Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen des Erben ohne rechtliche Verpflichtung als Nachlaßverbindlichkeiten. Abzug wegen unentgeltlicher Dienste im Haushalt
Leitsatz (amtlich)
1. Leistungen des Erben aus dem Nachlaß können, wenn sie eine ernsthafte wirtschaftliche Belastung darstellen, auch ohne rechtliche Verpflichtung als Nachlaßverbindlichkeiten in Betracht kommen. Dies wird im allgemeinen nur bejaht werden können, wenn der Zuwendende sich zu der rechtlich nicht erzwingbaren Leistung aus anderen zwingenden Gründen – z.B. sittlicher Art – für verpflichtet hält und der Bedachte auf Grund eigener Bindung des Zuwendenden auch künftig mit Sicherheit auf die Fortdauer der Leistungen rechnen kann.
2. Für § 24 ErbStG 1951 ist nur der für die Arbeit im Haushalt des Erblassers angemessene Lohn, nicht ein entgangener Verdienst, als im Erwerb enthaltene Ersparnis des Erblassers maßgebend.
Normenkette
ErbStG 1951 § 23 Abs. 4, § 24
Tatbestand
Es ist in der Hauptsache noch streitig, ob Leistungen der Erben aus dem Nachlaß auch ohne rechtliche Verpflichtung als Nachlaßverbindlichkeiten gemäß § 23 Abs. 4 ErbStG 1951 abzugsfähig sind.
I.
Der am 26. Juli 1954 verstorbene Erblasser wurde auf Grund seines Testaments vom 17. August 1938 mit Nachtrag vom 8. Juni 1949 von seinen beiden Töchtern, den Bfinnen., zu je 1/2 beerbt.
Unter den Nachlaßverbindlichkeiten sind in der Steuererklärung u.a. Renten von je … DM für A und L K, die Geschwister des Erblassers, aufgeführt, die das FA durch vorläufigen Steuerbescheid als Vermächtnisse zur ErbSt herangezogen hatte. Mit ihrem Einspruch begehrten die Bfinnen. den Abzug der Rentenleistungen als Nachlaßverbindlichkeiten, da es sich nicht um ein Vermächtnis des Erblassers, sondern um eine Erblasserschuld handele. Außerdem beantragte die Bfin. zu 1) einen Abzug wegen unentgeltlich geleisteter Dienste gemäß § 24 ErbStG 1951.
Das FA entsprach in der Einspruchsentscheidung dem ersten Antrag in vollem Umfang, dem zweiten Antrag jedoch mit der Einschränkung nach Dauer und Höhe des Abzugs. Deshalb und weil der Antrag nach § 24 ErbStG 1951 erst im Einspruchsverfahren gestellt worden sei, erlegte es den Bfinnen. die Kosten dieses Verfahrens zu 1/5 auf.
Mit ihrer Berufung beantragten die Bfinnen., nicht nur die Rentenleistungen an die Geschwister des Erblassers in Höhe von … DM, sondern zusätzlich weitere … DM monatlich und die Übernahme von jährlichen Krankenkassenbeiträgen von … DM für die Hausgehilfin der Geschwister des Erblassers und von anteiligen Grundsteuern von … DM (nach dem Stand von 1954) als Nachlaßverbindlichkeiten anzuerkennen. Schließlich wehrten sich die Bfinnen. gegen die teilweise Auferlegung der Kosten.
Die Berufung war in den noch in den Rechtsbeschwerden (Rbn.) streitigen, Punkten erfolglos.
Das FG erkannte von den Zahlungen an die Geschwister des Erblassers nur die Renten in Höhe von je …(Rbn.)
DM als Erblasserschulden an, da nur eine rechtliche Verpflichtung zu einer Leistung aus dem Nachlaß eine abzugsfähige Nachlaßverbindlichkeit begründen könne, nicht dagegen eine Leistung ohne Rechtsgrund. Auch die teilweise Auferlegung der Kosten in der Einspruchsentscheidung entspreche § 307 Abs. 1 AO. Das FG setzte die ErbSt endgültig fest und erlegte den Bfinnen. die Kosten des Einspruchsverfahrens zu 1/5, die des Berufungsverfahrens in voller Höhe auf.
