Entscheidungsstichwort (Thema)
Instandsetzung und Aufstockung eines Einfamilienhauses; Werbungskostenabzug bei mietfreier Überlassung
Leitsatz (NV)
1. Werden in einem Einfamilienhaus im Keller und Erdgeschoß Instandsetzungsarbeiten ausgeführt und wird das Gebäude zugleich aufgestockt, bilden die entsprechenden Aufwendungen nur dann insgesamt Herstellungskosten, wenn die Instandsetzungsmaßnahmen und die Aufstockungsarbeiten in einem engen, räumlichen, zeitlichen und sachlichen (d. h. bautechnischen) Zusammenhang stehen.
2. Zum Werbungskostenabzug für ein Einfamilienhaus, das zum Ausgleich für bei Baumaßnahmen erbrachte Eigenleistungen "mietfrei" überlassen wird.
Normenkette
EStG §§ 9, 21 Abs. 1-2, § 21a; HGB § 255 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Die Klägerin ist Eigentümerin eines im Jahre 1925 erbauten Einfamilienhauses, das bis in das Jahr 1984 hinein fremdvermietet war. Das früher vorhandene Spitzgiebeldach des Hauses ist im Krieg zerstört worden. Danach bestand das Haus nur aus dem Keller und dem Erdgeschoß mit einem Flachdach. Ab Mitte 1984 wurden umfangreiche Instandsetzungs- und Baumaßnahmen durchgeführt. In den Jahren 1984 und 1985 wurde wieder ein Spitzgiebeldach errichtet. Dabei wurde die Geschoßtreppe zum Obergeschoß neu hergestellt. Der Innenausbau des Dachgeschosses geschah 1991 und 1992. Einen Teil der Arbeiten erbrachten die Tochter des Klägers und ihr Ehemann in Eigenleistung. Zum Ausgleich hierfür wohnten sie nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) "mietfrei" in dem Haus. Die Kläger machten lediglich Materialkosten und Aufwendungen für Fremdleistungen steuerlich geltend. In ihren Einkommensteuererklärungen begehrten sie, die Kosten für Instandsetzungsmaßnahmen im Keller und im Erdgeschoß als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen. Die Aufwendungen für die Errichtung des Dachgeschosses behandelten sie als Herstellungskosten und zogen die jeweiligen Absetzungen für Abnutzung als Werbungskosten ab.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beurteilte demgegenüber sämtliche Aufwendungen als Herstellungskosten, weil es sich um eine einheitliche Baumaßnahme gehandelt habe. Die Klage wies das FG ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 1994, 91).
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision. Sie rügen Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i. V. m. § 7 Abs. 1 und 4 EStG. Ferner rügen sie als Verfahrensmangel, daß das FG ihren Antrag, Sachverständigengutachten einzuholen, übergangen habe.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 1984 bis 1986 mit der Maßgabe herabzusetzen, daß die Kosten der Renovierung des Einfamilienhauses, soweit sie nicht für die Errichtung des Satteldachs entstanden sind, als weitere Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt und daß dabei die in 1984 entstandenen Renovierungskosten nach § 82b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung gleichmäßig auf die Jahre 1984 bis 1986 verteilt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA geänderte Einkommensteuerbescheide für 1984 und 1985 vom 27. März 1995 erlassen, die auf Antrag der Kläger nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden sind.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Die Vorentscheidung verletzt § 9 EStG.
1. Das FG hat mit unzureichender Begründung sämtliche strittigen Instandsetzungsaufwendungen als Herstellungskosten beurteilt.
a) Herstellungskosten sind nach § 255 Abs. 2 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen.
In diesem Sinne wird ein Gebäude auch dann neu hergestellt, wenn es so sehr abgenutzt ist, daß es unbrauchbar geworden ist (Vollverschleiß), und unter Verwendung seiner noch nutzbaren Teile wieder instandgesetzt wird (Senatsurteil vom 9. Mai 1995 IX R 116/92, BFHE 177, 454, 457 m. w. N.).
