: Scheitert der beabsichtigte Erwerb oder die beabsichtigte Herstellung einer zu eigenen Wohnzwecken zu nutzenden Wohnung, können die mit der Anschaffung oder Herstellung der Wohnung oder der Anschaffung des dazu gehörenden Grund und Bodens zusammenhängenden Aufwendungen nicht nach § 10e Abs. 6 EStG steuermindernd berücksichtigt werden.
Normenkette
BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; EStG § 10e Abs. 6; FGO § 68
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) machte in der Einkommensteuererklärung 1988 Aufwendungen für Fahrten mit dem eigenen PKW als Werbungskosten geltend. ++/ Er gab an, er habe beabsichtigt, eine Eigentumswohnung zur Eigennutzung zu erwerben und zu diesem Zweck Makler und Wohnungsbauunternehmen aufgesucht sowie verschiedene Wohnungen und Neubauvorhaben besichtigt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid 1988 die Fahrtkosten nicht. Den Einspruch des Klägers wies das FA zurück. Das Finanzgericht (FG), dessen Entscheidung in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 581 veröffentlicht ist, gab der Klage statt.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Nach § 10e Abs.6 EStG seien nur solche Aufwendungen zu berücksichtigen, die unmittelbar mit der Herstellung oder Anschaffung des Gebäudes oder der Eigentumswohnung oder der Anschaffung des Grund und Bodens zusammenhingen. Dieses Tatbestandsmerkmal könne nicht durch Auslegung umgangen werden, da der Gesetzeswortlaut insoweit eindeutig sei. Diese Regelung sei auch verständlich und in sich schlüssig, da § 10e EStG nur die Wohnung im eigenen Haus bzw. die Eigentumswohnung bei tatsächlicher Nutzung zu eigenen Wohnzwecken begünstige. Im Streitfall sei aber überhaupt kein Objekt erworben worden.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten i.S. des Art.1 Nr.1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vertretene Kläger stellte keinen Antrag.
Während des Revisionsverfahrens erließ das FA einen nach § 172 Abs.1 Satz 1 Nr.2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten, hinsichtlich des Kinderfreibetrags und des Grundfreibetrags vorläufigen Einkommensteuerbescheid 1988. Der Kläger beantragte, den geänderten Bescheid gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Der Senat kann über die materiell-rechtliche Streitfrage entscheiden. Zwar ist anstelle des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1988 der während des Revisionsverfahrens erlassene Änderungsbescheid getreten. Der Kläger hat aber gemäß § 68 FGO beantragt, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Der vom Kläger persönlich gestellte Antrag war im Streitfall als wirksam anzusehen, obwohl er als Prozeßhandlung grundsätzlich dem Vertretungszwang des Art.1 Nr.1 BFHEntlG unterliegt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gilt der Vertretungszwang nicht ausnahmslos. Prozeßhandlungen, die zur Beendigung des Verfahrens führen, wie z.B. eine Rücknahme der Revision oder eine Erledigungserklärung, kann der Kläger persönlich vornehmen (Beschluß vom 16.Januar 1984 GrS 5/82, BFHE 140, 408, BStBl II 1984, 439, mit weiteren Nachweisen). Nach Auffassung des BFH sind diese Ausnahmen notwendig, um eine unbillige Förmelei zu vermeiden, die mit dem Zweck des BFHEntlG, den Zugang zum BFH einzuschränken und das Verfahren vor dem BFH zu vereinfachen, nicht zu vereinbaren wäre. Die Vorschriften über den Vertretungszwang sind daher großzügig auszulegen, wenn es um die Beendigung eines beim BFH anhängigen Verfahrens geht (BFH-Beschluß vom 17.Februar 1981 VII R 14/80, BFHE 132, 400, BStBl II 1981, 395).
Darüber hinaus kann eine großzügige Auslegung der Vorschriften über den Vertretungszwang in Ausnahmefällen aber auch geboten sein bei einfachen, im Interesse des Klägers liegenden, einmaligen Prozeßerklärungen, die zur Fortführung des Revisionsverfahrens erforderlich sind.