Mit ihren Rechtsbeschwerden rügen die Bfinnen. Verkennung des Begriffs der Nachlaßverbindlichkeit und beantragen erneut, gemäß § 314 AO von der Auferlegung der Kosten des Berufungsverfahrens freigestellt zu werden.
Entscheidungsgründe
II.
Rbn. haben in der Hauptsache Erfolg.
1. Der Auffassung des FG, daß nur solche Schulden und Lasten als Nachlaßverbindlichkeiten abzugsfähig sind, zu deren Erfüllung eine rechtliche Verpflichtung besteht, ist im allgemeinen zuzustimmen. Andererseits muß jedoch im Rahmen der Erbschaftsbesteuerung nicht nur die formelle Rechtslage, wie das FG glaubt, sondern auch der tatsächliche (wirtschaftliche) Sachverhalt berücksichtigt werden.
Der RFH hat für den umgekehrten Fall des Ansatzes einer Renten- oder Unterhaltsleistung als Forderung wiederholt entschieden, daß solche Vermögenswerte auch dann der Vermögensbesteuerung unterliegen, wenn zwar kein bürgerlich-rechtlich einklagbarer Anspruch auf die Leistung besteht, aber wirtschaftlich eine Lage gegeben ist, bei der der „Berechtigte” mit Sicherheit auf die Fortdauer der Bewirkung der Leistung rechnen kann (z.B. RFH-Urteile III A 39/32 vom 26. Mai 1933, RStBl 1933 S. 1345; III 192/36 vom 8. Januar 1937, RStBl 1937 S. 347; III 211/37 vom 10. Februar 1938, RStBl 1938 S. 531). Er hat diesen Grundsatz ausdrücklich für die ErbSt übernommen unter der Voraussetzung, daß nach den Umständen des Einzelfalles sichergestellt ist, daß der Geber die Leistungen dauernd weitergewähren wird, der Empfänger sich also tatsächlich und wirtschaftlich in derselben Lage wie ein Berechtigter befindet (RFH-Urteil III e 43/40 vom 26. Juni 1941, RStBl 1941 S. 766, unter 2).
Entsprechend haben der RFH und der BFH in ständiger Rechtsprechung den Abzug von Schulden und Lasten versagt, wenn der Schuldner abweichend von der bestehenden rechtlichen Erfüllungspflicht am Stichtag mit der Geltendmachung der Forderung ernstlich nicht mehr rechnen mußte, so daß letztere wirtschaftlich eine Belastung nicht mehr darstellte (z.B. RFH-Urteil III e 48/37 vom 26. November 1937, RStBl 1938 S. 402 zu 2; BFH-Urteile III 9/54 S vom 5. November 1954, BStBl 1954 III S. 381; III 161/60 vom 22. September 1961, StRK, BewG § 74 R. 18).
Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise zwingt folgerichtig zu dem Schluß, daß auch zugunsten des Steuerpflichtigen selbst bei Fehlen einer im Sinne des bürgerlichen Rechts wirksamen Verpflichtung das tatsächliche Bestehen einer Nachlaßverbindlichkeit dann anerkannt werden kann, wenn unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse eine ernsthafte wirtschaftliche Belastung des Schuldners zu bejahen ist. Wegen des Fehlens eines klagbaren Anspruchs wird allerdings eine ernsthafte wirtschaftliche Belastung des Stpfl. nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen anerkannt werden können. Der RFH und ihm folgend der III. Senat des BFH haben dies z.B. angenommen, wenn der Bedachte auf Grund eigener Bindung des Zuwendenden in langjähriger Übung auch künftig mit Sicherheit auf die Fortdauer (also bereits in der Vergangenheit erbrachter) Leistungen rechnen konnte (z.B. RFH-Urteil III 211/37 vom 10. Februar 1938, a.a.O.; BFH-Urteile III 276/56 U vom 5. Oktober 1956, BStBl 1956 III S. 374; III 159/59 U vom 1. Juli 1960, BStBl 1960 III S. 397). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an mit der Ergänzung, daß eigene Bindung des Gebers und Sicherheit des Empfängers im allgemeinen nur vorliegen werden, wenn der Geber sich zu der rechtlich nicht erzwingbaren Leistung aus anderen zwingenden Gründen – z.B. sittlicher Art – für verpflichtet hält.