Eine Erweiterung i. S. von § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB liegt u. a. vor, wenn ein Gebäude aufgestockt, wenn seine Substanz vermehrt oder seine nutzbare Fläche vergrößert wird oder wenn bisher nicht vorhandene Bestandteile eingebaut werden (Senatsurteil in BFHE 177, 454, 457 m. w. N.).
Eine über den ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung im Sinne dieser Vorschrift ist nach dem Senatsurteil in BFHE 177, 454, 460f., auf das zur Begründung im einzelnen Bezug genommen wird, dann gegeben, wenn über die zeitgemäße Erneuerung hinaus der Gebrauchswert des Hauses im ganzen deutlich erhöht wird. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen sind Instandsetzungs- oder Modernisierungsmaßnahmen, die über eine zeitgemäße substanzerhaltende Erneuerung nicht hinausgehen, grundsätzlich außer Betracht zu lassen. Soweit die dafür aufgewendeten Kosten abgrenzbar sind, sind sie als Erhaltungsaufwendungen abzuziehen. Hingegen sind diese Erhaltungsaufwendungen in die gebotene Gesamtwürdigung einzubeziehen, wenn sie mit den über eine zeitgemäße substanzerhaltende Erneuerung hinausgehenden Maßnahmen bautechnisch ineinandergreifen. Aufwendungen, die für sich genommen teils Herstellungs-, teils Erhaltungsaufwendungen darstellen, sind insgesamt als Herstellungskosten zu beurteilen, wenn die Arbeiten in engem räumlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen und in ihrer Gesamtheit eine einheitliche Baumaßnahme bilden. Ein sachlicher Zusammenhang in diesem Sinne liegt vor, wenn die einzelnen Baumaßnahmen -- die sich auch über mehrere Jahre erstrecken können -- bautechnisch ineinandergreifen.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind die Merkmale einer wesentlichen Verbesserung i. S. von § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB weder mit dem Argument zu begründen, es liege eine sog. Generalüberholung vor, noch mit der Höhe der insgesamt aufgewandten Kosten. Wegen der Begründung im einzelnen nimmt der Senat ebenfalls auf das Urteil in BFHE 177, 454, 459, 462 Bezug.
b) Nach diesen Maßstäben verstößt das angefochtene Urteil gegen § 9 EStG und ist deshalb aufzuheben. Das FG ist zwar mit den Beteiligten zutreffend davon ausgegangen, daß die Aufwendungen für die Errichtung des Spitzgiebeldaches Herstellungskosten sind, weil das Gebäude dadurch erweitert worden ist. Ohne zureichende Begründung hat das FG jedoch die Instandsetzungsaufwendungen für den Keller und das Erdgeschoß den Herstellungskosten zugerechnet. Auf der Basis seiner Feststellungen, nach denen diese Aufwendungen, für sich genommen, der Erhaltung und Instandsetzung des bisherigen Gebäudes dienten, konnte das FG rechtsfehlerfrei nur dann Herstellungskosten annehmen, wenn die Instandsetzungsmaßnahmen in Keller und Erdgeschoß mit den Herstellungsmaßnahmen (Errichtung des Spitzgiebeldaches) in einem engen räumlichen, zeitlichen und sachlichen (d. h. bautechnischen) Zusammenhang gestanden haben. Den sachlichen Zusammenhang der Baumaßnahmen, der voraussetzt, daß Herstellungs- und Erhaltungsarbeiten bautechnisch ineinandergreifen, hat das FG ohne nähere Begründung bejaht. Der Senat ist daher nicht in der Lage, die Würdigung des FG anhand der tatsächlichen Feststellungen nachzuvollziehen. Insoweit liegt ein Rechtsfehler vor, der auch ohne entsprechende Rüge vom Revisionsgericht zu beachten ist.
