Leitsatz (amtlich)
Die Frage, ob eine Tätigkeit künstlerische Qualität aufweist, ist - jedenfalls im Bereich der Grenzfälle - im allgemeinen nicht ohne besondere Sachkunde zu beantworten.
Normenkette
GewStDV § 1; EStG § 18
Tatbestand
Streitig ist, ob die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) im Streitjahr 1963 Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit bezogen hat.
Die Steuerpflichtige, deren Einnahmen im wesentlichen aus der zeichnerischen Gestaltung von Modekollektionen, Katalogen, Anzeigen und Prospekten herrührten, wurde vom Revisionsbeklagten (FA) mit den Gewinnen aus dieser Tätigkeit zur Gewerbesteuer herangezogen. Der Einspruch der Steuerpflichtigen blieb bis auf eine geringfügige Herabsetzung des Gewerbeertrags erfolglos. Die hiergegen erhobene Klage wurde abgewiesen.
Das FG führte zur Begründung seiner in EFG 1967, 228 veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus, daß eine künstlerische Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG vorliege, wenn die Tätigkeit um der Herstellung eines Kunstwerks willen ausgeübt werde und das geschaffene Werk nach Inhalt, Aussage und Form geistig eigenschöpferisch gestaltet werde. Zwar schließe die Verwendung des Werkes als Gebrauchsgegenstand oder für geschäftliche Zwecke die Annahme einer künstlerischen Tätigkeit grundsätzlich nicht aus. Das Werk müsse jedoch losgelöst von seinem Verwendungszweck einen eigenen Wert um seiner selbst willen besitzen, wenn es als Kunstwerk bestehen solle. Die dem Gericht vorgelegten Arbeiten der Steuerpflichtigen, soweit sie zu Einnahmen im Streitjahr geführt hätten, seien indes nach einhelliger Auffassung des Senats so weit von den an Kunstwerke zu stellenden Anforderungen entfernt, daß es keiner besonderen Sachkunde bedurft habe, um gegen die Auffassung der Steuerpflichtigen zu entscheiden. Dazu genüge nach Auffassung des FG der bei seinen Richtern gegebene Bildungsstand und die gleichfalls gegebene Beteiligung am allgemeinen Kulturleben. Diese beiden Voraussetzungen reichten im Streitfall für eine eigene Beurteilung im Rahmen des richterlichen Ermessens aus, denn die Beurteilung dessen, was Kunst oder künstlerische Tätigkeit sei, könne nicht ausschließlich Sachverständigen obliegen. Die Kunst sei ein Bestandteil des allgemeinen Kulturlebens, an welchem jeder Gebildete teilnehme und die Maßstäbe mitbestimme. Deshalb könne, wenn es nicht gerade um Streitfragen grundsätzlicher Art, wie z. B. über den Wert und Unwert bestimmter Richtungen innerhalb einer Kunstgattung gehe, auch ein gebildeter Laie entscheiden, ohne daß er selbst ausübender Künstler oder Fachmann sei.
Darüber hinaus sei der künstlerische Gehalt einzelner Arbeiten der Steuerpflichtigen hier nicht entscheidend, denn maßgebend für die Frage, welcher Einkunftsart der Gewinn der Steuerpflichtigen zuzuordnen sei, bleibe das Gesamtbild. Dieses weise aber nicht auf eine hauptsächliche oder überwiegende künstlerische Tätigkeit hin.
Mit der Revision rügt die Steuerpflichtige unrichtige Rechtsanwendung, insbesondere unzulängliche Sachverhaltsaufklärung. Sie beruft sich darauf, daß das FG verpflichtet gewesen sei, die bei der zuständigen OFD gebildete Gutachterkommission über die Frage ihrer - der Steuerpflichtigen - künstlerischen Eigenschaft zu hören. Ihren hierauf gerichteten Beweisantrag habe das FG zu Unrecht abgelehnt. Nach dem Urteil des BFH V 162/63 vom 29. Juli 1965 (HFR 1966, 34) erfordere die Beurteilung einer Darstellung als künstlerisch nach der Lebenserfahrung eine besondere Eignung und Sachkunde des Gutachters, die sich ein Gericht nicht ohne weiteres zutrauen könne. In dieser BFH-Entscheidung sei auch dargelegt worden, daß die eigenen Feststellungen des Gerichts auf dem Gebiet einer ihm regelmäßig fremden Sache nur dann glaubwürdig seien, wenn das Gericht zugleich dartue, daß alle seine Mitglieder die entsprechende Eignung und Sachkunde besitzen. Fehle eine solche Begründung, so bestehe nach der Lebenserfahrung, die die entsprechende Sachkunde beim Richter für den Regelfall verneint, die Möglichkeit, daß das Gericht mit einer nur vermeindlichen Sachkunde Schlußfolgerungen gezogen habe. Obwohl das FG nicht dargetan habe, daß alle seine Mitglieder die entsprechende Eignung und Sachkunde besessen hätten (dies sei bei den ehrenamtlichen Finanzrichtern mit Sicherheit nicht der Fall), habe es sich auf den Standpunkt gestellt, die nötige Sachkunde zu besitzen und habe es aus dieser vermeintlichen Sachkunde Schlußfolgerungen gezogen, die unhaltbar seien.
Die Steuerpflichtige beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und dem FA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Hilfsweise beantragt sie die Zurückverweisung des Verfahrens an das FA.
Das FA hat zur Revision nicht Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit Gewinnabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, ist u. a. dann nicht als Gewerbebetrieb anzusehen, wenn sie als Ausübung eines freien Berufes zu werten ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 GewStDV).