Im Streitfall erstritt der Kläger ein obsiegendes Urteil des FG. Sofern er keine Anschlußrevision einlegen und nicht auf die Revision des FA erwidern wollte, brauchte er keinen Prozeßvertreter zu bestellen. Der Senat hätte also ohne die Mitwirkung durch einen Prozeßvertreter zur Sache entscheiden können. Durch ein Urteil des BFH wäre aber der Einkommensteuerbescheid 1988 rechtskräftig geworden, so daß sich die anstehenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Kinderfreibeträge und den Grundfreibetrag des Streitjahres 1988 im Falle einer Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz (GG) nicht mehr zugunsten des Klägers hätten auswirken können. Daher regte der Senatsvorsitzende beim FA an, den Einkommensteuerbescheid 1988 nachträglich durch Änderungsbescheid in gewissem Umfang für vorläufig zu erklären. Da die nachträgliche Vorläufigkeitserklärung ausschließlich im Interesse des Klägers vorgenommen wurde, kommt ein Einspruch gegen den Änderungsbescheid im Streitfall vernünftigerweise nicht in Betracht. Unternimmt der Kläger nichts, wird infolge des an die Stelle des angefochtenen Bescheids getretenen Änderungsbescheids die Klage unzulässig. Im Ergebnis hätte die Revision des FA Erfolg und das dem Kläger günstige FG-Urteil müßte aus formellen Gründen aufgehoben werden. Allein der Antrag nach § 68 FGO entspricht den Interessen des Klägers, weil er dadurch in die prozessuale Ausgangslage vor Erlaß des Änderungsbescheids versetzt wird. Für die einfache Erklärung, der geänderte Bescheid werde zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, ist es aber trotz des für Verfahren vor dem BFH geltenden Vertretungszwangs nicht notwendig, einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zu bestellen. Dies von dem Kläger zu verlangen, wäre eine unnötige und unbillige Förmelei, die weder zum Schutz des Klägers erforderlich ist noch der Beschleunigung oder Vereinfachung des Revisionsverfahrens dient.
Entgegen der Auffassung des FG sind die vom Kläger geltend gemachten Besichtigungskosten nicht als Vorkosten nach § 10e Abs.6 EStG abziehbar.
Nach dieser Vorschrift kann der Steuerpflichtige Aufwendungen wie Sonderausgaben abziehen, die
- bis zum Beginn der erstmaligen Nutzung einer Wohnung i.S. des Absatzes 1 zu eigenen Wohnzwecken entstehen,
- unmittelbar mit der Herstellung oder Anschaffung des Gebäudes oder der Eigentumswohnung oder der Anschaffung des dazu gehörenden Grund und Bodens zusammenhängen,
- nicht zu den Herstellungskosten oder Anschaffungskosten der Wohnung oder zu den Anschaffungskosten des Grund und Bodens gehören und
- im Fall der Vermietung oder Verpachtung der Wohnung als Werbungskosten abgezogen werden könnten.
Durch § 10e Abs.6 EStG sollen nach der Gesetzesbegründung die bisherigen Möglichkeiten, Aufwendungen in der Bau- und Anschaffungsphase steuerlich abzusetzen, in ihren Wirkungen erhalten bleiben (BTDrucks 10/3633, S.10). Die Vorschrift soll hiernach sicherstellen, daß die in dem Bau- und Anschaffungszeitraum anfallenden Kosten, insbesondere ein Damnum und andere Geldbeschaffungskosten, die nach der Rechtslage vor 1987 bei eigengenutzten Wohnungen als Werbungskosten abziehbar gewesen seien, auch künftig steuermindernd abgezogen werden könnten (BTDrucks 10/3633, S.16).
Nach der Rechtslage vor 1987 konnten vor Bezug entstandene Aufwendungen ―unabhängig davon, ob sie zum beabsichtigten Erfolg führten― als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt werden, wenn ein ausreichend bestimmter Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung bestand (z.B. BFH-Beschluß vom 4.Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830, unter C III 2 a, m.w.N.). Ein ausreichend bestimmter wirtschaftlicher Zusammenhang war von dem Zeitpunkt an anzunehmen, zu dem sich anhand objektiver Umstände feststellen ließ, daß ein Steuerpflichtiger den Entschluß, durch die Errichtung oder den Erwerb eines Gebäudes die Einkunftsart Vermietung und Verpachtung zu begründen, endgültig gefaßt hatte (BFH-Urteil vom 10.März 1981 VIII R 195/77, BFHE 133, 189, BStBl II 1981, 470, unter 2b).
Im Schrifttum wird zum Teil die Auffassung vertreten, § 10e Abs.6 EStG erfasse alle Aufwendungen, die vor 1987 bei eigengenutzten Wohnungen Werbungskosten gewesen seien, also auch die sog. vergeblichen Aufwendungen. Hierfür sprächen die Gesetzesbegründung und die in § 10e Abs.6 EStG geforderte Parallelwertung zwischen den bisher als Werbungskosten und nunmehr wie Sonderausgaben abziehbaren Aufwendungen (z.B. Stephan in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 10e EStG Rz.148 a ff.; ders., Die Besteuerung selbstgenutzten Wohneigentums, 3.Aufl. 1989, S.104 ff.; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 10.Aufl., § 10e Anm.9; Obermeier, Das selbstgenutzte Wohneigentum ab 1987, 2.Aufl., Rz.226, 232).