Für die vom FA in der mündlichen Verhandlung vertretene Auffassung, die strittigen Aufwendungen seien mit Rücksicht auf den wirtschaftlichen Totalverschleiß des Gebäudes als Herstellungskosten zu beurteilen, ergeben sich keine Anhaltspunkte.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen für eine abschließende Entscheidung in der Revisionsinstanz nicht aus.
a) Zunächst ist ungeklärt, ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Kläger in den Streitjahren überhaupt Einkünfte aus der Vermietung oder Nutzung des Einfamilienhauses erzielt haben.
Sollte ein Mietverhältnis vorgelegen haben, so kann es der Besteuerung nur dann zugrunde gelegt werden, wenn es bürgerlich-rechtlich wirksam war und sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entsprochen hat (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 19. Juni 1991 IX R 306/87, BFHE 165, 359, BStBl II 1992, 75; vom 25. Mai 1993 IX R 17/90, BFHE 171, 452, BStBl II 1993, 834). Hierzu hat das FG keine Feststellungen getroffen.
Die Feststellungen des FG, Tochter und Schwiegersohn des Klägers hätten zum Ausgleich für an dem Haus erbrachte Eigenleistungen "mietfrei" dort gewohnt, können aber auch dahin zu verstehen sein, daß das Haus während der Bauarbeiten ohne Bestehen eines Mietverhältnisses zur Nutzung überlassen worden ist. Dann wäre zu prüfen, ob Tochter und Schwiegersohn des Klägers über eine gesicherte Rechtsposition verfügten, die sich auch aus einem formlos begründeten Leihverhältnis ergeben kann (vgl. dazu BFH-Urteile vom 29. November 1983 VIII R 215/79, BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366; vom 29. November 1983 VIII R 184/83, BFHE 140, 203, 207, BStBl II 1984, 371; vom 21. Januar 1986 IX R 27/83, BFH/NV 1986, 456; vom 28. Januar 1992 IX R 144/86, BFH/NV 1992, 587; vom 21. September 1993 IX R 96/88, BFH/NV 1994, 307). Verfügten sie über keine gesicherte Rechtsposition, ist der Nutzungswert des Einfamilienhauses der Klägerin zuzurechnen, so daß § 21a Abs. 3 EStG einem weiteren Abzug von Werbungskosten entgegensteht. Hatten Tochter und Schwiegersohn des Klägers hingegen eine gesicherte Rechtsposition inne, so ist ihnen der Nutzungswert zuzurechnen. Die Kläger könnten dann die ihnen entstandenen Instandsetzungsaufwendungen allenfalls als vorweggenommene Werbungskosten im Zusammenhang mit einem nach Abschluß der Bauarbeiten geplanten -- einem Fremdvergleich standhaltenden -- Mietverhältnis abziehen. Dies setzt voraus, daß sich schon für die Streitjahre anhand objektiver Umstände der endgültige Entschluß zur Vermietung des Einfamilienhauses feststellen läßt (BFH-Urteile vom 4. Juni 1991 IX R 30/89, BFHE 164, 364, 366, BStBl II 1991, 761; vom 15. April 1992 III R 96/88, BFHE 168, 133, 136, BStBl II 1992, 819).
b) Sollte das FG zu dem Ergebnis kommen, daß die Kläger in den Streitjahren Einkünfte aus der Vermietung des Einfamilienhauses (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielt haben oder daß ein Abzug vorab entstandener Werbungskosten im Hinblick auf ein künftiges Mietverhältnis in Betracht kommt, wird es nach den oben (1. a) dargestellten Maßstäben prüfen müssen, ob die strittigen Aufwendungen Werbungskosten oder Herstellungskosten bilden, insbesondere, ob die Instandsetzungsmaßnahmen im Keller und im Erdgeschoß mit den Herstellungsmaßnahmen im Dachgeschoß bautechnisch ineinandergegriffen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 65434 |
BFH/NV 1996, 537 |