Gemäß § 18 EStG gehört zur freiberuflichen Tätigkeit die selbständig ausgeübte künstlerische Tätigkeit. Ob im Einzelfall schöpferische Leistungen vorliegen, die den Arbeiten eines Steuerpflichtigen die Eigenschaft des Künstlerischen verleihen, ist eine Frage, die die tatsächlichen Verhältnisse betrifft (vgl. BFH-Urteile V 96/59 S vom 11. Juli 1960, BFH 71, 549, BStBl III 1960, 453; IV 62/65 vom 8. Juni 1967, BFH 89, 219, BStBl III 1967, 618). Ihre Beantwortung durch die Tatsacheninstanz ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen, es sei denn, daß in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 118 Abs. 2 FGO). Dies ist hier der Fall, denn die Steuerpflichtige rügt zu Recht, daß das FG seiner Verpflichtung zur Erforschung des Sachverhalts nicht in hinreichendem Maße nachgekommen ist.
Zur Erforschung des Sachverhalts im Sinne des § 76 FGO gehört, daß sich das FG die zur Tatsachenfeststellung notwendige Sachkunde verschafft, sofern es sie selbst nicht besitzt. Es kann sich diese Sachkunde etwa durch das Studium einschlägiger Literatur oder aber auch durch das Gutachten eines Sachverständigen verschaffen. Wird ein Sachverständigengutachten nicht eingeholt, so müssen die Gründe der gerichtlichen Entscheidung erkennen lassen, daß die nicht ohne Sachkunde möglichen Tatsachenfeststellungen auf der Grundlage des hinreichenden Sachverstandes des Gerichts getroffen wurden. Fehlt es hieran, lassen etwa die Gründe des Urteils der Tatsacheninstanz auf mangelnde Sachkunde schließen, so ist ein Verfahrensverstoß zu bejahen (vgl. Urteil des BGH - VI ZR 41/53 vom 14. April 1954, Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 286 [E] ZPO Nr. 6 und die dort nachgewiesene weitere Rechtsprechung).
Die Frage, ob eine Tätigkeit künstlerische Qualität aufweist, ist jedenfalls in dem Bereich der Grenz- oder Übergangsfälle, zu denen der vorliegende Sachverhalt zu zählen ist, im allgemeinen nicht ohne besondere Sachkunde zu beantworten (vgl. BFH-Urteil V 162/63, a. a. O.).
Der Feststellung der Vorinstanz, derzufolge die dem Gericht vorgelegten Arbeiten so weit von den an Kunstwerke zu stellenden Anforderungen entfernt sind, daß es keiner besonderen Sachkunde bedurft habe, um gegen die Auffassung der Steuerpflichtigen zu entscheiden, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Entwicklung der Kunst und ihrer einzelnen Richtungen verläuft in zunehmendem Maße unüberschaubar und auch die Maßstäbe, an denen die künstlerischen Qualitäten einer Arbeit gemessen werden, verändern sich rasch. Nach Auffassung des Senats ist es daher selbst einem an der Kunst interessierten gebildeten Laien in der Regel nicht mehr möglich, mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit einer neueren Schöpfung die künstlerische Qualität zu- oder abzusprechen. Allein die Beteiligung am allgemeinen Kulturleben reicht regelmäßig nicht aus, diese Qualifikation vorzunehmen.
Zwar mag es Fälle geben, in denen die als künstlerisch bezeichneten Arbeiten so weit von den an Kunstwerke zu stellenden Anforderungen entfernt sind, daß es keiner besonderen Sachkunde mehr bedarf, um dies zu erkennen. Die in diese Richtung gehende Auffassung des FG wird jedoch von den übrigen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht gedeckt. Die dort genannten Arbeiten der Steuerpflichtigen (zeichnerische Gestaltung von Modekollektionen, Katalogen, Anzeigen und Prospekten) gehören einer Kategorie von Darstellungen an, die auch Gegenstand des Urteils V 96/59 S (a. a. O.) waren (Werbebilder, Schaufensterdekorationen, Fotomontagen). Der V. Senat des BFH hat dort die Möglichkeit einer künstlerischen Qualität solcher Arbeiten bejaht. Der erkennende Senat teilt diese Auffassung. Darüber hinaus hat das FG im Beschluß vom 17. November 1966, mit dem es die Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt hat, selbst eingeräumt, daß allenfalls ein Teil der Arbeiten der Steuerpflichtigen als künstlerisch angesehen werden könnte. Allein diese Feststellung läßt die Möglichkeit erkennen, daß sich die Steuerpflichtige im Grenzbereich zwischen künstlerischer und nicht-künstlerischer Tätigkeit bewegte, eine Sachlage, bei der die Einholung eines Sachverständigengutachtens angebracht war.
Das FG wird daher entsprechend dem Antrag der Steuerpflichtigen ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen haben, ob die von der Steuerpflichtigen gefertigten Arbeiten, die zur Erreichung der streitigen Einnahmen geführt haben, als künstlerisch anzusehen sind. Anknüpfend an die vom Gericht vorzunehmende Auswertung dieses Gutachtens ist auf Grund des Gesamtbildes der Tätigkeit der Steuerpflichtigen zu entscheiden, welcher Einkunftsart die in Frage stehenden Gewinne zuzuordnen sind. Dabei muß berücksichtigt werden, daß die Arbeiten der Steuerpflichtigen - sofern sie als künstlerisch anzusehen sein sollten - nicht dadurch die Eigenschaft eines Kunstwerks verlieren, daß sie einem gewerblichen Zweck dienen (vgl. BFH-Urteil V 96/59 S, a. a. O.).
Fundstellen
Haufe-Index 68063 |
BStBl II 1968, 543 |
BFHE 1968, 336 |