Die Finanzverwaltung und ein anderer Teil der Literatur folgern dagegen aus dem Merkmal des unmittelbaren Zusammenhangs, daß § 10e Abs.6 EStG nur die mit der tatsächlich angeschafften oder hergestellten Wohnung zusammenhängenden Aufwendungen begünstige (z.B. Schreiben des Bundesministers der Finanzen ―BMF― vom 25.Oktober 1990, BStBl I 1990, 626, Abschn.56; Blümich/ Erhard,Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 10e EStG Rz.616; Stuhrmann in Hartmann/ öttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 10e Rz.135; ders., Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1988, 308; Biergans, Steuervorteile durch selbstgenutztes Wohneigentum ab 1990, 2.Aufl., S.83, 84). Zum Teil wird die Nichtabziehbarkeit vergeblicher Aufwendungen auch aus der fehlenden Nutzung zu eigenen Wohnzwecken hergeleitet (z.B. Meyer, Finanz- Rundschau ―FR― 1991, 33, 47).
Nach Auffassung des Senats bringt der Wortlaut den Sinn der Regelung klar zum Ausdruck. Vergebliche Aufwendungen sind danach nicht abziehbar. § 10e Abs.6 EStG verlangt einen unmittelbaren Zusammenhang der Aufwendungen mit der Anschaffung des Gebäudes oder der Eigentumswohnung oder der Anschaffung des dazu gehörenden Grund und Bodens.
Diese Formulierung kann bei verständiger Auslegung nur bedeuten, daß lediglich die mit der tatsächlich hergestellten oder angeschafften Wohnung zusammenhängenden Aufwendungen begünstigt sind. Dies folgt insbesondere aus der Verwendung des bestimmten Artikels ("… des Gebäudes oder der Eigentumswohnung …"). Ferner läßt § 10e Abs.6 EStG nur Aufwendungen zum Abzug zu, "die bis zum Beginn der erstmaligen Nutzung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken entstehen". Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken setzt aber voraus, daß zuvor eine Wohnung angeschafft oder hergestellt worden ist.
Scheitert der beabsichtigte Erwerb oder die beabsichtigte Herstellung der Wohnung, können daher die mit der Anschaffung oder Herstellung der Wohnung oder der Anschaffung des dazu gehörenden Grund und Bodens zusammenhängenden Aufwendungen nicht nach § 10e Abs.6 EStG steuermindernd berücksichtigt werden.
Dieser Auslegung widerspricht nicht die vom Gesetz geforderte Parallelwertung der Aufwendungen mit den Werbungskosten. Wie Sonderausgaben abziehbare Vorkosten müssen zwar die Merkmale des Werbungskostenbegriffs im Falle einer Vermietung und Verpachtung erfüllen, jedoch hängt die Abziehbarkeit von den weiteren einschränkenden Voraussetzungen des § 10e Abs.6 EStG ab.
cc) Die Gesetzesbegründung rechtfertigt keine andere Entscheidung. Vielmehr deuten die Hinweise auf die eigengenutzte Wohnung, auf den Bau- und Anschaffungszeitraum sowie auf die beispielhaft aufgezählten begünstigten Kosten wie Damnum und andere Geldbeschaffungskosten darauf hin, daß ein Zusammenhang zwischen Aufwendungen und Anschaffung oder Herstellung der eigengenutzten Wohnung bestehen soll.
Allerdings kann die unterschiedliche steuerliche Behandlung von vergeblichen Vorkosten, je nachdem, ob sie im Hinblick auf eine beabsichtigte Eigennutzung oder eine beabsichtigte Vermietung oder Verpachtung getätigt werden, in der Praxis zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Dies ist aber angesichts des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift hinzunehmen. >
Fundstellen
Haufe-Index 613346 |
BStBl II 1992, 36 |
BFHE 165, 322 |
BB 1991, 2436 (Leitsatz) |
DB 1991, 2576 (Leitsatz) |
DStR 1991, 1625 (Kurzwiedergabe) |
HFR 1992, 67 (Leitsatz und Gründe) |
StE 1991, 425 (Kurzwiedergabe) |
WPg 1992, 129 (red. Leitsatz) |