2. Die Vorentscheidung war aufzuheben, da sie auf dem Rechtsirrtum beruht, daß Nachlaßverbindlichkeiten nur bei Vorliegen einer rechtlichen Verpflichtung abzugsfähig seien.
Der Senat ist im Rahmen der ihm nach Aufhebung der Vorentscheidung zustehenden freien Beurteilung (§ 296 Abs. 3 AO) zu der Überzeugung gelangt, daß die besonderen Umstände des Streitfalles es gerechtfertigt erscheinen lassen, den Abzug der über die jährlichen Renten von je … DM hinausgehenden, ohne Rechtspflicht übernommenen strittigen Zahlungen zu gewähren …
Testament ergibt sich, daß der Erblasser zwar nur seine damals noch unversorgten Kinder zu Alleinerben glaubte einsetzen zu sollen, andererseits aber seinen Geschwistern, da sie in sehr beengten wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, nach Kräften helfen wollte und diese Hilfe nach seinem Ableben auch seinen Kindern sehr anempfahl. Durch die von den Beteiligten abgegebenen Bescheinigungen, Versicherungen und sonstigen Äußerungen ist – im übrigen unwidersprochen – glaubwürdig dargetan, daß der Erblasser (mindestens) seit der Währungsreform die geltend gemachten Lasten zugunsten seiner Geschwister übernommen hatte und daß seine Kinder sich offenbar aus familiären Gründen – also sittlich – verpflichtet fühlten, die Zahlungen ihres Vaters in dessen Sinne weiterzuleisten. Zwar ist die Frage, ob die Voraussetzungen einer den Nachlaß mindernden Last gegeben sind, bei der Erbschaftsteuer als Stichtagssteuer grundsätzlich nach den Verhältnissen und aus der Sicht am Todestag zu beantworten (§§ 21, 14 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1951). Gleichwohl ist in der Tatsache, daß die Bfinnen, in den Folgejahren die Zahlungen zugunsten der Geschwister ihres Vaters im gleichen Umfang wie letzterer fortgesetzt haben, eine Bestätigung für auch ihre eigene Bindung im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung zu erblicken.
3. Dagegen sind die Rbn, wegen der Verteilung der Kosten des Einspruchsverfahrens – unwesentlich – nur insoweit begründet, als das FA beiden Bfinnen. gemäß § 307 Abs. 3 AO einen Teil der Kosten wegen verspäteter Geltendmachung des Antrags gemäß § 24 ErbStG 1951 auferlegt hat. Die Voraussetzungen, daß (nur) die Bfin. zu 1) diesen Antrag grob fahrlässig verspätet gestellt hat (BFH-Urteil IV 554/53 U vom 28. Januar 1954, BStBl 1954 III S. 90), hält der Senat nicht für gegeben. Die Vorentscheidungen sind jedoch zutreffend davon ausgegangen, daß der Antrag nach Zeitdauer und Wen der Arbeitsleistung der Bfin. zu 1) als angemessen einen Betrag geltend machte, durch dessen Gewährung die völlige Freistellung der Bfin. zu 1) von der Erbschaftsteuer erstrebt wurde. Insbesondere war der Antrag, auch den der Bfin. zu 1) entgangenen Verdienst zu berücksichtigen, nicht gerechtfertigt, da für § 24 ErbStG 1951 nur der für die Arbeit im Haushalt des Erblassers angemessene Lohn als im Erwerb enthaltene Ersparnis des Vaters maßgebend ist (RFH-Urteil I e A 191/30 vom 20. Mai 1930, Mrozek-Kartei, ErbStG 1925, § 3 Abs. 5 R. 4 a. E.; OFH-Urteil III 5/50 vom 25. Juli 1950, StRK, ErbStG, § 24 R. 1. Nur in diesem Sinne kann auch das RFH-Urteil V e 366/25 vom 15. Januar 1926, Mrozek-Kartei, ErbStG 1925, § 24 R. 2, von, dem Erwerber entgangenen Verdienst für eine gleichartige wie die geleistete Arbeit sprechen.)
Fundstellen